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Der politische Goethe

Aus dem literarischen Nachlaß von Franz Diederich

Tem noch unveröffentlichten literarischen Nachlas Franz gar nicht auftammen zu lassen; er braucht nur den Grundsatz zu Diederichs, deffen Geburtstag beute ist, find nachfolgende befolgen und zu verbreiten, daß Befig fein Recht gibt, unbillig und Betrachtungen über den politischen Goethe entnommen. Franz Diederich, selbst ein Dichter, und vielen unserer Ge- eigennüßig zu handeln. Zu dieser Marime befehrte fidh bie graffiche toffen noch in persönlicher Erinnerung, war ein vorzüg- Hauptperson des Ghides, sie handelt danadh in eigener Sache und licher Goethe- Kenner. gelobt: 3u teiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, teine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter dem verhaßten Namen einer Demokratin verschrien merden sollte." IInd diese Mahnung an die Oberflasse, sittlich Einkehr bei sich zu halten, ergänzt Goethe   nach unten hin durch den eindringlich erteilten Rat, im Umkreis der ererbten fleinen Welt sich tüchtig zu bewähren. Im Reineke Fuchs  " mahnt er zu firenger Ordnung, Hauszucht und Mäßigkeit, und in Hermann und Dorothea  " 1795 malt er das Bild dieser Züchtigteit in fleiner Belt mit ents südender Dichterfreude. Zugleich aber spornt er on, alle Kräfte gegen die Revolution, beren schlimme Borboten die kleine Stadt so eben erlebt hat, bereit zu halten.

Die Natur war Goethes   Zuflucht, war ihm Retterin und Führerin. Hier murzelte ihm der Instinkt der Joeen, hier fog er immer mieber frische Nahrung, neues Blut. Sie gab ihm alles, tlärte ihm das ursprünglich lebendige Wesen der Kunst und regelte auch sein geschichtliches Anschauen. Es sei nur gut, sagte er, daß sie ,, Don ihrer Seite den Weg zur Humanität geöffnet" babe, und sie mieperum, als Ingebriff aller Wirklichkeiten, schützte ihn vor dem Sichverlieren in eine abstrafte Ideenwelt. Als Herbers großes Wert erschienen mar, schrieb Goethe dem Freunde, er glaube, daß die Humanität endlich fiegen werde, nur fürchte er, daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des anderen humaner Krantenwärter sein werde". Ideal und Wirklichkeit zeigten sich ihm nebeneinander, die Welt, wie sie sein sollte, und wie sie nun war. Wie par die Brücke über die ungeheure Kluft zwischen beiden zu schlagen? Er sah die Klassenfchichtung der feudalistischen Gesellschaft, er fah die Berrottung der herrschenden Kultur und fand teine Ant mort auf die Frage, ob oder wie sie sich ändern merde. Noch war die Zeit nicht reif, zu erkennen, mo gesellschaftliche Berfassung murzelt. So tehrte er der politischen Arbeit, die ganz von der feudalen Macht beherrscht und geformt wurde, früh unwillig und mißächtlich den Rüden: Das Ganze fümmert sich nicht um uns, marum sollten mir uns mehr als billig um das Ganze bekümmern?" Er betümmerte fich aber um fo ernsthafter um die Entwidlung des einzelnen.

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Dreierlei zieht sich von Jugendtagen an durch Goethes ganzes Leben: der Widermille gegen das schleppende geistlose bürgerliche Leben", der Zorn über den Wust von Rittertum und Pfäfferet" und die hohe Einschaung des patriarchalisch geordneten Lebens. Er war ein Sproß der mittleren Jahrzehnte des achtzehnten Jahr. hunderts, und diese Abfunft gibt seinem gesellschaftlichen Anschaun die Grundlage und Richtung bis durch das erste Drittel des neun­zehnten Jahrhunderts hin, das er erleben sollte. Die Revolutionszeit revolutioniert ihn nicht, wenn sie auch im Anbeginn sein Herz hoch erhebt und ihm 1792 bei Balmy, unter dem Eindruck der ungeheuren Biderstandswucht des französischen   Revolutions heeres, fogar den Ausspruch eingibt: Bon hier und heute geht eine neue Epoche der Beitgeschichte aus, und ihr fönnt sagen, ihr seid dabei gewesen." In den ersten zehn Weimarer   Amtsjahren hat er eingesehen, daß Fürsten   feine willigen Kulturbauherren sind, aber nie ist er, der Erzieher eines Fürsten, ein Fürstenfeind gewesen, und in der Reno­Tutionszeit nimmt in feinen Augen der Wert des Königtums sogar erheblich zu. Sein Humanitätsdenken idealisiert den Begriff: ,, Kronen gehören auf das Haupt hervorragender Menschen." Diese Auffassung freibt ihn dann später zur Begeisterung für Napoleon  . Bie wenig die Revolutionsschreden seine bisher gehegten poli­tischen Urteile änderten, verrät das Epos ,, Reinete Fuchs", das er zum Teil niederschrieb, als er mit dem preußischen Heere gegen die Revolution im Felde lag. Derb wie das alte niederdeutsche Heldengedicht, das er in antike Versform umgoß, zog er gegen die Raubwirtschaft von König, Adel   und Pfaffen vom Leder. Eine ,, unheilige Weltbibel" nannte er das Gedicht, er mollte sich daran erholen von den Straßen-, Markt- und Böbelauftritten", an denen er fich ,, bis zur Abscheu hatte übersättigen müssen", und er fand es ,, nun wirklich erheiternd, in den Hof- und Regentenspiegel zu bliden, wo das Menschgeschlecht in feiner ungeheuchelten Tierheit fich ganz natürlich vorträgt". Unverhohlen zeigt sich also auch sein 3orn gegen die aufrührerisch brandenden Boltsmaffen. Im achten Gesange, dieser fräftigen politischen Rundgebung, mirft er ihr vor, daß fie mit Gemalt nach den Rechten aller greife, und er fehrt sich gegen den Düntel des irrigen Wahns, der die Menschen ergreift, es fönne jeder in Taumel seines heftigen Wollens die Welt beherrschen und richten".

Er sah das Elend der gedrückten Volksmassen deutlich genug. Als ihm der junge, noch unreife Herzog von Weimar   in den ersten Jahren seiner ministeriellen Arbeit freie Hand ließ, hatte er eine ganze Reihe antifeudaler Reformen versucht, die darauf ausgingen, dem unteren Bolte den Sack von den Schultern zu nehmen; aber dann hatte der Herzog angefangen, seine Pläne zu freuzen und zu vereiteln, und Goethe gab die Durchführungen seiner Absichten mit bebrücktem Gefühl als aussichtslos auf. An Knebel hatte er 1782 geschrieben: Ich steige durch alle Stände aufwärts, sehe dem Bauersmann der Erde das Notdürftigste abfordern, das doch auch ein behagliches Auskommen wäre, wenn er nur für sich selbst schmigte. Du weißt aber, wenn die Blattläufe auf den Rosenzweigen fizzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern. Und so geht's weiter, und wir haben's so weit gebracht, daß oben immer in einem Lage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann." Und nun mußte Goethe flagen: Hier ist alles beim alten, schade für das schöne Gebäude, das stehen fönnte, erhöht und erweitert werden könnte, und leider feinen Grund hat." Im Faust zeichnet Goethe in dem Spruch der Holz­hayer das soziale Berhältnis der unteren zu den oberen Klassen: ,, Denn ihr erfröret, wenn wir nicht schwigten", und diese Wahrheit ergänzt den Spruch:" Wir schaffen's Eisen, fie schmieden Ketten." Aber das soziale Ideal, das ihm für das Leben dieser Volksschichten Dorschwebt, hat sich in den Tagen der Rousseau  - Begeisterung ge bildet und geht nur auf die Sicherung alter patriarchalisch geordneter friedlicher Hauszustände aus. Daß die Volksmasse berufen sein könnte. in Eigenhilfe eine Rolle auf der politischen Bühne zu über­nehmen, galt ihm als unmöglich. Im Egmont  " schon brachte er zum Ausdruck, daß er sie für durchaus unflar, unfelbständig und unzuverlässig hielt. In dem Drama ,, Die natürliche Tochter  ", in dem Goethe seine Meinungen über Revolution zusammenfassen mollte, ist gesagt, die Masse sei nicht fähig, planvoll zu handeln. Was in Frankreich   geschah, erschien ihm denn auch als ein schweres Irren, das ins Berderben führen mußte.

Er spähte nach Mitteln aus, die deutsche Boltsmasse von dem Revolutionsgedanken zu trennen, fing an, Stüde   zu schreiben, die das revolutionäre Treiben zum Gespött machen sollten, unterbrach diese Arbeit aber, als in den Reihen feiner Freunde ein lautes Murren einsetzte. Das Wichtigste dieser Stücke ist die Komödie Die Aufgeregten". Sie enthält sein politisches Glaubens­bekenntnis, auf das er sich noch im Alter berief. Es bestand einmal darin, daß er seinen eingewurzelten Groll gegen den privilegierten Adel zu Felde schickte: Diese Menschen, die sich über alles hinweg­fetzen, ihresgleichen behandeln wie das Bieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hineinleben, so lange fie mit Menschen zu tun haben, die sie nicht schäßen." Der eigentliche Sinn der Komödie aber ist dieser: der Abel hat die Revolution herauf­beschworen und er hat es in der Hand, sie durch fluges Berhalten

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Goethe hielt das Werden der Zeit im Auge. Es war ihm wichtig, die Geschichte in Verbindung mit den neuen Entdeckungen, die man doch stets machen mürbe", zu werten. Er beachtete das überhandnehmende Maschinenwesen, fah die guten Chauffeen und fünftigen Eisenbahnen" als Borbereiter der Einigung Deutsch­ lands   an, glaubte feft an eine neue era als Ergebnis der Er.

Erich Gottgetreu  :

fchütterungen zu Beginn des Jahrhunderts und erwartete fie ,, nicht früher als im Herbste des Jahrhunderts, in seiner zweiten Hälfte, menn nicht sogar in seinem letzten Viertel". Er mies energisch die Bezeichnung Freund des Bestehenden" als einen sehr zweideutigen Titel ab, der oft nicht viel meniger als ein Freund des Beralteten und Schlechten" heiße: Die Zeit aber ift in emigem Fortschreiten begriffen, und die menschlichen Dinge haben alle fünfzig Jahre eine andere Gestalt, so daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Bollkommenheit war, schon im Jahre 1850 vielleicht ein Ge­brechen ist."

Die politischen Wirkungen diefer Entmidlung, die revolutionären Bestrebungen, mies er ab. Er fah diefen Borgängen nicht auf den Grund. Noch 1830, nach der Julirevolution, meinte er: Es ist nichts trauriger anzusehen als das unvermittelte Streben ins unbedingte in diefer durchaus bedingten Welt. Aber diese Gegnerschaft, die ihn an die Seite der Reaffion brachte, verführte ihn doch nicht dazu, ihren Mitteln, das Bestehende zu erhalten, Revolution vorzu­beugen", zuzuftimmen; er war ein Feind aller Bevormudung und lehnte jede Gemeinschaft unzweibeutig ab: fie nämlich rufen die Dummheit und die Finsternis zur Hilfe, ich den Berstand und das Licht" Die menschliche Entwidlung sollte als ein Teil der natur freie Bahn zu stetigem Bormärtsschreiten haben. Und wenn der erfte Teil des Fauft gegen die Gesellschaft die Anklage schleudert: Bom Rechte, das mit uns geboren ist, Bon dent ist leider nie die Frage

fo donnert nun im zweiten Teile das gewaltige Werbensport geschichtlicher Erkenntnis:

Gefes ist mächtig, Mächtiger ist die Not.

Landarzt am Großstadtrand

Ich hatte ihn auf der Universität tennengelernt, aber unsere Beziehungen überschritten damals nie die Grenzen einer oberfläch lichen Bekanntschaft. Ich mußte von ihm nur, daß er der Sohn eines Berliner   Arbeiters war und empfand stets große Hochachtung Dor seiner beträchtlichen Intelligenz und vor der Zähigkeit, mit der er sein medizinisches Studium herbeigestrebt, durchgesetzt und durchgeführt hatte. Später verloren mir uns aus den Augen. Ich erfuhr nur, daß er sich irgendwo in der Nähe von Berlin   als Land­arzt niebergelassen hat.

Reulich trafen wir uns im Bartesaal der Welt wieder: im Romanischen Café".

Ja, also es ginge ihm ganz gut, erzählte er, soweit es heute eben einem Arzt gut gehen könne, seitdem die Fünfzigpfenma- Not verordnung eingeführt sei, die die Hermeren nur in den dringend sten Fällen zum Arzt gehen ließe aber die Leute hätten ihn mohl ganz gern, und er könne es in seinem kleinen Raff schon aushalten, zumal die Entfernung von Berlin   fürs Auto eine Kleinigkeit sei, also sein Leben wäre erträglich. Gelegentlich solle ich ihn doch mal besuchen. Ja, gern. Aber falls ich mit Einheimischen zusammen treffen würde, solle ich von seiner proletarischen Bergangenheit nichts verbauten lassen. Nanu Slaffendünkel? Nein, aber ein Sandarzt müsse von dem Nimbus umschwebt sein, zumindest ein Generals sohn oder irgend so was zu sein fonft genieße er feinen Respett. Daß einer mas fann, das wäre natürlich sehr michtig, aber noch nicht das allein Entscheidende.

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Bir tamen dann öfter des Abends im Staffeehaus zusammen, er pflegte dann immer, wie er sich ausdrückte, einen Schlag" zu erzählen.

liquidieren? Ja, die Autofahrer sind ein merkwürdiges Bolf, sie haben fast nie Gelb bei sich

Also, was die Auswärtigen anbetrifft, ist der Doktor etwas ver­bittert. Ebensowenig wie der selige Wasser und Bauerndoktor Briesnih glaubt er an Dantbarteit: Wenn ich heute auf Reisen ginge, würde ich sorgfältig allen ausweichen, denen ich das Leben gerettet habe."

Thin wieder mein Briesnik: Meistens hab' ich ja Rassen= patienten. Die Sache ist nicht gerade übersichtlich: in einem so großen Dorf, wie ich es bewohne, tönnen in einem Vierteljahr die Scheine von etwa dreihundert verschiedenen Kassen zusammenkom. met. Die Berrechnung geschieht nicht direkt, sondern durch den zuständigen Verzieverein. Zum Kassenhonorar fonunt dann, wenn es sich um Besuche in einem Nachbardorf handelt, eine Gebühr für die mit dem Auto zurückgelegte Strede; früher sollen mal eine Zeit­lang die Autos von Bandärzten steuerfrei gewesen sein, man sollte das wieder einführen. Oft bekommt man dann auch noch einen Naturallohn, die Leute aus dem Dorf sind sehr anhänglich, schicken mir gern Aepfel, Birnen, Eier, auch gelegentlich eine besonders große Tomate oder Kartoffel, die als Gartenmunder zu bestaunen ist. Und etws besonders Hübsches erlebte ich neulich): Kommt da einer zu mir und läßt sich verbinden, offenbar war er bei einem Einbruch angeschossen worden. Bezahlen konnte er aber nicht. Sagt er: Sa, Herr Doktor, wie machen mir det mu?" Sag' ich: Na, Sie fönnen mir ja was schicken" und zwei Tage später schidt der unbekannte Dieb durch ein Kind von der Straße zehn Mart. Del war fürs Berbinden neulich

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Als wir uns das nächste Mal treffen, sprechen wir noch eimmol Einmal war er sehr aufgeregt. Er hatte da ein merkwürdiges von diesem Einbrecher, der sich seinem Arzt gegenüber so moraliscy Erlebnis gehabt. War da plötzlich, das Haus war schon leer, angezeigt hat. Rasch kommt die Rebe auf das heute fso oft erörterie Spätnachmittag ein Bagabund hereingeschneit; er hatte sich die Füße Thema des ländlich sittlich". Der Dottor ist belesen, er zitiert eine Die einfachen mundgelaufen und wollte verbunden werden. Der Dotine erfillte ichöne Stelle aus dem Landarzt von Balzac  : den Wunsch, aber dann jagte der Mann: Ja, Herr Doktor, wat soll Wahre hat nur eine Form. Zwar tötet das Landleben viele Ge­Sitten find wohl in allen Ländern ungefähr die gleichen. Das nu wern? Soll ic nu wieder weiterloofn, teen Dach überm Kapp? danten, aber es vermindert das Berbrechen und entfaltet die Tu­Sehnse, Herr Doftor, bet sin hier meine Entlassungspapiere aus der Irrenanstalt in Buch, und id fönnt ja hier nu mal nen Anfall mar gend. Denn je weniger Menschen auf einen Bunft zusammenge­fieren und Ihnen hier alles in Klump schlagen, denn müßtense mir drängt sind, desto weniger Verbrechen, Deliften und schlechten Ge­ja wieder in der Anstalt uffnehmen. Nu will ich Ihnen aber noch fimmungen begegnet man. Die Reinheit der Luft trägt zur Einfach feene Ungelegenheiten machen aber mat soll id nu tun?"

Der Dottor hat ihn schließlich in ein nahe seiner Wohnung ge­legenes Hospiz geschickt. Hätte was Schönes bei' rauskommen fönnen. Die Papiere maren echt..."

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Als wir uns das nächste Mal trafen, erzählte der Doktor von anderen Besuchern.

Der einfachste Bericht tann erschüttern.

Da ist zum Beispiel der erwerbslose Arbeiter, der dem Arzt etmas porbustet, obwohl er ganz gefund ist-er will die Medizin, dern für sein erfältetes Kind. Die Tragikomödie hat einen einfachen die ihm der Doktor verschreibt, ja auch gar nicht für sich haben, fon­schein nicht zu bezahlen, mohl aber find die Angehörigen von Ar­Grund: Erwerbslose brauchen die fünfzig Pfennige für den Kranken­beitslosen fünfzigpfennigpflichtig. Der Doktor ist ein guter Kerl, del ein. tut, als ob er nichts merkt und läßt sich auf den harmlosen Schwin

Und dann ist das doch so, erzählt der Doktor weiter, daß jeder Krantenschein zwar fünfzig Pfennig foftet, daß aber auf einen Schein die ganze Behandlung durchläuft und wenn sie zehn oder noch mehr Konsultationen umfaßt. Da kommt also zum Beispiel auf denselben Schein, auf den ein Arbeiter erst die Halsschmerzen seines kleinen Lieschens behandeln ließ, ein paar Tage später Trub  chen und der Bater denkt, der Doftor merff's nicht. Er mertt's aber doch.

Aber er läßt sich nichts merken.

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Und ich erzähle dem Doftor jetzt den bekannten Scherz von dem Arzt, bei dem die erste Konsultation zwanzig Mart, jede weitere nur zehn fostet fommt einer zum ersten Male gleich so: guten Tag, Herr Doftor, ich bin schon wieder da Wir müssen lachen, aber dann stellen wir fest, wie traurig es doch ist, daß in dieser Zeit solche Scherze zwangsweise bittere Wahrheit merden.

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Soll nun die Fünfzigpfennigverordnung fallen? Die Kaffer machen geltend, es seien viel zu viel Medikamente verordnet wor­den, auf Kosten der Krankenkassen hätten sich die Aerzte bei den Batienten beliebt machen wollen. Bielleicht ist etwas Bahres daran. Aber mag früher der Arzt gelegentlich zu viel und zu schnell auf gesucht worden sein, heute ist das Gegenteil der Fall: oft kommen die Leute, wenn es zu spät ist.

heit der Sitten bei."

Ist das heute noch alles wahr?

gehend eine Grundlage der Kriminalität und begünstigt fie Nein, ganz gemiß nicht mehr. Es ist zwar richtig: Not ist weit­

aber

auf dem Lande ist die Rot heute auch schon sehr groß und der ge­legentliche reidye Bauer" ist meist ein Großgrundbesizer, der, im Winter wenigstens, in der Etabt wohnt. Aber auch praktisch ist der Bandarzt bei Berlin   heute der Arzt einer städtischen Bevölkerung. Biele feiner Patienten haben Arbeit in den Fabriken der Berliner  Bororte, und haben sie dort nicht Arbeit, so doch Verwandte, Ber­cine, Bergnügungen: sie wohnen auf dem Lande, aber find feine Ländler.

,, lind mie ist es mit dem Paragraphen 218?"

fich's herumgesprochen, daß der Doktor feine schiefen Sachen macht. Im Anfang famen schwangere Frauen zu mir. Aber down hat mum wird's auch nicht mehr von ihm verlangt." Damit ist freilich das Problem nicht gelöst.

Aber ein Landarzt bei Berlin   fann es wohl auch schwer lösen. Ich erzähle den Fall des jüngst verstorbenen unbekannten Land­arztes, deffen Originaltartothek in einer Form, die jede Identifizie rung der Beteiligten unmöglich macht, dem Archin des Sozialhnnie­nifchen Seminars der Universität Berlin überwiesen wurde. Die Kartothek enthielt ausführliche Berichte über 426 innerhalb eines Jahres vorgenommene Schwangerschaftsunterbrechungen. Der Dof­

for bewundert den Mut.

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Gines Tages war ich bei ihm draußen. Ich sollte mir die Höhle" mal ansehen. An den Bänden des Wartezimmers hingen louter naturalistische Bilder, die Leute sollen ordentlich was an zusehen haben". Sonst waren die in einen Neubau eingepferdren Räume mehr junggesellig als gesellig, Spred- und Wartezimmer laffen nur noch einen dritten Raum zum Schlafen; drei lange Wand­schränke bergen provisorisch die zum größten Teil auf Auftionen ersteigerten Prunfftüde einer erhofften späteren größeren Wohnung.

Ein Blick aus dem Fenster: Hinter breiten Bäumen blühen braune Felder, weite Wiesen. Wenn es Nacht wird, denke ich, hat der Landarzt mehr Himmel, mehr Sterne als wir in der Stadt. Ins mehr Stille

Aber als wir uns drei Tage später wieder im Romanische" treffen, erzählt der Doktor nichts vom Sterben des Sommers, on­dern von der Geburt der Rot.   berichtet, bak er gerabe eine ärzt­fiche Untersuchung der Schulklassen durchgeführt habe: viel Raditis fah er, viel Unterernährung piel Glenb, das auch seine von por= Bon Tag zu Tag immer schlechter," antwortet her Doftor. Wie geschrichener Sparsamteit diffierten Rezepte nicht ändern können oft muß man noch in Nacht und Nebel hinaus auf die Landstraße,- das sei alles so entfeglidy deprimierend- um sich die Opfer von Autounfällen vorzunehmen und wis oft

Und wie ist es überhaupt mit der Bezahlung?"

Ja, ich glaube, da fommen wohl Tage, an denen der Landarzt

vergeffen die Herrschaften später das Bezahlen! Ich soll sofort| faum daran dentt, zu den Sternen aufzusehen.