Nr. 95 49. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Freitag, 26. Februar 1932
Verstaatlichung der Montanindustrie.
Weitere sozialdemokratische Gesetzentwürfe: Für Arbeitsbeschaffung, gegen soziale Härten, für gerechte Mieten.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat dem Reichstag | Stücke zerlegt wird und neben einer Berzinsung von 4½ Broz.| versicherung mit Krankengeld, Unfallrente usw. Während die Noteine Reihe von Gefehentwürfen vorgelegt, die zum Teil von sehr einen besonderen Anreiz durch die Gewährung von Bräverordnung alle Doppelbezüge aufgehoben hat, soll die frühere weiftragender Bedeutung find. Besonders bedeutsam ift der Ent- mien erhält. Die Anleihe foll also einen Lotteriecharatter tragen, Freigrenze bei der Anrechnung wieder eingeführt und von 25 auf wurf eines Gefehes zur Verftaatlichung der Monähnlich den Los- und Prämienanleihen, die im vorigen Jahrhundert fanindustrie". Er hat folgenden Wortlaut: bei den meisten deutschen Staaten sehr beliebt waren. Auch nach
„ Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschloffen, das mit dem Kriege hat es wiederholt solche Prämienanleihen gegeben, 3. B. Juftimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird.
1.
Die im Privateigentum befindlichen Betriebe des Bergbaues einschließlich der Nebenbetriebe find gegen Entschädigung in Reichseigentum zu überführen.
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die deutsche Sparprämienanleihe von 1919 und die österreichischen Losanleihen von 1920 und 1921. Der Erlös der Anleihe soll zu zwei Dritteln für die Swede des Kleinwohnungsbaues. und zu einem Drittel für die übrigen Zweige der Arbeits. beschaffung verwendet werden.
40 Marf erhöht werden.
6. Neue Borschläge bringt der Gesezentwurf über die gegenseitige Anrechnung der Wartezeiten beim Uebergang von Bersicherten aus der Invalidenversicherung in die Angestelltenversicherung und umgefehrt.
Gerechte Wohnungswirtschaft.
Die mit dem Kohlenbergbau verbundenen Betriebe der Groß- Gegen Härten der Sozialversicherung. bänderung der wohnungswirtschaftlichen Be
eisenindustrie, fomie die mit dem Metallbergbau verbundenen Hütten und Walzwerke find gegen Entschädigung in Reichseigentum zu überführen.
UI.
Für die Entschädigung follen folgende Richtlinien gelten: Die Entschädigung erfolgt auf der Grundlage der gegenwärtigen Ertragswerte der vom Reich übernommenen Gesamtanlagen einer Unternehmung, jedoch mit der Maßgabe, daß nur für den Teil
der übernommenen Anlagen, der im Durchschnitt der Kalenderjahre 1929-1931 effettiv ausgenutzt wurde, Entschädigungs. anspruch besteht.
Rüdständige Steuerbeträge, Forderungen und bereits gewährte Zuschüsse der öffentlichen Hand werden aufgerechnet.
Die Abgeltung für das auf dieser Grundlage ermittelte tettovermögen erfolgt in Form einer befristeten Rente im Normalfah von 5 Proz.
IV.
Die in Reidseigentum überführten Betriebe sind nach Jnduftriezweigen in regionale Betriebsgesellschaften und zentrale Dachgeselifchaften zusammenzufassen, an deren Aufsichtsorganen Bertreter des Reichstags, sowie der gewerkschaftlichen Fachverbände und Spikenorganisationen angemessen zu beteiligen find."
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Der fozialbemokratische Gefeizentmurf sieht nicht nur die Berstaatlichung des Bergbaues, sondern auch der damit verbundenen Schmerindustrie, wie z. B. der Hütten- und Walzwerte vor. Die Entschädigung an die bisherigen Eigentümer foll mur den tatsächlichen gegenwärtigen Wert berücksichtigen; es ist bekannt, daß gerade in der Schmerindustrie bei vielen Unternehmungen ein großer Teil des Attientapitals als verloren anzusehen ist. Die Entschädigung foll nicht in bar, sondern durch Gewährung einer fünfprozentigen Rente erfolgen. Steuerschulden und bisher gewährte staatliche Subventionen sollen angerechnet werden.
Die Aussichten auf Annahme des Gefeßentwurfes find nicht schlecht, wenn das Zentrum im Reichstag die gleiche Haltung einnimmt, die von seinen Vertretern in letzter Zeit wiederholt in der Deffentlichkeit eingenommen worden sind. Insbesondere hat der chriftliche Bergarbeiterführer 3mbusch wiederholt die Verstaatfichung des Bergbaues gefordert, und es muß sich jetzt zeigen, ob diese Forderung tatsächlich ernst gemeint ist.
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Zwei weitere sozialdemokratische Gesezentwürfe sehen Ab= änderungen der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 vor. Der eine Entwurf bezwedt die Beseitigung der sozialpolitischen Härten, die die Notverordnung vom 8. Dezember auf dem Gebiet der Sozialversicherung und der Für forge gebracht hat. Es handelt sich hier vor allem um folgendes: 1. Bei der Krantenversicherung soll die Beschränkung auf die Regelleistungen aufgehoben werden.
2. Bei der Unfallversicherung follen Erleichterungen zugunsten der niedrigen Renten eintreten.
3. Berbesserungen bei der Bewährung der Waisenrenten bzw. des Kinderzuschusses in der Invaliden und in der Angestellten versicherung.
4. Beseitigung der gegenseitigen Anrechnung beim Zusammentreffen der Renten aus der Invaliden- und Ange stelltenversicherung.
5. Beseitigung von Härten bei den Ruhevorschriften bei Busammentreffen von Renten aus der Invaliden- und Angestellten
Der Gefeßentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die stimmungen der Rotverordnung sieht insbesondere vor: 1. Ausdehnung der Mietsentung auf die Untermieter. 2. Wiederherstellung der bisherigen Borschriften des Mieterschjuzgesetzes und des Reichsmietengesetzes.
3. Streichung der Vorschriften über das alsbaldige Außerkrafttreten des Wohnungsmangelgesetzes, Reichsmietengefezes und des Mieterschutzgesetzes.
Im Zusammenhang damit verlangt ein besonderer sozialdemo fratischer Antrag die Erleichterung der Tilgung von hypothefen und Grundschulden durch Pfandbriefe fomie die Ausdehnung dieser Tilgungsmethode auf Rommunaldarlehen. Die Durchführungsbestimmungen zur Noiverordnung vom 8. Dezember haben diese Tilgungsart auf Betreiben der Hypothekenbanten außerordentlich erschwert.
Schließlich fordert ein sozialdemokratischer Antrag die Reichs regierung auf, endlich die erforderlichen Schritte zum Aufbau einer dauernden a artellaufsicht entsprechend dem sozialdemokratifchen Gesezentwurf über Kartell- und Monopolfontrolle vom Dezember 1930 zu unternehmen.
Und wieder die Brotpreise.
Berliner Bäcker verlangen von neuem Preiserhöhung.
In seiner gestrigen Rede hat Reichstanzler Brüning die| liegen die Unruhefattoren durchaus bei den Roggen und Verhinderung jeder Brotpreisverteuerung versprochen. Es geht schon wieder mal los mit der Brotpreiserhöhung. In Berlin wollen die Inmungsmeister den Preis von 45 auf 47 Bf. pro Brot, d. h. für 1250 Gramm erhöhen. In anderen Wirtschafts. bezirken soll eine Erhöhung bereits vorgenommen worden sein. Die Forderung nach einem höheren Brotpreis mird mit den gestiege nen Mehlpreisen begründet.
Die gegenwärtige Regelung, die auf ein Eingreifen des Preis. tommiffars Dr. Goerdeler zurüdgeht, besteht noch nicht ganz zwei Monate. Seitdem haben sich und darin haben die Bädermeister schon recht die Dinge am Getreides und Mehlmarft etwas
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Prämienanleihe zur Arbeitsbeschaffung. geändert. Wir geben diefe Veränderung in folgender Zujanunen
Mußerordentlich wichtig ist der ebenfalls eingebrachte fozialdemokratische Gefehentwurf über die Auflegung einer Goldprämienanleihe. Dieser Gesehentwurf ist ein Teil des fozialdemokratischen Arbeitsbeschaffungsprogramms und steht in engem Zusammenhang mit den beiden bereits vor einigen Tagen eingebrachten Gefehentwürfen über Arbeitsbeschaffung und Förderung des Kleinwohnungsbaues, fowie über die Umgestaltung der Hauszinssteuer. Der Zweck des Anleihe. gesehentwurfs ist, die in großem Umfange gehamsterten Bantnoten aus den Sparstrümpfen herauszuloden und der Wirtschaft im Wege der öffentlichen Arbeitsbefchaffung wieder zuzuführen. Man rechnet damit, daß gegenwärtig mehr als 1½ MilHarden Banknoten in den Sparftrümpfen flecken, und wenn es gelingt, auch nur einen Teil davon zu erfaffen, so wäre damit für die Arbeitsbeschaffung schon erhebliches gewonnen.
Um diesen 3med möglichst vollständig zu erfüllen, soll die Anleihe als Boltsanleihe ausgegeben werden, die in fleine
stellung wieder:
Roggen ab märki cher Station pro t Roggenmehl pro Zentner
in NM.)
186-188 25,50-27,60
193-195 28,00-29,50
Als sich der Preiskommissar Dr. Goerdeler Ende des Jahres 1931 an die Regelung der Brotpreise machte, ging die sogenannte Bäckerspanne, also der Unterschied zwischen dem Preis für 4 Kilogramm Mehl frei Bäderhaus und dem Preis für 1 Kilogramm Brot, im Berliner Wirtschaftsbezirk von 16,7 Pf. auf 14 Bf. zurüd. Die Spanne, mit der der Bäder seine Unkosten, Gewinn usw. bestreiten muß, dürfte seitdem nach unserer Berechnung auf 12,7 bis 12,8 Pf. gefunten sein. Die Bäder wollen die alte Gewinnspanne von 14 Bf. wieder herstellen und schießen dabei über das Ziel hinaus. Denn eine Verteuerung des Brotes in Berlin auf 47 Pf. würde die Spanne über 14 Pf. fteigern. Daß das natürlich nicht in Frage tommen tann, versteht sich wohl von selbst.
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Mehlpreisen, im Grunde genommen bei der Preispolitik des Reichsernährungsministers Schiele. Schiele will die Getreidepreise unter allen Umständen möglichst hoch halten. Er hat sich zwar gegenüber dem Preistommiffar verpflichtet, die Preise nicht über 200 m probl Tonne zu treiben. Das hindert ihn aber nicht, den Roggenpreis dicht unter der Grenze von 200 m. zu halten. Was natürlich zur Folge hat, daß der Mehlpreis getrieben wird.
Auf jeden Fall lehnen die breiten Massen es ab, daß die Preis. pofitit des Reichsernährungsministers zu ihren Lasten geht.
Bierpreis und Bierstreif.
Eine Erklärung der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter. Bom Borstand des Berbandes der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter erhalten wir folgende 3uschrift:
Die vom Preiskommissar Dr. Goerdeler verordnete Bierpreissentung entspricht nicht den Erwartungen weiter Bevölkerungsschichten. Auch uns befriedigt sie nicht Wir haben wiederholt zum Ausdrud gebracht, daß eine für die Arbeiterschaft fühlbare Preise fentung mir unter gleichzeitiger Senkung der Biersteuer möglich ist. Weder das Reich noch die Gemeinden haben Vorteil von den hohen Steuersätzen, nach dem der Bierabfaz von Monat zu Monat sinkt und die Steuererträgniffe laufend weniger werden.
Die vom Preisfommissar verordnete Preissenkung, die eine Herabſegung des Ausschantpreises um 4 Bf. pro Liter oder 1 Pf. pro Viertelliter bringt, ist teine fühlbare Preissenfung. Die Gast mirte wenden sich, wie der Streif in Hamburg zeigt, gegen diese bittierte Preissentung. Sie erklären sich außerstande, den von
Wie die von uns in Zahlen wiedergegebene Entwicklung zeigt, Breistommiffar Dr. Goerdeler festgefeßten Anteil der Ermäßigung
In glänzender Isolierung.
Die Berliner Handelsgesellschaft gibt 4 Prozent Dividende.
der Reichskreditgesellschaft zurückbleiben, die wohl der schärfste Kon furrent der Berliner Handelsgesellschaft geworden ist. Es mutet wie ein Schörheitsfehler an, wenn man trotz der 4prozentigen Dividende das ausgewiesene eigene Kapital doch etwas verkleinert. Man nimmt nämlich aus den Reserven, die im vorigen Jahr 15 Millionen Mart betragen haben, 5 Millionen Mart heraus, um teils weitere Verluste abzuschreiben, teils innere Verlustreserven zu bilden.
Die Berliner Handelsgesellschaft, die kleinste der Berliner Groß-| segung der Dividende wollte man offenbar zum mindesten nicht hinter banken, die aber wie die Reichsfreditgesellschaft feine Filialen unterhält, befindet sich mit ihrem Abschluß für das verflossene Jahr in wirklich glänzender Isolierung gegenüber den privaten Berliner Großdepofitenbarten. Die Berliner Handelsgesellschaft weist teine offenen Verluste aus, verteilt eine Dividende und ist offenbar die gesündeste Berliner private Attienbant. Natürlich hat auch sie Berlufte erlitten. Im vorigen Sommer schien sie infolge des Zufammenbruchs der Schröderbant in Bremen fogar heftig angeschlagen. Immerhin braucht fie feine Rapitalherabjegung vornehmen.
Die Gewinnrechnung zeigt gegenüber dem Vorjahr jogar erhöhte Ziffern: 3ins- und Disfonteinnahmen sind von 6,45 auf 6,71, Provisionen von 3,03 auf 3,14 Millionen Mark gestiegen. Dabei hat man noch vorweg Gewinne zurückgestellt, um auf laufende Forderungen gewisse stille Abschreibungen zu machen. Die Verwaltungstoften find von 5,06 auf 4,59 Millionen Mart, die Steuern von 1,28 auf 0,94 Millionen erheblich zurückgegangen, so daß sich ein Gesamtjahresgewinn von 4,04 millionen Mart ergibt. Aus diesem Gewinn nimmt man für offene Abschreibungen 2,5 Millionen zur Deckung der übrigen Debitoren- und Effekten verluste heraus und verteilt aus dem Reingewinn von 1,54 millionen eine Dividende von 4 Proz. Bei der Fest
In der Bilanz zeigen sich durch die Abzüge der Auslandsgelder die zu erwartenden Berschiebungen. Die gesamten fremben Gelder sind von 397 auf 293 Millionen zurüdgegangen. Afzeptverpflichtungen haben sich von 25 auf 36 Millionen erhöht. Die Aktivseite zeigt bei den flüssig gehaltenen Mitteln eine überraschend hohe Liquidität. Mit 65,4 gegen 62,1 Proz. find urter Einrechnung der Warenvorschüsse die griffbereiten Mittel gegenüber dem Ende des Borjahres sogar noch vermehrt. Unter Abrechnung der Warenvorahüsse beträgt die Liquidität 37,30 gegen 37,35 Pro3. der Kreditoren. Bei den eigenen Wertpapieren und Konsortialbeteiligungen, die auch im Nominalbetrag zurüdgingen, find starke Abwertungen von zusammen 25,8 auf 16,5 Millionen vorgenommen. Die Schulden in laufender Rechnung sind von 167,7 auf 123,8 Millionen verringert. Die Umfäße sonten von 24,8.auf | 20,4 milliarden Mart.
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von 2 M. pro Heftoliter tragen zu können und fordern Ermäßigung der Bier und Getränkesteuern. Unseres Erachtens dürfte dieser Weg der Gastwirte, durch Streit einen schnelleren Steuernachlaß zu erreichen, nicht ben gemünschten Erfolg bringen. Besonders dann nicht, wenn politische Drahtzieher glauben, ein Parteigeschäft daraus zu machen. Die Brauereiarbeiter haben auch hierbei die Folgen zu tragen, Maffenentlassungen feßen ein.
Nachdem es bei den am Bierstreit beteiligten Gastwirten in Hamburg zu dämmern beginnt, verlegten die Akteure ihr Operationsfeld nach Berlin . Sie finden auch hier bei den Gastwirten willige. Ohren und versuchen, die Gastwirte für ihre politischen Ziele einzufangen. Es sollen nunmehr auch die Berliner Brauereiarbeiter, die seit mehr als einem Jahr stark gekürzt arbeiten, auf Betreiben der Nazi und der Kommunisten in Massen arbeitslos werden. Das trifft nicht nur für Berlin , sondern auch für andere Städte zu, mo derartige Aktionen inszeniert werden sollen. Hierzu werden noch tausende arbeitslos werdende Gastwirtsgehilfen tommen; ganz abgesehen von all den kleinen Gastwirten, die in der Hauptsache auf Bierausschant angewiesen sind, von denen, wenn die Pläne der Drahtzieher gelingen, sich viele nicht mehr hinter den Schanktisch zu stellen brauchen.
Der Verband der Nahrungsmittel und Getränkearbeiter wandte sich gegen die in den letzten Jahren erfolgten Biersteuererhöhungen, weil mit einem starten Rüdgang des Biertonfums und erheblichem Steuerausfall ge= red; net werden mußte und zahlreiche Brauereiarbeiter eristenzlos werden würden. Unsere seit teher eingenommene Stellungnahme hat fich als richtig erwiesen.
Ein Bierstreit zu dem den Gastwirten vorgetäuschten 3med nüßt außer dem Agitationsbedürfnis der Radifa'en niemandem: es bleiben vielmehr nur zahlreiche Arbeitnehmer und Gastwirte c Opfer auf der Strede.