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Hermann Wendel  : Goethe und wir

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,, Der erste deutsche   Sozialist" heißt flipp und flar Goethe in Hermann Hettners Darstellung. Schon einige Jahrzehnte vorher hatte sich Karl Grün  , einer der Propheten des vormärzlichen ,, wahren Sozialismus", in einem 1846 zu Darmstadt   erschienenen Buch, Weitling, Fourier und Proudhon anführend, um den Nach weis gemüht, daß Goethe in ,, Wilhelm Meisters Wanderjahre  " einen ,, entschiedenen Sozialismus" als Prinzip einer werdenden Welt ver­fündet habe, etwas später tat der Geschichtsschreiber Ferdinand Gregorovius   in ,, Goethes Wilhelm Meister   in seinen sozialistischen Clementen" dar, daß in dem Weimarer Großen das Bewußtsein von der Weltbefreiung und Welterlösung durch die Arbeit" gelebt habe und stellte die Wanderjahre" getrost mit den Gesellschafts­utopien von Plato, Thomas More  , Campanella und Morelly   in eine Reihe, und um die gleiche Zeit untersuchte der Hegelianer Karl Rosenkranz  , inwiefern die Gedanken dieses Romans mit dem ,, modernen Sozialismus" übereinstimmten. In der Tat bergen ,, Wilhelm Meisters Wanderjahre  " neben Auseinandersetzungen über die Begriffe Besiz und Gemeingut den fühnen Entwurf einer Ord mung menschlichen Zusammenlebens, die die dem Privateigentum entfließenden Uebel nicht fennt. Nicht minder fesselte der Plan der Saint- Simonisten, die Anarchie der kapitalistischen   Wirtschaft durch ein sinnvolles System der Zusammenarbeit aller zu überwinden, Goethes Aufmerksamkeit, wenn er auch mehr die Kritik der Lehre als ihre Forderungen billigte. In dem Wirrflang der Meinungen, der sich zur Hundertjahrfeier seines Todes erhebt, hat also Goethe allem Anschein nach gerade dem Sozialisten mancherlei zu sagen. Nur rüpelt sich da schon, mit seinem Schießetfen herum fuchtelnd, der deutsche Faschist in den Vordergrund und heischt den " Faust" Schöpfer für sich und seine mit der Holzart zurechtgehauene Weltauffassung. Wirklich dürfen die Verächter von Demokratie und Republik   in Goethes Gärten nach Herzenslust plündern. Nichts ist", meinte er einmal, und genau so fönnie es auch im Bölkischen Beobachter" stehen ,,, miderwärtiger als die Majorität, denn sie be­fteht aus wenigen fräftigen Borgängern, aus Schelmen, die fich atlomodieren, aus Schwachen, die sich affimilieren, und der Maffe, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will." leber die Mittel ,,, die widerspenstige Masse" im Baum zu halten, dachte er zumeilen wie ein ausgefochter Reaktionär von heute, an einem Weltereignis wie der französischen   Revolution sah er be fümmert nichts als die Schattenseiten, die heilige Allianz  , das Bollwerk der niederträchtigsten Gegenrevolution, lobte er über den grünen Klee und wollte, großherzoglich weimarischer Staatsminister, der er war, seine Lebtage von Verfassung, Pressefreiheit, Gleich. stellung der Juden und ähnlich neumodischem Kram nichts wissen. Können wir da mit Goethe mehr anfangen, als daß wir den Blütenduft, den Kunstgehalt seines poetischen Schaffens schlürfen und ihn im übrigen preisgeben? Aber so ist die Frage falsch gestellt. Wenn sich Goethe mit her­ausgeklaubten Zitaten so ziemlich für jede Anschauung nuzbar machen läßt, will er, um wahrhaft verstanden zu sein, so betrachtet werden, wie er die Welt betrachtete: als eine Einheit und denselben Gesetzen von Ursache und Wirkung unterworfen wie die Natur. Daß dieser erleuchtete und umfassende Geist keinen historischen Nerv haite und das politische Geschehen als Beiläufigkeit fünften Ranges mißachtete, war nicht Schuld, sondern Schicksal. Als er, fast haar­scharf in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, geboren wurde, arbeitete sich das deutsche Bürgertum, auf den Hund gebracht durch die Verlegung der Seehandelswege und den Dreißigjährigen Krieg, eben aufs neue aus dem Gröbsten heraus; in dem trogig ungeberdi­gen Dichter des Götz" und des Werther" kreiſten die Säfte und Kräfte dieser aufsteigenden Klasse, die nie wieder so hell, so frisch, so zukunftsgewiß in die Welt schauen sollte wie aus den Augen des jungen Goethe. Aber die Gesellschaftsschicht, die ihn hätte tragen können und müssen, war doch noch zu lendenlahm und zu schwach auf der Brust, aus Eigenem die Erde zu ändern. Als Goethe, der die Dinge zu durchschauen begann, von einem flugen und scharf­fichtigen Bekannten erfuhr, er fei eigentlich zum Volksredner ge boren, entschte er sich ,,, denn", bekannte er, hätte diese Eröffnung wirklich Grund, so wäre, da sich bei meiner Nation nichts zu reden fand, alles übrige, was ich vornehmen konnte, leider ein verfehlter Beruf gewesen". Da in dem Deutschland  , das eines öffentlichen Lebens ganz entbehrte, die Volksrednergabe, das mar: die poli­tischen und sozialen Anlagen eines aufs Wirken hindrängenden Menschen verfümmern mußten, vertroch sich Goethe in das private Leben, indem er sich obendrein, um mehr Entmidlungsfpielraum zu haben einem Duodezhof verschrieb und einen lumpigen Adels. titel annahm.

Durch diesen an sich fläglichen Berzicht aufs Handeln, ja, auf eine revolutionäre Stellung zu feiner Zeit gelangte aber Goethe dazu, eine Aufgabe, zu der ihn das Schicksal berufen hatte, in ein ziger Erfüllung zu bewältigen. Das Individuum, den Einzel. menschen, löste er nicht nur aus aller mittelalterlichen Gebunden­heit, sondern meißelte auch den Begriff der Persönlichkeit zu munderbarer Schärfe und Klarheit heraus. Keinen Augenblid feines Lebens dämmerte er triebhaft und dunkel hin; kein Tag verstrich ihm ohne geistigen Gewinn; alles, Bersentung in sein Inneres, Verkehr mit Menschen, Beobachtung der Natur, mußte der Be­reicherung feines Wesens, der Steigerung feines Ich dienen; was sich ihm nahte und war er aufnahm, wurde ihm zur wirkenden Straft; bemußter ward nie ein Leben auf Bollkommenheit hin an gelegt. Aber noch in anderer Richtung wurde Goethe   reich, weil er so arm war, teiner wirklichen, geschlossenen, starten, selbstbewußten Gemeinschaft anzugehören; da ihn die irdischen Bindungen des Deutschen   mit Recht jämmerlich dünften, stellte er den Menschen ohne die Zwischenstufe einer Klasse oder einer Nation unmittelbar ins Weltall   hinein. Und da er, anatomische, botanische, mineralo­gifche, geologische, metereologische und optische Studien aufeinander. türmend, mit dem Erkenntnishunger seines Faust allenthalben nach den großen Zusammenhängen forschte und zu den Urformen und 1rerscheinungen alles Seins vorzubringen strebte, ließ er den Menschen dem Urgesez unterworfen sein, das für das All gilt: dem der organischen Entwidlung. Mochte ihn darum auch das politische Elend der ihm umgebenden deutschen   Kleinwelt zu den Anschauungen des aufgeklärten Despotismus bringen, so war Goethe doch alles andere als ein aufs Beharren eingeschmorener Stillstandsfanatifer. Unverbrüchlich glaubte er an den Fortschritt des Menschen und der Menschheit: Die Zeit ist in ewigem Fortschreiten begriffen, und die menschlichen Dinge habe alle fünfzig Jahre eine andere Ge­ftalt, so daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Boultommen­heit war, schon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen ist."

Die wesentlichste Stufe dieses Fortschritts war für Goethe die Ueberwindung der Barbarei durch die Gefittung. In sein Welt bild mit dem Gesetz der organischen Entwicklung als Mittelpunkt paßte Umsturz und Gewalttat nicht hinein; seinem Wesen wider. sprach nicht nur die Revolution, sondern auch der Krieg, wider­sprach alles Verkrampfte, Grelle und Gehässige. Er gestand, daß ihm nur Kultur und Barberei Dinge von Bedeutung seien, rühmte fich seines vollkommen untriegerischen Sinns, verwarf den Grund­jag ber Realpolitifer, eine Handlungsmeise eine Staatstugend

zu nennen, die gegen die Tugend im allgemeinen geht", und schenkte nicht nur seiner vom Völkerstreit zerrissenen Zeit in der Iphigenie auf Tauris  " das Hohelied der reinen Menschlichkeit, die über finster bluttriefendes Barbarentum fiegt. Die Sonne, die feiner Welt leuchtete, hieß Humanität, Menschlichkeit.

Auf Goethe kann sich denn, ohne sein Andenken zu schänden, niemand berufen, dessen verkrampfte, grelle und gehäffige Doktrin die Menschheit auf eine überholte Stufe blutbefuldeter Barbarei zurüdzustoßen fucht. Wir aber fühlen uns ihm nicht nur durch den zurückzustoßen sucht. Wir aber fühlen uns ihm nicht nur durch den Glauben an die Gültigkeit des Entwicklungsgesetzes verbunden, Glauben an die Gültigkeit des Entwicklungsgesetzes verbunden, sondern ehren auch sein Gedächtnis durch den täglichen Kampf für eine gesellschaftliche Ordnung, in der die von ihm verkündete freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Erhebung der Humanität zur großen Reglerin des Menschengeschids erst möglich wird. Er begleitete Byrons Opfertod für die Sache der griechischen Freiheit mit dem verzagten Stoßseufzer, das Ideal und die gemeine Wirk lichkeit müßten streng geschieden bleiben; er schüttelte im Jahre der Julirevolution traurig abweisend den Kopf über das unver­

Dr. Gustav Radbruch  :

mittelte Streben ins Unbedingte in dieser durchaus bedingten Welt". Wir aber wollen, die sozialen Bedingungen des Menschen wandelnd, ins Unbedingte vorstoßen, wir wollen, Handlanger der geschichtlichen Notwendigkeit, das Ideal in die Wirklichkeit über­tragen. Aus Goethes gigantischem Wert, das hell widerhallt vom Ruf zum tätigen Leben, zum Wirken, zum Schaffen, zum Hände­regen, strömt dazu magische Kraft auf uns über, etwas

Bon jenem Mut, der, früher oder später,

Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt.

Und wenn er von den retardierenden Dämonen" sprach, die überall dazwischen- und entgegentreten, damit die Welt nicht so rasch zum Ziele kommt, als wir denken und wünschen", und wenn Deutschland   heute von solchen retardierenden Dämonen" wimmelt, fo hat, fie gründlich auszutreiben, uns Goethe auch einen Zaubera fpruch hinterlassen:

Feiger Gedanken bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, ängstliches Klagen, Mendet kein Elend, macht dich nicht frei. Allen Gewalten zum Truß sich erhalten, Nimmer fich beugen, fräftig fich zeigen, Rufet die Arme der Götter herbei!

Goethe- Soziologie

Einer der feinsten Ausleger von Goethes Wert, Viktor Hehn   ,, hat von dem eigentümlich bürgerlichen Himmel" gesprochen, der über den meisten Dichtungen Goethes liege. Goethe war nicht um fonft dem Patriziat einer Reichsstadt entsprossen; er hat sich immer wieder zum Ideale des Bürgertums flar bekannt:

von Geburt. Auch dies ist ja häufig Ankündigung und Neben­erscheinung sozialen Aufstiegs einer Klasse, daß, während die Klasse selbst auf vielfach gewundener Heerstraße langsam fortrüdt, einzelne Mitglieder auf Nebenpfaden schneller die Höhe gewinnen.

Nirgends zeigt sich die bürgerliche Wesensgestalt Goethes deut­,, Wer ist das würdigste Glied des Staates? Ein waderer Bürger. licher als in feiner Stellung zum Eigentum. Er hat der bürger­Unter jeglicher Form bleibt er der edelste Stoff." lichen Eigentumsauffassung ihre edelste Gestalt verliehen. Epimetheus  : Wie vieles ist denn dein? Prometheus  : Der Kreis, den meine Wirksamkeit er. füllt, nichts drunter und nichts drüber. Faust: Was du ererbt von deinen Bätern hast, Erwirb es, um es zu besigen.

Was man nicht nügt, ist eine schwere Last,

Nur was der Augenblick erschafft, das fann er nützen.

Nicht als ob Goethe ein bewußter oder gar revolutionärer Kämpfer für den Aufstieg feiner Klasse gewesen wäre. Man weiß, wie sehr er in der Gesellschaft wie in der Natur dem Vulkanismus gram, wie sehr er der Französischen   Revolution abhold war. Er vollzog seinen Aufstieg nicht in und mit seiner Klasse, sondern als ein einzelner. In Deutschland  , so heißt es an einer berühmten Stelle der Lehrjahre", sei nur dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich so sagen darf: personelle Ausbildung möglich. Nun denke dir irgendeinen Bürger, der an jene Vorzüge nur einigen Anspruch zu machen gedächte; durchaus muß es ihm gelingen und Der statistischen Auffassung vom, einmal erworben, dauernd bea er müßte defto unglüdlicher werden, je mehr fein Naturell ihm zu gründeten Brivateigentum tritt hier eine dynamische Auffassung jener Art zu fein Fähigkeit und Trieb gegeben hätten." Goethe gegenüber. Es muß immer wieder mit Wirksamkeit erfüllt, genügt mochte dabei des armen Werther gedenken, der ja nicht nur an seiner und dadurch immer von neuem erworben und erschaffen werden, Liebe und an seinem Weltschmerz, sondern schon vorher an seinem es ist ein in immer neuer Zueignung und Anbildung dauernd ge­bürgerlichen Stand inmitten einer adligen Gesellschaft gescheitert wirftes Werf. Kein Zweifel, daß Goethe bei dieser Eigentumslehre mar. An diesem Unterschiede ist nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, sondern die Ber- lungen. Sie stellen eines seiner großen Werke und nicht das ges an die liebsten unter seinen Befißtümern dachte, an feine Samm fassung der Gesellschaft selbst schuld; ob sich daran noch einmal etwas ringite unter ihnen dar: auch in ihnen hat er seine Persönlichkeit ändern wird und was sich ändern wird, bekümmert mich wenig; ausgelebt, ausgewirft und ausgedrückt, an ihnen ist ihm Eigentum genug, ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu als Persönlichkeitserweiterung und Persönlichkeitsausdrud, als Bedürfnis ist, rette und erreiche." Da ich ein Bürger bin, so muß hingeordnet und von ihr durchwaltet, wird ein solches Eigentum zu denken und wie ich mich selbst und das, was mir ein unerläßliches Bersönlichkeitsprojektion bewußt geworden. Auf die Persönlichkeit ich einen eigenen Weg nehmen". Dieser eigene Weg führt Wilhelm einem organischen Ganzen, in dem jeder Einzelgegenstand durch Meister auf die Bretter: Als Schauspieler glaubt er am ehesten feine Einordnung in Reihen verwandter Gegenstände an Wert, auch einen Ersatz jener freien Bildung gewinnen zu können, die dem Edelmanne vorbehalten ist. Um sich dem Druck zu entziehen, den in die wertvoller ist als die Summe ihrer Teile, durch sein Dasein an wirtschaftlichem Wert gewinnt. Es entsteht eine neue Einheit, der Gesellschaft ein Stand auf den andern ausübt, tritt er ganz felber wird das Eigentum produktiv. Sammlergeist stellt oft mur aus dieser Gesellschaft heraus die soziologisch frei zwischen den die eine Seite des Eigentums in chemischer Reinheit dar: der Ras Ständen schwebende Schicht der Künstler, der Literaten, der Boheme ritätensammler" freut sich nicht sowohl an der Sache selbst als an ist ja nicht selten eine Begleiterscheinung des Aufstiegs einer Klasse. ihrem Alleinbesitz, an der Ausschließung anderer. Bei Goethe aber Goethe selbst aber ging einen andern Weg als fein geliebtes dra steht Besitzfreude und Sachgenuß in schönem Gleichgewicht. Mir matisches Ebenbild". Er fand den Zugang in höfische Kreise, er steht Besitzfreude und Sachgenuß in schönem Gleichgewicht. Mir ftieg aus dem Bürgertum in den Abel auf, nicht als ein Emport der Besiz nötig", sagt er zum Kanzler v. Müller, um den fömmling, sondern als ein Edelmann, zwar nicht von Geblüt, aber richtigen Begriff der Objekte zu bekommen. Frei von den Täuschun gen, die die Begierde nach einem Gegenstande unterhält, läßt erst der Besiz mich ruhig und unbefangen urteilen. Und so liebe ich den Besitz, nicht der besessenen Sache, sondern meiner Bildung wegen und weil er mich ruhiger und dadurch glücklich macht." Sachbesitz um des vollen Sachgenuffes willen! Der Sachgenuß aber erreicht bei ihm seine Fülle erst in der Mitteilung an andere. Der Sammler Goethe   ist es, der in den Wanderjahren" die Formel der individua listischen Eigentumstheorie unübertrefflich geprägt hat: Besitz und Gemeingut", das heißt: Befiz als Gemeingut.

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Hakenkreuz in Weimar  

Diese Zeichnung unseres verewigten Mitarbeiters Otto Koester ( zuerst erschienen im Vorwärts" am 22. August 1924) wirkt heute lebendiger denn je.

O.KOESTER

Schiller: ,, Was haben Sie vor, Herr Geheimbderat?" Goethe: ,, Ich möchte Weimar   für ein paar Tage verlassen, lieber Herr Kollege. Dunkles Haar, schwarze Augen, in der Judenstadt Frankfurt da geboren und kosmopolitische Gesinnung könnte ich mir leicht eine Denkmalsbeschädigung zuziehen!"

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Auf die Grenzen dieser Eigentumsauffassung braucht faum besonders hingewiesen zu werden. Sie ist nur in einer Gesellschaft möglich, in der das Bermögensobjekt noch Sache ist, nicht bloß Ware und Wert, nur solange das Eigentum noch ein Gemütsverhältnis, nicht ein bloßes Zweckverhältnis ist, also nur vor der vollen Ent­faltung einer fapitalistischen Wirtschaft. Aber Goethe war so wenig in den Geist seiner Klasse eingeschlossen, daß er schon während ihrer Anfänge über sie hinaussah. In den Wanderjahren", seinem erstaunlichen Alterswerf, und in dem zweiten Teile des Faust" zeigen fich jenseits der damals noch nicht einmal voll entfalteten bürgerlichen Gesellschaft schon die Umrisse einer neuen, fozialen Welt Hatte Wilhelm in den Lehrjahren" selbstgenugsam seine individuelle Bildung gesucht, so muß er in den Wanderjahren" erkennen: Nur alle Menschen machen die Menschheit aus, nur alle Kräfte zusammengenommen die Welt" ,,, was der Mensch auch ers greife und handhabe, der einzelne ist sich nicht hinreichend, Gesell schaft bleibt eines waderen Mannes höchstes Bedürfnis". Und am Ende der Fauftdichtung findet er für diesen neuen sozialen Geist die wundervolle Wortprägung Gemeindrang".

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Jede aufsteigende Klasse hat ihre Sternfunde, in der ihre eigene zugleich die von der Geschichte erwählte Idee ist. In diesem ge schichtlichen Augenblid ist ihr verliehen, durch den Mund ihrer Größten nicht nur sich selbst in ihrer historischen Gegenwart, sondern Ewig- Gültiges auszusprechen. Eine herrschende und gesättigte Klasse hat wohl noch die Fähigkeit, ihren gesicherten geistigen Gehalt in ruhevollen Werfen zu gestalten, die ihre Schönheit gerade deshalb haben, weil sie der letzten Fragwürdigkeit des Lebens so weit ent­rüdt find man denke etwa an Gottfried Keller  . Sie wird sich noch wesensgemäßer ausdrüden in den Werken der Wissenschaft. Nicht die Dichtung, sondern die wissenschaftliche Prosa war die eigentliche Ausdrucsform des 19. Jahrhunderts. Daß damals die beste wissenschaftliche Proja geschrieben murde, welche die deutsche Stilgeschichte tennt, hängt zweifellos mit der Gesichertheit des Lebensgefühls einer ernstlich nicht in Frage gestellten herrschenden Klasse zusammen. Aber jene Sternstunde des Aufstiegs lag damals schon weit dahinten.

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Goethe war es, der in jener Stunde den Durchbruch zum Ewig. Gültigen vollzogen hat. Die Gunst der Stunde und die Größe des Menschen, dem sie zuteil wurde, gegeneinander zu verrechnen aber hat Goethe selbst uns verwehrt:

Wie sich Verdienst und Glüd verketten, Das fällt den Toren niemals ein. Benn fie den Stein der Weisen hätten. Der Weise mangelte dem Stein.