Nr. 154 49. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Ins Tal der Ragöse
Die Mart bietet viele Ueberraschungen. Wer sie mit dem Zuge durchfährt, ist meist der Ansicht, daß es sich hier um eine öde, mit Ackerfeldern und färglichen Kiefern bedeckte Ebene handle. Um so erfreuter sind die meisten, wenn sich dann Schönheiten öffnen, die für jeden, der zu mandern und zu schauen versteht, unvergeßlich bleiben.
Bei
Eine der Berlen der märkischen Landschaften ist das Gebiet um Ebers= walde, das mit Sonntagsrückfahrkarte vom Stettiner Bahnhof aus leicht erreicht werden fann. Nördlich der Stadt verläuft der Großschiffahrtsweg Berlin- Stettin, der immer noch ,, Hohenzollerntanal" heißt. Dieser Kanal hat feine Merkwürdigkeiten. Durch den Bau des Schiffshebewertes bei Niederfinom, das das größte der Welt ist, wird er meit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt werden. Eberswalde wird er über die Eisenbahn, die Berlin mit Stettin verbindet, hinweggeführt. Immer wieder bleibt es für die Fahrgäste eine Zuges ein Erlebnis, menn plöglich über ihnen der Schornstein eines Dampfers auftaucht, dem vielleicht eine Reihe von Schlepptähnen folgt. Wer diese Stelle erreichen mill, muß von Ebersmalde- Bahnhof zum„ Wassertor" laufen, das in etwa einer Viertelstunde zu erreichen ist. Hier mendet man sich nach Westen und folgt auf dem Damm dem Lauf des Kanals. Nach 1½ Kilometer ist die Eisenbahnunterführung erreicht, die eine ausgezeichnete Ingenieur
|
Osten, wandern zum Wassertor zurück und darüber hinaus, bis wir nach einer guten halben Stunde das Ragösetal erreichen. Und hier erleben mir eine neue technische Merkwürdigkeit: die fleine muntere Ragöse, die aus nördlich gelegenen Seen entsteht und auf ihrem Lauf sogar einige Wassermühlen treibt, wird hier unter dem Kanal hindurchgeführt. Nach einem meiteren Lauf von etwas über einem Kilometer mündet sie dann in die Alte Finom, die ihre Wasser in die Oder leitet. Das Tal der Ragöse gehört zu den landschaftlichen Schönheiten der Mark, die hier an Thüringen erinnert. Das ganze Gebiet ist hügelig und abwechslungsreich mit Sträuchern, Wald und Wiesen, bedeckt. Man steigt bequem in das Tal hinunter und entdeckt bald die Stelle, die unser Bild wiedergibt. Tief unter dem Kanalbett fließt das Bächlein dahin. Auf einem idyllischen Fußweg durchwandern wir das Tal bis Mönchsbrück und stoßen hier auf die Lieper Chauffee.
Nun fann man zum Schiffs hebe= mert meiter gehen, was unbedingt zu empfehlen ist. Die Chaussee ist zwar zunächst etwas eintönig. Sie führt aber später an steilen romantischen Waldhängen vorüber und verläuft dann parallel zum Kanal. Bald steigt das hohe, im Odertal stehende Gerüst des Schiffshebewerts als ein ausgezeichneter Wegweiser vor uns auf. Links liegen noch die alten Schleusenanlagen, die in vier Stufen den rund 37 Meter betragenden Höhenunterschied zwischen der Oder und der oberen Kanalhaltung überwinden. Rechts zweigt ein Kanal zu ihrer Umgehung ab und leitet zum Hebewert, dessen Besichtigung von der Bauleitung in großzügiger Weise freigegeben ist. Im ,, Borwärts" ist mehrfach über dieses Baumert und seine technischen Einzelheiten berichtet worden.
leistung darstellt. Bis jetzt hat das hod) Die Ragöse fließt unter dem Großschiffahrtsüber dem umgebenden Gelände geführte. weg Berlin - Stettin hindurch. Kanalbett ausgezeichnet gehalten. Die Ingenieure haben aber damit rechnen müssen, daß das Bett einmal led merden könnte. In diesem Falle würde der Kanal auslaufen und die abströmenden Wasser würden großes Unheil anrichten. Um das zu verhindern, wurden nicht weniger als drei Wassertore cingebout, von denen wir eins bereits fennen lernten. Ihre Aufgabe ist es, die gefährdete Stelle abzusperren, die dann nach dem Leerlaufen sofort ausgebessert werden kann.
Von der Bahnüberführung wenden wir uns jetzt wieder nach
Wer gut zu Fuß ist, mag nach Eberswalde zurückwandern. Sonst erreicht man in etwa einer halben Stunde vom Hebewerk aus die Bahnstation Niederfinow , von der aus die Rüdfahrt über Eberswalde angetreten werden fann. Gesamtlänge bis Niederfinow etwa 19 Kilometer.
Der Berek- Skandal.
Der Direktor wird gehen müssen/ Plakate klebten noch am Abend.
Die Durchbrechung des für die Offerzeit vom Reichspräsidenten | Polizeipräsident eine Beseitigung der Plakate bis 14 1hr verfügten Osterfriedens durch das nächtliche Bekleben der von der Städtischen Berek- Gesellschaft( Berliner Anschlag- und Reklamerejen G. m. b. H.) betreuten Litfaßsäulen mit Naziplakaten hat sich zu cinem öffentlichen Standal entwickelt.
Die republikanische Bevölkerung war bereits mit Recht start cmpört, als am Morgen die Naziplakate an den Litfaßsäulen prangten. Die Empörung steigerte sich aufs höchste und die Vor wärts"-Redaktion wurde bis in die späten Nachtstunden mit Telephonanrufen bestürmt, als bis spät in die Nacht hinein die Plafate noch immer an einer außerordentlich starten Anzahl von Säulen unberührt Plebten. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß der
Zuptine
30]
Von
ROMAN S.Rosenfeld
bruch
Aus dem Russischen übertragen von Werner Bergengruen . Aber 3ygankow ließ uns feine Rühe, sondern kommandierte:„ Laufschritt marsch, marsch!"
Und schweißbedeckt, erschöpft, mit blauen Gesichtern und geblähten Nüstern mußten wir im Gänsemarsch, einer hinter dem andern, weiter laufen. Der ermattete Arm mit dem Gewehr fenfte sich niedriger, als die Vorschrift es gestattete, und 3ygantom schrie: ,, Höher das Gemehr! Höher! Sonst lasse ich euch bis zum Abend laufen!"
Nach den Laufübungen wurde Marschieren im Gleichschritt geübt. Das dauerte zwei Stunden, und nun wurden wir in die Kaserne entlassen, gerieten aber bald darauf mieder dem Gefreiten 3ygankom in die Klauen: es gab Griffetiopfen, Turnen und andere Dienstzweige. Er führte uns in eine stille, abseits gelegene Ecke des Kasernenhofs, und dort marterte er stundenlang unsere Körper und Nerven; er fonnte einen schon zur Berzweiflung bringen mit seinen weit über Menschenkräfte gehenden Anforderungen und seinen ununterbrochenen Schimpfen und Schreien.
Die übrigen Abrichter, Korporalschafts- und Zugführer unterschieden sich nicht sehr wesentlich von 3ygantom. Ohrfeigen, Fauststöße, gemeine Beschimpfungen waren an der Tagesordnung, als ginge es nicht anders. Je befcheidener, folgfamer und freilich auch je schwächlicher einer war, mit um fo milderer Roheit fielen diese übergeschnappten Gefreiten, Unteroffiziere und Portepeeunteroffiziere über ihn her. In jeder Kompanie gab es ein paar Leute, auf die sich regelmäßig aller Grimm, aller Hohn und Spott sämtlicher Vorgesezter entlud.
Da war der Refrut Tjurin, dick, schlaff und plump mie ein turzer und breiter, mit Heu vollgestopfter Gad; er fah in der Tat nicht ganz so aus, wie man sich einen Soldaten
Sonnabend, 2. April 1932
Borsitzenden des Aufsichtsrats der Beret, Stadtbaurat Hahn, veranlaßt, sofort den Aufsichtsrat der Gesellschaft zusammenzuberufen, damit er sich mit dem unerhörten Vorgang beschäftigen kann. Der verantwortliche Direktor der Berek", Herr Martin, der der Bolkspartei nahesteht, soll den leitenden Männern im Rathaus beteuert haben, daß er an der ganzen Angelegenheit unschuldig set. Wir müssen demgegenüber erklären, daß ein Betrieb sehr schlecht geWir kommen zu der Forderung, daß der verantwortliche Direktor die leitet erscheint, bei dem ein derart skandalöser Fehler möglich ist. Konsequenzen des empörenden Vorfalls tragen muß, auch aus der Erfahrung heraus, daß die„ Beret" sich in manchen anderen Fällen schon als nicht besonders republikfreundlich gezeigt hat.
interessant, ob dem die Nationalsozialistische Partei überhaupt schon Im übrigen erscheint uns die Beantwortung der Frage sehr die nicht unerheblichen Kosten der Platatierung ihrer Werbeerzeugnisse zum ersten Wahlgang bereits beglichen hat.
*
Wie uns ein„ Vorwärts"-Leser mitteilt, wurde gestern abend in den Briefkasten seiner im Hause Schumannstraße 17 gelegenen Wohnung Naziflugblätter gesteckt. Wie er feststellen fonnie, ging die Verbreitung der Flugblätter von der Nazikaserne im Hause Luisenstraße 19 aus.
Raubüberfall auf Verwalter.
Bier bewaffnete Banditen erbeuten 1200 Morf.
Auf den Verwalter Adolf Benz wurde gestern abend im Hause Dunderstraße 19 im Norden Berlins ein verwegener Raubüberfall verübt.
B. hatte mie gewöhnlich zum Monatsbeginn in der Portiermohnung die Mieten vereinnahmt. Um 18.30 Uhr flopfte es wieder an die Tür der Portierwohnung, und in der Meinung, daß es wieder
Wählerlisten einsehen!
Mieter seien, die noch Miete bezahlen wollten, wurde geöffnet. Plötz lich stürmten vier zum Teil maskierte und mit erhobenen Revolvern bewaffnete Männer in die Wohnung. Unter dem Ruf: ,, 5) ände hoch!" besetzten zwei Mann den Ausgang, während die beiden Komplicen die eingenommenen Mieten in Höhe von 1200 Marf an sich rissen. Mit der Beute flüchteten die Täter und entkamen froz der sofort aufgenommenen Verfolgung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie zu ihrer Flucht ein Auto benutzt haben, das sie irgendwo gestohlen haben.
Die Schulferien.
Wir hatten vor einigen Tagen die Termine der Schulferien für 1932 veröffentlicht. Wie wir nachträglich feststellen mußten, sind wir dabei einem Irrtum zum Opfer gefallen. Die richtigen Ferientermine lauten wie folgt:
"
"
"
"
"
"
"
Pfingsten Letter Schultag 12.5., Schulanfang 24. 5. 1932. Sommerferien 30, 6., 5.8.1932 Herbstferien 30. 9., 13. 10. 1932 Weihnachten 22. 12, 5.1.1933 Der Einschulungstermin für neu eintretende Schüler und gleichzeitig der Schlußtag der Osterferien ist der 7. April 1932.
"
verlangt hatte. Es mußte sonderbar anmuten, daß die Forde rung der Polizei fo mangelhafte Erfüllung fand. Die ,, Beret" erklärte zwar, daß sie alles versucht habe, die benötigten Arbeiter herbeizubekommen; das sei jedoch nur bis zu einem gewissen Grade möglich gewesen, weil die Kleber, die meist in den Nachtstunden beschäftigt werden, ant Tage schlafen und nur schier zu erreichen find. Es sei auch nicht möglich gewesen, so wird erklärt, Charlottenburg kam es in den gestrigen Abendstunden zwischen NatioSchießerei in Charlottenburg . In der Potsdamer Straße in Arbeitslose mit dem Ueberkleben der Plakate zu betreuen, weil die nalsozialisten und Kommunisten zu einer folgenschweren Schießerei. dreitausend über Berlin verstreuten Säulen eine Ortsfenntnis verDrei Beteiligte langen, die mir die angestellten Kleber befizen. es soll sich um Angehörige der NSDAP . handeln wurden durch Bein- und Oberschenkelschüsse niedergestreckt. Inzwischen hat der Oberbürgermeister Dr. Sahm den Die Verletzten fanden im Krankenhaus Westend Aufnahme.
vorstellt. Sein frankhafter Leibesumfang, seine angeborene Schlappheit, seine unüberwindliche Schwerfälligkeit machten ihm alles, was in der Kaserne von ihm verlangt wurde, zur Höllenqual. Beim Turnen brachten die Vorgesetzten ihn bis zu hysterischen Anfällen, weil sie ihn zu Leistungen zwingen wollten, die er während seiner ganzen Dienstzeit nicht fertig bringen konnte. Kaum war er auf der Kletterstange, so fiel er unverzüglich wieder herunter und schlug sich dabei blau und grün, aber er wurde gezwungen, seine Kletterversuche von neuem aufzunehmen, wieder und immer wieder, stöhnend, schwizend und schließlich völlig entkräftet. Maschieren und Griffeklopfen boten ihm unüberwindliche Schwierigkeiten. Seine geistigen Fähigkeiten entsprachen der Entwicklungsstufe eines dreizehnjährigen Kindes, und sein Gesicht hatte den dumpfen und törichten Ausdruck einer Kuh.
Der arme Kerl hatte alle Unbeherrschtheit, allen Aerger und alle Gehässigkeit der machtverhärteten unteren Borgefetzten auszubaden.
Besonders schlimm erging es denen, die die russische Sprache nur schlecht oder überhaupt nicht beherrschten, also den Tataren, Tschumaschen, Armeniern, Polen und Juden.
In unserer Kompagnie war ein fleiner rundlicher Tatar namens Scheifula, ein Kerl mit einer winzigen Stupsnase und Schlißaugen. Er verstand ein paar Worte russisch, konnte aber fein einziges sprechen. Die ewigen Zwischenfälle, die es mit ihm gab, hatten etwas komisches und Trauriges zugleich, und natürlich war er dabei immer der Leidtragende.
Zu uns tamen Bekannte und Landsleute aus den anderen Kompanien zu Besuch. Man tauschte seine Eindrücke aus, erzählte von den Blackereien der Vorgesetzten, den alles Menschenmaß übersteigenden Anforderungen, die an die Marschfähigkeit der Truppe gestellt wurden, und von allen anderen Mühsalen des Kasernenlebens. Dabei war auch von Grigorjem die Rede, dem Feldwebel der dreizehnten Kompanie. Den tannten nicht nur die Soldaten und Offiziere feiner Kompanie, sondern da wußte das ganze Regiment Bescheid. Selbst in den anderen Regimentern der Garnison war von ihm die Rede. Seine Grausamkeit war bereits legendär geworden, man nannte seinen Namen nur mit Schaudern. In seiner Kompanie gab es jährlich eine ganze Anzahl Rekrutenselbstmorde. Seinetwegen fanden jährlich mehrere Fluchtversuche statt. Duzende von Leuten seiner Kompanie tamen nors Kriegsgericht. Fast täglich fand in seiner Kompanie eine Disziplinaruntersuchung gegen mehrere
-
Leute statt. Vor ihm zitterten nicht nur die Gemeinen, sondern auch alle Unteroffiziere und Portepeeunteroffiziere. Der Kompaniechef, Major Kaschin, war selbst scharf und bösartig, aber im Vergleich zu Grigorjem war er wie ein Kind; übrigens stand er völlig unter dem Einfluß seines Feldwebels. Bei allen Dienstzweigen, beim Turnen, in der Kaserne, im Sommerlager, in den Freistunden, immer und überall war Grigorjem von unerbittlicher Härte, verlangte Unmögliches, ließ seine Kompanie vor allen anderen ausrüden, nach allen anderen einrücken, gönnte niemandem eine Minute Ruhe, schimpfte, stieß, prügelte, und wenn die totmüde Kompanie nach all dieser Schinderei endlich wieder in die Kaserne fam, dann stellte er sofort die armen Sünder unter Gewehr. Er verhängte Strafarbeiten, meldete alle Augenblicke einen seiner Leute dem Kompaniechef und dachte sich Dutzende von besonderen Martern aus. Alle Versuche, sich über ihn zu bes fchweren, mißglückten infolge des Einflusses, denn er auf den Kompaniechef hatte, und überhaupt infolge des ganzen, in der alten Armee herrschenden Beschwerdesystems.
Damals passierte in unserem Nachbarregiment eine Geschichte, von der viele glaubten, fie fönne nicht ohne Einfluß auf Grigorjems Befen bleiben; indessen blieb er fich treu bis zu seiner letzten Stunde.
Die Kälte ließ nach, die Sonne schien, wärmte schon ganz angenehm und schmolz stellenweise den Schnee fort.' Der Frühling tam. Wir alle, die ganze Kompanie murden auf den Kafernenhof gejagt, befamen Schaufeln, Schabeisen und Besen und mußten den Hof von Schnee und Schmuz säubern. An einem dieser ersten Tage erschien plötzlich der Kompaniechef, Hauptmann Tschaika. Borher hatte ich schon in der Morgenfrühe vom Feldwebel meinen fälligen Anpfiff be= kommen. Wir hatten uns nach dem Tee gerade fertiggemacht, um zum Dienst auf den Hof zu gehen, als Gontschorom plötz lich vor mir stand. Ich rechte mich nach allen Regeln der Kunst, zog den Bauch ein, wölbte die Brust vor, schlug die Abfäße gegeneinander und starrte dem Feldwebel in sein brutales Gesicht. Gontscharow musterte mich finster. Der ganze Zug stand regungslos da und erwartete einen Ausbruch. Offenbar brauchte der Plan eines Anpfiffes im Kopf des Feldwebels eine gewisse Zeit, um auszureifen. Schließlich war er soweit und begann: 2ẞie hast du denn deinen Mantel ongezogen, du Hundesohn? Warum sizzen die Falten vorne? Soll ich dir vielleicht mal den Mantel anziehen?" ( Fortsetzung folgt.)
"