3Ir. 117• 49 Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Donnerstage 10 Mörz 19Z2
Der Staat als Unternehmer. Ote volkswirtfchafiltche Bedeutung der öffentlichen Wirtschast.- Ein Buch von Or. Staudinger
„Seit der zunehmenden Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Besamtloge ist die öffentliche Unternehmung zum Spielball oberflächlicher Schlagworte in einem erbitterten Interessenkampf geworben. Der Wunsch, durch den Versuch einer leidenschaftslosen Darstellung der staatlichen Unter- nehmertätigkeit In Vergangenheit und Gegenwart, den Boden für eine sachliche Erörterung bereiten zu helfen, hat den Verfasser veranlaßt, der Aufforderung der Herausgeber zur Mitarbeit an dieser Schriftenreihe nachzukommen."(Aus dem Vorwort.) Mit diesen Worten begründet Genosse Dr. Staudinger, Staats» sekretär im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe, das Erscheinen seiner Schrift„Der Staat als Unternehmer"(6. Band in der von den Genossen Ministerialrat Goslar und Ministerialrat Dr. Hirschfeld herausgegebenen Schriftreihe..Du und der Staat". Verlag Gereboch u. Sohn, Berlin , 99 Selten, Preis 1,25 M). Aber die Schrift ist eine Ueberrafchung! ihr Wert geht weit über die angekündtgt» bescheidene Ab» ficht hinaus, eine belehrende und meinungsschlichtende Aufgabe zu erfüllen. Für den. der im wirtschaftepolttischen Kampf steht und der lesen kann, ist sie»in» st a a t« m ä» n> s ch e Schrift, die ohne ausdrückliche Formulierung— das ist durch die Beamten» stellung de» Verfasier» erschwert— aber mit um so wuchtigerer Wirkung die These mit historischem und Tatsachenmaterial belegt. dah der Staat den Primat der Wirtschaftsführung immer halte und heute erst recht für sich iu Anspruch nehmen muh. Staudinger ist kein Professor. Ein Professor hätte drei, vier, schließ» lich von wenigen gelesene Bände aus dem von Staudinger be» arbeiteten Daten gemacht. Staudinger ist«in Frontoffizier der Staats- und öffentlichen Wirtschast, neben seinem Minister der ent- scheidende Disponent aller preußischen Staatsunternehmungen und ein Hauptverantwortlicher der staatlichen Wirtschaftspolitik im Reich überhaupt. So konnte Staudinger stisches pulsendes Leben mst der Sonde eigener umfassender Erfahrungen gestalten, und die knapp hundert Seiten seiner absolut tendenziös entworfenen Schrift sind durch Staudinger» doppelten Crfahrungsreichtum für den interessierten Leser zu einem ungeheuer aktuellen Plädoyer für dt« führend« Funktion de» Staat» in der Volkswirtschaft geworden. Daß Staudinger als Wissenschaftler und Staatsfunktionär«» für eine Ehrenfrag» hält, volkswirtfchastliche Stotwendigkeiten nie durch privatwirtschaftliche Zugeständnisse oerkümmern zu lassen, tonnte die Aktualität und Bedeutsamkeit der Schrift nur erhöhen. Die Schrift hat einen historischen,»inen darstellenden und einen wegweisenden Teil. D'« größte Arbeit steckt sicher im darstellenden Teil: doch konnte hier— außer der bisher selten gegebenen Zu» samntenfassung von staatlicher und kommunaler Unternehmer- tätigtest— nicht» wesentlich Neue» geboten«erden; denn Tatsachen sind in Deutschland schon immer sehr sorgfältig registriert und ge» ordnet worden. Aber schon der h i st o r l s ch e Teil— übrigens wohl der erste Abriß spezifisch preußischer Staatswirtschaft»» und Unternehmungsgeschichte— ordnet die Tatsachen zu der über- zeugenden Erkenntnis, daß e» einen Primat der Privat» Wirtschaft, wie er heut« verlangt wird, vor der staatlichen Wirtfchastslenkung nie gegeben hat. Der erste und größte Unternehmer war über» Haupt der Staat, und gerade unter„Fridericus Rex" erfolgte die stärkste Entwicklung der Wirtschost durch den Staat. Der Erzbergbau, der Steinkohlenbergbau an der Ruhr und in Schlesien , die ersten größeren Hüttenwerke, sie sind staatliche Grün- düngen. Für chie Kletneisen- und die Textilindustrie gilt dasselbe. In der Zeit, in der der L i b e r a l i s m u s dem Staat die Rolle de»„Nachtwächters" zuteilen wollte, finanzierte die staatlich- preußische Seehandlung(die heutige Staatsbank) den ersten beut- schen Industrieexport und den Import der ausländischen Rohstoff«. Ein Bericht de» Seehandlungspräsidenten Rother von 1841 nennt Kammgarnspinnereien. Woll- und Baumwoll» Webereien. Zinkwalzwerk«, Maschinenbauanstalten. Eisen- und Stahlguhwarenfabriken, Flachssptnnereien. Papierfabriken und chemische Fabriken, die die staatlich-preußische Seehandlung mst mittel, und langfristigen Krediten finanziert, teilweise allein ge- gründet hat und an denen sie hoch beteiligt war Die Dampfschiff» fahrt auf der Spree . Havel und Elbe ist ebenfalls eine Gründung
der Seehandlung. Das geschah noch in der Zeit des Liberalismus, als der Staat, wie es die Geschichte heute lehrt, der Wirtschaft alle Freiheit gegeben hatte Der Drivatkapitalismus ist es also nie gewesen, der die heutige Volkswirtschaft„»»'wickelt" hat. Die wichtigsten Volkswirt- schaftlichen Interessen muhten ober auch dann vom Staat wahr- genommen werden, als der Kapitalismus feine hächste Blüte erreicht hatte, denn die„Freiheit der Wirtschaft" führte sofort zu monopolistischem Mißbrauch und zur Vernachlässigung wirt-[ schaftlichcr und sozialer Notwendigkeiten, die keinen Vrofit ab- warfen oder bei denen das Risiko zu groß war. Der Staat mußte seit den neunziger Jahren Kohlen- und Kaliunter- nehmer in größerem Maßstab« sein, um den M o n o p o l m i ß» b r a u ch zu begegnen, er muhte der Kapitalverschleuderung im Kalibergbau durch sein Machtwort ein Ende sehen, er mußte die Elektrizitätswirtschaft westgehend in die Hand nehmen, den land- wirtschaftlichen Kredit, die öffentliche Wohnunqsbauförderung organisieren und allein die Milliardensxartraft der Volksmassen für � „die Wirtschaft" fruchtbar machen Ueberall versagte hier das Prinzip der freien Wirtschaft, versagten auch die Hebel der Unter- nehmerinitiative und de» Profits. Mitten in die unerhörten Staatseingriffe der allerjüngsten Zest führt die Darstellung der heutigen Aufgaben und Funktionen der öffentlichen Unternehmung, tm dritten, dem wegweisenden Teil des Staudingerfchen Buche». Daß es purer Mangel an historischem Wissen und Verständnis, schlechter Wille und offener Profit» n« i d sind, die heute die staatliche Unternehmertätigkeit als wirt- schaftsschädlich denunzieren, ergibt sich bei Staudinger als sichere Erkenntnis. Die Existenzberechtigung der öffentlichen Unternehmung liegt aber nicht allein in ihrer Leistungsfähigkeit, so heißt es bei der Darlegung der volkswirtschaftlichen Funktion der staatlichen Unter- nehmertätigkeit, sondern auch„in der Ausrichtung ihrer Wirtschaftstätigkeit auf die Allgemeinheit, in chrer Gegenwirkung gegen die nun einmal naturnotwendig ein- festigen Interessen des Privatunternehmens". Daß der Grundsatz der Rentabilität streng zu beachten ist, ohne daß da« Renteninteresse j Selbstzweck sein darf, daß«ine dauernde Prüfung der Kostenge» staltung und weiteste Publizität nötig sind, sind für Staudinger Selbstverständlichkeiten.
Der w i ch t i g st e A b s ch n i t t ist aber der letzte de« drstten Teil», der die Aufgaben der öffentlichen Unternehmungen in der nächsten Zukunft behandelt. An den Beispielen des Verkehrswesens, der Energieversorgung und der Kreditwirtschaft wird die Notwendig- keit entwickelt, daß die Unternehmsrtätigkeit des Staats sich nach gesamtwirtschaftlichen Planun» gen auf allen einzelnen Gebieten zu orientieren hat und daß öffentliche Wirtschaft und staatliche Wirtschaftsplanung als Einheit begriffen wer- den müssen. Das historisch zufällige Nebeneinander von staatlicher, pro- vinzieller und kommunaler Unternehmertätigkeit aus gleichen Ge- bieten muß einer auf Wirtschaftlichkeit abgestimmten gemeinsamen Planung weichen, die der gegenseitigen öffentlichen Konkurrenz ein Ende zu machen hat. Mit einem gewissen Zorn stellt Staudin» ger fest, daß aus dem zur gesamtwirtschaftlichen Planung längst reifen Gebiet der Kraftversorgung auch der mangelnde gute Wille„verantwortlicher Leiter großer Unternehmungen" größte Schwierigkeiten bereite lDeispiel der Oskar-v.-Miller-Plan und A.-K. für Deutsche Elektrizitätswirtschast). Dann zeigt Staudinger Wege zum vollkommenen Ineinandergreifen der öffentlichen Unter» nehmungen„im Dienste rationellster Produktionspolstik und spar» samster Kapitaloerwendung": einheitliche Aussicht und Zu» sam m« n fa sfu n g de» Geld» und Kreditverkehrs sämtlicher Unternehmungen der öffentlichen Hand, fortlaufende Mitteilungspflicht der öffentlichen Unternehmungen«in» schließlich der Versicherungsträger an eine zentrale Reichsstelle. Ausgleich der Kredit- und Anlagebedürfnisse in einer Gelamtdisposttion, Zusammenfassung der öffentlichen Geld- und Kreditanstalten zu bestimmter einheitlicher Wirkung. organisatorische Verbindung der den Mittel- und Kleinkredit pflegen- den Anstalten mit den verwandten genossenschaftlichen Kreditan- stalten. Ein« Konjunkturpolitik der öffentlichen Unternehmungen, bisher immer gefordert und nie durch- geführt, fei nur möglich, wenn die öffentliche Wirtschaft ein« rich- tunggebende einheitliche Anlage- und Reservepolltik durchführt. Staudingers Schrift wird in Fachkreisen ohne weiteres groß« Beachtung finden, schon allein durch die aktive Stellung de» Per» fassers im öffentlichen Wirtschafts- und im Staatsleben. Für die organisierte Arbesterschaft und d«» deutschen Staatsbürger, der mst Verständnis feine Rechte und Pflichten in Wirtschastsdingen wahr- nehmen will, ist Staudingers Schrift ein um so zuverlässigerer Ge- Hilfe uich Wegweiser, als der preußische Handelsminister Dr. Schreiber dem Tuch«ine zustimmende Einlestung vorangestellt hat. so daß Staudingers Auffasfungen auch als Richtlinien der preußischen Unternehmungs- und Wirtschaftspolitik angesehen werden dürfen K—r.
Erhöhter Baumwollverbrauch! Die günstige Konjunktur der Textitindustrie. Au» einer Mitteilung der Inlernakionalea Baumwollverarbeiter- organisalionea erhält man jetzt hie Bestätigung dafür, daß e» der Baumwollindnstrie trotz der Weltkrise relativ sehr gut gegauge» Ist und auch eine Erklärung für dle hohen Dividenden, von denen, wir für Deutschland berichten konnten. Ganz im Gegenteil zur allgemeinen Wirtschaftsentwlcklvng hat sich In dem Ende 1932 geschlossenen Halbjahr der Weltbaumwoll- verbrauch gegenüber der gleiche« Ze't de, Vorjahre» nicht gefeukt, sondern erhöht. Er ist von ll.lS auf 11,47 Millionen oder um 306 000 Ballen gestlege«. Auch der verbrauch Deutschland » hat sich von 364 000 auf 437 000 Bollen erhöht, wobei von der Zunahme nur 42 000 Ballen aus die Vermehrung der Vorräte entfallen. Angesicht, dieser Entwicklung fällt dle Ungerechtigkeit doppelt in» Auge, daß man gerade in der deutschen TexM- Industrie die Löhne auf ein solche» Elendsulveau gebracht hat. wie wir es heute haben. Die Reichsban? am 7. März. Die Rückzahlung des Notenkredits.- Sonst ausgeglichene Devifenbilanz. Der Reichsbankausweis vom 7. März zeigt die nach jedem Monatsende zu erwartend« Entlastung. Die Wechselbestände nahmen um 55.4 aus 3268,8, die Schotzwechsel um 9.6 auf 34,2, die Lombard- darlehen um 84,6 auf 218,4 Millionen ab. Die fremden Gelder auf Girokonto verringerten sich um 163.9 auf Z18,9 Millionen Mark.
Der Notenumlauf ging um 89,4 auf 4178,9, der an Rentenbunk- scheinen um 8.6 auf 411.1 Millionen zurück. In den Gold- und Devisenbeständen zeigt sich dl« nach der lllprozentigen Abzahlung des ausländischen l66-Milllonen-Dollor.Kr«dits er- wartete Verringerung der Goldbestände: die Gold- und Deoifen- bilanz ist sonst aber ausgeglichen. Die Goldbestände«rringerte» sich um 48.5 auf 880,6 Millionen, die Bestände an deckungsfähigm Devisen nahmen um 7.6 auf 156,4 Millionen zu, so daß sich an- gestchts der Goldruckzahlung für den Notonbankkredit im Betrage von 42,5 Millionen Mark noch ein kleiner Deoifenüber» schuh ergibt. Die Deckung der Noten durch Gold und deckungs- fähige Devisen hat sich auf 24,8 gegen ZZ,2 Proz. In der Vorwoche verringert. Reichsbank und Russenwechsel. Diskontübernahme für 120 Millionen. In den Verhandlungen der Eisenindustrie mit der Reichs- regierung hat das Reich eine Erhöhung seiner Garantie für die Rusienlieferung, die insgesamt 1 Milliarde Mark beträgt, a b g«» lehnt. Dagegen hat die R e> ch s b a n k sich bereit erklärt, Russen- Wechsel in Höhe von 126 Millionen, die bei der Eisenindustrie lagern. zum Rediskont zu übernehmen, falls eine Bankengruppe sich mst einer Zwesten Unterschrift daran beteiligt. Durch diese Trans- altion wird die Möglichkeit gegeben, weitere Ruffenaufttäg« zu finanzieren. Im übrigen werden im Laufe dieses Jahres russische Zahlungen in Höhe von insgesamt 375 Millionen Mark fällig, wodurch entsprechende Garantiebeträge des Reiches frei werden. Bis zum 1. April haben die Russen aus den durchgeführten Lieferungen
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