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Große Leute haben regelmäßig auch ihre Schwächen, aus allgemeinen Gründen der Gebrechlichkeit der Welt! man muß sie sich nur eingestehen und sie gegen den überwiegenden Wert ihrer sonstigen Leistung halten, da gehen sie schon so mit und geben dem Gesamt- bild Farbe und Interesse. So darf man sid) auch bei Goethe nicht verhehlen, daß sein Verhältnis zur bildenden Kunst bedenklich und er da ein arger Schulmeister gewesen ist, der kraft seiner Autorität manches Unhell angerichtet hat. Well aber die Goethe-Philologie und demzufolge die Lehrer in den Schulen davon nichts wissen wollen und uns in früher Jugend vielfach eingeredet wird, daß die Sprüche, die Lessing . Winckelmann und Goethe über die bildende Kunst ausgegeben hoben, ewig gültig«, auch für uns gültige Weis- hellen darstellen, darum muß einmal in diese.allen Rümpel - kammern menschlichen Irrtums hineingeleuchtet werden. Man darf nicht jede Zeile, die Goethe geschrieben hat, für Offenbarung des heiligen Geistes halten: es steht damll ganz so wie mit anderen hclligen Schriften. Goethe war ein Kind des 18. Jahrhunderts, dessen«poche- machende Entdeckung auf ästhetischem Gebiet die Lehre Winckel- manns war: daß die Antik« allein die große wellbedeutende Kunst geschaffen habe, die für all« Zellen vorbildlich sei: und flugs bemäch- tiaten sich phantasielose Maler, wie Mengs , Oeser, Tischbein u. a. dieser bequemen Aesthetik: man brauchte nur die„unnachahmlichen Griechen" und dazu Raffael nachzuahmen, ihre Gestalten in Bilder bändelnd einzusetzen, um so groß und bedeutend zu sein wie die Originale selbst. Das klingt uns heute unbegreiflich und wie ein schlechter Witz. Es mar aber jener Zell um 1770 bllterster Ernst damll, man kann es in allen wichtigen Schriften der Epoche nachlesen und in zahl- losen Bildern und Statuen nachsehen. Mll Recht sind diese Aus- geburten eines mißlelleten Rationalismus auf phllosophischem wie künstlerischem Gebiet vergessen. Nicht vergessen sind sie aber leider in Goethes Schriften und ihrer Nachwirkung. Goethes Kunsterkenntnis fegte sich aus zwei Erfahrungen seiner Jugend zusammen, die bekanntlich am hartnäckigsten sich erhalten und wirklich auch sein ganzes Leben durch bestimmend geblieben sind: aus der Bekanntschaft mll den schwächlichen Frankfurter Malern Schütz, Trautmann, Seekatz, Morgenstern usw.. deren äußerst mäßige Bildchen er als Knabe im Hanse seiner Eltern und Belanillen und die er selber bei der Arbell für den in Dingen der Kunst ganz ahnungslosen Königslcutnant Thoranc sah— und aus den Lehren Oesers in Leipzig (wohin er als sechzehnjähriger Stu- dent kam), der Ihm die Vollkommenheit der Antike als nachahmens- wertes Ideal hinstellte. Dieser klassizistische Einfluß wurde später, in Weimar und in Rom , noch verstärkt durch die Kenntnis von Winckelmanns Schriften und von antiken Kunstwerken und durch den Einfluß von Künstlern wie Bury. Angelica Kaufsmann, H ackert, Wilhelm Tischbein , die ihn in Rani wie eine Leibgarde umgaben und jeden frischen Hauch besserer Kunsterkenntnis von ihm fern- hielten. Di« Wirkung so«knselliger Orientierung zeigt« sich nach der Rückkehr von Rom . da Goethe, im Derein mit Schiller , vor allem aber mit dem pedantischen Zeichenmeister Meyer aus Gtäsa, seinem Kunstorakel, das er sich eigens nach Weimar holte, eine ebenso sruchtbare wie gefährliche Äunstschriststellerei begann. Nacheinander schuf er sich in den 17Sl1er Jahren die„Haren ", die„Propyläen" und sväter(1817) noch„Kunst und Altertum" als ZeitsHristen. die (Kizdrucklich/ftsiiq? Kunsttheoria als Sprachrohr dienten. In ihnen kann man. Wenn man Luft hat. nachlesen, was er über alle Kunst, über Aesthetik, über die Kunst seiner Zell dachte, und nicht nur das: als Norm und Richtmaß für jedes künstlerische Schaffen ausstellt». Es ist das all» kunstwidrige Dogma von der Nachahmung der Antike, wie er(nach Winckelmanns Vorbild) sie vorstand: vor allem ..gefällig", mll„Anmut und Schönhell", und nach den damals be- kannten mäßigen Werken spätgriechischer oder gar römischer Her- kunst: denn ihm galten Laotaon. Hera Ludopisi. Apoll von Bcl- nedere und die römischen Bauten einer Verfallszell als da» Wunder- bare, wahrend wir die griechische Kunst in ihrer echten Gestall als von ganz anderer Art erkannt haben. Wo Goethe übrigens den Spuren dieser wirklichen Griechenkunst begegnete, erschienen sie ihm fatal und unheimlich und durchaus nicht nachahmenswert: so steht in der„Italienischen Reise" sein Erlebnis mit den Tempeln von Paestum . die ihm im Herzensgründe nur Grauen einflößten. Aehn- lich mar es mit Michelangelo , mit der Gotik und allem Starken und Charaktervollen in der bildenden Kunst: er lehnt« es ab. Und er begnügte sich keineswegs mll privater Ablehnung: er gedachte seine Zeitgenossen zu seiner eigenen Ansieht zu bekehren und hie Künstler in die Bahn der klassizistischen Nachahmung zu zwingen. In dieser Absicht schrieb er, in Gemeinschaft mit dem .Lginscht-Meyer" in seinen Zeitschriften zahlreiche Artikel, griff überall persönlich, wo er konnte, in die Erziehung junger Künstler ein. erließ Preisausschreiben, die darauf binavsliesen. den Malern, Themen aus dem Altertum zur Bearbeitung zu stellen, und führte eine Menge Fehden mit Kunstfreunden und Künstlern. Mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit stand er auf der Seit« des Ueherlebten und führte vor allem gegen alles„Deuffchtünüiche" und gegen die aufkommende Romantik«inen erbitterten Kleinkrieg. Sa trat er immer für die Mittelmäßigen unter den zellgenössischen Malern ein, wenn sie nur in seinem Sinne schufen, und lehnte die wahren Führer einer neuen Sinnst fast restlos ab: Carstens. Gott- frieh Schadow, Runge, Cornelius, C. D. Friedrich u. a. sind schnöd« von ihm zurückgewiesen worden, und nicht nur dann, wenn sie ver- tcauensvoll kamen, sich seinem Kunsturteil zu unterwerfen. Erreicht hat er schließlich nichts damll. die Entwicklung zur Romantik, zur deutschen Form des 19. Jahrhunderts, im Widerstrell gegen das Ällerweltsideal raffaelisch-antikischer„Schönheit", ließ sich nicht aufHollen. Was von seinen Kampfschriften übrig blieb, ist aber leider ihre stille und heimliche Einwirkung aus die Kunst- onschauung des deutschen Volkes. Kraft der hohen Achtung, die alles von seiner Celle Kommende im gebildeten Bürgertum des 19. Jahrhunderts genoß, geriet die Romantik unmerklich in Verruf. und es wurde wieder, wie in Goethes Jugendjahren, das Ideal des Klassizismus den Deutschen als Bildungsnorm aufgeredet. Noch-in so bedeutender Künstler wie Feuerbach war von diesen Ideen, zn seinem Schaden, ganz besessen; und die unvergleichlichen Maler der deutfchen Romantik waren so verschollen, daß erst 1996 die große Berliner Jahrhvndertschau sie uns aus völliger Nacht herausheben mußt«. Das gipserne Ideal der Antikennochahmung beherrscht« bis in den Anfang des 29. Jahrhunderts hinein viele, ja die meisten der Akademien, und völlig die höheren Schulen für Kinder. Jetzt, da wir längst diesem Spuk entronnen sind und uns anga- fichts seiner ungeheuren Fülle von Kunstgebilden der ganzen be- •nzohnten Erde seit fünf Jahrtausenden in einer prachwoll vitalen und phantasieersüllten Kunst unserer eigenen Zell die Augen reiben. fragen!».«>« es denn möglich gawsstn fei, daß ein so großer und überschauender Mann, ein Entdecker und Gen!« auf so vielen Geiste� gebieten wie Goethe, sich in dem einen Ifall der bildenden Kunst grfiBdBchst geirrt habe» könne: jetzt durchschauen wir auch Grund
und seelische Voraussetzung eines so schmerzlichen Unheils. Die kleinen Frankfurter Maler aus der Umgebung des Vaterhauses, die Trautmann, Seetatz usw. haben noch nicht ihr Wort gesprochen. Sie sind es. deren klägliche Pinseleien dem aufgeweckten Knaben Überall als begehrte Kunstwerke begegneten und für sein Leben zum Maßstab wurden: denn selten vermag man sich von infantilen Ein- drücken stärkster sinnlicher Art zu befreien. Es kamen die gleichlautenden Erfahrungen w Leipzig . Weimar und Rom hinzu, wo das Unglück wollte, daß Goethe immer nur auf schwache und laue Charaktere traf, die seine vorgefaßte Meinung unterstützten. Ein- mal, in Straßburg , hat er einen glücklichen Augenblick gehabt, als er die Herrlichkell der Gotik im Münster und in Dürers Kunst er- kannte und dieser Einsicht ein unsterbliches Denkmal fetzte in seinem
Ät?r Amerikaner Der Ball in dem vornehmen Hotel erreicht seinen Höhepunkt. Im großen Saale schmettert das Saxophon, und die Tanzenden schmelzen zu einer weichen Masse zusammen. In einem kleinen Saale steht ein aufgeregter Herr und schreit:„Zwei Mark ein Tombolalos, meine Damen und Herren! Zwei Mark! Bitte, die Gewinne zu besichtigen! Ein langer Herr mit einer Brille in Begleitung einer kleinen Blondine besichtigt die Gewinne. Er wischt sich die Stirn ab und kauft zwei Karten. Das heißt: er bezahlt vier Mark, greift in das Rad. das von dem aufgeregten Herrn bedient wird, und zieht zwei gerollte Lose heraus. Beide sind leer. Der aufgeregte Herr beginnt von neuem zu schreien. Aus dem Tanzsaal taucht plötzlich ein grauhaariger, glattrasierter vornehmer Herr hervor. Die Hände in die Taschen gesteckt, bleibt er vor dem Glücksrade stehen und betrachtet es aufmerksam. Nach fünf Minuten fragt er:„What's that?" Der ausgeregte Herr wird plötzlich ruhig und beginnt zu erklären. „Well, geben Sie mir zehn Stück! Uas zahle ich?" „Zwanzig Mark, bitte!" Der grauhaarige Herr nimmt zehn Röllchen aus dem Rade und fängt an. sie zu entfallen. Das neunte Los gewinnt. Der aufgeregt« Herr drückt ihm eine kleine Marmorstatue in die Hand. Der Grau- haarige dreht die Statue hin und her.„Sehr gut", sagt er,„geben Sie mir noch zwanzig Tickets!" Er bezahlt vierzig Mark, zieht Röllchen und entfaltet sie. Mit zweien hat er wieder gewonnen. Er bekommt ein Mokkaseroice und eine Gans. Da ruft er den Kellner und übergibt ihm die Gewinne.„Verkeilen Sie! Und bringen Sie einen Sessel!" Der Kellner rauscht fori und kommt mit einem Sessel zurück. „Sehr gut", sagt der Grauhaarige,„jetzt geben Sie fünfzig!" Er sitzt und entfallet. Er hat schon einen Pelzkragen, einen Rasierapparat,«in halbsz Dutzend Büstenhalter und einen Staub» sauaer gewonnen. Jeder Kellner bekommt etwas. Dann steht er plötzlich auf und sagt:„Excuse! Ich komm gleich. Bitte auf Sessel aufpassen!" Verschwindet, geht auf sein Zimmer, kommt zurück. „Frisches Geld", sagt er und setzt sich.„Geben Sie zweihundert!" Der Tanzsaal leert sich. Wies kommt in den kleinen Saal und beobachtet den Grauhaarigen. Die Kellner lauern. Wenn sie vorbei müssen, bleiben sie neben ihm stehen und warten. Dann bekommen sie etwas gesthenkt ünd' können tzshem' r'• Der grauhaarige Herr arbeitst kühl und gemessen. Unter den zipeihundert Zetteln waren zwölf Gewinnummern. Er verteilt alles. Da>m kaust er immer von neuem, entfaltet, gewinnt, wateill. Es vergehen Stunden. Das Glücksrad ist schon fast leer, der Gewinntisch auch. Da fährt er plötzlich auf. Es blitzt in seinen Augen und er tritt gravitätisch an das Rad heran.„Passen Sie auf!" sagt er z« dem aufgeregten Herrn...Jetzt geben Sie mir nur eins!" Er atmet tief, drückt die Augen zu und zieht ein Los heraus. Langsam und andachtsvoll öffnet er es. Der Zettel ist leer. Er schüttelt den Kopf und trägt seinen Blick verzagt umher.„Ich habe Pech", sagt er. Und geht traurig aus dem Saale .
Stuüifcher Alltag Si« nochfolg- irden Schilt-rung-n find lein« Erfindungen russischer Humoristen, sondern entdalten eine wortgetreue Wirdngob» wirklichcr Porgönge. die wir dem lokalen Teil« der Moskauer Zeitung„Moskau am Abend" entnehmen. Socken und andere Ttichtigkeiien. Die Aktentasche unter dem Arm. betrat ein Bürger mittleren Alters die Annahmestelle des Moskauer Wäschereigewerbeverbairdes auf dar Großen Dlmitrowka. Gewichtig öffnete er seine Akten« laiche und zog einen Hausen schmutziger Wäsche hervor. Der Ange« stellt« hinter dem Ladentisch zählt» die Wäsche aufmerksam und schob sie dem Kunden wieder zu.„Unter zehn Stück nehmen wir nicht an." „Aber, bitte, es stich ja zwanzig Stück." „Ja, wenn Sie Socken und ander« Nichtigkeiten hinzurechnen. Als Stücke gelten nur Unterhosen und etwa Laken." Der Bürger stand eine Weile starr. Dann erkundigt« er sich trübselig:„Gilt die Satteldecke eines Zirkuselefanten als„Stück" oder nicht?" „Bisher ist uns noch keine gebracht worden. Aber ich glaube, sie wird schon als Stück geller»." Da der Bürger weder«inen dressierten Elefanten besaß noch die zu ihm gehörige Satteldecke, so verließ er. in Zigarettenrauch gehüllt, die Wäscherei. Aus dem Strasstny-Boulevard kannte er eine ändere Almahmestell« des Wäscherewerbandes. Schnurstracks eilte er dorthin und schüttete den Jnhall seiner Aktenmappe aus den Ladentisch. Doch wieder erklang es unbeugsame„Unter zehn Stück nehmen wir nichts an." Der Bürger, der das Unglück hatte, nicht gpnz so viel« Stück Wäsche schmutzig getragen zu haben, bestieg die Elektrische und fuhr nach der Annahmestelle derselben Wäscherei auf der Sustschew- straß«. Doch auch dort hieß es:„Unter zehn Stück.. Er eikt« nach der Sadowaja, Ecke Ulianowka, wo sich ebenfalls ein« Wäscherei des Gewerbeverbandes befand. Abermals wurde die Wasch« gezählt und ihm zurückgegeben.„Zu»venlg. Die Stückzahl ist nicht voll." Da ließ sich der Bürger auf ein Taburett fallen und begann, eifrig sein Zeug abzustreifeil. „Aber ich bllte Sie, was soll denn das heißen?" gab der An- gestallte entrüstet seinem Erstaunen Ausdruck. „Ra. mll der Wäsche, die ich noch anhabe, werden schon zehn Stück Herauekommen Es hat nichts iveiter auf sich. Sie können immerhin waschen: ich warte unterdessen." „Aber wir liefern die Wäsche nicht unter drei Wochen. Wollen Sie etwa drei Wochen lang nackt dasitzen und warten?" Der Bürger, der ein beruslich außerordentlich in Anspruch ge- nrnnrnener Mann war. kannte nicht umhin, die Richtigkeit dies«»
Aussatz„Bon deutscher Baukunst"(1771). Aber dies geschah iin!»r dem segensreichen Einfluß der Herderschen Ideen, und es hat Goethe nicht gehindert, bald daraus alles Gotische als minderwertig zu bc< trachten. Dennoch fragt man: warum denn diese unbegabten Maler alle so unfehlbar auf Goethe wirkten und warum er fast mit Sicher- hell das Bedeutende, Männliche, Charaktervolle in der Kunst abgc- lehnt habe? Man wird kaum fehlgehen, wenn man als ticfften Grund seiner kunstirrtümer die eigene Produktion auf dem Gebiet erkennt. Von frühester Kindheit an hat er gezeichnet und während seiner Beschäftigung mit der Kunst immer wieder sich aus dem Papier in Wiedergabe der Natur versucht. Leider aber war sein Talent hier uirbedeitteich. Unterbewußt hat er es erkanitt, aber vor sich selber mußte er sich in seiner dilettantischen Tätigkcll recht- fertigen: und so nahm er mit Begierde die schivächsten seiner Zeil genossen als Muster, denen er nachstrebte und die ihm als unerreich bar Vollkommene erschienen. So urteille Goethe nicht unparteiisch uird legte letzten Endes fein eigenes �hervorbringen als Maßstab an die gesamte bildende Kuvst.
Hinweises einzusehen. Also ging er fort, in der Absicht, schleunigst die letzte Garnitur Wäsche, die ihm noch verblieben war,.schmutzig zu tragen, und nahm die Aktentasche wieder mit, deren Inhal: nicht die erforderliche Stückzahl auszuweisen hatte. Drei Quittungen. Die Bürgerin Klepowa, die ans der Chlebnaja 9 wohnte, er» hielt eines Tages von der Polizei ein Strajmandct mll der strenger» Anweisung, drei Rubel Straf« für eine Fahrt ohne Fahrkarte an die Kasse der Staatsbank einzuzahlen. Am nächsten Tage«it. richtete die Klepowa das Strafgeld und erhielt eine Quittung. Ein« Woche war oergangen, als gegen 19 Uhr abends ein Polizist sich bei der Klepowa meldete: Die Bürgerin, die sich in: vergangenen Sommer auf der Linie Schaworonki— Moslau ein Eisenbahnvergehen hatte zuschulden kommen lassen, solle sich sofort der sechsten Abteilung stellen. Die Klepoiva stellte sich. An der ausgegangenen Zigarette saugend, sagte der Diensthabende:„Sie haben drei Rubel Strafe zu erlegen für eine Fahrt ohne Fah:- karte." „Die habe ich ja schon bezahlt." Und sie legte die Quittung der Staatsbank vor.' „S ch o o n?" dehnte der Diensthabende, außerordentlich enttäuscht. daß da« Vergehen, da- er seit geraumer Zell bearbellelc. von einem anderen aufgedeckt worden war.„Oho. zeigen Sie mal Ihre Quillung her! Also... Sie bekommen eine neue." Ein noch so scharfsichtiges Auge hätte an der neuen Quittung keinerlei Vorzug wahrzunehmen vermocht. Und nun wurde am 4. Dezember die Wohnung, die die Bürgerin Klepoiva bewohnte. durch Sturmgeläut in Aufruhr gebracht Man eilte zur Tür. als die Glocke zum zweiten Male schrillte. Die Tür flog auf. und im grünlichen Schimmer trat die magere, schneeverwehte GestaU des Polizeiinspektors über die Schwelle.„Die Bürgern: Klepowa!" befahl er, durch die Gewichtigkeit seines Auftretens seinen Pflichteifer dokumentierend, den weder die frühe Morgenstunde, noch das schlechte Wetter aufzuhallen vermocht hatten.„Das bin ich", sagte die Klepowa und trat einen Schritt vor. „Haben Sie die Güte, drei Rubel Strafe fiir«in« Fahrt ohne Fahrkarte zu erlegen!" „Ich habe sie bereits erlegt." Sie zog die Quittung henw, die sie fortan Tag und Stacht bei sich trug. „Oho!" runzelte der Polizei Inspektor die Stirn, während� er die Quittung musterte.„Ich stelle Ihnen sofort eine ,i#u� piiv" Er öffnet« fein» Aktentasche und füllte sorgsam eine Quittung aus. die sich von den beiden vorhergehenden durch nichts weiter unter schied als durch die Handschrift.
IVolfgang'Jtariniann: Slraftenbekanntfchaften Ich mache doch ab und zu Straßenbekannffchaften. Das ergibt sich sozusagen von selbst. Wenn man täglich denselben Weg gelit. jahraus, jahrein, dann begegnet man doch immer wieder cü» und denselben Me, ischen, die im Quartier wohnen, auch den gleichen Wca gehen, zur Untergrund, in die Stadtbahn, zum Bus oder ins Cafö, zum Zellungsmann an der Eck«. Von diesen vielen täglichen Gesichtern merkt man sich im Lauf der Zell einige, sympathische und unsympathische, Frauen und Männer, junge und alle. Natürlich besonders junge, hübsche, und Damen natürlich. Ich habe jetzt schon eine ganz nette Anzahl solcher Bekannter beisammen, männliche und weiblich«. Nicht alle kenne ich persönlich. Mll einigen stehe ich bereits aus dem Grußfutz. Mll anderen wechsele ich bloß verständnisinnige Blicke. Mit der Mchrzahl bin ich mir im unklaren, was damit zu geschehen hat in Zukunft, grüßen oder weiterhin ignorieren. Einige werden allmählich reis zum per- sönlichen Bekanntwerden. Das ergibt sich dann zwanglos, in der Tram beim Aussteigen, beim Zeitungsmann, oder wenn ich meinen Hund spazieren führ«. Manchmal ist es sehr nett und reizvoll. öfters eine Enttäuschung. Man hat sich den Menschen im Laufe de»' Wochen und Monate anders vorgestellt. Ihm geht es vielleich: ebenso. Wenn es ein«„Sie" ist, wirkt so etwas besonders schmerz- lich. Man ist um eine Hoffnung ärmer. Mll den wenigsten wird man, was so„gut Freund" heißt. Die rvachsen und werden immer anderswo. Ich bin jetzt schon ein wenig skeptisch geworden. Man iü sich gegenseitig kein Geheimnis mehr. Es ist wie eine platonische Ehe auf Enffernung. Man sieht sich zu oft. Man weih und weiß nichts. In der Vermutung liegt Abgründiges. Der Zauber ist dahin. Aber es gibt doch noch Ausregungen. Di« Frage, ob ich morgen die hübsche Blondin«, die fest einigen Wochen nebenan wohnt, beim Einsteigen in den Bus grüßen soll oder noch warten, macht das Hetz für Minuten rascher schlagen. Natürlich werde ich sie grüßen! Aber was dann? Was wird sie sich dabei denken? Daß ich ihr« Bekanntschaft machen will? Bielleicht will sie längst meme Bekaratt- schuft machen und wartet nur auf meinen Gruß. Sie betrachtet müy ernsten Blickes. Einmal verzog ich dabei meinen Mund. Da schaute sie weg und verzog auch ihren Mund. Jetzt ist es höchste Zell , daß wir uns grüßen. Ich werde ihr später eine Karte ins Theater schenken. Aber damit hat es noch Zeit. Ueberhaupt Geduld haben, das ist etwas Schönes. Es imponiert den Frauen sehr. Aber man wirkt dabei leicht arrogant. Ja, die Blond« wird morgen gegrüßt! Mit den männlichen Bekannten par distanoe habe ich kein Glück. Sie sehen in mir offenbar einen Konturrenten. Ick) habe noch keinem etwas zu leid getan. Sie denken vielleicht, ich hätte Glück bei Frauen, ich nähme ihnen eine weg. Einen anderen Grund für ihr« gemessene Feindschaft gibt ee nicht. Sie sind böse auf mich, weil es mir gar nicht eilt. Sie haben es noch nie erlebt, daß ich abgeblitzt bin.(Ich auch nicht bei ihnen.) Schade. Man ist manch mal so ollem. lNöchte gern mll einem klugen Rtann ein pmi" Worte wechseln. Na schön, dann eben nicht. Bleiben wir seindkich Nachbarn bis in alle Ewigkell. Aber morgen werde ich bestimmt die Blond« grüßen!