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Tlr. 143 49. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Freitag, 23. März 1932

Istdas System" schuld? Amerikanische Lehren. OhneSystem" alles wie bei uns. Bericht eines Bankiers.

Wenn in Deutschland Millionen arbeitslos sind, wenn große und kleine Unlernehmungen zusammenbrechen, wenn Sparer durch Kursstürze chr Geld verlieren und öffentliche Finanzen in Unord- nung geraten, dann dient das alles der hemmungslosen Agitation der Nationalsozialisten gegen dasSy sie m�, das an allem schuld sei. DiesesSystem", Segen das der Schlachtruf erschallt, ist das deutsche Regierungssystem. Einmal nennt man es das System von Weimar", das andere Mal dasSystem Brüning", das dritte Mal dasSystem der Sozialpolitik" und schließlich neuer- dings auch dasSystem Hindenburg ". Aber mit dieser Zurectnung der Krisenerscheinungen zu den bekämpften innerpolitischen Macht- faktoren treibt man in Wirklichkeit nur eine Verschleie- r u n g. Man lenkt durch die einseitige Aerbinduns alles dessen, was die Faschisten politisch, hassen, mit den Krisenerscheinungen den Blick ab von dem System, das wirklich in internationalem Um- fange die Grundursachen der Krise darstellt, vom kapital! st i- schen Wirtschaftssystem und von der imperialistischen Po- litik der kapitalistischen Staaten, die Mißtrauen sät, wo Verständi- gung und Vertrauen als Voraussetzung wirtschasllicher Besserung erforderlich sind. Um big; Märchen vom.Deutschen System", von den Tarif- vertrügen und der Sozialpolitik, denen man die Schuld an der Krise zuschieben will, zu zerstören, ist es immer wieder nützlich, den Blick auf die verheerenden Krisenerscheinunaen in einem Lande zu werfen, in dem es keinerlei staatlich« Lohnbindungen gibt, in dem weder Arbeitslosenvsrsicherung noch andere soziale Versicherungen existieren und in dem das Regierungssystem sehr wesentlich von dem deutschen oerschieden ist, während allerdings das kapitalistische System auch dort voll entfaltet ist, den Bereinigten Staaten von Amerika . Eine lehrreiche kleine Schrift überAmerita in der Weltwirtschaftskrise", die von einem deutsch-amerikanischen Bankier und Volkswirtschaftler Ludwig B« n dix kürzlich in New Vl>rk erschienen ist, gibt die Gelegenheit, auf einigen Gebieten die amerikanischen Krisenerscheinungen in Vergleich zu stellen mit den deutschen Erscheinungen, die wir kennen. Wir wollen dabei darauf verzichten, von den bekann- testen Parallelerscheinungen, den mehr als 8 Millionen Arbeits- losen in Amerika , dem Rückgang der Bautätigkeit um über Zll Proz. seit der legten Konjunkturperiode, dem Rückgarrg des Beschästiaungs- grades der Eisen- und Stahlindustrie auf 20 Proz. des Höchststandes, dem Rückgang des Eisenbahnverkehrs und dergleichen zu sprechen. sondern wollen nur zwei weniger regelmäßig beobachtete Gebiete aus dem gebotenen Material heranziehen: die Börsenerschütterung und die Krisenrückwirkungen auf die öffentlichen Finanzen. Oer Zusammenbruch des Kursgebäudes Kn den Effektendörfen geht noch über den Grad der Abwertungen für Aktien an den deutschen Börsen hinaus. Es heißt bei Bendix über die Kursgestaltung i» Amerika : Der Index der Standard Statiftics Co.(der auf Grund der Notierungen oon '9v Aktien leitender Gesellschaften zusammengestellt Ist) stieg vom 18. Dezember 1930 bis zum 54. Fe­bruar 1931 von 114,7 auf 144,3. Von diesem Höchststand aus setzte dann ein neuer, sich ständig verschärfender Rückgang ein, der nur zweimal ganz kurz unterbrochen wurde... Hingegen löst« die Wirt- schastskrise um so stärkere Rückschläge aus. Der Tiefstand wurde am 17. Dezember bei einem Index von 61,3 erreicht. Der Rück­gang feit Februar belies sich an diesem Tage auf rund 8 st Punkte. Die Bedeutung dieser Bewegung läßt sich vielleicht am besten durch«inen Vergleich des Wertes der an der New Tork Stock Exchange notierten Aktien veranschaulichen. Dieser Wert bezifferte sich Anfang März aus über S7 Milliarden Dollar und betrug am 31. Dezember nur noch 26,7 Milliarden Dollar, ein B e r l u st also von 30.3 Milliarden Dollar innerhalb von zehn Monaten. Das gleiche Bild ergibt sich bei einer Betrachtung der Kurs- Verluste der Aktien von einzelnen besonders wichtigen Unternehmun- gen. United States Steel Corporation(amerikanischer Stahltrust), die im Frühherbst 1929 2 61%. Dollar notierten und nach dem im November 1929 erfolgten zwecken Rückschlag aus 150 nochmals einen Kurs von annähernd 200 erreicht hatten(April 1930), fielen 1931 von 152% auf 3 6 Dollar. Die Aktien der New Tort Central Railroad, eine der besten Bahnen der Vereinigten Staaten , wurden 1929 mit 2 5 6 Dollar bezahll. 1931 ist das Papier im Kurse von 132 auf 2 7 Dollar, also um über 100 Dollar je Aktie gesunken. Aber das sind durchaus nicht die sensationellsten Kursrückgänge. Dies« belausen sich in vielen Fällen auf 90 Proz. Ein noch traurigeres Bild bietet der Anleihemarkt: denn hier handelt es sich nicht um ein spekulativen Exzessen ausgesetztes Gebiet, sondern um Werte, in denen Banken, Sparkassen, Ver-

sicherungsgesellschasten, Vermögensverwaltungen und einzelne Sparer ihre Reserven und Ueberschiisse anlegten, mit einem Wort«, um einen beträchtlichen Test des Sparkapitals des Landes. Der von der Standard Statiftics Company für 90 Bonds festgestellte Index weist für das Jahr eine Senkung von 98,7 auf 68,5, also von über 30 Proz., auf. Mit derselben W a hl l o s i g k e i t, mit der in den Jahren 1928 bis 1929 Wertpapiere oekauft worden sind, wurden sie im Jahre 1931 wieder aus den Markt geworfen Dieselben Kreise, die während dernew-era'-fioniunktur sich tn Doraussaaungen über weitere Steigerungsmögllchkecken am Aktienmarkt überboten, sahen 1931 für die amerikanische Volkswirtschaft das Ende aller Tage." Die öffentlichen Finanzen in der Krise. lieber, das Defizit der Bundesregierung wird be- ridstet, daß das am 30. Juni 1931 endende Rechnungsjahr mit einem Defizit von über 900 Millionen Dollar schließt gegenüber dem vor- jährigen Ueberjchuß von 184 Millionen. In den letzten sechs Mo- naten hat sich' aber die Finanzlage derart weiter verschlechtert, daß für das Kalenderjahr ein Defizit von rund 2,4 M illia rd e n Dollar oder rund 10 Milliarden Mark in Aussicht steht. Während die Ausgaben bei rund 5 Mll- lrarden Dollar ein Mehr oon 1,2 Milliarden aufweisen, ist mit einem Sinken der Einnahmen um iL auf 2,6 Milliarden zu rechnen. Durch das Defizit hat sich die Schuld der Bundesregierung von 16 auf 17,8 Milliarden erhöht. In den nächsten 18 Monaten wird mit einer Steigerung der öffentlichen Schuld auf 19 Milliarden Dollar gerechnet. Die Rotlaqe der Kommunen wird folgendermaßen geschildert: Tatsächlich befindet sich«ine ganze Anzahl auch größerer Skädte bereit» in finanziellen Schwierigkeiten. Die Reihe eröffnet wohl Chikago, das sich schon sert Jahr und Tag nur durch Notkredite vor derv völligen Ruin retten kormte. Häusig genug fehlte es an Mitteln, um den städtischen Beamten und Arbeitern Gehälter und Löhne auszahlen zu können. Vielleicht noch schlimmer fft die Finanzlage der Stadt Philo. dclphia. Nach Angaben des Stadttämmerers Will B. Hadisy hatte

die Stadt im Dezember allein an Grundstückssteuern einen Aus- fall oon IL Millionen Dollar zu verzeichnen. Die Rückstände an Grundsteuern und Wasierversorgungcsteuern werden für das ganze Jahr mindestens 26 Millionen Dollar betragen. Am 15. Dezember war die Stadt außerstande, Löhne und Gehälter auszahlen zu können: in einigen Abteilungen sind die Rückstände inzwischen beglichen, in anderen stehen sie noch aus. Am Jahres- ende befand sich die Stadt in demselben Dilemma. Delroit muhte wegen seiner schlechten Finanzlage teils Gehalts- kürzungen(10 bis 17"ProzO vornehmen, teils Angestellte entlassen. Dem Vernehmen nach soll Henry Ford der Stadt, um sie sinangifll über Wasser zu halten, eine große Summe vorgestreckt haben. Di« Städte Floridas befinden sich bereits feit dem Aufammcn» bruch des sogenanntenPlodda boom"(1926) in einer schwierigen Lage. Für dies« Gemeinden hat sich wegen des mit der Depression im Zusammenhang stehenden nachlassenden Fremdenverkehrs die Situation naturgemäß noch wecker verschlechtert. Es haben sich im Laufe des Jahres in verschiedenen Städten, die ihren Anieihever- pslichtunzen nicht nachkommen konnten, Schutzkomitees gebildet. Die Stadt West Palm Beach ist seit April auf 7,4 Millionen Dollar Anleihen, die Stadt Coral Gables seit Juli auf 8 Millionen. mit d e m Z i n s e n d i e n st i n R ü ck st a n d." Bendix zitiert amerikanische Kritiken an der Finanz- gedarung der Städte, die den deutschen Leser sehr be» kannt anmuten, und fährt dann fort: ..Decken sich die hier vorgebrachte» Anklagen nicht fast wart für Wort mit dem, was man deutschen Städten zum Vorwurf ae- macht hat? Daraus muh wohl doch der Schluß gezogen werden, daß wir es hier mit einer Erscheinung zu tun haben, die nicht allein aus Deutschland beschränkt geblieben ist. Zm Hinblick auf die immer und immer wieder aufgewärmten, in den meisten Fällen aber unberechtigten Anschuldigungen über die verschwenderische oder gar böswillige Verwendung der Deuffchland gewährten Anleihen erscheint eine solche Feststellung am Platze zu seiv." * Das sind alles Tatsachen, die sehr deutlich zeigen, wie ähnlich die Auswirkungen der Krise im kapitalistischen System in den verschiedenen Ländern sich gestalten und wie sinnlos es fft, wenn man die krckische Erkenntnis der llnzulänglichteit des Kapitalismus dadurch zu vernebeln versucht, daß man in Deutsch - land in der engsten Verbindung mit den reaktionärsten Reprä­sentanten dieses Kapitalismus und von ihnen finanziert die Schuld an der Krise einem mit ihren Folgen ringenden Regierungssystem zuschiebt und gegen«in Slistem der Sozialpolitik agitiert, das wenigstens bis zu einem gewissen Grade dem Ziel der Linderung der Krisennot dient. Diese Art der Verhetzung ist nur möglich, wenn man mit Scheuklappen herumläuft gegenüber den gleichartigen Erscheinungen, die sich jenseits der deutschen Grenze in der ganzen kapitalistischen Welt vollziehen.

Der geplatzte Mchael-Konzern.

Die Hausbank des Michael-Konzerns, die Industrie- und Privatbank in Berlin , hat jetzt ihre Zahlungen eingestellt und das Vergleichsverfahren beantragt. Der Zusammenbruch dieser Bank wird bei den vorliegenden Verpflichtungen nicht allzu weite Kreise ziehen, um so mehr aber dürfte die deutsche OeffenUichkeit der Zusüinmenbrnch des Mi chaeff- n Zerns- überhaupt interessieren-........ Jakob Michael , der im Frankfurter Eisenhandel eine schnell« Karriere durchlief, hatte schon als Kriegsgewinnler ein großes Der- mögen zusammengebracht. Auch während der Inflation blühte sein Weizen. Den eigentlichen Grundstock seiner Konzernmacht aber legte er in der llebergangszeit von der Inflation zur Festwährung, als er mit richtigem Instinkt alle Trümpfe auf die Stabilität der Rentenmark setzte, sein Konzernvermögen mobilisierte und in dem geldknappen Jahr 1924 durch große Amanzkransaktioneu enorme Zinsgewinae aufhäufte. Während die anderen Inflationsgrößen sehr schnell chr Schicksal erreichte und ein Stinnes, Eastiglwni, der Autokänig Schapiro, Bösel in Wien und Löwenstein in Belgien sehr bald am Boden lagen, schien Jakob Michaels Stellung bis zum Beginn dieser vernichten- den Krise unerschütterlich. Zwar war auch er gezwungen, in den der Inflation folgenden Jahren große Teile verlustreicher industrieller Beteiligungen abzustoßen, aber sein riesiger Grundbesitz. besonders an wertvollen Geschästshäusern, verkörperte immer noch ein Millionenvermögen. Aber die Konzernbereinigung, besonders die schweren Verluste bei verschiedenen Versicherungsbeteiligungen hatten Michaels Finanzen doch erheblich beansprucht, so daß er seinen großen Grundstücksbesitz in immer größerem Umfange belasten mußte. So sollen

die Grundstücke Michaels insgesamt mit öS Millionen Mark belastet sein. und zwar kommt als Hauptgläubiger die Gemeinschaftsgruppe deutscher Hypothekenbanken in Frage. Für. den größten Teil dieser Hypothekenschulden hat Jakob Michael die s e l b st s ch u l d n er i s ch e Bürgschaft übernommen. Ms er aber aus diesen Verpflichtungen in Anspruch genommen werden sollte und zum Offenbarungseid vor- geladen wurde. flüchteteernach5)olland. Dort eickfaltet er wieder eine sehr starke Aktivität, obwohl er sich nach außen als völlig mittelloser Mann gibt. DieseArmut" Zakob Michaels ist ein sehr dunkles Kapitel, das nicht nur die deutschen Gläubiger, sondern auch den Sleuerfiskus, dem Jakob Michael uoch mehrere Millionen für hauszinsstenern schuldet, sehr interessieren dürste. Michael selbst besitzt nach außen hin zwar nichts, aber in Frankfurt am Main , der Ställe seines Aufstiegs, existiert unter dem Namen seiner Frau eine Vermögensverwaltungsgesellschaft Erna Michael, in dl« schon sell Iahren Millionenwerte aus den guten, gewinnbringenden Konzernbeteiligungen verlegt wurden. Die Inhaber dieser Gesellschaft sind Michaels Frau. Erna Michael, sein Schwiegervater Sondheimer senior und sein Schwager Sondheimer junior. Es erhebt sich hier die Frage, inwiewell für die Steuerbehörden und die privaten Gläubiger die rechtliche Möglichkeit eines Zugriffs besteht, obwohl gerade mit diesem Trick der Vermögens- Übertragung auf die grau oder auf andere Familienmitglieder zu Boden gegangene Großunternehmer in den meisten Fällen ihren Kopf mll Erfolg aus der Schling« ziehen konnten.

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