Jtr. 131• 49. 0 � 1 0 Frcitog, 13. Mörz 193!
Die kür die k'reikeit starben Der 18. Mara und die Toten der deutschen Republik
Die Berti net Arbeiterschaft anb die freiheitlich gesinnten Kreise der Reichs Hauptstadt aus dem Bürgertum ehren heute, wie sie es Zahr um Zahr am 18.!N ä r z tun. die Todesopfer der Renotufion von 1848, die vor 84 Zähren auf dem schlichten Friedhos am Friedrichshain in feierlichem Zuge zur letzten Ruhe gebettet wurden, wir Lebenden schreiten dahin an den einfachen Kreuzen und Steinen, deren Zuschriften durch wind und Wetter zerfressen und zum Teil kaum noch zu entziffern sind, wir weihen unseren Grufz denen, die einst für die deutsche Freiheit im Zeichen von Schwarzrotgold gefallen sind. Auf dem gleichen Friedhof ruhen die Männer, die im November 1918 ihr Leben sür die Republik opferten. Sie waren die würdigen Nachfahren derer, die drüben, jenseits des schmalen Weges, zur ewigen Ruhe beigesetzt sind. Aber in diesem Jahre des Kampfes gegen den Faschismus weilen angesichts dieser Grabstätten unsere Gedanken vor allem auch bei denen, die in den letzten Jahren durch die braunen chorden Hitlers gemeuchelt wurden. Wir denken an den gewaltigen Trauerzug, der an einem kalten Januarabend des Jahres 1930 den feige hinzemordeten jungen Genossen und Reichsbanner- kameraden Schneider ehrte. Wir erinnern uns des erschüttern- den Trauerzuges aus dem Jahre 192S, als der ohne jeden Grund niedergestreckte Genosse Schulz von Hunderttausenden von Berliner Arbeitern zu Grabe geleitet wurde. Wir all« haben mit Schmerz und Trauer den Tag im Gedächtnis, der uns die Meldung brachte, daß in Ahrensdorf ein Lastauto, das mit jungen Berliner Reichs- bannerkameraden besetzt war, von einem verhetzten Hakenireuzler beschossen wurde. Kurz hintereinander begruben wir damals zwei gemordete Berliner Proletarierjungen, zwei wertvolle, zwei ver- heißungsvolle Leben waren durch Mord ausgelöscht. Der Gräber sind viele. Ueberall in Deutschland sind s i e z u finden. Ueberall in Deutschland ist die blutige Spur stcht- bar, durch die das Hakenkreuz das Land geschändet hat. Wir wissen, daß auf unserer Seite Recht und Freiheit find und daß deshalb bei uns der Sieg sein muß urtb sein wird. Aber Wehmut und Trauer erfüllen uns im Anblick so vieler Gemordeter. wenn wir am 18. würz die Toten von 1848 ehren, dmm ehren wir zugleich die Toten der Republik . Unsere Gedanken sind auf dem Friedhof in Erkner , bei der Urnen - starte von Friedrichsfelde und bei der Totenstatt in Treptow . Die schönste Ehrung unserer Toten ist es, daß wir weiterkämpfen, und als ernsteste Mahnung gilt gerade in diesen Wochen und Monaten das Wort, das der Revolutionsdichter Ferdinand Freikigrath den Berliner Toten des Märzkampfes widmete: O, stcht aerüstet, seid bereit! O, schaffet, daß die Erde, Darin wir liegen strack und starr, ganz eine freie werde! Daß fürder der Gedanke nicht uns stören kann im Schlafen: Sje waren frei; doch wieder fetzt— und ewig!— sind sie Sklaven. Vor 25 Jahren. Im„Vorwärts' vom 19. März 1907 finden wir folgenden Bericht: „An einem Kränge, den die Parteischul« gesandt hatte, waren [ die Worte zu lesen: Der Sommer refft des Frühffngs Saaten, Es folgt der Juni auf den März... fch Die Fortsetzung: E'*' 0 Juni, komm und bring uns Taten, noch frischen Taten lechzt das Herz'
war der Polizeifchere zum Opfer gefallen, die diesmal zahlreiche Verstümmelungen sonne vollständige Konfiskationen von Wid- mu-ngsworlen vorgenommen hatte.' Und woiter heißt es:„Wie schon gesagt, sind viele Kranz- inschriften der Schere des zensierenden Polizeileutnantz zum Opfer
gefallen. Nur in einzelnen Fällen lassen die nach der ScHercnarteit Übriggebliebenen Reste der Widmung erkennen, welch großer Gefahr die staatliche Ruhe und Sicherheit dank der polizeilichen Fürsorge und ihrer scharfen Scher« entgangen ist... In den meisten Fällen ist nicht mehr zu erkennen, wie die beanstandeten Inschriften lauteten, denn sie sind vom ersten bis zum letzten Worte abgeschnitten, und statt der goldenen Buchstaben flattert ein kurzer Fetzen roten Bandes im Wind«, dem Besucher Zeugnis gebend von der wirklich uner- gründlichen Fürsorge der Polizei...' Heute sorgt die Polizei der Republik dafür, daß der Ehrengang zum Friedhof der Märzgefallenen würdig oerläuft. Vertreter der Polizei legten im vorigen Jcchre in Uniform einen Kranz mit der schwarzrotgoldenen Schleife der Republik nieder.
Die Grube brennt weiter! Keine Hoffnung, die eingeschlossenen Bergleute zu retten Gchülerwagen umgestürzt.
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Brüx(Tschechoslowakei ), 17. März. Der Brand im Kohinorschacht dauert noch fort. Di« Arbeiten zur Eindämmung des Feuers werden noch einige Tage in Anspruch nehmen. Dann erst wird man daran gehen können, die vermißten acht Leute zu bergen. Die Annahme, daß sie sich zu den Wetterschächten ge- flüchtet haben, hat sich nicht bestätigt, so daß nicht zu hoffen ist. sie noch lebend aufzufinden. Namenloses Heldentum. Bei den Rettungsversuchen wurden wahre Heldentaten vollbracht. Ein Maschinist, der die Grundwasserpumpe zu bedienen hatte, blieb auf seinem Posten in dem Bewußtsein, durch sein« Flucht müßte die Grube ersaufen. Donnerstagmittag teilte er telephonssch mit, daß sich die Rauchschwaden näherten, und fragte, ob er seinen Platz verlassen dürfe. Ihm wurde geantwortet, bis zum äußersten auszuharren. Nach einigen Stunden teilte er mit, daß ihm Rauch und Gas« bereits den Weg zum Schacht abgeschnitten hätten, und daß«r sich zum Luftschacht begebe. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Donnerstagnachmittag lieh sich ein Bruder eines verschütte- ten Obersteigers, der Vater von sieben Kindern ist, an der Wand des 214 Meter breiten und 393 Meter tiefen Luftschachtez mit einem Seil hinab, obwohl er selbst Vater von einigen Kindern ist. Ihm schloß sich noch ein Bergmann an. Heber das Ergebnis ihrer Rettungsversuch« ist bisher noch nichts bekannt. Die Ursache des Unglücks soll auf Selbstentzündung der Kohle zurückzuführen sein. 400 Mann sind damit beschäftigt, das Feuer zu ersticken. Gelingt es nicht, so werden 1300 Arbeiter brotlos.
Vlutlge Eheauseinanberfehung. Auf dem 3.. Polizeirevier in der Elsasser Straße erschien am Donnerstag gegen 4 Uhr nachmittags der 26.Jahre aste Schlächter Rudolf Neumann aus der Bergstraße 13. Der Mann hatte eine offenes Schlächtermesser in der Hand und erklärte den Beamten, daß sie in feine Wohnung gehen sollten, er hätte seine Frau soeben niedergestochen. Neumann wurde sofort festgenommen. Die Be- amten eilten in die auf dem Hof des Hauses im Keller gelegene Wohnung und fanden die Frau stark blutend vor: sie brachton sie zur Rettungsstelle, wo der Arzt einen Notverband anlegt«. Der Mann hatte ihr einen sechs Zentimeter langen Schnitt an der linken Halsseite beigebracht, der glücklicherweise nicht die Hauptschlagader «troffen hatte. Die Gründe zu der Tat sind in Ehezwistigkeiien zu en.
Glückliche llmsionde verhüteten ein größeres Unglück. München , 17. März. wie die Reichsbahndirektion München mikkeilt, entgleiste heule nachmittag aus der Rebenbahn Eichstaett-Bahnhos— Eichstaett Stadt bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof der letzte Personenwagen eines Zuges vor einer weiche und stürzte auf der B r ü ck e. die über einen Altwassergraben der Altmühl führt, um. Der Zug war wegen des Schulschlusses stark besetzt. Elu schweres Unglück wurde vermieden, weil der Grabeu zum Teil ausgefüllt war. Es hoben sich acht Lelchtverlehtc, eine Frau und sieben Schüler, mit Prellungen und Hautabschürfungen gemeldet. Mesenbrand im Gteitiner Hafen . lOOO Fässer Schmieröl in Flammen. S t e l l i u. 17. Mörz. In dem Oellager der großen Tankanlagen der D a p o l i n- Gesellschaft brach heute mittag Feuer ans. Die gesamte Feuerwehr Stettins mit Unterstützung der Altdammer Freiwilli gen Feuerwehr bekämpfte aus zahlreichen Schlanchleitmigen den Brand. Das Feuer ist vermutlich bei der Ausführung von Schweiß- arbeiten entstanden. Das Großseuer konnte erst am A b e n d gelöscht werden. Znsgesamt 1000 Fässer Schmieröl fielen den Flammen zum Opfer. Große Dienste leistete der Feuerwehr ein Feuerlöschboot, mit dessen Hilfe ollein 20 Schlauchleitungen gelegt werden konnten. Der Schaden ist durch Versicherung gedeckt.
Ein rabiater Vaier. Mordversuch am eigenen Kinde wegen zwei Pfennigen. Das einzige Söhnchen des als rabiat bekannten Landwirtes Johann Selica in Latznow(Tschechoslowakei ) hatte beim Einkauf 20 Heller gleich 2!4 Pfennige verloren. Darob geriet der Voter so in Wut, daß er dem Jungen eine Schlinge um den Hals warf und ihn am Stubenbalken erhängen wollte. Auf die furchtbaren Schreie des Kindes kamen Nachbarn und konnten gerade noch den Lindes- mord verhüten. Der Vater flüchtete, wurde aber inzwischen auf- gesunden und verhaftet.
Darauf wandte er sich an den würdigen Jungfrauen- beschützer und fragte:„Habe ich nicht recht, Herr Sikorsti? (Äibt es nicht noch ganz andere Dinge als so einen Kinder- mord?" Sikorski war ganz erschrocken über diese unerwartete Frage Er wurde rot, geriet ins Schwitzen und sagte schließ- lich unsicher:„Ja, es gibt vieles Entsetzliche auf der Welt... das stimmt." In Burstein zitterte das Gehörte immer noch nach. Er wiederholte aufgeregt:«Mein Gott, mein Gott, ein Kind umzubringen! Wie kann man denn nur ein Kind um- bringen?" „Was heißt: wie? Na, vielleicht macht ihr Juden das anders, die Rechtgläubigen besorgen es jedenfalls mit einem blanken Messer." Ich hatte in diesen Wochen zahllose Geschichten von Dieb- stählen. Raubüberfällen, Einbrüchen und Morden gehört und mich an solche Gesprächsthemen gewöhnt; dennoch habe ich nie in meinem Leben diese maß- und sinnlos- Grausamkeit emes Menschen gegen seine Mitmenschen begreifen können. Ich konnte es einfach nicht fassen, wie ein Mensch einem anderen Menschen«in Messer ins Herz stoßen oder ihm mit einer Art den Schädel zerschmettern oder wie er ein kleines Kind abschlachten konnte. Bursteins Derstörtheit. Bursteins Empörung waren mir verständlich, und ich teilt« sie. Wie konnte man denn ein Kind umbringen? An diesem einen Tage hatte ich so viele bluttriefende Er- Zählungen angehört, hatte so viele erschütternde Episoden räuberischer Grausamkeit, so viele verstümmelle und ver- blutete Opfer in meiner Einbildungskraft vor mir gesehen,
daß die Aufnahmefähigkeit meines Nervensystems abstumpfte und schließlich Blut und Tod mir wie die natürlichsten und selbstverständlichsten Dinge von der Welt erscheinen mußten.
In unserer Zelle war ein Verbrecher von außerordent- licher Virtuosität innerhalb seines Gewerbes. Von der Spe- zialität. die er sich ausgesucht hatte und die er mit so viel Meisterschaft betrieb, hatte ich schon früher reden hören, da ich unlängst in einem anderen Gefängnis mit einem seiner Zunftgenossen zusammengetroffen war. Es war ein sogenannter„Zuschnapper". Die Zuschnapper arbeiten immer paarweise. Einer von ihnen schleicht sich von rückwärts an einen einsamen Spaziergänger auf nächtlicher Straße heran und packt ihn mit der rechten Hand dergestalt am Halse, daß der ganze Arm um den Hals liegt, während sich die Faust, besonders der ausgestreckte Daumen in den Schlund des Opfers bohrt. Nun stößt der Zuschnapper seinem Opfer die Faust so tief wie nur möglich in den Schlund und hebt es gleichzeitig in die Höhe, indem er die eigene Brust gegen den Rücken des Ueberfallenen stemmt, dessen Atmunas- örgane kaum mehr arbeiten. Zugleich schlägt der Helfershelfer des Zuschnappers aus aller Kraft mit einem Stein oder mit der Faust auf das Opfer ein,„daß die Puste weggeht". Jetzt verliert der Ueberfauene für zehn bis fünfzehn Minuten das Bewußtsein. Während dieser Zeit wird er bis aufs Hemd ausgeplündert, und die Beute wird in aller Ruhe abtrans- portiert. Abgefaßte Zuschnapper wurden meist mit fünf Iah- ren Arrestantenkompagnie bestraft. Der erste Zuschnapper, den ich kennenlernte, war„Kla- motten-Jaschka, der als Partner seiner eigenen Frau arbei- tete. Er„schnappte zu", und die Frau schlug drauflos,„bis die Puste weg war". Klamotten-Iaschka war«in breitschultriger, stämmiger und starker Bursche von nicht sehr hohem Wuchs; wenn er einmal zuschnappte, dann konnte sich das Opfer ebensowenig losmachen, wie sich ein noch so starkes Tier aus einer gut konstruierten Falle befreien kann. Joschka wußte nur von einem einzigen Fall zu berichten, bei dem er den kürzeren gezogen hatte, aber ich glaube, diese Geschichte hatte er sich spaßeshalber selbst ausgedacht. Jaschka ging spät in der Nacht hinter einem Manne her, überfiel ihn und schnappte zu. aber im gleichen Moment schnellte er auch schon selber in die Lust und flog über den Rücken seines Opfers hinweg mit einem Krach zur Erde. Es erwies sich, daß das„Opfer" ein Ring- kämpfer war, der gerade aus dem Zirkus zurückkehrte. Jaschka kam übrigens mit ein paar Genickschlägen als Abschiedsgruß davon. Jetzt traf ich im Gefängnis von Samara einen ebenso virtuosen Zuschnapper, der meist in der Wolgagegend gear- beitet hatte. Es stellte sich heraus, daß er Klamotten-Jaschka gut kannte, wenn auch nur vom Hörensagen, und ihn für
einen der fähigsten und erfolgreichsten Zuschnapper Rußlands hiell. In diesem Gefängnis traf unser kleiner Zigeuner einen Stammesgenossen, der natürlich von Beruf auch Pferdedieb war. Was mich an ihm am meisten in Erstaunen setzte, das war die Therapie, mit der er sich selbst behandelte, und die Unverwüstlichkeit, mit der sein Organismus diese Therapie hinnahm. Da er an Malaria litt, schleppte er immer einen Sack voll gestohlener Chinarinde mit sich, es mögen etwa zwei Pfund gewesen sein. Die Chinarinde nahm er in ganz un- glaublichen Mengen zu sich. Er kniete nieder, gab einem von den Arrestanten einen Klumpen Chinarinde, etwa so groß wie eine Walnuß, und der mußte sie ihm mit einem Schwung in den Schlund werfen, während der Zigeuner, das Gesicht nach oben gekehrt, den Mund weit aufgesperrt hielt. Diese Technik des Chininschluckens hatte er sich ersonnen, um die schauderhafte Bitterkeit einer so großen Chin inportion nicht so sehr zu empfinden. Dann trank er einen Sdstuck Wasser hinterher, und sagte, wenn er überhaupt noch am Leben sei, so einzig und allein auf Grund dieses Heilverfahrens Im Gefängnis von Samara blieben wir einige Tage. Das Essen war knapp, und man wurde nie richtig satt. Die letzten Wochen mit ihrer Unterernährung, ihrem Mangel an frischer Luft, an Bewegung und normalem Schlaf, mit allem pysisch und psychisch Schweren, das ich zu überstehen hatte, mit Läusen, Mißhandlungen und Strafzelle hatten meine Ge- sundheit untergraben: ich war sehr blutarm geworden und litt an häufigen Schwindel- und Migräneansällen. Ich bekam Furunkeln am ganzen Körper und hatte kein Berbandszeug. Salbe und Binden gab es nicht. Ich brauchte mich nur ein wenig hinzusetzen oder hinzulegen, und schon klebten die Furunkeln an der Wäsche: bei der nächstbesten Bewegung wurden sie von der Wäsche losgerissen, was unbeschreiblich weh tat. Ich bat immer wieder um einen Arzt oder Sanitäts- mann, aber nichts geschah. Später, auf der Fahrt nach Tscheljabinsk und darüber hinaus, verschlimmerte mein Zustand sich beträchtlich. Die Beine waren von den Fußknöcheln bis zu den Hüften über und über mit Furunkeln bedeckt, die stellenweise schon in eine ununterbrochene, an Krätze erinnernde Krankheitsfläche zu- sammengewachsen waren. Noch widerlicher war das Gefühl der Klebrigkeit; es war. als fei der ganze Körper mit Tischler- leim bestrichen. Jede Bewegung, selbst die unbedeutendste, riß die eingetrocknete Kruste los. und ließ mich Schmerzen empfinden, als würde ich mit Hunderten von Nadeln ge- stachen. Meine Wäsche überzog sich mit eingetrocknetem Eiter. (Fortsetzung folgt.)