Nr. 119 49. Jahrgang
23.237
1. Beilage des Vorwärtsreifen 12
Berlin im Zeichen WÄHLT der Hindenburg- HINDEN Propaganda.
Abends fährt ein Scheinwerferragen durch die Straßen, um in Riesenleuchtschrift den Namen Hindenburg auf die Wolken zu projizieren.
"
Wählt
Als Berlin am geftrigen Donnerstag erwachte, wehten über allen wichtigen Blägen und Straßen der Stadt riefige Trans. parente; schwarze Schrift auf weißem Grund: Wählt Hindenburg !" Bereits am frühen Vormittag waren ganze Scharen von Amateur- und Berufsphotographen unterwegs, um diefe seltene Note des Berliner Straßenlebens im Bilde festzuhalten. Sofort bildeten fich auch große Disfuffionszirtel, bei denen aller dings fast immer nur recht beschränkte Kirchturmspolitik getrieben wird. Zu grundsäglichen Auseinandersegungen fommt es bei diesen Diskussionen auf der Straße bekanntlich ja nur selten. Es wirft fich sehr vorteilhaft aus, daß die Wahltransparente nicht lediglich auf die Berliner Innenstadt verteilt sind, sondern von Wilmers dorf bis nach Schöneweide gleichermaßen über die Straßen gezogen sind.
Einige Hindenburg - Transparente waren bereits am Mittwoch abend angebracht, unter anderem auch in der Nähe des Lust gartens. Eo passierte es, daß die im Lustgarten demonstrierenden Nationalsozialisten unter dem wallenden Hindenburg - Tuch demonstrierten: das herzliche Lachen war natürlich auf seiten der Linken.
Narrenhände...
Es scheint überhaupt um die Nazis recht fläglich bestellt zu sein. Der ganze Flugsand, der seit den Septemberwahlen des Jahres 1930 in die Partei geweht wurde, läßt die Parteimaschine nur ächzend und stöhnend laufen. Paraden aufzuführen ist fein beson
13] E
von
ROMAN S.Rosenfeld
bruch
Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen .
,, Bringt mal den Lofus hier ein bißchen in Ordnung! Aber anständig! Sonst friechen uns hier nächstens die
Würmer herum!"
Das tue ich nicht. Das bringe ich nicht fertig." Die übrigen hatten anfänglich nichts gefagt; dann trat einer von ihnen vor und bat um Arbeitszeug : Schaufein, Besen, Aufwischlumpen.
Und wozu hast du deine Flossen? Kannst ruhig mit den Händen zufassen, bist kein gnädiger Herr. Los, hopp, wenn du nicht was in die Freffe haben willst."
Er wollte uns hineinschubsen. Dabei fnuffte er mich mit der Faust in den Rücken.
„ Kannst du nicht hören? Los! Wenn du schon so gebildet sein willst, mach mal den Lokus sauber! Du mit deiner Bildung!"
„ Ich tue es nicht! Scher dich zum Teufel! Untersteh dich nicht, mich noch einmal zu stoßen, du Schinder!"
Der Aufseher schlug mich mit seinem schweren Schlüsselbund über den Kopf. Bor Schmerz und Zorn sah ich bunte Ringe vor meinen Augen flimmern. Ich verliere vor But die Besinnung. Ich fühle, daß mir meine Selbstbeherrschung entgleitet. Ich begreife mit dem legten Ueberbleibsel meines verdüsterten Berstandes, daß die eigenen, schon fast ganz überrumpelten Hemmungen mich verderben tönnen. Und ich Schlage dem Aufieher die Fauft aus aller Kraft gegen die Augen. Ich Caffe ihn nicht erst zur Besinnung lommen, ich fühle instinktiv, daß er nach dem Revolver greifen will, ich stoße ihm meinen Kopf unter das Kinn und zugleich meinen Fuß gegen den Unterleib. Er frümmt sich vor Schmerz und faßt mit beiden Händen nach seinem Bauch.
Ich rannte den Korridor hinunter und machte vor unserer Zellentür halt. Meine beiden Kameraden waren bei
deres Kunststüd, aber jedes Berliner Borderhaus, jeben Seiten flügel, jedes Quergebäude, jede Brunfvilla mie jede Mietstaferne mit Flugblättern zu bepflastern, dazu gehören schon etwas mehr als Papiersoldaten. Und während mun die namenlosen Mitstreiter der Eisernen Front bereits die dritte Flugblattverbrei tung über ganz Groß- Berlin in diesem Wahlkampf durchführten, hat es der ganze großfpurige Apparat der Nazis noch nicht zu einer einzigen zentralen Flugblattverbreitung gebracht. Die Septemberlinge", d. h. die nach den September wahlen 1930 in die NSDAP . gekommenen Konjunkturritter, haben vollkommen versagt. An irgendeinem Biertisch Brandreden halten, ist auch bequemer, als schwigend treppauf, treppab laufen und durch jede Wohnungstür ein Flugblatt steden.
Dafür schwingt die SA. um so eifriger die Kleistertöpfe. Wenn in diesen Töpfen Mehlfleister wäre, ginge manches noch an, aber in Wirklichkeit schmieren die Pinsel dice: rote Anilinfarbe an Bände und Zäune. So gut wie fein Stein ist vor den Hakenkreuzschmierfinken sicher geblieben, allenthalben sieht man schon bei einem flüchtigen Gang durch die Reichshauptstadt die Hafenkreuze und die Aufschriften. Gerichtsforridore, Eingänge von Amtsgebäuden, Haustüren, Fabrikgebäuden, alles ist beschmiert, und den ganzen Tag hatten gestern Angestellte und Arbeiter zu tun, um mit Säuren und Chemikalien die blutrünstigen Aufschriften wieder zu beseitigen. Tausend- und aber tausendmal hat sich das alte Sprichwort in Berlin erfüllt, daß Narrenhände nur Tisch und Wände beschmieren.
dem Aufseher geblieben. Jetzt fam er mir nachgelaufen und pfiff gellend. Das Geheul seiner Pfeife hallte im ganzen Korridor wider.
Im Augenblic waren Dußende von Aufsehern zur Stelle, gleich danach der Inspektor vom Dienst. Der ver prügelte Aufseher fuchtelte mit seinem flobigen Dienstrevolver. Er schrie:
Er hat mich angefallen! Angefallen hat er mich! Wollte mich umbringen!"
Der Inspektor begriff nicht, was los war. Er schrie: Angefallen? Im Korridor? Wieso? Was heißt das?" „ Er hat mich aus der Zelle geholt! Dann hat er mich mit dem Schlüsselbund über den Kopf gehauen, und da habe ich zurückgeschlagen."
Boller Furcht vor neuen Mißhandlungen, in eine Ecke gepreßt, umdrängt von einer Horde bewaffneter und erbitter: fer Leute, in der Erkenntnis, daß meine Lage hoffnungslos war, stieß ich sinnlose Drohungen aus:
Ich lasse mir die Hauerei nicht gefallen! Ich werde mich beschweren! Euch soll es noch an den Kragen gehen! Ich will zum Staatsanwalt! Jawohl, zum Staatsanwalt!" Der Inspektor näherte sich mir. Ich mich zurüd, mußte aber haltmachen, als ich die Wand erreicht hatte. Und in diesem Augenblick bekam ich einen Faustschlag gegen den Schädel oberhalb des Ohrs. Es dröhnte mir in den Ohren, por meinen Augen freisten abermals Feurringe, von denen fleinen Sternenfunken absprühten. Für eine Sekunde stand ich wie erstarrt und erhielt sofort von der anderen Seite her einen zweiten Schlag. Ich griff mit beiden Händen an meinen Kopf, blizschnell flog mir zufammengedrängt alles, was ich von Kurst hatte erzählen hören, durch den Sinn. Ich begriff, daß ich verloren war, und in meiner Verzweiflung stürzte ich mit den Fäusten auf den Inspektor. Aber da hatten mich auch schon Dußende von Händen gepackt, die mich gleich darauf über den Boden schleiften.
Sie schleiften mich den Korridor hinunter, dann über einige Treppen und warfen mich schließlich in ein dunkles Be hältnis. Sch sprang auf, aber ein Tritt in den Rüden warf mich wieder zu Boden. Der Fußtritt stammte vom Inspektor. Offenbar fürchtete er, es könnte ihm ebenso ergehen wie dem Aufseher, und darum traute er sich nicht zu nahe an mich heran. Ich wandte mich sofort gegen ihn und versuchte auf zuspringen, aber da fiel schon die ganze Horde über mich her und begann auf mich einzuschlagen.
Ich wälzte mich, wie ich mich erinnere, so auf dem Boden
Freitag, 11. März 1932
Alles wettet...
Jest trennen uns noch tnapp 48 Stunden von dem Wahlatt. Unb man tann im Autobus fahren, in eine Gastwirtschaft gehen vom Haus und von der Werkstatt gar nicht zu reden, überall gibt es nur ein Thema: die Reichspräsidentenwahl. Wer bisher annahm, das Wetten um jeden Preis wäre eine angelsächsische Sitte, hat sich schmer geirrt. Wenn es einen Buchmacher für alle in Berlin abgeschlossenen Wahlwetten gäbe, der Mann märe bereits Millionär. Bisweilen ist es sogar amüsant, sich die schnurrigsten Rechnungen mit anzuhören. Die Mentalität meiter Boltskreise, die sonst in ruhigeren Zeiten nur menig vom politischen Leben erfaßt werden, ist eben mehr oder weniger unberechenbar: ist es nicht grotest, daß der Mann der roten Tausendmarkscheine sich die erforderlichen 35 000 Unterschriften für seinen überflüssigen Wahlvorschlag allein aus Hamburg und München holte?
Ein paar Fanatiker halten jede Weite auf ihren radikalen Kandidaten. Aber sie stehen vereinzelt. Berlin wird Hitler schlagen und Hindenburg wählen. Noch den letzten späten Heimfehrer mahnt die Lichtreflame vom Dachfirst: Wählt Hindenburg !
Gasolin- Schiff brennt!
Bierzig Mann in höchster Gefahr.
Das Frachtschiff„ Kakumarn", das mit einer Ladung Gasolin unterwegs ist, hat durch Notsignal mitgeteilt, daß an Bord Feuer ausgebrochen sei. Ein amerikanischer Zerstörer ist deswegen sofort zur Hilfeleistung ausgelaufen. Das Frachtschiff, das sich zwischen Singapore und Hongkong befindet, soll 40 Mann an Bord haben.
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An der Straßenfreuzung Michaeltirchplatz und Raiser Franz Grenadier- Plaß ereignete fich in den gestrigen Abendstunden ein folgenschwerer Autozusammenstoß, bei dem vier Personen erheblich verlegt wurden.
Gegen 19 Uhr stieß an der bezeichneten Stelle ein Liefer= auto mit einer Autodroschte heftig zusammen. Beide Fahrzeuge wurden schwer beschädigt. Der Führer des Lieferautos, ein 48 Jahre alter Albert Edert aus der Schönleinstraße somie der Führer der Droschte, ein 35jähriger Benjamin Schwerdtfeger aus der Hallesche Str. 8, wurden erheblich verlegt. Außerbem trug der Fahrgast der Autodroschke, eine 35 Jahre alte Frau Amma Lemke aus der Schleiermacherstr. 6 und ein Fußgänger, der 72 Jahre alte Julius Hoffmann, der von einem beiseite geschleuderten Wagen erfaßt wurde, schwere Berlegungen. davon. Die Berunglüdten wurden durch die Feuerwehr in dashind Die Schuldfrage ist noch Bethanien- Krankenhaus gebracht.
ungeflärt.
Umhängeplakate abholen!
Soweit die Umhängeplakate und Resultatzettel noch nicht abgeholt sind, müssen sie heute vom Bezirkssekretariat abgeholt werden, da aus technischen Gründen eine Zustellung in die Vorwärtsspeditionen nicht möglich war.
| herum, daß die Schläge Rücken und Beine trafen, und verfuchte mein Gesicht zu beden, weil ich mich vor einer dauernden Entstellung fürchtete. Die vertierten Aufseher bearbeite ten mich mit Fäusten, Stiefeln, Säbelscheiden. Ich rollte mich zu einem Knäuel zusammen, stieß plöglich aus aller Kraft Arme und Beine von mir und traf jemandes Bein mit solcher Gewalt, daß er zu Boden fiel. Ich hörte noch, wie der Inspektor von weitem rief:
Schluß, es reicht!"
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Aber jemand langte mir zum Abschied noch eins über den Schädel, ob es ein Faustschlag war oder ein Tritt mit dem Stiefelabsah, weiß ich nicht. Im Kopf rollte und bullerte es mir, noch einen Augenblid, dann wurde es dunkel. Ich verlor das Bewußtsein.
Ich erwachte im Finstern Don einem fürchterlichen Schmerz im Rücken. Ich lag auf dem kalten Fußboden. Zurechtrücken konnte ich mich nicht, jede Bewegung rief maßlose Schmerzen hervor. Die Kälte des Bodens war unerträglich, und ich tonnte einfach nicht mehr liegen bleiben. Aber an ein Aufstehen war ebensowenig zu denken. Mit großer Mühe und unter quälenden Schmerzen gelang es mir schließlich ,. mich ein wenig aufzufezen. Mein Kopf war bedeckt mit Beulen und geronnenem Blut; es war unmöglich, ihn auch nur zu berühren. Die Nase war verschwollen und klebrig von eingetrocknetem Blut, die Unterlippe zerbissen, geplagt, aufgeschwollen. Die geringste mühsam zustande gebrachte Bewegung ließ mich Uebelkeit im Magen und ein Gefühl der Kälte in der Herzgegend empfinden. Mit Aufgebot meiner legten Kräfte troch ich zur Wand und an der Wand entlang in die Ede. Dann brach ich Galle .
Ich troch wieder in die Zellenmitte zurück. Die Kraft verließ mich, ich fiel um und verlor abermals das Bewußtsein. So verbrachte ich den ersten Tag im Kurster Gefängnis. Aber es dauerte lange, bis er herum war. Und woran sollte ich denn merken, wann der Tag zu Ende war und die Nacht anfing?
Hier hatte die Nacht vierundzwanzig Stunden.
Ich erwachte und wußte ebensowenig wie bei meinem ersten Erwachen, wo ich mich befand und was mit mir ge= fchehen war. Die brennenden Schmerzen am ganzen Körper, besonders im Rücken, die dumpfe Schwere im Kopf, die abgestorbenen Hände und Füße, das alles war eine Tortur. Ich hatte schrecklichen Durst, ich empfand Trockenheit im Mund und im Halse, Brennen und Sieden im Schädel.
08.0.
( Fortsetzung folgt.)