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Beilage Montag, 7. März 1932

ligzda- Der Abend

Blutiger Wahlauftakt

Spalausgabe des Vorwärts

Ein Toter und mehrere Schwerverletzte- 235 Personen festgenommen

Am geffrigen Sonntag, der bereits in den frühen Morgen­flunden eine äußerst rege Wahlpropaganda erkennen ließ, fam es zu mehreren blutigen Schießereien und Schlägereien. Ein natio­nalsozialist wurde erschossen und mehrere Rechtsradikale durch Schüsse erheblich verletzt. Insgesamt wurden 235 Per­jonen wegen verschiedener Delifte festgenommen und der Politischen   Polizei übergeben. 140 Feffgenommene befinden sich zur Zeit noch im Polizeigewahrsam, aber nur ein kleiner Teil dürfte noch im Laufe des heutigen Tages entlassen werden, da noch zahl­reiche Verhöre vorgenommen werden müssen und viel Material zu fichten ist. In mehreren Fällen wurden Reichsbannerleute von Hafenkreuzlern überfallen. Die Angriffe fonnten zum größten Teil erfolgreich abgewehrt werden, nur in Moabit  , am Bahnhof Bellevue, wurden zwei Reichsbannerfame­raden von einer nationalsozialistischen Horde um­3ingelt und durch Schläge am Kopf so schwer verletzt, daß beide ins Moabiter Krankenhaus gebracht werden mußten.

Kurz nach 7 Uhr früh wurden Nationalsozialisten, die in der Choriner Straße Flugzettel verteilten, von Kom munisten beschossen. Dabei wurde der 46 Jahre alte Tele­graphensekretär Otto Ludwig   aus der Uedermünder Straße 6 durch einen Kopfschuß getötet. Als die Polizei eingriff, eröff­

Wählt Thälmann...

Oder: Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus!

neten die flüchtenden Kommunisten auch auf die Polizeibeamten Pistolenfeuer. Mehrere Kommunisten wurden festgenommen, von dem Täter fehlt bisher aber jede Spur. Eine weitere blutige Schießerei spielte sich in der Siemensstraße in Moabit   ab. Dort gerieten Hakenkreuzler mit Kommunisten in Streit. Im Ber­laufe der Auseinandersehung wurde der 23 Jahre alte Karl Schmiegel aus der Wilhelmshavener Straße 57 durch einen Brustschuß niedergestreckt. Als mutmaßlicher Täter wurde der 23 Jahre alte Kommunist Franz Schent festgenommen. Eine andere Schießerei gab es am Rottbuser Tor. Eine Gruppe Nazis wurde dort angeblich aus dem Hinterhalt beschossen. Als die Poli­zei eintraf, war von den Schüßen keine Spur mehr zu entdecken. Einige Zeit später gerieten Rechts- und Linksradikale an derselben Stelle abermals in ein Handgemenge. Dabei erlitt der 30jährige Gerhard Blank, Kottbuser Damm 93, mehrere Stichverlegungen. Schließlich wurde noch in Köpenid, in der Müggelheimer Straße der 20 Jahre alte Otto Schramm aus der Müggelheimer Straße 50 bei einer Schlägerei mit Kommunisten durch mehrere Messerstiche lebensgefährlich verlegt. Sch. fand im Köpenicker  Krankenhaus Aufnahme. Der Täter ist bekannt, aber noch flüchtig. An einigen Stellen mußte die Polizei gleichfalls zur Schuß­waffe greifen, da kommunisten auf die Beamten feuerten, um dadurch ihrer Festnahme zu entgehen. So weit bekannt ge­worden ist, wurde ein Kommunist in der Kastanienallee im Norden Berlins   durch einen Schuß verlegt. Der Mann wurde zur nächsten Rettungsstelle gebracht und verbunden. Von dort entfernte er sich jedoch ohne seine Personalien anzugeben.

Nazis als Straßenräuber.

Beim Abmarschieren zum Lustgarten überfielen Ratio­nalsozialisten eine Arbeiterjugendgruppe am Bahn­hof Wilmersdorf- Friedenau. In einer fünffachen Ueber­macht schlugen sie auf unsere jungen Genoffen ein und stahlen ihnen zwei große rote Fahnen. Hinzueilende Passanten und Bahnbeamte befreifen die bedrängten Jugendgenoffen. Das Ueberfallkommando fonnte einige Täter ermitteln, die Fahnen waren jedoch spurlos verschwunden. Es handelt sich auch hier wie­der um einen geplanten Ueberfall, der feinen Ausgang von der berüchtigten SA.- Kaserne am Ringbahnhof Wilmersdorf­Friedenau aus fand.

Bon Reichsbannerkameraden aus dem Bezirk Kreuzberg   wird uns zu einem Naziüberfall auf Jungbannertame= raden in der Hagelberger Straße mitgeteilt: Die ver­schiedenen Ueberfälle auf fleinere Trupps von Reichsbannerfame­raden waren ohne Zweifel systematisch angelegt. Wenn ein fleinerer

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Trupp Reichsbannerkameraden beim Anmarsch zur Sammelstelle| verübte 1923 auf einen Zigarrenhändler Hermann, der mit Spehrer Fememord ein Nazilotal paffierte, alarmierte ein nationalsozialistischer Wacht Mitglied des ehemaligen Selbstschutzes war, einen Fe me mord posten seine Spießgesellen, die dann in Uebermacht herausstürzten und erhielt deshalb 6 Jahre Zuchthaus! Jegt ist er Nazi­und auf die Kameraden einschlugen. Kam Polizei, dann stoben die sturmführer in Breslau  . Raufbolde nach allen Richtungen auseinander und standen bald wieder mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt an der Theke, um auf die Möglichkeit eines neuen Ueberfalles zu warten. Vor allem hatten es die Nazis auf die Musikinstrumente der Reichsbanner­fameraden abgesehen, von denen mehrere durch die Uebermacht ge­Als das Reichsbanner Kreuzberg am stohlen wurden. Bahnhof in Tempelhof   aufmarschierte, tamen mehrere Kameraden Sie von der Rettungsstelle, wo sie verbunden worden waren. der eine hatte ließen es fich trotz ihrer schmerzenden Wunden nicht große Pflaster an der Nase, am Kopf und im Nacken nehmen, in Reih und Glied zu treten und mitzumarschieren.

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Hitlers   Ehrengarde.

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Fememörder- Zuchthäusler- GA Mann- neuer Mord! Breslau  , 7. März.( Eigenbericht.)

In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag fam es in einer Gaststätte in der Breslauer Südvorstadt zu schweren Ausschreitun­gen. Im Verlauf eines Wortwechsels zwischen Nationalsozia listen und Andersgesinnten feuerte plöglich ein SA.- Mann Spehrer einen Schuß in die Decke. Als man daraufhin den Schützen vor die Tür sehen wollte, erhob der SA.- Mann die Pistole zum zweiten Male und traf den Gastwirt, der den Streit hatte schlichten wollen, in den Bauch. Spehrer wurde in das Ge­richtsgefängnis eingeliefert. Er ist in Breslau   aus früheren Jahren als hemmungsloser Mensch und politischer Verbrecher bekannt. Er

Mit welcher Frechheit die Nazis ihre Gegner provozieren, be= weist ein Zusammenstoß, der sich am Sonntag nachmittag um 3 Uhr unmittelbar am Hauptportal des Messehoses, in den Tausende von Menschen zu einer Kundgebung der Eisernen Front strömten, ab­gespielt hat. Mitten im dichten Gedränge fielen mehrere National fozialisten über einige Reichsbannerleute her. Einen Reichsbanner­mann streckten sie durch Schlag gegen den Magen zu Boden, während Die Rohlinge zwei andere von ihnen blutig geschlagen wurden. wurden von der Polizei verhaftet.

Wo Hitler Regierungsrat   ist.

Messerstecher als Wahlpropagandisten.

Braunschweig  , 7. März.( Eigenbericht.) Aus dem ganzen Lande werden systematische Störungs­versuche und Ueberfälle bewaffneter Nazis auf Kund­gebungen der Eifernen Front gemeldet; in den meisten Fällen werden jedoch die Störenfriede heimgeschickt. In Leiferde   bei Braunschweig  überfiel eine mit einem Castwagen gefommene Klebekolonne der Nazis Arbeiter, die von einer Kundgebung der Eisernen Front heim­tehrten. Zwei von ihnen wurden durch Messerstiche in den Bauch und in den Kopf schwer verletzt, so daß sie in das Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Die Nazis hatten die nummer des Caftwagens durch Sadleinen verdedt.

Kampf gegen die Geisteskrankheiten

Zum 75. Geburtstag Prof. Wagner- Jaureggs

Am 7. März wird Prof. Wagner- Jauregg  , Wien  , ein Bahn-| brecher der modernen Medizin, 75 Jahre alt. Weit über die Grenzen des Aerztestandes hinaus erweckte er allgemeines Interesse durch jeine neue Behandlungsweise der progressiven Baralyse durch Imp­fung, für die er im Jahre 1928 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Das Aufhorchen und der allgemein zustimmende Widerhall für diese Auszeichnung war besonders start, weil es Wagner- Jau­ regg   gelungen ist, die erste Bresche in ein Gebiet menschlichen Elends zu schlagen, demgegenüber bisher alle therapeutischen Be­mühungen vergeblich waren. Denn bisher erschöpfte sich die ärzt liche Behandlung der eigentlichen Geistestrantheiten im wesentlichen in geeigneter Pflege, in Abdämpfung der Erregungs zustände und leberwachung in den Anstalten, ohne daß eine direkte Beeinflussung des Krankheitsprozesses selbst möglich gewesen wäre. Dabei sind die sekundären Auswirkungen gerade der Geistestrant­heiten für die Umgebung größer und schwerer als bei irgendeiner anderen Krankheitsgruppe. Oft bricht die ganze soziale Eristenz einer Familie damit zusammen, vor allem, wenn diese gerade auf der Arbeit des Erkrankten beruhte.

Alle diese Momente spielen mun getade bei der Paralyse eine besonders große Rolle, diese Krankheit, die meist den Berufs tätigen im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt befällt, den Menschen, der mitten im Erwerbsleben steht. Bis vor zehn Jahren galt es als Dogma, daß die progressive Paralyse eine fortschreitende, un­heilbare Krankheit ist, daß der an ihr Erkrankte in wenigen Jahren stirbt. Die Hoffnungen, die man nach Ehrlichs Entdeckung des Sal­varsans auch für die Behandlung der Paralyse hatte, haben sich nicht erfüllt. Die Erfolge der Behandlung mit Salvarsan ergaben keine befriedigenden Ergebnisse. Da begann nun Wagner- Jauregg 1917 erstmals in systematischer Weise und mit ausgesprochen thera­peutischer Absicht Paralytiker mit Malaria zu impfen und be­gründete damit die sogenannte Fiebertherapie, die sich heute rück­haltslose internationale Anerkennung erworben hat.

Die einzelnen Etappen, die der Umsetzung dieser Idee in die Pragis vorausgingen, sind nicht uninteressant. Den empirischen Aus­gangspunkt der Fiebertherapie bilden alte Beobachtungen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen, wonach gelegentlich nach Er­frankungen, die mit hohem Fieber einhergehen, überraschende und ungewöhnliche Besserungen, ja, Heilungen einzelner schwerer Geistes­störungen eintraten. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts mehrten sich derartige Beobachtungen, und 1887 erschien von Wagner- Jau­ regg   eine Arbeit Ueber die Einwirkung fieberhafter Erkrankungen auf Psychosen", in der der konkrete Vorschlag gemacht wurde, zu Heilzwecken fünstlich Infektionskrankheiten zu setzen. Er schlug da­bei Versuche mit Malaria, Rückfallfieber( Recurrens) und Erysipel ( Wundrose) vor. Die Vorschläge wurden ob der Kühnheit des Ge­dankens kaum diskutiert. Wagner- Jauregg   selbst wandte sich nach einigen mißlungenen Versuchen von der Impfung mit attiven Krant heitserregern ab und versuchte nun mittels Tuberkulin- Injektion bei Baralysen Fieber zu erzeugen. Später wurden noch andere Bat­terienstoffe hierzu verwandt. Die Erfolge waren beachtenswert, aber wechselnd; allgemeine Anerkennung errang sich diese Methode nicht. 30 polle Jahre aber nach seiner ersten Arbeit, in der er vor allem Versuche mit der Uebertragung von Malaria empfahl, setzte Wagner- Jauregg   dann seine eigenen Ideen in die Praris um, und zwei Jahre später, 1919, wurde dann von Plaut und Steiner die Infektion mit dem Erreger des Rückfallfiebers bei Paralytikern vor­genommen, allerdings von anderen theoretischen Vorstellungen aus, als sie ursprünglich Wagner- Jauregg   hatte. Es zeigte sich, und hat fich im Laufe der Jahre immer mehr gezeigt, daß mit beiden Metho­den Heilerfolge erzielt werden können, die vordem nicht im ent­ferntesten erreichbar waren.

Die Gefahren dieser auf einfache Weise übertragbaren Infef­tionskrankheiten sind gering, vor allem, wenn man nicht die schon durch die Paralyje als solche törperlich hinfällig und widerstandslos

gewordenen fortgeschrittenen Paralysen impft. Die Malaria ist jederzeit prompt durch Chiningaben abzustoppen, falls gefahr­drohende Zustände eintreten sollten. Die Erfolge, was Zahl, Dauer ( und Grad der Heilung anbelangt, find um jo heller, in je früherem Stadium die Behandlung einjeßt. Der Beginn der Besserung fällt meist in die Zeit nach Abschluß der Kur, die selbst durchschnittlich zwei Monate dauert, ja, es ist nicht so selten zu beobachten, daß zu­nächst die Impfung mit Malaria oder Recurrens nicht den gering­sten Wert zu haben scheint, daß aber dann nach einem Jahr oder noch später eine überraschende Besserung eintritt.

Eine prozentuale Berechnung der Erfolge dieser Therapie zu geben ist nicht ganz einfach. Die Zahlen sind unterschiedlich, je nachdem man nur beginnende, also für die Behandlung besonders günstige Fälle als Beobachtungsmaterial hat oder aber alte, weit fortgeschrittene Paralytiker. Berechnet man die Erfolge nach der Berufsfähigkeit, wie dies meist geschieht, so wird man wiederum unterscheiden müssen zwischen der Berufsfähigkeit für einfache Be­rufsarten und solche für hochwertige, die eine erhebliche geistige Leistungsfähigkeit vorausseßen. Wenn also hier Zahlen gegeben werden, so handelt es sich um Durchschnittszahlen. Diese aber er­geben nach den bisherigen Beobachtungen verschiedenster Untersucher an einem, mehrere 1000 Fälle betragenden Material von verschieden ster Dauer und Schwere an wieder berufsfähig gewordenen Paraly­tikern, die also als praktisch geheilt angesehen werden dürfen, etwa 30 bis 35 Proz. Die Zahl der unvollkommen Gebesserten, die nur zu einfachsten Arbeiten zu gebrauchen sind, aber ohne Schwierig­feiten zu Hause behalten werden können, beträgt etwa 20 Pro3., während der Rest weiterhin anstaltsbedürftig bleibt. Soweit sich bis jezt übersehen läßt, kommt zwar Rückfall in die Krankheit vor, im allgemeinen halten aber eingetretene Heilungen an. In letzter Zeit hat man begonnen, Malaria und Recurrens miteinander zu kom­binieren, so daß also bei mangelndem Erfolg nach der Malariakur noch das Rückfallfieber gesetzt wurde und umgekehrt.

Natürlich sind die zur Zeit erreichten Erfolge noch nicht ideal. Dies wären sie erst, wenn in jedem Falle eine Heilung einträte. Aber es ist ein Weg beschritten, der praktische Erfolge aufweist, weil fie vor 15 Jahren noch für unmöglich gehalten wurden. Dr. K. Beringer.

Mahler Matinée in der Boltsbühne.

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Mahlers, Siebente" ist ein ungeheurer sinfonischer Kom­pler, der( bei aller konstruktiven Logik des Meisters) infolge der räumlichen Dimensionen, der Fülle der verschiedensten Details, der Häufung entgegengesetter Stimmen die Tendenz hat, auseinander­zufallen richter: nicht sinfonisch, nicht zusammen gehört zu werden. Diese Gefahr vermag nur ein Dirigent zu bannen, der Mahler innerlich nahesteht, der all dies Glühende, Ekstatische, Be fenntnishafte, all dies Persönliche, Allzupersönliche nicht nur zu gestalten, der es auch gleichsam zu improvifieren vermag, der im­ftande ist, Objektivität und Subjektivität in ein fruchtbares Gleich gewicht zu bringen. Scherchen   ist nicht der Mann dazu; er hat so scheint es wenigstens nur ein sehr fühles Verständnis zu Mahler, den nur ein von ihm Besessener ganz erfaßt; er steht ihm innerlich fern und rückt damit damit auch das Werk in eine unfaß­bare Ferne, die es unzeitgemäßer erscheinen läßt, als es wirklich ist... Der Dirigent ist hier viel mehr als sonst, im anderen Sinn als sonst der entscheidende Faktor: eine Aufführung, bei der er versagt, im Sinne Mahlers versagt, vermag nur der Legende vom überwundenen Mahler   neue Nahrung zu geben, statt die Gewalt der Edsätze, das flimmernde, flirrende Scherzo, die traumhafte Schön­heit der beiden Nachtmusiken Erlebnis werden zu lassen. Vor der Sinfonie fang Ida Hart- zur- Nieden mit schöner Stimme und warmer Empfindung des Meisters Kindertotenlieder.

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A. W.