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Beilage

Mittwoch, 2. März 1932

Jens Grieter: Die Juden sind schuld!

Der deutsche   Faschismus ist eine Bewegung, die in einer wirt| schaftlichen und klassenmäßigen Umschichtung ihre letzten Wurzeln hat. Die Nachwirkungen des Weltkrieges haben den deutschen Mittelstand entwurzelt, aber auch die Großbourgeoisie und ter Großgrundbesitz fühlen sich in ihren natürlichen" Rechten ein­geschränkt und von der politischen Demokratie, die verfassungsmäßig festgelegt ist, bedroht. Diese Situation ist in der deutschen   Geschichte feineswegs einmalig: die Geschichte nach dem Deutsch  - fran­zösischen Kriege von 1870/71 zeigt Umschichtungen durchaus ver­wandter Art, die der gegenwärtigen Generation wieder ins Bewußt­fem gerufen werden müssen.

Unter der Führung Preußens war das Reich" gegründet worden. Nach dem Waffenfieg über Frankreich   strömte der be­rühmte französische   Goldmilliarden- Strom nach Deutschland  : die Gründerperiode begann. In den Jahren 1871.72 wurden 780 Aktiengesellschaften im deutschen   Reichsgebiet gegründet; aber im Zusammenhang mit der großen Weltwirtschaftskrise, die 1873 einsette, wurde auch der aufgeblähte deutsche Wirt­schaftskörper schwer erschüttert. Schon damals zeigte sich die unauf­lösliche Verflochtenheit eines nationalen Wirtschaftsraumes in das Getriebe der Weltwirtschaft. Eine ungeheure Wirtschaftsdepression fegte ein; ein Drittel bis zur Hälfte der gegründeten Aktiengesell­schaften gingen 1873 und in den folgenden Jahren in den Konkurs. Die betrogenen Aktienzeichner suchten nach den Schuldigen. Die Schuldigen, so hieß es bald, sind die Juden, weil eine ganze Reihe unter ihnen, wie selbstverständlich auch andere vorsichtige nichtjüdische Kapitalisten, dem Gründungsschwindel nicht er­legen waren. Schuld sollte auch das System" sein, was aber eigentlich nichts anderes als wiederum den Juden die Schuld auf­laden hieß: denn das System war nach den Heyreden der politischen Drahtzieher von den Juden, ersetzt" worden.

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In den berüchtigten Aera  - Artikeln in der konservativ­reaktionären ,, Kreuzzeitung  " fonnte man es lesen: Es er­scheint uns die höchste Zeit, die bei uns eingezogene Korruption mit allen Mitteln wieder zu bekämpfen, den Geist des Schwindels wieder zu bannen und den ruhigen arbeitsamen Fortschritt ohne Schwindel und ohne Krach wieder zu sichern. D Herr, befrei uns von der Korruption; das ist nur möglich, wenn Deutschland   ein deutsches und christliches Reich bleibt, nicht ein Reich, dessen Geldmacht und Presse in jüdischen Händen ist, in dessen Gesetzgebung Juden das erste Wort sprechen und in dessen Verwaltung Juden Einfluß ausüben."

Bismard nahm im Reichstagsplenum gegen diese schamlosen Artikel energisch Stellung. Aber es half nichts. Eine zeitgenössische Broschüre greift Bismard unmittelbar mit diesen Säßen an: So­lange Bismarc das allein mächtige Idol bleibt, wird die deutsche Nation dem Reich, das Reich dem Kanzler geopfert werden, und der Kanzler gehört den Juden und Gründern. Daher gibt es für unsere Politik nur eine gebundene Marschroute: Beseitigung des jeßigen Systems und feines Trägers!"

Man sieht, Ben Atiba hat recht: Es ist alles schon dagewesen! 23ie stand denn in Wahrheit Bismarck   zur Judenfrage? Gewiß ging Bleichröder   bei ihm ein und aus und schon in seiner Frank­ furter   Zeit hatte er als preußischer Bundestags- Gesandter Gelegen heit, die Finanzpolitik der Rothschilds aus nächster Nähe zu beurteilen. Bismard ist nie ein fanatischer Judenfeind gewesen, selbst wenn er 1847 im Preußischen Landtag gegen die Emanzipation der Juden gesprochen hat. Turmhoch steht seine da­malige Rede über dem, was ihm später die Judenhezze der ficbziger Jahre entgegenhielt; Bismard erflärte damals, Ich bin fein Feind

der Juden, und wenn sie meine Feinde sein sollten, so vergebe ich ihnen. Ich liebe fie sogar unter Umständen. Ich gönne ihnen auch alle Rechte, nur nicht das, in einem christlichen Staate ein obrigkeit­liches Amt zu befleiden... Ich gestehe ein, daß ich voller Vor­urteile stede. Ich habe sie mit der Muttermilch eingefogen, und es ist mir nicht gelungen, fie wegzudisputieren... Ich gestehe zu, daß in Berlin   und überhaupt in größeren Städten die Judenschaft fast durchweg aus achtungswerten Leuten besteht. Ich gebe zu, daß solche auch auf dem Lande nicht bloß zu den Aus­nahmen gehören, obgleich ich sagen muß, daß der entgegengesetzte Fall vorkommt.

In einer 1877 erschienenen Broschüre finden wir dann noch einmal alle antisemitischen Vorwürfe gegen Bismard vereinigt: Dem Fürsten Bismard gebührt das Verdienst, die Juden und ihre Ge­nossen zur herrschenden Clique in Deutschland   erhoben zu haben... Die Protektion der Juden ist eines der schwärzesten Merkmale des gloriosen Reiches Bismard und seine Folge die Ber­armung des arbeitenden Volkes, die Demoralisierung aller Kreise der Gesellschaft, die widerliche Verschmelzung von Geld­und Geburtsadel... der Fürst Bismard ist dem Einfluß des

Der Abend

Spadausgabe des Vorwärts

Judentums unterlegen. Juden und Judengenossen vilden seine Gesellschaft, sie sind sein täglicher Umgang und seine politischen Ratgeber, seine Hauptkulturkämpfer..."

Die antisemitischen Tendenzen ergreifen jedoch erst durch die christlich- soziale" Agitation des Hofpredigers Stöder die mittel­ständischen und reaktionären Maffen. Adolf Stöcker   hat mit seinem Nachfolger Adolf Hitler   nicht nur den Vornamen gemein: auch in Stöder revoltiert der Kleinbürger und er sucht und findet den Anschluß an die durch die fortschreitende fapitalistische und soziale Entwicklung bedrohten ehedem ausschließlich herrschenden Klassen. Ngchdem das Sozialistengesetz in Kraft getreten ist, streift die Stöckersche Agitation die leisen Ansäge zu einer Kritik des Kapita­lismus ab: der planmäßig geschürte Judenhaß muß alle mittel ständischen und kleinbürgerlichen Refsentiment- Stimmungen gegen den Kapitalismus auffangen. Die antisemitische Agitation in West­ preußen   und Pommern   verursacht Ausschreitungen: Läden werden geplündert, jüdische Bürger verprügelt, Fensterscheiben ein­geworfen; in Neustettin   wurde eine Synagoge niedergebrannt. Bismard verhält sich passiv; dem Regierungsantritt Wilhelm II.  steht Stöcker mit großen Hoffnungen gegenüber, denn der Kaiser hat ehedem start unter Einfluß Stöckers gestanden. Doch es gelingt Bismarck  , den jungen Kaiser von der Gefährlichkeit des politi­fierenden Priesters zu überzeugen. Im Jahre 1889 erhält Stöcker den Abschied.

Ein Segelflieger erzählt

Die überraschenden Erfolge der Segelflieger haben weiteste Kreise auf die motorlose Fliegerei aufmerksam ge­macht. Welch gewaltige Arbeit hier geleistet ist und wie sehr sie der Wissenschaft und dem Motorflug zu Hilfe kommt, er­zählt Günther Groenhoff  , der erfolgreiche deutsche Segelflieger, in seiner reich bebilderten Schrift Ich fliege mit und ohne Motor"( Societäts- Berlag, Frankfurt am Main  ). Der nachfolgende Auszug schildert einen Reford­flug nach vorhergehender Bruchlandung in Himbeersträuchern.

wt.

Die Trümmer der Frankfurt  " lagen noch im Wald bei den Himbeeren. Der Wettbewerb, den ich mit dieser Maschine bestreiten wollte, schien für mich erledigt zu sein. Da aber gibt mir am nächsten Tage wieder der Flugzeugbauer Schleicher, von dem auch die Frankfurt  " stammte, einen Doppelfiger, um ihn vorzu­fliegen und vielleicht zum Verkauf anzubringen. Als Passagier nehme ich einen Bauernsohn aus Poppenhausen   mit, der stets sehr eifrig mitgeholfen hat und auch einmal einen längeren Flug machen möchte.

wir doch immerhin sieben 3entner Fluggewicht in der Luft liegen. Aus Westen, von Fulda   her, zieht eine dicke Kumulus­wolte heran, wie man sie in dieser Jahreszeit, im August, oft sieht.

Eigentlich habe ich mein Programm bereits erfüllt und den Buschauern gezeigt, was die Maschine leistet; doch es macht Spaß, jede Möglichkeit auszunuzen. Ich fliege vom Westhang der Wasser­Dort werden die Segel­fuppe fort, der Wolfe entgegen. möglichkeiten vielleicht sehr gut sein. 15 Kilometer von der Kuppe entfernt habe ich die Wolke erreicht, und nun zieht fahrstuhlartig der Aufwind den Rhön- Adler" an die Wolke heran.

Da ich für den stets schwierigen Blindflug in Wolken keine Instrumente an Bord habe, scheint es mir ratsam, mich außerhalb der Wolke aufzuhalten. Der Aufwind ist jedoch unerwartet gut und zieht mich hinauf, in die unteren Schwaden hinein. Es ist eine ganz ungewöhnliche Anstrengung, nur nach dem Ge­räusch der Maschine und nach den Eindrücken der Beschleunigung zu fliegen. Mein Beobachter erzählt immer weiter, nicht ahnend, in welcher schwierigen Lage wir uns befinden.

Am Hang segelten acht Segelfisten in Höhen von 100 Das Fliegen klappt soweit ganz gut, bis auf einmal starte bis 500 Meter Höhe. Es ging schon dem Abend entgegen, und die Böigkeit einsetzt, die die Maschine in schneller Aufeinanderfolge Kuppe stand voller Menschen, die die Wettbewerbsflüge beobachte herauf- und herunternimmt, so daß ich kaum gegensteuern kann. ten. Sechzehn Mann versammelten sich am Startseil. Mein Vogel Wie das Barogramm später zeigte, wurde ich in 45 Sekunden ein­ist ziemlich schwer und steigt deshalb nur langfam. Ich fliege die mal 90 Meter hinauf, dann 120 Meter herunter- und wieder Maschine zum erstenmal auf einem größeren Flug und beobachte 80 Meter hinaufgeworfen. Langsam erreiche ich eine interessiert die Flugeigenschaften. Dies ließ sich der treue Rhön- Adler" nicht gefallen. Bei der Maschine nach der anderen in der Höhe. Mein Beobachter vorn letzten harten Böe gibt es einen Knack, der durch die ganze Maschine geht gibt durch lautes Rufen zum Ausdruck, wie er sich freut, unten in und mit mehr als gemischten Gefühlen erblicke ich einen Poppenhausen   seine Kameraden auf den Feldern zu Riß im Mittelteil des Flugzeugs( Hals genannt), an erkennen, und erzählt mir, wie 1912 drunten am Hang die dem die Fläche aufgehängt ist. Bei jeder stärkeren Luftbewegung ersten Gleitversuche von Darmstädter   Studenten ausgeführt wurden. verkürzt oder verlängert sich dieser zerbrochene Halsturm nur um Wir sind schon so weit gestiegen, daß ich die höchste Maschine, millimeter, aber das genügt. Immer noch bleibe ich in der mäch­die Darmstadt  ", erreicht habe und meinem Kameraden Neitigen Wolfe. Wenn jetzt eine harte kommt, zerlegt sich die ninger Grüße zurufen kann. Bei weiterem Höhengewinn macht Siste in ihre Bestandteile. sich das große Gewicht der Maschine besonders bemerkbar. Haben

3. a. Vierguts Revolte in Dartmorr

J.

London, Ende Februar.

Zum erstenmal seit Jahrzehnten gab es einen Austand, nein, eine regelrechte Schlacht in einem der englischen Straf­gefängnisse: in Dartmoor, dessen düsterer Gebäudekompler inmitten eines Hochmoores im südlichen England gelegen ist. Vierzehn Tage nach der Sträflingsrevolte in Dartmoor liegt bereits der offizielle Bericht über Ursachen und Verlauf des Auf­standes vor. Die Feststellungen des Bristoler Kriminalrichters Mr. Herbert du Parcq, der mit der Abfassung dieses Berichts be= traut wurde, geben ein anschauliches Bild der Zustände und zugleich reformatorische Anregungen, die nicht nur für England Interesse haben.

Ueber die Vorgänge selbst bringt der Bericht wenig Neues: die halbgare Frühstücksgrüße, als unmittelbarer Anlaß für die Feindseligkeiten, das offenbar verabredete Zusammenrotten der Sträslinge und der Angriff auf die Wärter, die Beruhigungsversuche des Gefängnisgouverneurs, die Brandstiftung und Plünderung der Verwaltungsgebäude, Fluchtversuche einzelner Sträflinge, schließlich der Kampf mit der Polizei, und dann das ruhmlose Ende: zurück hinter die Zellentüren oder ins Krankenhaus. Bon all diesem haben die Zeitungen in Hollywoodaufmachung ihre Leser mit allen wahren und erdichteten Einzelheiten, mit Photographien aus den ver­schiedensten Perspektiven unterhalten.

allgemeinen Aufstand. An diesem Tage soll der Frühstücksbrei zum erstenmal nicht gar gewesen sein. Der betreffende Sträffing stürzte fich auf den Wärter und bearbeitete dessen Gesicht mit einer Rasier­Plinge. Die übrigen Sträflinge, von denen eine große Anzahl dem Vorfall beiwohnten, verhielten sich noch völlig ruhig. Am nächsten Tage versprach der Gouverneur den Gefangenen eine Re­vision der Küchenzustände. Sie unterbrachen ihn aber bereits mit 3wischenrufen. Am nächsten Morgen brach die Revolte aus.

Mr. du Parcq stellt fest, daß die Sträflinge keine be gründeten Klagen gegen ihre Behandlung gehabt hätten; die Verwaltung habe in menschlicher und reformatorischer Weise sich ihrer Aufgabe erledigt, hätte jedoch im Hinblick der letztmonatigen Vorkommnisse größere Vorsichtsmaßregeln treffen und die Sträflinge, besonders nach der Attacke auf den Wärter, nicht zu den gemeinsamen Ulebungen herauslaffen dürfen. Ferner hält er die Ansprache des Gouverneurs und die Zusicherung von Abhilfe bei der schlechten Zubereitung der Speisen in dem gewählten Augenblick für einen ver­fehlten Schritt.

Die technischen Gründe liegen dem Bericht zufolge in der Mit­wirkung von Personen außerhalb des Gefängnisses zwecks eventueller Fluchtversuche und in der Korruption ein­zelner Beamter, die durch Einschmuggeln von verbotenen Gegenständen und hetzerische Unterhaltungen mit den Sträflingen Unruhe und Aufstand gefördert hatten.

Wichtiger ist die Vorgeschichte der Revolte. Bereits seit drei Monaten ereigneten sich in Dartmoor Zwischenfälle, Der Bericht erkennt aber zum erstenmal, und hierin liegt seine die den Gouverneur und die Gefängnisverwaltung beunruhigten. Bedeutung, offiziell einen neuen triminellen Typ an, den Man fand wiederholt Nachschlüssel im Besiz von Sträflingen ,,, Gangster", den wir aus der Verbrechergeschichte Ameritas wäh­von denen die meisten, ihrer unbearbeiteten und rohen Form nach rend der letzten Jahre zur Genüge kennen. In England ist er nicht zu urteilen, im Gefängnis selbst hergestellt sein mußten. Ferner der professionelle Totschläger, sondern begnügt sich mit Auto, fand man bei Sträflingen allerlei Waffen, zum Beispiel eine Juwelen oder Goldraub. Dieser Typ des jungen, leicht­Art Totschläger, der aus einem Stück Splißeifen und einem Klumpen sinnigen, völlig abgeftumpften Desperados, meist eine außerordent­Blei hergestellt war. Auch diese Waffen waren offensichtlich im Ge- lich starke, mitreißende Persönlichkeit, dem das Verbrechen häufiger fängnis selbst hergestellt worden. Dagegen entdeckte man Säge ein Abenteuer als ein Lebensunterhalt bedeutet, ist eine Nach blätter, die von außerhalb eingeschmuggelt sein mußten. Andere friegserscheinung. Arbeitslosigkeit, Berwilderung des jungen, aus Waffen, wie zusammengeknüpfte Stricke, die an einem Ende be- geregeltem Leben in den Schützengraben geworfenen Menschen, der wir tönnen tausend Gründe, schwert oder mit einem Halen versehen waren, fonnten immerhin Umsturz alter Begriffe und Werte Heimarbeit" sein, etwa aus Verschnürungen der Postsäcke ge- sogar Entschuldigungen für ihn finden. Im modernen Staat aber monnen. Bereits vor Weihnachten 1931 entdeckte die Gefängnis- bedeutet er ein soziales Problem, das, wie die Zustände in verwaltung großangelegte Vorbereitungen für einen Fluchtver Amerika   zeigen, wie es die Revolte von Dartmoor zeigt, gelöst werden such, und der Verdacht fiel auf vier besonders berüchtigte Sträflinge, muß. Mr. du Parcqs Aufgabe war es nicht, Vorschläge zu machen, die anscheinend eine Bande" gegründet hatten. Die Verwaltung sondern nur. Tatsachen und Ursachen festzustellen. Die Vorgänge in machte daraufhin den verdächtigen Sträflingen jeden Verkehr unter- Dartmoor laffen aber gewisse Abänderungen naheliegend erscheinen. einander unmöglich. Der nächste Zwischenfall war die Attacke Der neue Verbrechertyp sollte als Gegenpol einen neuen Wärter­eines Gefangenen auf einen Wärter, zwei Tage vor dem und Beamtentyp haben.

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Unentwegt schwagt der Beobachter. Ich muß gestehen, daß ich nicht mehr recht weiß, wovon er spricht. Mein Ohr hat jetzt auf ganz andere Dinge zu hören. Mein Blick sucht nach einer Stelle, an die ich mich anklammern könnte, um mit der Tragfläche, falls sie sich selbständig macht, langsamer als so allein herabzusegeln.

Die Zeit wird mir furchtbar lang. Mitten im Dunst gerate ich in ein Wolkenloch, durch das ich zur Erde zu flüchten hoffe, aber es wird daraus nichts. Die Luftströmung hält mich in gleicher Höhe fest, das Loch wird immer kleiner und die Wolfe nimmt mich wieder auf.

Endlich wird es etwas heller, ein Zeichen dafür, daß die Wolkenhöhe über mir nicht mehr sehr groß ist; schon suche ich nach der weißglänzenden Scheibe der Sonne, die jeden Augenblick den Dunst durchdringen muß. Kurze Hoffnung! Der" Rhön- Adler" fängt langsam und gleichmäßig zu fallen an. Offenbar löst sich die Wolke auf und der Aufwind verwandelt sich in Abwind.

Unter mir wird es dunkel, mit einem Male sehe ich die Erde schief vor mir. Eine Sinnestäuschung, die nicht gleich weichen will. Das Gleichgewichtsgefühl versagt in der Wolfe. Nun muß erst der Verstand wieder lehren, daß nicht die Erde schief liegt, sondern daß das Flugzeug hängt".

Mit dem Segeln ist es aus. Es ist schon Abend geworden und ich sehe, daß sich alle Wolken dort hinter der hohen Rhön   zur Nacht­ruhe begeben wollen. So ruhig, wie sonst nur einmal im Ballon, ziehe ich über die Landschaft weg und beobachte, mit meinem Passagier diskutierend, die Gegend unten, und versuche festzustellen, wo wir hinausgesegelt find. Im Gleitflug geht es an fleinen Hängen entlang. Nach welcher Himmelsrichtung? Der kleine Kom­paß fällt mir ein, den ich als Talisman zu mir gesteckt habe, und der mich einmal auf einer Skitour in den Alpen gut nach Hause gebracht hat. Ich stelle fest, ich bin mit der Wolke nach Osten gewandert und nuke den Wind nun aus und fliege nach meinem fleinen Kompaß weiter nach Osten. Wir sind jetzt vielleicht nur noch 500 Meter hoch und hören schon die Geräusche vom Boden.

Unten im Dorf Glockenläuten, Brüllen des Viehs, fleine Rinder, große Kinder. Seltsam wirken die üblichen Massen­versammlungen, blank schimmern die emporgereckten Hälse durch die beginnende Dämmerung. Wie der Rattenfänger ziehen wir einen Schwarm außer Rand und Band geratener Gören hinter uns her. Bei jeder Ortschaft wiederholt sich das Schauspiel. Wo sind wir hingeraten? Eine Anfrage nach unten ergibt, daß wir in der Nähe von Römhild  , 33 Kilometer von der Wasserkuppe sind. Die Erde tommt immer näher. In einer steilen Kurve setze ich die Maschine in ein reifes Roggenfeld hinein. Die Aehren schlagen sich um die Streben und halten den großen Vogel wic Leimṛuten fest.

Die Sportzeugen von der Wettbewerbsleitung der Wasserkuppe  waren alsbald zur Stelle und stellten fest, daß ich mit 1250 Meter Höhe und 33 Kilometer Entfernung von der Kuppe, wo ich etwa zwei Stunden vorher gestartet war, den Höhen. und Stredenreford für Zweisiger gewonnen hatte!