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Nr. 111 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

AUF

BERLIN

WOHNUNGSSUCHE

Sonntag, 6. März 1932

Die Zwangswirtschaft über den Wohnraum hatte dem großstädtischen Nomadentum den Garaus gemacht. Es gehörte vor dem Kriege in Berlin gewissermaßen zum guten Ton, ungefähr alle zwei Jahre die Wohnung zu wechseln. Dabei waren zwei Jahre schon eine lange Zeit, piele wohnten nur ein halbes Jahr in ihrer Wohnung, dann wurde prompt gezogen. Wenn nun jemand Dom Scheunenviertel nach Niederschönhausen gezogen wäre, würde alles zu verstehen sein, aber oft genug zogen doch die Menschen nur von der Boyenstraße 17 quer über den Damm nach der Boyenstraße 33. Mitunter selbst vom Quergebäude 3 Treppen nach dem Seitenflügel 1 Treppe. Schließlich kam die Zwangswirtschaft, und aus reichlich planlos umhergeisternden Nomaden rourden für zwei Jahrzehnte seẞhafte Bürger. Bis sich langsam die Fesseln der Zwangswirtschaft zu lockern begannen und das alte Nomadentum wieder erwachte. Wobei zum diesjährigen ersten Apriltag allerdings die verheerende Krise ein übriges getan hat: Die Flucht aus den Großwohnungen ist in eine Jagd nach Kleinstwohnungen umgeschlagen. Der ganze Betrieb ist wieder da. Die Wohnungsanzeiger haben wochentags einen dickeren Umfang als die Sonn­tagsausgaben der Berliner Tageszeitungen, die Wohnungsvermittler haben ihre Zelte wieder aufgeschlagen und reiben sich bereits die Hände, und seit etwa anderthalb Jahr­zehnten ist Berlin wieder einmal richtig gehend auf Wohnungssuche. Die einen sagen, es mache Spaß, die anderen meinen, es gäbe keine größere Strafe.

Jagd nach Kleinwohnungen.

STAWY

Das gesuchteste Objekt auf dem Wohnungsmarkt sind- ein Zeichen unserer schweren Zeit Einzimmer- Altwohnungen. 3wanzig bis fünfundzwanzig Mart sollen fie an monatlicher Miete fosten. Und diese heiß begehrten Wohnungen gibt es hier und da. Auf manchen Wohnungsämtern hängen Tabellen aus, auf denen 16, 18, ja 20 folcher Einzimmer- Altwohnuugen verzeichnet sind. Troßdem wird nur selten eine von diesen Wohnungen vermietet. Duzende von Männern und Frauen lassen sich Tag für Tag von den Wohnungsämtern Bescheinigungskarten ausstellen, duizende Male klopft es beim Hauswirt an die Tür, er möchte doch einmal die Wohnung zeigen, aber niemand mietet. Wir haben einen Wohnungsuchenden getroffen, der hat sich bereits über 50 von diesen Einzimmer- Altwohnungen angesehen. Der Mann ist das Gegenteil von einem Querulanten, aber Menschen wollen eben nicht in Mauer­löcher ziehen. Gewiß: in der Parochialstraße gibt es Einzimmer­Allwohnungen, es fehlt nur eine Kleinigkeit: die Dielen. Man läuft einstweilen auf dem Schutt. Und die Blutflecke an den Tapeten deuten auf furchtbare nächtliche Wanzenmartern hin. Auch in der

Auf der Straße kommen den Leuten aber Bedenken. Es kann da nicht ganz mit rechten Dingen zugehen, sie gehen aufs Wohnungs­amt. Dort hat man feine Ahnung, daß in jener Nebenstraße zwei Wohnungen frei sein sollen. Niemals sind sie gemeldet worden. Alfo", fagt der Mann vom Amt ,,, gehen Sie schleunigst zu dem Berwalter wieder hin und lassen Sie sich die ganze Anzahlung von 100 Mart wiedergeben." Es war nämlich ausgemacht worden, daß bei einem Nichtzustandekommen des Geschäfts nur 95 Mart zurüd­zuzahlen sind. Die 5 Mart follten Gebühren sein. llebrigens war das mit den 150 Mark Mietrückständen ein aufgelegter Schwindel. Bei der einen Wohnung war kein Pfennig Miete rückständig, bei der anderen nur 42 Mart. Nun sollen jede Wohnung täglich nur drei Reflektanten besichtigen, dann hat der Mann pro Tag seine 30 Mart mühelos eingestrichen. Inzwischen beschäftigt sich aller­30 Mart mühelos eingestrichen. Inzwischen beschäftigt sich aller­dings die Staatsanwaltschaft mit ihm.

" Nur für solvente Mieter!"

Phantasie und Wirklichkeit.

Im ganzen gesehen ist das Wohnungsuchen aber eine Strafe. Erst mal muß man eine Adresse haben. Die ist nur nach Laufereien zu bekommen. Dann wird den einen Sonntag Heinersdorf , den anderen Schmargendorf und den dritten Friedrichsfelde abge= flappert. Auf den Inseraten sahen die Mieten geradezu verlockend aus, da gibt es für 42 Mark eine prima Wohnung; die Wirklich­feit ist meist doppelt so teuer. Mit derartigen Phantasiepreisen arbeiten vor allem die Wohnungsvermittler, die plötzlich wieder da sind. Da haben mir hier eine Zweizimmerwohnung in der Kaiserallee, mit Bad, kostet 54 Mart pro Monat". sagen die Ver­mittler. Wer dann 10 Mart auf den Tisch legt, erhält eine Anzahl Adressen. Gefällt dem Wohnungsuchenden davon nichts, verfallen 5 Mart ohne Gnade dem Vermittler. Wenn jede Maschinenfabrik, die eine Offerte macht, dafür 5 Mark liquidieren würde! Die Woh­nungsvermittler wissen schon, warum sie nur ganz selten ihre Adresse angeben und sich auf die Fernsprechnummer beschränken.

Oranienburger Borstadt gibt es Einzimmer- Altwohnungen. Auch nicht. Aber nun wurde in der Gegend der Schönhauser Allee Wiederholung der Brüning- Rede im Rundfunk.

hier ist eine Kleinigkeit bedauernswert: die Fenster sind nicht dem Himmel zugewandt, sondern dem Lichtschacht eines Fabrikgebäudes. Zudem hat sich eine ganz neue Mode herausgebildet, daß nämlich die Hauswirte bei der Vermietung solcher Wohnungen einen Bau­fostenzuschuß verlangen. Wenn in solchen Wohnungen der Ofen brennt, ist das ein Zufall. Und den neuzusetzenden Ofen soll der Wohnungsuchende bezahlen. Ja, sagte sogar ein Hauswirt, ich habe hier eine Großwohnung, die will ich teilen. Wenn Sie sich eine Wand ziehen laffen, tönnen Sie eine kleine Wohnung abhaben. So ist das heute. Ein Auto, das in Berlin läuft, muß nach mehre­ren Jahren dem Kraftverkehrsamt vorgeführt werden, ob es noch betriebstüchtig ist. Ist dies nicht der Fall, wird das Auto aus dem Berkehr gezogen, ob der Besizer weint oder nicht. Aber Wohnungen, die, wenn schon nicht ein hochwertigeres, so doch ein unmittelbareres Boltsgut sind als eine Kraftdroschte, danach fräht kein Hahn.

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Unterschlagene Wohnungen.

Phantastische Sachen passieren den Wohnungsuchenden. Es werden nämlich Wohnungen in Berlin einfach unterschlagen. Da find im Quergebäude einer Nebenstraße des Berliner Nordens gleich zwei Einzimmerwohnungen frei. Das Haus gehört einem Aus­länder, und der Verwalter hat das Freiwerden der Wohnungen nicht dem Wohnungsamt angezeigt. Die Wohnungsuchenden hören unter der Hand davon. Sie gehen zu dem Verwalter. Ja, die Wohnung können Sie haben, nur müssen Sie die Mietrückstände von 150 Mart bezahlen." ,, Gut", sagen die vom ewigen Umherlaufen schon müde gewordenen Wohnungsuchenden, pumpen wir uns die ,, Schön", antwortet der Verwalter, dann werde ich die Berträge fertigmachen."

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Dann haben die Hausbesiger eine neue Formel bei der Ankündi­gung ihrer leerstehenden Wohnungen gefunden: Vermietung nur an folvente Personen! Es ist verständlich, daß der Hauswirt seine Miete haben will. Denn zum Vergnügen befitt er ja das Haus neulich eine Kochstube frei. Die sollte monatlich 15 Mark fosten, und ungefähr ebensoviele Besucher hatte das Wohnungsamt hin­geschickt. So wie diese rechtschaffenen Leute von der alten Haus­wirtin ausgefragt wurden, sind sie in ihrem ganzen Leben noch nicht ins Berhör genommen worden. Haben Sie Stellung? ,, Nein, dann kommt nichts in Frage." ,, Wieviel verdienen Sie?" ,, Haben Sie dafür Unterlagen?" ,, Bringen Sie mir Ihre Ver­dienstbescheinigung mit!" Die armen Leute wußten gar nicht, was los ist, bis ein Hilfspostschaffner tam, der zeigte seine Beamten­bestallung, und sofort machte die Wirtin Vertrag. Troßdem der Brieffräger feine 120 Mart netto im Monat Einkommen hat. Wenn nun solch ein Theater bereits bei der Vermietung einer Kochstube gemacht wird, was muß dann wohl erst bei der Vermietung einer Dreizimmer- Neubauwohnung aufgestellt werden! Referenzen über Referenzen müffen die Menschen beibringen. Auskunfteien werden bemüht, in Portierlogen wird herumgeschnüffelt, ob auch immer pünktlich die Miete bezahlt worden ist, nach ihrem Bankkonto wer­den die Menschen gefragt, und wenn dann zum Schluß ein Bug begleitbeamter kommt, dann erhält der die Wohnung mit seinen 160 Mart im Monat und nicht der besserbefoldete Privatangestellte. Im übrigen ist der Tausch der Neubauwohnungen im vollsten Gange. 1928 waren noch schöne Zeiten, und 80 Mark Miete dünkten manchen erschwinglich. Das ist nun aus, und so sind die kleinen Neubauwohnungen zwischen 50 und 60 Mart Monatsmiete sehr gesucht. In einem Neubaublod in Bantom wurden drei solcher Wohnungen frei. Am nächsten Tag waren sie bereits vermietet; 30 Reflektanten hatten sich gemeldet! Auch Drei- oder Vierzimmer­Neubauwohnungen mit allem Komfort werden vermietet, denn alle die Flüchtenden aus den großen teuren Sechs-, Sieben- und Acht­zimmerwohnungen, die müssen doch irgendwo bleiben. Und eben in den Dreizimmerwohnungen bleiben fie.

Anmarschstraßen zum Lustgarten

Alle marschieren mit dem Reichsbanner mit.- Abmarsch um 11 Uhr.

Alle Mitglieder des Reichsbanners einschließlich der Spielleute und Musiker treten heute um 10 Uhr auf den Sammelplätzen zum Appell an. Der Abmarsch erfolgt um 11 Uhr durch folgende Straßen, die wir hier noch einmal genau veröffentlichen:

Kreis Osten: Gudrunstraße, Spitze Frankfurter Allee , Große Frankfurter Straße , Landsberger Straße, Alexanderplatz , Königstraße, Hoher Steinweg, Neuer Markt, Kaiser- Wilhelm­Straße, Lustgarten.

Kreis Süden: Die Ortsvereine Kreuzberg und Tempelhof : Bahnhof Tempelhof, Berliner Straße, Belle- Alliance- Straße, Belle- Alliance- Platz, Lindenstraße, Beuthstraße, Spittelmarkt, Gertraudtenstraße , Breitestraße, Schloßplatz, Lustgarten.- Die Ortsvereine Neukölln und Treptow : Sonnenallee, Kaiser­Friedrich- Straße, Kottbusser Damm, Kottbusser Straße, Dresdener Straße, Roßstraße, Breitestraße, Schloßplatz, Lustgarten.

Alle Republikaner

Kreis Westen: Bahnhof Charlottenburg, Stuttgarter Platz, Wilhelmsdorfer Straße , Bismarckstraße, Leibnitzstraße, Kauer­straße, Dovestraße, Helmholtzstraße, Alt Moabit , Invaliden­straße, Hessische Straße, Hannoversche Straße, Elsasser Straße, Artilleriestraße, Am Kupfergraben, Museumstraße, Lustgarten.

Kreis Norden: Die Ortsvereine Wedding und Reinickendorf : Seidelstraße, Scharnweberstraße, Müllerstraße, Afrikanische Straße, Seestraße, Chausseestraße, Elsasser Straße, Artillerie­straße, Am Kupfergraben, Museumstraße, Lustgarten. Die Ortsvereine Prenzlauer Berg , Pankow und Weißensee : Pankow , Kaiserin- Augusta- Straße, Spitze Lindenstraße, durch Lindenstraße, Schönholzer Straße, Breitestraße, Berliner Straße, Schönhauser Allee , Dragonerstraße, Rochstraße, Neue Friedrichstraße, Museumstraße, Lustgarten.

Ortsverein

Mitte: 11 Uhr: Neuer Markt. Spielleute und Fahnen zum Kreis Osten. Die Kapelle Weißensee 11.30 Uhr im Lust­garten vor den Roßbändigern. Das Uniformverbot ist noch

in Kraft und muß beachtet werden.

marschieren mit und schließen sich den Reichsbannerformationen an!

Wie die Funkstunde mitteilt, wird am Sonntag, dem 6. März, also heute 20 Uhr( abends 8 Uhr) ein Teil der Rede, die der Reichs­tanzter Dr. Brüning am 22. Februar im Reichstag hielt, als Shallplattenaufnahme wiederholt. erfolgt über alle deutschen Sender.

Die Uebermittlung

Wie gewählt wird

Die Reichspräsidentenwahl findet am kommenden Sonntag, dem 13. März, in der Zeit von 9 bis 18 Uhr( 9 Uhr vormil­tags bis 6 Uhr nachmittags) in den dafür bestimmten Abstini­mungsräumen statt. Die Abstimmungsräume werden von den Berliner Bezirksämtern vom 10. bis 13. März durch Säulenanschlag bekanntgegeben. Nur die amtlich zu­gelassenen Stimmzettel dürfen bei der Wahl ver wendet werden. Der Stimmberechtigte kennzeichnet den An­

Reichspräsidentenwahl

Theodor Duesterberg

Oberstleutnant a. D., Halle a. d. Saale

Paul von Hindenburg+

Reichspräsident, Generalfeldmarschall, Berlin

Adolf Hitler

Regierungsrat im braunschweig . Staatsdienst, München

Ernst Thälmann Transportarbeiter, Hamburg

Adolf Gustav Winter

Betriebsanwalt, Großjena bei Naumburg a. d. Saale

C

wärter, dem er seine Stimme geben will, dadurch, daß er in den leeren Kreis neben dem Namen des von ihm erwählten Kandidaten ein Kreuz setzt. Auf jedem Stimmzettel darf nur ein Anwärter gekennzeichnet werden. Jeder Teilnehmer muß zur Stimmabgabe persönlich im Abstimmungsraum er­scheinen. Stellvertretung ist unzulässig. In der Wahlzelle darf sich stets nur eine Person aufhalten. Ausnahmen hierfür gelten nur für körperlich Gebrechliche. Die Mitnahme geeigneter Aus­

meispapiere wird empfohlen. Unser Kreuz gilt dem Namen Hindenburg .