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Der Abend™
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Spätausgabe des„ Vorwärts"
49. Jahrgang
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Let Die heutigen Morgenstunden brachten die Entdeckung von zwei furchtbaren Verbrechen, die an Frauen verübt worden sind. Kurz nach 7 Uhr wurde in der Friedel= straße 23 in Neukölln ein junges Mädchen, das erst am Sonnabend in diesem Haus ein Zimmer gemietet hatte, mit einem Knebel im Munde und einem Strick um den Hals auf dem Fußboden liegend tot aufgefunden.
Das junge Mädchen, an dem nach den bisherigen Ermittlungen worden ist, wurde als eine 24 Jahre alte Mathilde Rolland
festgestellt. Am Sonnabend war das Mädchen bei dem Ehepaar Zeit, das im 4. Stockwerk des Hauses Friedelstr. 23 in Neukölln
wohnt, zugezogen. In den Mittagsstunden des Sonntags empfing die neue Mieterin, wie die Wirtsleute aussagen, den Besuch eines Mannes, der sich als Onkel des Mädchens vorstellte. Als sich der Onkel verabschiedet hatte, erschienen a bermals zwei Männer, die von Mathilde R. gleichfalls als Verwandte ausgegeben wurden. Auch diese beiden Besucher entfernten sich bald wieder. Gegen 18 Uhr verließen die Wirtsleute ihre Wohnung und lehrten erst spät abends wieder. Zu ihrem Erstaunen brannte auf dem Flur Licht, auch das Zimmer des Mädchens war noch erleuchtet. Die Leute gingen schlafen, in der Nacht stand Frau 3. jedoch nochmals auf, um nach dem Rechten zu sehen. Als sie im Zimmer der Mieterin noch immer Licht brennen fah, flopfte sie an die Türe, er hielt jedoch keine Antwort. Frau 3. glaubte nun, daß Fräulein R. eingeschlafen sei und suchte wieder ihr Schlafzimmer auf. Erst heute früh entschlossen sich die Wirtsleute, als sich im Zimmer noch immer nichts regte, gewaltfam einzubringen. Ihnen bot sich ein schrecklicher Anblid. Zwisechn Sofa und Tisch lag das Mädchen mit verzerrten Gefichtszügen regungslos auf dem Teppich. Die Be amten des alarmierten zuständigen Polizeireviers benachrichtigten die Mordkommission. Gleich der erste Befund bestätigte die Annahme eines Verbrechens. Der Ermordeten war von dem Täter ein Knebel, der aus einem Klaviertastenschoner bestand, mit großer Gewalt in den Mund gepreßt worden. Der Tod ist offenbar durch Erstiden eingetreten. Außer Krawunden waren an der Toten Verlegungen nicht festzustellen. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß an dem Mädchen ein Sittlichkeitsver. brechen verübt worden war. Die Ermittlungen der Polizei gehen zunächst darauf hinaus, die Besucher des Sonntagsnachmittags zu ermitteln. Wie bisher festgestellt werden konnte, war die Ermordete früher Justizangestellte.
Ein Mord auf der Landstraße.
Einen graufigen Fund machte heute früh ein Fuhrmann, der mit seinem Gespann die Chaussee von Hohenalsdorf über Wensidendorf nach Jüterbog passierte. In größerer Entfernung von der Chauffee sah er auf dem Felde eine völlig unbekleidete Frauenleiche in einer großen Blutlache liegen.
Der Mann benachrichtigte den nächsten Landjägerposten. Nach dem ersten Befund zu urteilen, dürfte es sich um einen ust mord handeln. Vom Berliner Polizeipräsidium ist Kommissar Liffigkeit mit mehreren Beamten, Photographen und einigen Suchhunden an den Fundort entfandt worden. Bei der ersten Untersuchung ergab sich folgendes: etwa 50 meter von der Chauffee entfernt liegt die Leiche. Die Ermordete ist nur noch mit Schuhen und Strümpfen bekleidet und dürfte etwa 30 Jahre alt sein. 10 Meter vom Fundort entfernt fand man ihre zerrissenen Kleidungsstücke und noch weiter ein Fahrrad. Die Leiche ist völlig beschmutzt. Das Verbrechen ist wahrscheinlich in den Abendstunden oder in der Nacht zu heute begangen worden.
Mutmaßlicher Täter verhaftet.
Bald nach der Auffindung der Leiche konnte die Tote refognofziert werden. Es handelt sich um die Wirtschafterin Erna Meiwald aus Jüterbog . Bei der Tatbestandsaufnahme ergab sich, daß die Frau niedergeschlagen und erwürgt worden war. Erna M. war bei einem Bauern in Jüterbog beschäftigt. Sie unterhielt eine Bekanntschaft mit einem Stallschweizer aus der gleichen Ortschaft. Sie war geffern nachmittag auf ihrem Fahrrad fortgefahren und wollte sich mit dem Schweizer treffen. Dieser Mann ist jetzt unter dem dringenden Berdacht, die Frau ermordet zu haben, verhaftet worden.
Tardieu löst Laval ab
Laval als Arbeitsminister/ Keine außenpolitische Kursänderung
Aus Paris wird am Sonntagabend gemeldet:
3m Laufe des Sonntags gelang es Tardieu, eine neue Regierung zu bilden, so daß er sich am frühen Nachmittag ins Elysee begeben fonnte, wo er Doumer, dem Präsidenten der
Republik, die neuen Minister vorschlug.
Die Ministerliste, die Tardieu dem Präsidenten vorlegte, wird weder nach innen noch nach außen eine sichtbare kursänderung bringen. Es ist offensichtlich, daß dieses Kabinett nur als Uebergangstabinett gedacht ist, das vor allem die Aufgabe hat, die Kammerwahlen vorzubereiten und durchzuführen.
Bemerkenswert ist, daß das Amt des Ministerpräsidenten und Außenministers wieder in einer Hand vereinigt ist und daß der Handelsminister zugleich die Poftangelegenheiten erledigt. Weiter haben die Ministerien für Heer, Marine und Luftfahrt eine Spike erhalten, und zwar in dem nemen„ Minifterium für nationale Verteidigung".
Die neue Regierung Tardieu stellt offenkundig einen weiteren Rud nach rechts gegenüber der bisherigen Regierung Laval dar. Denn Laval selbst hatte noch trotz aller politischen Gegnerschaft noch viele freundschaftliche Beziehungen persönlicher Art zur Linken, die aus seiner besseren Vergangenheit stammten. Der Name Tardieu Er ist die hingegen bedeutet schon ein Kampfprogramm. stärkste Persönlichkeit der Rechten und sein herausforderndes Auftreten hat ihm auf der Linken nur Gegner verschafft. Tatsache nichts, daß der für die Wahlzeit besonders wichtige Posten
An dieser Gesamttendenz des neuen Kabinetts ändert auch die des Innenministers einem Senator übertragen wurde, der theoretisch der Linken angehört. Die Betrauung des ziemlich unbekannten Mahieu mit dieser Aufgabe soll eine Konzession an die Senatsmehrheit darstellen, die soeben erst die Regierung Laval gestürzt hat. Sie wird natürlich in Rechtskreisen bemängelt, vermag aber die Linke nicht zu versöhnen. Eine Mehrheit von 30 bis 40 Stimmen dürfte in der Kammer dem neuen Kabinett geftchert
Das Kabinett Tardieu setzt sich aus folgenden mit sein, und es ist sehr zweifelhaft, ob sich der Senat dazu aufgliedern zusammen:
Tardieu, Minifterpräsident und Außenminister.
raffen wird, ein zweites Mal innerhalb so furzer Zeit eine Regierung zu stürzen. Ihm wird es genügen, daß die Regierung die
kontrolle der öffentlichen Verwaltungen. Paul Reynaud , Juftizminiffer und Bizepräsident, gleichzeitig ahlreform fallen läßt, was zweifellos geschehen wird. Kontrolle der öffentlichen Verwaltungen.
Mahieu, Innenminister.
Flandin, Finanzminister.
Pietri, Minister für nationale Verteidigung( Kriegsministerium sowie Kriegsmarine - und Minifterium für Luftfahrt).
Rollin, Handel, Industrie und Post und Telegraph. Chauveau, Landwirtschaft. Garnier, Deffentliche Arbeiten.
Roustan, Unterricht.
Laval, Arbeit.
Champetier de Ribes, Pensionen. De Chappedelaine, Kolonien.
Blaisot, Gesundheit.
Unterstaatssekretäre: Cathale und Petsch, Ministerpräsidentschaft; Fauld und Riche, Nationale Berteidigung; Bradier, Finanzen; Foulon, Inneres; Dr. Pechin, Oeffentliche Arbeiten.
6127000 Erwerbslose.
Wir nähern uns dem Höhepunkt!
Bei den Arbeitsämtern waren am 15. d. m. 6 127 000 Die Zunahme in der Erwerbslose gemeldet.
Außenpolitisch ist eine Rursänderung um so weniger zu erwarten, als Tardieu bereits im vorigen Kabinett in seiner Eigenschaft als Delegationsführer auf der Abrüstungskonferenz weitestgehenden Einfluß auf den Regierungskurs genommen hatte. An sich ist der von nicht allzu viel Bedenken beschwerte Tardieu für jede Außenpolitik zu haben, die die Konjunktur erfordert. Gegenwärtig ist aber die Konjunktur für wirkliche Versöhnungspolitik nicht günstig und da wird man sich beim neuen Ministerpräsidenten und Außenminister auf eine schärfere Tonart gefaßt machen müssen. Die Linke sagt den Kampf an.
Paris , 22. Februar.( Eigenbericht.) Das neue Kabinett wird von der Rechtspresse bisher ohne Begeisterung begrüßt. ,, Echo des Paris " und Figaro" machen Einwendungen gegen die Ernennung verschiedener Minister.
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Die radikale und die sozialistische Presse kritisiert die Zusammensetzung des Kabinetts und kündigt die schärfste Opposition an.
Ueberfall im Arbeitsamt.
Langes Warten führt zu Explosionen. Angestellte.
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Fausthiebe gegen
In den Räumen des Arbeitsamles in der Pantstraße 47 kam es heute vormittag zu einem aufregenden Vorfall. Ein Angestellter
Gesicht derart verletzt, daß er zum Gewerbearzt gebracht werden mußte.
ersten Februarhälfte beträgt rund 85 000. Im gleichen wurde von einem Erwerbslosen überfallen und durch Fausthiebe ins Zeitraum des Vorjahres war die Zunahme 104 000. Wir nähern uns dem Höhepunkt der winterlichen Arbeitslosigkeit, Er wird Ende Februar infolge des Kälteeinbruchs der letzten Tage erreicht werden, während er im Vorjahr bereits Mitte Februar erreicht war. vom März an erwartet man einen Stillstand oder sogar Rückgang der Arbeitslosigkeit je nach dem Bedarf der
Landwirtschaft.
Die Schähungen der Reichsanstalt auf 6,2 bis 6,3 Millionen Arbeitslose in diesem Winter haben sich bestätigt. Die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung beträgt zur Zeit 1880 000 oder höchstens 3000 mehr. In der Krisen fürsorge ist eine Zunahme der Hauptunterstützungsempfänger um 47 000 auf 1 653 000 zu verzeichnen.
Sowjetrußlands höchstes Strafmaß, wie man dort die Todes strafe umschreibt, ist in Tiflis ( Rautafus) über drei Bauern wegen politischen Morbes verhängt worden. Fünf Angeflagte erhielten Gefängnis von zwei bis sechs Jahren.
Der ehemalige argentinische Ditiator 3rigonen ist von der neuen Regierung des Präsidenten Uriburu - begnadigt worden.
uetstraße mit seiner Frau, um eine Beschwerde vorzubringen. 3. Gegen 10.30 Uhr erschien der Erwerbslose 3. aus der Malpawurde an den Beamten verwiesen, dem die Publikumsabfertigung unterliegt. Hier kam es zu einem Wortwechsel zwischen 3. und dem Angestellten. Als sich plötzlich die Frau des Erwerbslosen einmischte
und zu schimpfen begann, erklärte der Angestellte, daß er nur mit ihrem Manne zu verhandeln habe und daß sie ruhig bleiben möge. Das nahm 3. zum Anlaß, um sich auf den Beamten zu stürzen und ihm mehrere wuchtige Schläge ins Gesicht zu versetzen. Blutüberströmt wurde der Ueberfallene fortgeschafft. Als der Täter von der Polizei abgeführt wurde, schwang seine Frau siegesbewußt einen Bettel und rief anderen Erwerbslosen zu: ,, Meinem Manne fann nichts passieren, der hat ja den Paragraphen 51."
Dieser Vorfall beleuchtet wieder einmal schlaglichtartig die Zustände auf den Erwerbslosenämtern. Der ständige Abbau hat die Zahl der Ordner derart reduziert, daß eine Sicherheit der Angestellten, die ohnehin durch Arbeit start überlastet sind, nicht mehr gewährleistet ist. Die Arbeitslosen müssen meist lange warten, und so führt die ohnehin erregte Stimmung dann zu Explosionen, wie sie in den Stempelstellen an der Tagesordnung sind. Die Angestellten der Erwerbslosenämter verlangen von der Reichsanstalt, daß endlich mit diesen unwrdigen Zuständen Schluß gemacht wird.