hundert ins Land gezogen. Der Zylinderhut ist zum Requifit besonderer Feiern geworden. Das Zeichen heutiger Festtage ist die Sonntagsrückfahrkarte. Sie hat Mecklenburg so nahe an Berlin gerüdt, wie es ehedem Treptow war. Treptow ist nur noch ein Ortsteil im XV. Berwaltungsbezirk der Reichshauptstadt. Ein wenig tlein ist die Welt geworden.
Die Fußgängerwoche.
essen
Als die grauenhafte Tragödie im Hause des Oberlandesgerichts. rats Meurer bekannt wurde, strömten Menschen in Scharen nach der stillen Straße, in der sich das Drama abgespielt hat.
Die einzige Ueberlebende.
Die Vorarbeiten zur Fußgänger- Woche sind soweit gediehen, daß jetzt der Kampfplan, nach dem die Berliner laufen lernen sollen, feftliegt. Die Hauptverteilung geschieht durch sogenannte Eine einzige Bewohnerin der Räume, in denen sich die Bluttat Sandwichmänner, die an ungefähr 15 Hauptverkehrspunkten der Stadt Berlin die Verteilung der kleinen Druckschrift vornehmen abgespielt hat, ist am Leben geblieben: die Haus angestellte des Oberlandesgerichtsrats Meurer. Sie war vor der Mordtat von Schupoposten werden freundlicherweise die Verteilung unterstützen. Dr. Meurer aus dem Hause geschickt worden, sie hatte die Wohnung Die Berliner Spezialgeschäfte und Kaufhäuser werden die Druck während der schrecklichen Vorgänge betreten und steht auch heute schrift Fußgänger- Regeln" den Paketen ihrer Kunden beipacken. noch unter dem furchtbaren Eindruck der Geschehnisse, deren entBis Mitte März waren bereits 46 000 Exemplare von den Spezial- fernte Zeugin sie war. Der Hergang der Tat ist getlärt. Dr. Meurer geschäften vorbestellt. Die Eremplare werden kostenlos den Behat furz vor 12 Uhr nachts seine geschiedene Frau, die stellern angeliefert und genügt einfache Anforderung durch Postkarte geschiedene Gattin Dr. Rittmegers und seine Mutter ant die Geschäftsstelle der Verkehrswacht Berlin . von hinten durch Kopfschüsse getötet, während die drei Personen Brandenburg e. V., Berlin S. 61, PIanufer 61. An um den Tisch saßen. Der Oberlandesgerichtsrat ging dann in den einigen der stärksten Berkehrspunkte werden während der Fuß ersten Stod hinauf und erschoß dort seinen Vater, der gänger- Woche vom 11. bis 16. April in den verkehrsreichsten Stun im Rollstuhl saß, und dann seinen fünfjährigen Sohn, der den Lautsprecher oder Lautsprecherwagen aufgestellt werden, so daß im benachbarten Zimmer im Bett lag. Unmittelbar nachdem er das die ganz Hartnäckigen auch durch das unmittelbar gesprochene Wort Kind erschossen hatte, muß er auch seinen achtjährigen Sohn zur Berkehrsdisziplin ermahnt werden können. Für den Berliner getötet haben. Dann fiel der letzte Schuß, mit dem Dr. Meurer Rundfunk find Vorträge von Herren des Polizeipräsidiums und der sich selbst das Leben nahm. Berkehrswacht vorgesehen. Einer der wirksamsten Wege zur Belehrung dürfte die Berteilung von 100 000 Eremplaren der Fuß gänger- Regeln" an die Berliner Schulen sein. Die Schulen er halten außerdem 2000 Blafate in Dinformat, auf denen die Bertehrsregelungszeichen dargestellt wurden. Eine in Berlin wohl noch nicht dagewesene Veranstaltung dürfte die fleine Unfall. verhütungs- Ausstellung der Verkehrswacht auf dem U- Bahnhof Wittenbergplatz werden.
Opfer der Eisschmelze.
Zwei Kinder auf dem Schlachtensee eingebrochen. Das brüchige Eis des Schlachtenfees hat gestern nachmittag wieder ein Todesopfer gefordert.
Nachmittags hatte der Stadtamtmann Ludwig W. mit seinen beiden Stieftindern, dem elf Jahre alten Gerhard und dem neunjährigen Manfred Roeste einen Spaziergang in den Grunewald unternommen. Am Schlachtensee liefen die Jungen auf das Eis. Etma zehn Meter vom Ufer entfernt, gab die durch das warme Better der letzten Tage völlig zerfezte Eisdecke nach und Manfred stürzte ins Wasser. Sein Bruder Gerhard, der ihn zu retten versuchte, bradh menige Sekunden darauf gleichfalls ein. Der Stiefvater der verunglüdten Kinder lief unter eigener Lebensgefahr ebenfalls an die Unfallstelle, wo es ihm aber nur gelang, das ältere Rind zu erfassen und herauszuziehen. Der alarmierte Fischer des Schlachtenfees erschien furze Zeit nach dem Unfall mit seinem Motorboot an der Unglüdsstätte, wo er die Leiche des Neunjährigen bald bergen fonnte. Der Borfall hatte eine große Schar Ausflügler angelockt, die dichtgedrängt die Unfallstelle umftanden.
Hochbetrieb im Kraftverkehrsamt.
In den letzten Tagen find im Kraftverfehrsamt in der Blücherstraße wieder annähernd 2000 Autos und Motorräder, die während der Wintermonate von ihren Besizern stillgelegt waren, neu angemeldet worden. Allein am Grünbonnerstag wurden 1100 Fahrzeuge wieder in Betrieb gesetzt, das ist der höchste Stand, der bisher an einem Tage überhaupt erreicht worden ist. Bei den wieder angemeldeten Fahrzeugen handelt es fich um 716 Kraftwagen und 385 Krafträder. Auch am gestrigen Sonnabend herrschte in der Blücherstraße wieder och betrieb, in die Hunderte ging die Zahl der Autobefizer, die ihren Wagen für die bevorstehende Ostertour rasch noch anmelden wollten. Nicht alle konnten bei dem Andrang rechtzeitig abgefertigt werden und so blieb manches Fahrzeug ohne notwendigen Polizeistempel.
ROMAN
Von
261 S.Rosenfeld
bruch
Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen . Unerwarteterweise traf ich hier einen Häftling, der mir bekannt vortam; doch konnte ich ihn nicht recht erkennen, weil mir irgend etwas in seinem Gesicht fremd erschien. Plöglich fam er auf mich zu und fragte lachend:
,, Du ertennst mich wohl nicht, Sollege?" Bor mir stand ein gut aussehender, schön gebauter und träftiger Mann mit regelmäßigen Gesichtszügen. Was ihn fast unfenntlich machte, das war der Bart, den er bei unserem ersten Zusammensein im Odessaer Gefängnis noch nicht gehabt hatte. Ein alter Taschendieb mit großer Bergangenheit und langjährigen Gefängniserfahrungen, war er nach Sibirien übergesiedelt, um, wie er sich ausdrückte, ein neues Leben zu beginnen. Er hat dort eine Kaufmannstochter geheiratet und einen Laden aufgemacht. Um sein Aeußeres zu verändern, hatte er sich den Bart stehen lassen. Der hübsche, sorgsam gestutzte hellblonde Bart paßte gut zu seinem hellen Teint und feinen grauen Augen und gab ihm etwas Bertrauen erweckendes. Mit einer solchen Physiognomie hat man es leicht, ein Spigbube zu sein, wie Gogol von einem feiner Helden sagt.
Seiner Frau und deren Verwandten hätte sich offenbar nie das Geheimnis pon seiner Bergangenheit enthüllt, wenn es nicht herausgekommen wäre, daß er Dom Militär defertiert mar. Ein Dieb non Brofeffion tann nun einmal fein Golbat fein, was übrigens auch den ständischen Chrbegriffen der Diebeszunft widerspräche. Daher hatte Betjta Nesterom Syphilis fimuliert und lange im Lazarett gelegen; in die Kaferne zurückgekehrt, hatte er nichts Elligeres zu tun gehabt, als irgend etwas auszufreffen, um ins Disziplinarbataillon gesteckt zu werden. Hier war es ihm wohler als im Truppen Dienst. Und die Beit im Disziplinarbataillon wurde auf die Dienstzeit angerechnet.
Die erste, die die grauenhafte Tat entdeckte, war die Haus angestellte, die bei der Heimkehr vom Ausgang im Edzimmer den erschossenen Vater Meurers in einer großen Butlache fand. Entsetzt eilte das Mädchen zum Schlafzimmer, dessen Tür auf ihr Klopfen vom Oberlandesgerichtsrat selbst geöffnet wurde. Auf ihre erregte Mitteilung vom Geschehenen hin schichte sie der Oberlandesgerichts rat nach einem Arzt. Kaum war sie einige Schritte vom Hause entfernt, als drei Schüsse ertönten. Dr. Meurer hatte seine beiden letzten Opfer und sich selbst erschossen.
Das Motiv der Tat ist noch immre nicht geflärt; auf Grund der Ermittlungen haben fich zwei Theorien ergeben. Die eine lautet dahin, daß Dr. Meurer die Tat als vorbedachten Mord inszeniert hat. Darauf deutete der Umstand hin, daß
Achtung! Erweiterter Bezirksvorstand! Mittwoch, den 30. März, pünktlich 18% Uhr, im Sitzungssaal des Bezirksverbandes, Lindenstr. 3, 2. Hof, 2 Treppen
er das Mädchen vor der Tragödie und auch nach der Entdeckung der ersten Opfer fortschickte, ferner auch der Umstand, daß es zu feinem Kampfe gekommen war und die Schüsse mit einer geradezut erstaunlichen Kaltblütigkeit berechnet scheinen. Die andere Erflärung ist die, daß Dr. Meurer, zermürbt durch die vorangegangenen Aufregungen und vielleicht auch durch Gewissensbisse dem Freund gegenüber in Geistesumnachtung verfallen war.
Die Muttertragödie.
Bor dem Hause Bergstraße 8 im Proletarierviertel des Stettiner Bahnhofs patroulliert ein Schupppoſten; er gibt dem und jenem auf Befragen Bescheid, und verhindert die Ansammlung Neugieriger. Eine Stunde vorher hatte er noch alle Hände voll zu tun, die zuströmende Menge zu beruhigen und fernzuhalten, als die Mordkommission die legten, traurigen Spuren der schrecklichen Tat einer Mutter verwischte und die Wohnung verschloß. Im zweistödigen Quergebäude wohnen in jedem Stockwerf drei Parteien auf einem Flur mit Kindern und Schlafburschen in drei Mansardenstuben mit je einer Küche. An der Wohnungstür befinden sich drei Klingeln und fast doppelt soviel Namensschilder und man hat Mühe, den zu finden, den man sucht. Im 2. Stock, wo eine unglückliche Mutter sich und ihre drei Kinder tötete, ist es ſeit zwei Tagen unheimlich still geworden; das mußte auffallen, hier, wo man Tür an Tür, Wand an Band miteinander haust, eine Gemeinschaft Berzweifelter. Da hörte der Nachbar links, wenn ein Kind schrie und der Nachbar rechts, wenn eine fremde Männerstimme im Zimmer der Frau sprach, es blieb nichts verborgen, fonnte nichts verborgen bleiben. Da weiß ein jeder unendlich viel aus dem Leben dieser unglücklichen Frau zu berichten. Sie versuchte, einen Mann, einen Vater für ihre Kinder zu finden und immer wieder war es nichts und immer wieder verließ sie der Mann. Einer, von dem sie ein Kind unter dem Herzen trug, war ihre letzte Hoffnung gewesen. Ostern follte geheiratet werden, es war schon alles vor bereitet, man wollte zu des Mannes Mutter aufs Land ziehen und die Frau war glücklich, die Brüden hinter fich abbrechen zu fönnen; da wurde auch diese Hoffnung zunichte...
Nun war sie am Ende. Dem Treulosen stellen die Nachbarn das denkbar schlechteste Zeugnis aus; er soll die Frau schlecht behandelt, bestohlen und sich schließlich auch noch an einem ihrer Kinder verhaben. Das war der Grund des Bruches zwischen den beiden legten Kraft, um sich und ihre Kinder all dem Schrecklichen und Troftlosen zu entreißen, beging fie die Tat.
Sitzung des Erweiterten Bezirksvorstandestenschen und der Anlaß zu der furchtbaren Tragödie. Mit ihrer
Das Erscheinen sämtlicher Bezirksvorstandsmitglieder ist dringend DER BEZIRKSVORSTAND.
erforderlich.
Walfisch in der Elbmündung. Beim Abschleppen nach Hamburg erflidt.
Am Karfreitag wurde in der Elbmündung ein Walfisch von über acht Meter Länge gefangen, der das stattliche Gewicht von etwa 12000 Pfund aufweist.
Der Wal hatte sich in dem flachen Wasser festgelaufen und wurde später von einem Bergungsdampfer zunächst nach Curhaven gefchleppt. Da der Kopf des Tieres aber längere Zeit unter Basser schleifte, war der Wal bei der Ankunft in Curhaven bereits ertidt. Der Koloß wurde dann nach Hamburg weitergeschleppt. Die Bergung des Wals war mit großen Schwierigkeiten verbunden und gestaltete sich zu einem regelrechten Kampf zwischen dem Tier und den Bergungsleuten. Schließlich gelang es, Eisenketten um die Schwanzfloffen des Tieres zu schlagen und an dem Bergungsdampfer zu befestigen. Taucher Sievers, der die Bergung des Wales vorgenommen hatte, trat mit der Hamburger Fischereidirektion sowie mit den Firmen Hagenbed und Umlauff in Berbindung. Bisher sind jedoch Abschlüsse über die Verwertung des Wales mit feinem der Interessenten getätigt worden. Die Abschlüsse scheiterten an der Forderung des Tauchers, der etwa 2000 m. für den Wat verlangte.
Oftermontag Aufmarsch der Schupowache.
Wie wir bereits in der gestrigen Abendausgabe mitteilten, wird die ma dhe der Berliner Schuhpolizei am Oster. montag um 12.30 Uhr erstmalig mit Musik durch die Straße Unter den Cinden zum Brandenburger Tor ziehen. Der Weg geht von der Polizeiunterfunft Staatsminister Grzesinsti in der Prinz- Friedrich- Karlstraße durch die Universitätsstraße über die Mittelpromenade Unter den Linden zur Wache am Branden. burger Tor. Zurüd marschiert die Schupofapelle zum Gendarmenmarkt, wo am Schillerdenkmal ein plafonzert veranstaltet wird. Zukünftig wird die Wache der Schuhpolizei jeden Montag und Donnerstag mit Mufit aufziehen.
Wenn Chinesen wild werden.
Bei der Borführung eines Films, der den Einmarsch der japanischen Truppen in Tichapei zeigt, entstand in einem Lichtspielhaus in Kanton ein großer Tumult. Chinesen stürmten die Bühne und zerschnitten die Leinemand. Drei Japaner wurden verlegt. Der Direktor des Kinos wurde aus einem Fenster des zweiten Stowerts auf die Straße geworfen, wo er tot liegen blieb. Zwei chinesische Angestellte wurden gleichfalls getötet. Sur Wiederherstellung der Ruhe mußte Militär herangezogen werden.
Er freute sich außerordentlich darüber, mich wiederzu- hätte er seine Gaben ausbilden fönnen und wäre sein Gesehen, weil er jemanden brauchte, der ihm unverzüglich einen wissen nicht mit so furchtbaren Dingen belastet gewesen,- wichtigen Dienst erweisen tonnie. Er mußte schleunigst er= er märe wohl ein Mann geworden, der viele überragt hätte. franten, um wieder für längere Zeit ins Lazarett zu kommen. So aber verlor sich seine Spur, die eines namenlosen LandDazu brauchte er die äußeren Syniptome der Syphilis. Zu streichers, irgendwo in der Einöde. Verstandesschärfe, biefem 3wed sollte ich ihm mit einer brennenden 3igarette Willensstärte, reiche Lebenserfahrung, das alles geht finnZahnfleisch, Mundhöhle und einige noch intimere Körper- los, zmedlos zugrunde, ein echt russisches Schicksal. teile versengen. Ich machte Einwände, ich berief mich auf meine mangelnde Erfahrung in solchen Dingen, aber das ließ er nicht gelten und meinte, alte Kameraden müßten einander aus der Verlegenheit helfen. Und in der Tat hatten wir einige Monate im gleichen Gefängnis zugebracht. So mußte ich denn nachgeben.
In der Nacht, als alle schliefen oder doch auf ihren Pritschen lagen, richteten wir im abgelegensten Wintel der großen Belle unser Handwertszeug her Zigaretten und Streichhölzer, und machten uns an die Operation. Nesterom fniete nieder, sperrte den Mund weit auf und schloß die Augen. Ich zündete eine Bigarette an, führte sie in feinen Mund und prehte sie rasch gegen das Zahnfleisch. Die 3iga rette zischte und erlosch. Ich mußte fie von neuem anzünden und mit der Operation fortfahren. Auf diese Weise versengte ich ihm Backentaschen, Zahnfleisch und andere Körperpartien, im ganzen wohl etwa zwanzig Stellen. Die nicht geringen Schmerzen, die id) ihm verursachen mußte, ertrug er heroisch. Am Morgen verlangte er nach dem Sanitätsunter offfizier. Der brachte ihn sofort zum Arzt. Zwei Tage später war Nesterom bereits im Gefängnislagarett und hatte begründete Aussicht, von dort als Heeresangehöriger ins Militärlazarett übergeführt zu werden. Damit würde also wieder ein Teil seiner Dienstzeit vergehen.
Bald darauf mußten der Mann ohne Gedächtnis und ich endgültig Abschied voneinander nehmen. Wir drückten uns lange die Hände, wir sprachen davon, wie gern wir einander gehabt hatten und wünschten uns alles Gute. Wir hatten ja viele Bochen miteinander verbracht, und solche Wochen in der Gefangenschaft zählen oft wie Jahre.
Unwillkürlich dachte ich noch oft über ihn nach, und in meiner Erinnerung steht er fa por mir, wie ich ihn im ersten Augenblick unserer Betanntschaft fah, als ein intereffanter, eigenartiger, ja vielleicht auf seine Beise großer Mensch. Dazu mag der Umstand beigetragen haben, daß es in seinem Leben zweifellos etwas Wesentliches, etwas Mächtiges und Wert volles gab, das er im Dunkel eines sorgsam behüteten Geheimnisses lassen mußte. Hätte das Leben es anders gefügt,
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Immer weiter trug mich die Fahrt davon, immer weiter fort von der Heimat, von den Menschen, die mir nahestanden, von Europa und seiner Kultur. Wieder Waggons, Geleise, Estorten, bloße Säbel, Fesseln und Fackeln, wieder Gefängniffe. Das düstere, herzbeklemmende Gefängnis von Tschita . Und wieder graue Zellen, graue Sträflingsgesichter, graue Arrestantentittel. Und immer wieder die gleichen Erzählungen von Mord, Einbruch, Raubüberfall und Diebstahl... Vor den Fenstern schwirren Dörfer vorbei, Ansiedlungen, Städte, Bahnhöfe und Haltestellen. Unter den gewohnten russischen Physiognomien tauchen bereits die gelben Gesichter von Chinesen, Koreanern und Japanern auf. Auf dem Bahnsteig von Charbin sah ich in der buntfchedigen Schar die feisten Gestalten blaugekleideter chinesischer Kaufleute mit langen schwarzen 3öpfen, die zierlichen Figürchen der Chinesinnen mit ihren winzigen Füßchen und bemalten Gefichtern. Die Chinesinnen gingen zu zweien oder dreien und hielten sich untergefaßt, um nicht zu fallen. Am Ende des Bahnsteiges standen neben unseren russischen Gendarmen riesige dicke chinesische Polizisten mit grimmigen Gesichtern wie dressierte Bulldoggen.
Mir fuhren weiter und nun lag die letzte Großstadt hinter uns.
Und nun fahren wir schon über die Felder, auf denen sich vor zehn Jahren eine der furchtbarsten Tragödien der Menschheitsgeschichte abgespielt hat. Hier, auf den Höhenfuppen der Mandschurei , prallten megen der persönlichen Intereffen getrönter Konzessionsbefizer am Jalufluß zwei Bölker aufeinander und vergossen monatelang Strome von Bruderblut. Hier, auf den Feldern der Mandschurei , sind Hunderttausende zugrunde gegangen, Hunderttausende wurden zu Krüppeln ohne Arme, Beine und Augen. Hier liegen Ehemänner, Brüder, Väter und Söhne begraben, Hunderttausende, die nie wieder zu ihren Frauen, Schwestern, Kindern und Müttern zurückkehren durften. Hier sind Millionen schuldloser Menschen am grimmigen Frost, an Hunger und Ungeziefer, an feindlichen Kugeln und Granaten zugrunde ge gangen. ( Fortseyung folgt.)