Nr. 109 49. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 5. März 1932
und die wert ist, daß man gelegentlich einmal einen Streifzug durch sie unternehmen sollte.
Festspiel zur Spandauer 700- Jahrfeier. Zur Spandauer Siebenhundertjahrfeier hat der Spandauer ,, Spandau im Wandel der Zeiten" betitelt und am Sonntag, dem
Festung wurde Arbeiterstadt/ Verleihung der Stadtrechte 7. März 1232 eaterdirektor Otto de Nolte ein Festspiel verfaßt, daß sich
Der große Arbeitervezirk Spandau in der Gemeinde| schwer heimgesucht. Allein am 19. Juli 1631 raffte der schwarze Groß- Berlin feiert am Sonntag sein siebenhundert. Tod 31 Personen hin. Am Ende des großen Krieges war die Stadt jähriges Bestehen. Am 7. März 1232 erhielt Spandau nach den Worten des Chronisten, da sie zuvor ein Paradies gedie Rechte einer Stadt. Später wurde es die wichtigste wesen, nun zu einer Räuberhöhle geworden". Festung Brandenburgs . In der deutschen Geschichte hat Spandau mehr als einmal eine wichtige Rolle gespielt. In grauen Wendenzeiten bestand schon die kleine Fischersiedlung, die fich Spandom nannte. Bald schützte eine Grenzburg die Stelle, an der die alte Salzstraße von Halle nach den Wendenländern die Havel überschritt, weil sich hier von Oranien- neckendorf, Stadt und Festung den nach der Schlacht bei Jena
Die Zitadelle mit dem Juliusturm.
Im Siebenjährigen Kriege siedelte die Regierung nach Spandau über, als die Oesterreicher und Russen Berlin besetzten. Trotz des militaristischen Systems des damaligen preußischen Staates gerieten die Befestigungen in Verfall, und ohne den Versuch einer Gegenwehr übergab der Kommandant, Major von Ben
heranrückenden Franzosen. Diese beherrschten nun bis 1813 die Havelfestung. Erst nach heftiger Beschießung, bei der ein großer Teil der Stadt in Flammen aufging, ergab sich die französische Besatzung.
Die Munitionsfabrik.
Im 19. Jahrhundert wurde Spandau dann immer mehr ein Hauptort der Rüstungsindustrie, Pulver- und Gewehrfabriken, Artilleriewerkstätten, Munitionsfabriken und ein umfangreiches Zeugamt drückten neben einer zahlreichen Garnison der Stadt ihr militärisch- friegerisches Gepräge auf. Das alte Schloß der Grafen zu Lynar war zu einem Zuchthaus umgewandelt, und da auch die Zitadelle als Straffestung benutzt wurde, so erlangte Spandau , besonders in der Zeit der finstersten Reaktion vor und nach 1848, eine wenig angenehme Berühmtheit. Hier faß Gottfried Kinkel gefangen, bis er durch die Kühnheit Karl Schurz ' befreit wurde, und hierher trieb man am 18. März 1848 unter den müſteſten Roheiten die in den Berliner Straßenkämpfen
gefangenen Revolutionäre.
Am Anfang dieses Jahrhunderts wurden die Wälle abgetragen. Nur die Zitadelle ist heute noch in ihrer alten Form erhalten. Und über ihre Bastionen ragt der uralte Juliusturm, das Wahrdes Weltkrieges der deutsche Reichsfriegsschay", der aus 120 Millionen Mart in Goldbarren bestand.
burg bis Potsdam die einzige Stelle befand, an der fejte User und zeichen Spandaus. In seinen Gewölben lagerte bis zum Ausbruch
ein schmales Flußbett ein leichtes Hinüberkommen ermöglichten.
Im Schutze dieser Burg, die zur Zeit der askanischen Markgrafen häufig Wohnsiz der Landesherren war, entstand die Marktsieda Iung, die am 7. März 1232 das Stadtrecht erhielt. Einige fümmerliche Reste zeugen noch heute von der Festigkeit der Mauern, die die von Havel und Mühlengraben umflossene Stadt schützten, aus beren Mitte der hochragende Turm von St. Nikolai weit ins Land hinaussah. Aber nur langsam füllte sich der weitgezogene Mauerkranz mit Häusern, und noch um 1600 gab es umfangreiche Mauertranz mit Häusern, und noch um 1600 gab es umfangreiche Gärten innerhalb der Stadtmauer.
Die geschützte Lage am wichtigen Havelübergang, durch dessen Sperrung die Residenz Berlin gegen Angriffe vom Westen her gedeckt war, bewog im 16. Jahrhundert die Kurfürsten, die Burg zu einer zeitgemäßen Festung umzugestalten. Italienische Baumeister, wie der Gro Rochus zu Lynar, führten diese Bauten aus, bei denen die Spandauer Bürger drückende Arbeitsdienste leisten
mußten.
Heute moderne Industriestadt.
Neben der Rüstungsindustrie haben sich andere Fabrikationszweige angesiedelt, von denen die gewaltige Anlage der Siemens werfe im neuen Stadtteil Siemensstadt heute das größte Unternehmen Spandaus ist, nachdem die ehemaligen Staatswerkstätten zum größten Teil ſtillgelegt sind. Seitdem Spandau im Jahre 1920 feine Selbständigkeit aufgab, ist es immer enger mit Groß Berlin verflochten worden.
Die weiten Wasserflächen an der Havel sind heute der Tummelplatz der Wassersportler des westlichen Berlins , die überall an den Ufern ihre Heime und Bootshäuser errichtet haben. Taufende von Berlinern weilen allsonntäglich an den Spandauer Gewässern, um sich von den Werktagsmühen zu erholen. Wenige aber kennen die alte Stadt, die mancherlei Erinnerungen an ihre reiche lagen und in ihren Außenvierteln moderne Wohnsiedlungen befizt, Geſchichte aufzuwerfen hat, die aber auch prächtige Parts und An
Potsdamer Straße in Spandau mit Nikolaikirche. geführt wird. Am Sonntag findet um 11.30 Uhr auf dem 6. März, um 20 Uhr, in den Bismarckfälen zum ersten Male aufSpandauer Rathausvorplatz eine Fest aufstellung unter Tei!- nahme der Reichswehrgarnison, der Vereine und Innungen
statt.
Schweres Autounglück.
Zwei Tote, zwei Schwerverletzte in Charlottenburg .
An der Kreuzung Neuer und Alter Fürstenbrunner Weg in Charlottenburg ereignete sich geffern gegen 17 Uhr ein folgenschweres Autounglüd. Ein Privatauto, das mit vier Personen besetzt war, raste gegen einen Laternen mait und überschlug sich. Zwei Insassen wurden auf der Stelle getötet. Der Führer und ein weiterer Begleiter wurden schwer verletzt.
Das Auto, ein Dienstwagen des Pumpwertes 8, befand sich auf der Fahrt nach Berlin . Vermutlich infoige zu großer Geschwindigkeit verlor der Führer des Wagens in einer scharfen Biegung die Herrschaft über seinen Wagen und fuhr über den Bürgersteig. Das Auto stieß dabei mit großer Bucht gegen einen Laternen mast. Die Folgen waren schrecklich. Der Wagen überschlug sich mehrmals und ging völlig in Trümmer. Zwei Angestellte des Pumpwerks, Wilhelm Leithold und Ludwig Bielicke, wurden von Passanten tot unter den Trümmern hervorgezogen. Der Führer des Unglüdswagens, Johannes Kutner aus der der Stettiner Straße erlitten Kopfperlegungen und Quetschungen. Sprengeffraße, und der Maſſimonmeister: Albert& den 50 ft aus
Du mußt es jedem Wähler sagen-:
Die geräumige Feste war dann im Dreißigjährigen Kriege ein Hauptstützpunkt der schwedischen Macht in Deutsch land. Von 1631 bis 1634 war sie von schwedischen Truppen besetzt, die mit der zunehmenden Berwilderung des Krieges übel in der Stadt hausten. Als einmal ihren Forderungen nicht gleich entsprochen werden konnte, erbrach ein Hause zu nächtlicher Stunde sogar das Haus des Bürgermeisters, drang in dessen Schlafzimmer und raubte Kleidung, Degen und Pistolen des Stadtoberhauptes. Dazu ward die Bürgerschaft von der Best und anderen Seuchen 99
81
von
ROMAN S.Rosenfeld
bruch
Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen . Blöglich ein Stoß. Ich fahre zusammen, sehe mich um und erblicke den Mann ohne Gedächtnis, der gerade aufwacht. Gleich darauf schläft er von neuem ein und schnarcht wie alle übrigen. Aus dem Abteil der Begleitmannschaften kommt ebenfalls ein kräftiges Unisono- Schnarchen.
In der Dunkelheit vor dem Fenster glimmen Lichter auf. Der Zug fährt langsamer. Die Wagen rollen über Weichen, freischen und hoppeln über Laschen. Eine Station. Unser Wagen ist offenbar einer der letzten, denn von der Station ist nichts zu sehen. Bor unserem Wagen werden Stimmen laut. Eine Lokomotive schnauft in der Nähe. Andere Lokomotiven scheinen ihr zu antworten, pfeifen bald langgezogen, bald kurz, mit niedrigem heiserem Baß oder hohem Tenor. Geräusche und Stimmen aus dem Leben jenseits der Gitterfenster, dem fernen und fremdgewordenen. Dann gleitet eine große, hell beleuchtete Station an uns vorüber. Biel Bublikum auf dem Bahnsteig. Noch eine Minute, und der Wagen ist wieder in die nächtliche Dunkelheit zurückgetaucht, schwankt und torfelt weiter.
Der Morgen beleuchtete graue, erdfarbene, staub und schweißbedeckte Gesichter. Gesichter von jener typischen Gefängnisfarbe, an der ich den unlängst Entlassenen sofort erfennen würde, wo ich ihn auch begegnete.
Mitgenommen von Luftmangel, Hunger, Geftant, von der in unbequemen Stellungen schlaflos verbrachten Nacht, fahen die Gefangenen aus, als hätten sie eine schwere Krantheit hinter sich. Viele von ihnen waren in der Tat frant. Infolge des Mangels an frischen Lebensmitteln und des lleberwiegens trodener Brotnahrung sind bei den Gefangenen chronische Magenfatarrhe sehr häufig. Dazu trägt auch der Umstand bei, daß die Häftlinge oft längere Zeit hungern, um sich dann, wenn sie endlich ihr Essen bekommen
,, Für Hindenburg , heißt Hitler schlagen!"
haben, zu überfressen. Lungentuberkulose und Rheumatismus | ins Ohr flüsterte. Er legte zwei Finger auf den Mund und sind ebenfalls häufige Begleiter der Gefängnisinfassen.
Das Hungern unterwegs ist nicht zu vermeiden, denn wenn ein Verschickter Geld hat, so wird es ihm vorschriftsgemäß bei Transportbeginn abgenommen, und erst bei der Ankunft an Ort und Stelle wieder eingehändigt. Nur in seltenen Fällen wird das Geld bei der Eskorte belassen, die den Gefangenen dafür auf den Bahnhöfen Lebensmittel beforgen kann. Für den Gefangenen werden sieben Kopeten täglich ausgeworfen. Für diese Summe kaufen ihm die Begleitmannschaften unterwegs alles, was das Herz begehrt". Rauft man sich für das ganze Geld Brot, so langt es weder für Tee noch für Zucker mehr, ganz abgesehen davon, daß auch diese Brotmenge nicht für vierundzwanzig Stunden ausreicht. Zucker und Tee kaufen, das heißt also: auf Brot verzichten. Ich hatte mehrere Dußend Rubel, die mir für die ganze Reise gereicht hätten, und konnte doch von ihnen keinen Gebrauch machen, da sie bereits nach Nikolst- Ussuriist überwiesen worden waren. Alles, was ich bei mir gehabt hatte, das hatte ich bereits verzehrt und verteilt. Jeßt begannen schwere Tage. Der Hunger quälte mich unbeschreiblich. Die Milchweißbrote von gestern waren aufgegessen. Das heiße Waffer, das uns in den Waggon gebracht wurde, war ohne Tee und Zucker, es efelte einen an, und so bekam man nichts Barmes in den Leib.
Das Begleitkommando hatte kategorisch jede Unterhaltung verboten. Es war eine Folter, den ganzen Tag in derselben Stellung im Waggon zu fizzen, fast ohne sich zu rühren, ohne irgend etwas zu tun, zu lesen oder sich zu unterhalten. Die Unmöglichkeit, Gedanken, Beobachtungen, Eindrücke auszutauschen, ist härter als Hunger, Strafzelle oder andere Entbehrungen. Nur dem Zigeuner war es mit Hilfe seiner Krankheit gelungen, seine häufige Lauferei zum Ab tritt- freilich stets in Begleitung eines Mannes vom Trans portkommandozu legalisieren. Das brachte für ihn ein Element der Abwechslung in den Tag. Für alle übrigen waren diese vergnüglichen Ausflüge auf ein Minimum reduziert.
Der Mann ohne Gedächtnis übermittelte mir mit seiner Mimit und dem Ausdruck seiner flugen und zugleich verschlagenen Augen seine Beobachtungen und seine Empfindungen gegenüber der Eskorte.
Im Gegensatz zu ihm versank der arme Burstein in eine folche Niedergeschlagenheit, daß ihn eine förmliche Banit ergriff, sobald ich mich zu ihm beugte und ihm irgend etwas
bat mich mit allerlei Gebärden und einem flehentlichen Ausdruck in den Augen, doch um Gottes willen still zu sein. Er war gelb und blaß geworden. Sein unrafiertes Gesicht sal verfallen und welf aus. Die ermüdeten Augen blickten trübe und verschwommen. Er war in einer Nacht alt geworden. Er machte den erbarmungswürdigsten und kläglichsten Eindruck von allen. Er konnte einem mehr leid tun als fämtliche andere. Der Mann ohne Gedächtnis betrachtete ihn, dann sah er mich an, deutete mit einem Blick auf Burstein und machte eine hoffnungslose Handbewegung, als wolle er sagen: Mit dem wird es nichts mehr, so was hält der nicht lange aus."
Auch Gnatenko sah übel aus. Unter den Augen hatte er große dunkelrote Flecke. Das eine Auge war von oben her verschwollen und zur Hälfte geschlossen. Er saß finster da, sah niemanden an, ließ den Kopf hängen und starrte regungslos unter die Bank.
Der Tag schleppte sich in efelhafter Endlosigkeit. Der Schnee hatte die Wagenfenster verklebt. So fuhren wir da hin, abgeschnitten von der ganzen Welt, blind, taub, stumm, willenlos, hungrig und unbeweglich. Und so sollten wir noch) viele Wochen fahren, viele tausend Werft, immer weiter und weiter fort von den Menschen, die uns nahestanden, in ein fernes, unbekanntes, trübseliges Reich...
Wir tamen in Rurst an. In der undurchdringlichen Finsternis sahen wir weder Straßen noch Häuser nod) Menschen; offenbar schlief alles. Bielleicht war das die Beripherie der Stadt und die Leute hatten sich, müde von der Tagesarbeit, frühzeitig schlafen gelegt. Nur das Geräusch unserer Schritte, das Geflirr der Ketten und das ferne Hundegebell durchbrachen die Stille. Die paar Fackeln, die unsere Gesichter beleuchteten, schufen eine winzige, trübe erhellte Insel inmitten des fompakten Dunkels und machten damit die Finsternis um uns her nur noch undurchdringlicher.
Endlich erschienen in der Ferne ein paar verschwommene Meine Lichtflecken, die allmählich größer und heller wurden. Wir kamen zu einem hohen Gebäude, das von einer Badsteinmauer umgeben war und von einigen Laternen beleuchtet wurde.
Am Gefängniseingang ließ man uns nicht lange warten. Wir wurden namentlich aufgerufen und passierten einer nach dem andern die Schwelle. Dann wurden wir in den Korridor, vor das Geschäftszimmer geführt, um non der Gefängnis( Fortjeyung folgt.) verwaltung übernommen zu werden.