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BERLIN Mittwoch 2. März

1932

10 Pf.

Der Abend

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Spätausgabe des Vorwärts"=

49. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einfvaltige Millimeterzelle 30 V., Reflamezelle 2.-M. Ermäßigungen nach Zarif. Woftichedffonto: Borwärts- Berlag G. m. b. H., Berlin Rr. 37 536. Der Berlag behält sich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor! Redaktion und Erpedition: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Bernsprecher: Donhoff( A 7) 292-297.

Elend in der Sonnenallee

Die Arbeitslosen müssen Schlangen bilden

Die Zustände, die sich auf dem neuen Arbeitsamt Südost ent­wideln, bilden eine Gefahr nicht nur für die zunächst beteiligten Erwerbslosen und die überanstrengten Beamten und Angestellten, fondern auch für die Gesamtheit. Noch immer drängen sich Tausende von Menschen, die von weither einen stundenlangen Weg zurücklegen mußten, vor der Pforte des neuen Hauses in der Sonnenallee. Unser Bild gibt einen Einblick in das Getriebe, das sich auch heute morgen um 210 Uhr vor dem Arbeitsamt bot.

3war haben sich die Zustände gegen Montag und Dienstag heute etwas gebessert, doch läßt die Abfertigung der Arbeits­losen immer noch sehr zu wünschen übrig. Die Besserung ist allerdings nicht dadurch zustande gekommen, daß der Arbeits­

Die Wählerlisten

liegen nur vom 3. bis zum 6. März aus. In diesen Zagen muß jeder sich überzeugen, daß sein Name in der Liste verzeichnet ist. Wer nicht in der Stimmliste steht, darf am 13. März nicht wählen.

anfall für die Arbeitsamtsangestellten geringer geworden ist, son­dern daß eine große Zahl von Schuhpolizeibeamten und sämtliche vorhandenen Ordner die Arbeitslosen vor dem Ge= bäude aufgehalten haben und Schlangen bilden ließen.

Vor den Eingängen zu den elf Kassen bildeten sich in kurzer Zeit Schlangen von Wartenden, die zu manchen Stunden bis zu 800 Personen umfaßten.

Die Wartezeit dauert noch immer durchschnittlich vier bis fünf Stunden.

In den Aufnahmeräumen der Versicherung herrschte auch heute Dormittag ein unbeschreibliches Gedränge. Teilweise haben die Arbeitslosen die für diesen Massenandrang viel zu fleinen Warteräume verlassen und Aufstellung in den Arbeits­räumen des Personals genommen, so daß das Personal faum zu arbeiten vermag. Die Arbeitsamtsangestellten geben sich die größte Mühe, der Situation Herr zu werden, was ihnen aber einfach unmöglich ist.

Unter den Angestellten herrscht eine

große Erbitterung darüber, daß noch am Montag neun nge­stellte entlassen wurden, obwohl man an diesem Tage bereits turbulente Szenen erlebt hatte und voraussehen mußte, daß sich die Zustände am Dienstag nicht ändern würden.

Heute hat man wohl zwölf Mann wieder eingestellt, doch genügt diese Zahl bei weitem nicht zur Abfertigung der Tau­sende von Arbeitslosen. Von anderen Arbeitsämtern find zehn An­gestellte nach dem Arbeitsamt Südost zur Hilfeleistung geschickt worden, die im Augenblick aber nicht viel nügen, weil sie in diesem nervenzermürbendem Betrieb nicht eingearbeitet sind. Es ist nur ein Glück, daß zur Zeit schönes Wetter ist, denn der geringste Regen oder Schneefall würde die vor dem Gebäude mit bewun= dernswerter Geduld wartenden Arbeitslosen zu Verzweiflungs­schritten treiben Der Sanitätsraum befindet sich auch heute noch in unfertigem Zustande, so daß die Arbeitersamariter, die hier freiwillig Dienst tun, ebenfalls einen äußerst schweren Stand haben. Die Arbeitsamtsangestellten sehen mit Grauen dem Einzug des Arbeitsamts Süd entgegen, der in den näch= ften Tagen erfolgen soll. Was sich dann abspielen wird, ist nicht abzusehen. Die leitenden Persönlichkeiten bei der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung hätten schon längst anordnen müssen, daß die jezt leerstehenden, für das Arbeitsamt Süd refer­vierten Räume dem Arbeitsamt Südost zur Verfügung gestellt worden wären, damit das Publikum auf mehr Kassen schalter und Abfertigungsstellen verteilt wird.

Zu Tumulten ist es dank der Disziplin der Arbeitslosen und der Arbeitsamtsangestellten heute vormittag erfreulicherweise nicht gekommen. Die Spannung unter den Arbeitslosen ist aber nach wie vor so start, daß sie jederzeit zu neuen Explosionen führen kann. Es muß mit allem Nachdrud gefordert werden, daß vorläufig von der Verlegung des Arbeitsamtes Süd Abstand genommen wird. Zur Entlastung der völlig erschöpften Angestellten des Arbeitsamtes Südost muß schleunigst genügend Bersonal eingestellt werden.

*

Der Vorwärts" hat auf die Unmöglichkeiten, die sich jezt ergeben, bereits vor Monaten aufmerksam gemacht. Als im Sep.

Schlangenbildung vor dem Arbeitsamt

tember vorigen Jahres der Verwaltungsausschuß des Landesarbeits­amtes Berlin beschlossen hatte, die Arbeitsämter Südost und Süd in dem damals noch im Bau befindlichen Hause in der Sonnenallee unterzubringen, haben wir sofort stärkste Bedenken gegen eine derartige Zentralisation geäußert. Wir wiesen darauf hin, daß die Erwerbslosen zum Teil einen Weg von etwa 4 bis 18 Rilometer zurüdzulegen hätten, um ihre Karten abstempeln zu lassen. Wörtlich hieß es im Vorwärts":

Das bedeutet nicht nur eine Schädigung der Körper| traft bei an sich schon schlecht ernährten Leuten, sondern legten Verschleiß der bescheidenen Garderobe und schließ lich einen Raub an der Zeit. Hierzu kommt die Wartezeit auf dem Arbeitsamt, so daß es vorkommen kann, daß Arbeitslose bis zu acht Stunden in Anspruch genommen find. Die Benutzung eines Verkehrsmittels würde eine empfindliche Schmälerung ihrer an sich geringen Bezüge bedeuten. Hierbei ist auch zu bedenken, daß nicht nur die Stellen für Arbeitslose, sondern auch für Krisen- und Erwerbslosenhilfeempfänger verlegt werden. Die Bezüge der letzteren schwanken etwa zwischen 5 und 10 Mark.

Ritter Adolfs Blutknappen.

Sie rechnen auf Amnestie nach der Wahl. Kiel , 2. März.( Eigenbericht.)

Das große Schöffengericht Neumünster verurteilte am Dienstag die Nationalsozialisten, die in dem Orte Qua al bewaffnet eine Anzahl Reichsbannerleute überfallen hatten, 3u Gefängnis­ftrafen von einem Monat bis zu einem Jahr drei Monaten. Von den 15 Angeklagten wurden zwei freigesprochen. Der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Stahmer, der als Anwalt fungierte, erklärte in seiner Ver­teidigungsrede, das Verfahren gegen die Nazis und eine eventuelle Strafe feien nicht von erheblicher Bedeutung. Nach der Präsi­dentenwahl würden die Nationalsozialisten, die die Reichsbanner­leute lediglich im Ueberschwang der Gefühle niedergeschlagen und schwer verletzt hätten, durch eine Amnestie begnadigt werden!

Großfeuer in einem Schloß.

Die dadurch erzwungene 3usammendrängung der Arbeitslosen würde alle möglichen Störungen mit sich bringen. Das im gleichen Hause untergebrachte Polizeibüro würde fich über Arbeitsmangel nicht zu beschweren haben, und die Nazis Schloßbewohner im tiefften Schlaf vom Feuer überrascht. Pönnten sich freuen."

Am Schlusse unseres Artikels gaben wir der Hoffnung Ausdruck, daß das Landesarbeitsamt bei nochmaliger Prüfung der Angelegen­heit den Interessen der Arbeitslosen besser Rechnung tragen würde, als es durch den Beschluß geschehen ist. Die standalösen Vorgänge, die sich am ersten Tage der Inbetriebnahme des neuen Hauses abspielten, haben unsere damaligen Befürchtungen leider nur zu sehr bestätigt.

Greifenberg ( Schlesien ), 2. März. Seit 4 Uhr früh steht das auf der Höhe zwischen Schosdorf und Wellersdorf liegende Schloß keifel- Schosdorf in Flammen.

Der gewaltige Brand, der auf Kurzschluß oder Schornstein­schaden zurückgeführt wird, wurde gegen 25 Uhr von Straßen­passanten bemerkt. Der Befizer des Schlosses, Oberstleutnant Capell, der im siebzigsten Jahre steht, lag mit seinen Ange­hörigen in tiefem Schlaf. Gegen 5 Uhr, als die Feuerwehr anrüdte,

Japanische Truppen rücken vor. brannte bereits der ganze Mittelbau des Schloſſes lichterloh. Zur

Shanghai , 2. März, 11.30 Uhr morgens.

Die japanischen Streiffräfte find in Tafang eingerückt. Die chinesische 19. Armee befindet sich auf dem Rudzug in Richtung auf Tschenju. Chinesische Truppen, die in Nantao füdlich von Schanghai zufammengezogen worden waren, um diesen Ort gegen einen dort erwarteten japanischen Angriff zu schützen, gehen ebenfalls zurüd.

Bekämpfung des Feuers mußten bis zu dem 200 Meter entfernten Kesselteich Schlauchleitungen gelegt werden, die aber bei der großen Kälte einfroren. Erst gegen 7 Uhr konnte auf das Mittelgebäude Wasser gegeben werden. Der Brand sah um diese Zeit recht be­drohlich aus, weil die Gefahr bestand, daß auch die beiden Seitenflügel des Schlosses von den Flammen er griffen würden. Der gesamte Mittelbau ist völlig ausgebrannt. Die Inneneinrichtung tonnte zu größten Teil gerettet werden.