Die Hunderfjäiirigen in Preisen. Das 100. Lebensjahr errcidien iähriidi IS Personen, davon 12 krauen. Seit dem Jahre 1925 ehrt das preußische Staatsministerium jeden preußischen Staatsangehörigen zu dem seltenen Ereignis der Vollendung des 199. Lebensjahres mit einem Glückwunsch- sch r« l b e n und einer in der Staatlichen Porzellanmanufaktur angefertigten kunstvollen Tasse, bei Bedürftigkeit außerdem mit einem Geldgeschenk. Wie der Amtliche Preußische Pressedienst auf Grund einer Zusammenstellung des Preußischen Statistischen Landesamts Mit- teilt, sind bis zum Ende des Jahres 1931 141 Personen dieser Ehrung teilhaftig geworden, darunter 13. die bei Einführung der Maßnahme bereits 191 bis 194 Jahre alt waren. Die nachstehenden Angaben beziehen sich aber nur auf die restlichen 128 Jubllare, weil jene 13 die Langlebigkeit ihrer Geburtsjahrgäng« nur unvoll- ständig kennzeichnen würden. Rechnerisch ergibt sich in dem sieben- jährigen Zeitraum ein Jahresdurchschnitt von 18 Fällen. An der Gesamtzahl sind die Frauen mit 89 Lertreterinnen doppelt so stark beteiligt wie das männliche Geschlecht(42); das darf man wohl als Beweis dafür nehmen, daß die bekannte größer« Lebenskraft der Frauen bis in das höchste Lebensalter anhält, trotzdem die frei- lich recht kleinen Zahlen aus einzelnen Provinzen auffällige W- weichungen zeigen. Die Staatssumme von 128 ergibt, an der Ein- wohnerzahl nach der Volkszählung 1925(38 175 989) gemessen, für den siebenjährigen Zeitraum einen Durchschallt von 3.4 Hundert- jährigen auf eine Million Einwohner. Wenn man die Hundert- jährigen nach dem Geburtsort auf die Provinzen verteilt, entfallen auf Ostpreußen 15,5. die früheren Provinzen Posen und We st preußen sogar 18 Personen, die von 1 Million Ein- wohnern das 199. Lebensjahr erreichten, während auf die Rhein- Provinz nur 1,9 und die Stadt Berlin 9.3 kommen. Nach dem Hauptlebensberuf waren die 42 Männer in überwiegender Zahl einst landwirtschaftliche Arbeiter oder Landwirte(23). einer war Förster und einer Schäfer. Eine weitere zahlenmäßige Erhärtung der lebensverlän- gerndenWirkungdurchVerbindungmitderfreien Natur gibt eine Aufgliederung nach Stadt- und Landgebürtigkeit: von 122 Hundertjährigen mit preußischen Geburtsorten stammen 31 oder rund ein Viertel aus Städten und 91 oder rund drei Viertel vom Lande. Ein Racheakt? Gelehrter als Devisenschieber denunziert. Seit mehreren Tagen schwebt gegen den bekannten deutschen Schiffsbausachoerständigen, Geheimen Regierungsrat Professor Dr. Oswald Flamm in Bertin-Rikolassee, bei der Staatsanwaltschaft III Berlin ein Aerfahren wegen des Verdachts der Nicht- ablisferung von Divisen Die Anzeige gegen den Ge- lehrten, der im 71. Lebensjahre steht, ist auf Grund einer Denun- ziation zustande gekommen, und zwar glaubt man, daß es sich um einen Racheakt handelt. Unter diesen Umständen prüft die Staatsanwaltschaft vor allem noch die näheren Zusammenhänge, die zu dieser Anzeige gesührt haben, sowie die Frage, ob hier über- Haupt eine schuldhaft« Verfehlung des Geheimrats vorliegt, die zu einem Strafverfahren führen könnte. (Sehsimrat Flamm teilt zu den jetzt öffentlich bekanill ge- wordenen Anschuldigungen folgendes mit: Er habe im Sommer vorigen Jahres, als die Vorschriften über die Devisenablieferung er- lassen wurden, die in seinem Besitz befindlichen ausländischen Geld- sorten ordnungsgemäß bei der Retchsbank angemeldet, die ihm einen kleinen Betrag davon belassen habe, während der größere TeilderSumme abgeliefert wurde. Im Januar sei dann ein Schreiben der Reichsbank gekommen, in dem er aufgefordert wurde, auch den noch in feinem Besitz befindlichen Devisenbetrag anzumelden, und zwar innerhalb einer Frist von fünf Tagen. Dieses Schreiben habe ihn aber nicht persönlich erreicht, weil er zu dieser Zeit auf einer längeren Auslandsreise war, so daß Flamm die Auf- farderung der Reichsbank erst bei seiner Rückkehr Ende Januar zu Gesicht bekam. Inzwischen sei er aber bereits denunziert worden, und es seien Fahndungsbeamte in seiner Wohnung in Niko- lassee erschienen, um die betreffei�en Devisen zu beschlagnahmen. Dabei habe man auch ganz kleine Beträge, deren Existenz ihm gar nicht mehr in Erinnerung gewesen sei und bei denen es sich um Patengeschenke für seinen Sohn gehandelt habe, wie ein englisches Pfund und 199 dänische Kronen, mitgenommen. Von welcher Seite die Denunziation ausgegangen ist, kann sich der Gelehrte, der den Vorwurf einer absichtlichen Verschweigung eines Deoisenbesitzes mit Entrüstung ablehnt, nicht erklären. Mysteriöse Selbsibezichtigung. Frau Hauptmann unter Anklage des Diebstahls. Kriminalpolizei und Gericht kennen falsche Selbstbezichtigungen verschiedenster Art; bei näherem Nachsehen fand sich für sie aber stets eine Erklärung. Nicht so für die Selbstbezichtigung der 42- jährigen Frau Hauptmann D. und des Handelslehrers K., mit der sich das Tckzöffengericht Schöneberg gestern stundenlang abmühte. Der Tatbestand, der ihr zugrunde lag, wie auch die Mo- tive zu dieser Selbstbezichtigung blieben bis zuletzt in Dunkel ge- hüllt.... Im Frühjahr 1929 bezogen zwei Ausländer bei der Frau Hauptmann D. zwei Räume. Sie führten sich unter deutschem Namen ein, befanden sich im Besitz gleichlautender Pässe, hatten ihre Privatwohnungen anderswo, erschienen fast täglich in den Zimmern und erledigten hier irgendwelche Arbeiten. Sie verfügten über größere Geldsummen, machten Auszahlungen, wenn bei ihnen Leute erschienen. Die Frau Hauptmann war der Ansicht, es handle sich um Russen und zwar um Bolschewisten. Im Juli vorigen Jahres verschwanden die Mieter, ohne ihrer Wirtin Lebewohl zu sagen. Im August erschien Frau Hauptmann D. in Begleitung ihres langjährigen Freundes, des Handelslehrer» K. auf dem Polizeirevier und erklärte, sie habe aus der Schub- lade der Mieter außer deren Pässe noch 2999 Dol- lar, 1799 Mark und ein Bündel von 199-Dollar- noten entwendet. Di» Pässe habe K. in Schlachtense« ver- graben, mit einem Teil des Geldes Schulden bezahlt. Diese Aus- sage wiederholten beide mehrmals. Die Polizei stellte fest, daß tat- sächlich zwei Personen längere Zelt Mieter der Zimmer gewesen waren, die Pässe wurden trotz eifrigen Suchens nicht wiedergefun- den: die Hausangestellte bekundete, daß Frau D. eines Tages mit einem Schlüssel das Schubfach ihrer Mieter, in dem sich viel Geld befunden, geöffnet habe. Vor dem Untersuchungsrichter ließen D. und K. chre Selbst- bezichtigung plötzlich fallen: es wäre ihnen im Traume nicht ein- gefallen, bei ihren Mietern Geld zu stehlen. Woher aber die Selbst- bezichtigung? Für die hatten sie folgende Erklärung: Eines Tages nach dem Verschwinden der Mieter seien zwei Herren erschienen. die sich als Kriminalbeamte ausgewiesen und von ihnen vorlangt hätten, sie sollten den Diebstahl des Geldes eingestehen. Sie drohten >nit Erschießen, veranlaßt«« K., mit ihnen zu gehen, führten ihn zu einem Auto, tn dem mehrere Personen saßen und fuhren Ihn bis Schneidenuihl. Unterwegs wiederholten sie ihre Forderungen und Drohungen. Dann machten sie kehrt und setzten K. im Grunewald ob. Bei diesem Märchen blieben die Angeklagten auch vor dem Schöffengericht Schönebcrg. Das Gericht sprach beide Angeklagte frei. Nicht etwa, well es nur ein Wort von alledem, was sie erzählten, geglaubt hätte. Im Gegenteil, es hielt die Selbstbezichtigung für glaubwürdiger. Es sagte sich aber, die Sache ist reichlich verworren, einen Kläger gibt es nicht, da ist es schon besser, die Angeklagten laufen zu lassen. Der Zuhörer fragt sich aber: Soll es denn wirklich bloß Zufall fein, daß sich die Derhältniffe der Angeklagten ausgerechnet nach dem Per- schwinden der beiden Mieter wesentlich gebessert haben? Wer waren aber die beiden Ausländer, woher das ausländische Geld, und was waren es für Leute, denen sie die Gelder ausgezahlt haben? Eine äußerst mysteriöse Angelegenheit. Der Drang zur Selbstbezichtigung dürfte aber seine Erklärung in dem Umstände finden, daß beide Angeklagten Kotainisten waren. Verteidiger für Kahenellenbogen. Angeblicher Druck der Reichsregierung auf Staats- anwaltfchast. Im Echultheiß-Patzenhofer-Prozeß plädierten am Sonnabend die Rechtsanwälte Dr. Asch und Dr. D i x für Gene- raldirektor Katzencllenbogen. Rechtsanwalt Dr. Dix meinte, daß Katzenellenbogen keine kriminelle Persönlichkeit, sondern der Ex- ponent eines Wirtschaftsgeschlechtes sei. Dr. Dix erhob dann An- griffe gegen den Bankdirettor von Stauß, dessen Auftreten in der Verhandlung gewirkt habe, als ob ein Elefant tn den Porzellanladen gekommen fei. Dr. Dix ließ ferner durchblicken, daß die Reichs- r e g i e r u n g auf die Staatsanwaltschaft einen Druck aus- geübt Habs, gegen Katzenellenbogen Anklage zu erheben. Land- gerichtedirettor B e t h g c wies diese Andeutung des Verteidigers energisch zurück. Die Verteidigerplädoyers werden am Dienstag fort- gesetzt werden und wahrscheinlich noch alle Ettzungstage der nächsten Woche in Anspruch nehmen. Mit dem Urtell in diesem Prozeß dürfte daher wähl erst zu Anfang der übernäcksten Woche gerechnet werden._ Oie Mordwaffen in der Spree . Der Raubmord an dem Fouragegroßhändler Julius Meyerhardt ist jetzt restlos aufgeklärt worden. Inzwischen ist auch die Mordwaffe und die Pistole gefunden worden, die der Ermordete stets bei sich geführt hatte. Aus der Spree zwischen Dom und Börse wurden die beiden Pistolen, die in eine schwarze Gesichtsmaske gewickelt waren, von einem Taucher an die Oberfläche geholt. Die Beute tonnte gleichfalls zum größten Teil wieder herbeigeschafft werden. Mehrere hundert Mark hatte Rühlow, wie schon kurz mitgeteilt, in einem Einmachegla» d e i H eigenste oergraben. Dort wurde das Geld auch gefunden. Die jugendlichen Mörder, Söhne achtbarer Eltern, find nach ihren Geständnissen völlig zusammengebrochen. Die Reichsbahn gegen die Siedler? Verschieden« Zuschriften an uns aus Kreisen oer Siedler führen lebhaft Klage darüber, daß die Reichsbahn den Umtausch der neuen Sledlerkarten rigoros handhabt. Während srüher auch Ange- hörige des Siedlers, auch wenn sie nicht im Haushalt des Siedlers wohnten, anstandslos eine Ermäßigung erhielten, weigert sich setzt die Reichsbahn, die Karten zu erneuern. In einem be- sonderen Falle handelt es sich um einen 62jährigen kranken und arleitslosen Mann, der auf die Hllfe seiner erwerbslosen Söhn- angewiesen ist. Erhalten Lies« nicht den ermäßigten Fahrpreis, kann kann der Mann sehen, wie er fertig wird oder er muß seine Parzelle verkaufen. Gibt es bei der Reichsbahn nicht einen Dienst am Kunden? Eine Rundsunkmorgenfeier des Arbeiler-kuliur-karteUs findet heute, Sonntag, von 11 big 11,39 Uhr. statt.„Bruder, reiche dem Bruder die Hand." Ansprache Dr. Karl Schröder. Einmal doch wird die Stunde kommen(Julius Zerfaß ), gesprochen von Marcha John. Die heilige 2lllian,z der Völker(Veranger). Ein bös' und bissig Tier ist der Krieg(Karl Mcinbera).(Aus der dramatischen Dichtung Jeremias von Stefan Zweig .)«prechchor für Prole- tarische Feierstunden. Leitung: Albert Florath . Musikalische Akzente: Klavier, Trompete, Trommel, Pauke. Aus dem Russischen(ibertragen von Werner Bsrgengruen. Einerlei, wie oft ein Arrestant aus einer Hand in die andere, von der Eskorte an die Gefängnisverwaltung über» geht, und umgekehrt— unter allen Umständen wird er jedes» mal von neuem einer Leibesvisitation unterworfen. Man hätte meinen sollen, jede Gefängnisbehörde hätte von der Charkower Eskorte ruhigen Gewissens ihre Gefangenen über» nehmen können, ohne zu fürchten, daß der eine oder andere irgend etwas Beanftandenswertes bei sich haben könnte. Aber in den Augen der Kursker Gefängnisdirektion schien Nicht einmal das Charkower Begleitkommando zuverlässig genug zu sein. Wir mußten uns nackt ausziehen. Sie tasteten alle Fallen unserer Wäsche ab, in denen doch außer Läusen nun wirtlich nichts stecken konnte. In den Luinpen der Häftlinge, in den fiskalischen Segelwchkitteln der Zwangsarbeiter durch- wühlten sie alle Nähte und Falten. Sie untersuchten Stiefel und«schuhe, die Schutzhüllen unter den Fesseln und die Mützen. Als der Borratsfack des Mannes ohne Gedächtnis an die Reihe kam, schütteten sie seinen ganzen Zucker auf den noch mit Tabakresten bedeckten Tisch, und nachdem sie ihn gehörig im Tabakstaub umhergewälzt hatten, schütteten sie ihn wieder in den Sack.zurück und schimpften dabei über die große Menge Zucker und Tabak, die der alte Tippelbruder mft sich führte. Nachdem wir einige Stunden auf dem Korridor zuge» bracht hatten, wurden wir.zu den Zellen geführt. Die Zwangsarbeiter blieben für sich, alle übrigen kamen in eins einzige große Zelle, die schon ein paar Leute beherbergte. Wir stürzten hinein, jeder suchte sich schnell einen Platz auf dem Pritschengestell zu sichern, weil gewöhnlich die Plätze nicht ausreichten und viele sich auf dem Fußboden lagern mußten In der Furcht, den einzigen hier möglichen Kom» fort entbehren zu muffen, den Platz auf dem Pritschengestell, stürzte sich ebenfalls rasch auf die Pritschen zu und fand ein Unterkommen in der Nähe des Mannes ohne Gedächtnis und einiger anderer, die für mich jetzt schon alte Bekannte waren. Nach der gestrigen schlaflosen und qualvollen Nacht, nach der stundenlangen Regungslosigkeit und Nervenanspannung hatte die Aussicht, sich hinzulegen, die Beine von sich zu strecken und sich womöglich auszuschlafen, etwas Herrliches und Verführerisches. Ich ertappte mich zu meiner Verwun» derung auf dem Gedanken, was denn hier im Kursker Ge- fängnis so schrecklich sein sollte? Hier war es wunderschön, es gab Pritschen, es gab ein Plätzchen, wo man sich ausruhen und schlafen konnte. Alles in der Welt ist relativ! Was für viele ein Gegenstand des Entsetzens gewesen wäre, das er- schien mir jetzt als Beglückung. Wäre ich nur wenige Tage srüher hierhergekommen, so wäre ich in Verzweiflung geraten, aber jetzt war es mir im Grunde ganz behaglich zumut. Man konnte sich sogar unterhalten, natürlich nicht zu laut. Alle begannen es sich bequem zu machen, richteten sich an dem neuen Orte ein und suchten sich aus ihren Kleidungsstücken und was sie sonst noch an Gelumpe mit sich hatten, eine Art Nachtlager herzurichten. Viele legten sich gleich zur Ruhe, ohne erst den vor dem Schlafengehen üblichen Vernichtungs- krieg gegen ihre Läuse unternommen zu haben. Unter den Gefangenen, die wir in der Zelle bereits vor- fanden, war ein hochgewachsener, stattlicher Greis mit einem gewalligen Bart, ein Mann von gesetztem und ehrbarem Aussehen. Er erhob sich von seinem Platz, ging in der Zelle auf und ab und erkundigte sich bei den Ankömmlingen, wer man war, woher man kam, was man angestellt hatte. Er berichtete:„Ach, Kinder, hier ist es arg! Dos Schlimmste ist, sie hauen einen. Nur so, für nichts und wieder nichts. Stecken einen in die Strafzelle, geben einem da nichts zu fressen und lassen einen lange drin." Er redete im Flüsterton und warf dabei ab und zu einen ängstlichen Blick auf die Tür. „Du dankst dir nichts Böses, plötzlich geht die Tür auf. kommt so einer in die Zelle gesaust, schreit:„Wer hat hier Radau gemacht? Antwort! Wer hat hier Radau gemacht?" Keiner sagt einen Ton, naturlich. Er nimmt sich den ersten besten vor— plauz— plauz in die Fresse. Warum, wozu. kein Mensch hat eins Ahnung. Und dann plötzlich in die Strafzelle. Wartet nur. ihr werdet ja selbst sahen." Andere Asteingesessene wußten Aehnliches zu berichten: „Rauchen darf man nicht, zu fressen geben sie einem nichts, aber in die Fresse kriegt man!" Schon wieder die Fresse! Wie oft hatte ich in diesen wenigen Tagen gesehen, wie jemand„in die Fresse" geschlagen worden war und wie oft hatte ich davon erzählen hören! Mit diesem Wort«Fresse" hat es schon seine Bewandtnis. Handelt es sich um Schläge, so gibt es plötzlich kein Ge- ficht mehr, sondern nur noch die Fresse. Ich dachte: unser gesegnetes Land ist das einzige in der Welt, wo man einen so oft und aus nichtigen Gründen oder überhaupt ohne jeden Grund in die Fresse haut. Dies„Jn-die-Fresse-hauen" ist dem Russen in Fleisch und Blut übergegangen. In Rußland hat man seit Urzeiten gehauen. Gel>auen wurde unter dem Zaren Iwan dem Schrecklichen. Der Zar selbst haute und seine gefürchteten Leibwächter hauten. Gehauen wurde unter Boris Godounow, gehauen wurde unter Peter. Und Peter selbst haute gern in die Fresse. Gehauen wurde unter Katha- rina. Ich weiß nicht, ob sie eigenhändig zuschlug, aber ihre Handlanger schlugen jedenfalls ganz verdammt zu. Paul schlug eigenhändig und oft in allerlei Fressen. Die Guts- befiger hauten, die Verwalter hauten, die Landgendarmen hauten, die Polizeioffiziere hauten, die Krslechefs hauten. Hauen taten die Reoiervorsteher, die Schutzleute, die Ge- fängnisdirektoren, ihre Inspektoren und Aufseher. Hauen taten die Handwerksmeister und die Handwertsgesellen. Hauen taten die Kompagniechess, die Zugführer, die Kor- poralfchafts- und Gruppenführer. Hauen taten die Feld- wsbel. Beim Militär haute alles vom Portepeeunteroffizier bis zum General. Jeder haute jeden in die Fresse, von dem nicht ebenfalls einen Hieb in die Fresse zu besorgen hatte. Manche hauten auch nur so, ganz ohne Grund, einfach aus Liebe zur Kunst, sie hauten, um einem etwas anzutun, sie hauten, weil ihnen selbst etwas angetan worden war, sie hauten zur Strafe zur Erziehung, zur Erbauung. „Na. dem habe ich aber in die Fresse gehauen!" „Du willst wohl was in die Fresse?" „Im nächsten Augenblick hast du was in der Fresse sitzen!" Ach. du robust«, vielgeprüfte, trainierte, an alles ge- wohnte russische Fresse! In der Zell « schlief fast schon alles. Nur in der dunklen Ecke beim Fenster kniete der Aste und betete unter vielen Be- kreuzungen und Verneinungen. Dann legte auch er sich schlafen. Irgendwo schrie jemand im Schlaf auf. Irgendwo knirschte jemand mit den Zähnen. Im Korridor ging, regel- mäßig wie ein Uhrzeiger, der Ausseher hin und her und klirrte mit seinem Schlüsselbund. (Fortsetzung folgt.)
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