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Nr. 156 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 3. April 1932

Umzug Wahlzeit

zwr

Es fehlen nur noch wenige Stunden, dann ist ein Bierteljahr feit dem Tage vergangen, an dem rund 50 000 Mieter Berlins ihren Hauswirten die Kriegserklärung überreichten, das heißt ihre Miet­verträge auffündigten. Aber bei rund der Hälfte dieser 50 000 Mieter folgte der kühnen Tat die bittere Reue, denn als man die Schubfächer aufschloß, fand sich nirgendwo ein bianker Taler, mit dem man hätte Krieg führen tönnen. Und Geld gehört nun mal zum Krieg führen. Wenn das Geld lockerer sizen würde als gerade in diesen Tagen, wir tönnten etwas erleben an Umzügen. So aber mußten sich 25 000 von den Kündigern bescheiden; eines Tages pochten sie beim Hauswirt an die Tür und sagten: Herr Pfeiffer, es war ja gar nicht so gemeint und der Herr Pfeiffer antwortete, dann sei alles vergessen. Die andere Hälfte jedoch nahm in den eben hinter uns liegenden Tagen wohlgemut den Kampf auf. In jeder Straße, und war sie noch so flein, standen die Möbelwagen; früh um sieben 1hr ging es los und es war bereits wieder nacht fchlafende Zeit, als die letzte Kommode in der neuen Wohnung ver­staut mar. Die ganze Umzieherei traf diesmal nur etwas unglüd: lich, weil die Gefahr besteht, daß 25 000 Berliner Familien, das find mit Angehörigen immerhin 75 000 Menschen, das Wahlrecht verloren geht, wenn sie nicht schleunigst alle Schritte unternehmen, um trotz des Umzuges am 10. und 24. April ihre Stimmen abgeben zu können.

Bon der Hand in den Mund.

Bon wenigen Berufsgruppen abgesehen, leben die Menschen heute von der Hand in den Mund. Wer von einer 60- Mark­Neubauwohnung in eine 50- Mart- Altbauwohnung ziehen will, der rechnet nicht auf fünf Jahre voraus, daß er pro Jahr 120 Mark Mietzins und in fünf Jahren 600 Mark sparen würde. Er sagt fich vielmehr, was nugt mir die monatliche Ersparnis von 10 Mart, wenn mich jetzt der Umzug beinahe 200 Mart fostet, die ich neben­bei gefagt gar nicht befize. Also find die Leute wohnen geblieben. Bei wem es dagegen zur vollkommenen llnmöglichkeit geworden war, noch weiter 60 Mark Miete zu erschwingen, der ist gezogen. Da fuhr aber kein 6- Meter- Möbelwagen mit wohlgenährten Pfer den vor das Haus, sondern die Pferde hatten allesamt nur zwei Beine. Den Wagen, den hatte der Kuhstall gepumpt, wo Frau Riebe immer Milch geholt hatte und dann wurde Max Bescheid gesagt, der brachte Paul mit und Paul meinte, Adolf könne auch mithelfen. Seitdem die Menschen sich nicht mehr einen halben Eichwald in die Stuben stellen, geht das ja auch: die Möbel sind gefälliger geworden, nicht mehr so flobig, jeder Schrank ist ohne Mühe auseinanderzunehmen, da fönnen eben auch einmal arbeits­lose Buchhalter den Ziehmann spielen. Den Arbeitslosen, die von einer teueren in eine billigere Wohnung zogen, durfte der Umzug nichts fosten, einer half dem anderen und die Helfer meinten nur: ,, Laß man, Karl, ist schon gut, ein andermal", wenn Karl als ar­beitsloser Hausherr traurig den Kopf geschüttelt hatte: ,, Kinder, ihr schwitzt wie die Affen, aber ich fann euch keine Flasche Bier geben, id, besize keinen Groschen". So war das tausend- und aber tausend­

mal gestern wie vorgestern in Berlin .

Silmmitte

Stadt Berlin

Sekanntmachung

ein neues Sicherheitsschloß kaufen können, das auch 15 bis 20 Mart kostet, wenn es ein gutes Patentschloß ist. So aber hatte er noch von früher ein gutes Schloß, das er an die Tür machen mußte, nicht weil er Angst hatte, sondern weil sein Bormann das alte Sicherheitsschloß mitgenommen und ein riesiges Loch in der Woh nungstür zurückgelassen hatte. Aber man versteht jezt schon besser, warum Karl feine Flasche Bier für seine Kumpels ausgeben konnte. Wahlvorschriften für Umziehende.

Dazu kam dann noch die Lauferei mit der Wahl. Wir waren bei einem der Bezirkswahlleiter und haben uns über die Formali­täten Auskunft geben lassen. Nach den Anweisungen des Ober­bürgermeisters, die ein umfangreiches Schriftstück darstellen, haben die Umziehenden kurz folgendes zu beachten:

1. Die jetzt ausliegenden Stimmliften gelten sowohl für den 3 weiten Wahlgang der Reichspräsidenwahl wie für die preußische Landtagswahl. Heute ist der letzte Tag des Einsehens der Stimmliften und zwar bis nachmittags 5 Uhr.

2. Die Stimmliffen sind die gleichen wie zum ersten Reichs­präsidenten- Wahlgang. Wer also damals in der Cisle stand und seine Wohnung nicht gewechselt hat, braucht nicht noch einmal nach­fehen gehen.

3. Wer am Freitag oder Sonnabend oder auch schon vorher umgezogen ist, mußte jofort zu feinem neuen Polizei­revier gehen und sich die Anmeldungen für die neue Wohnung

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Registratur der Stimmlisten

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LEHNERT

abstempeln lassen. Dann hätte ihn das neue Wahlamt, das sich meist in den Räumen der Bezirksämter befindet, in die neuen Stimmlisten eingetragen.

4. Wer das bis heute versäumt hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Der muß sich vielmehr seine neue Anmeldung nehmen und morgen Montag zum Wahlamt seiner alten Wohnung gehen. Dort muß er sich eine Bescheinigung geben lassen, daß er aus den alten Stimmlisten gestrichen ist. Dann geht er zu feinem neuen Wahlamt, wo er in den Nachtrag aufgenommen wird. Aber erst die Bescheini­nigung über die Streichung beibringen!

5. Wer nach dem 3. April erst die Wohnung wechselt, faun fein Stimmrecht nur auf Grund eines Stimmscheins ausüben. Diesen Stimmschein erhält er auf dem Bezirksamt, das für ihn bisher zuständig war. Wer also erst ab morgen Montag von sagen wir Neukölln nach dem Wedding zieht, der muß sich in Neukölln einen Stimmschein holen. Damit kann er dann am 10. April auf dem Wedding wählen gehen. Aber bei der Beantragung des Stimm­scheins alle Papiere mitnehmen, denn die Stimmscheinausgabe wird schr vorsichtig gehandhabt. Hinz und Kunz erhalten nicht ohne weiteres einen Stimmschein.

6. Jetzt kommt das Wichtigste: Alle Stimmberechtigten, die in die. tach träge zu den Stimm lift en aufgenommen sind, er­halten hierüber von ihrem zuständigen Bezirksamt eine besondere Nachricht. Innerhalb Berlins umgezogene Stimmberechtigte, die

teine Nachricht erhalten, sind in der für ihre frühere Wohnung aufgestellte Stimmliste nicht gestrichen; sie müssen mithin in ihrem alten Abstimmungsraum ihre Stimme abgeben, sofern sie feinen Stimmschein beantragen.

7. Wer auf Stimmschein wählen muß oder wählen will, der hat für den zweiten Präsidentenwahlgang einen entsprechenden Antrag bis zum 8. April, nachmittags 4 Uhr, zu stellen und wer für die Landtagswahl einen Schein haben will, muß ihn bis zum 22. April 1932, nachmittags 4 Uhr auf seinem Wahlamt beantragen.

Das wäre die Verdolmetschung der manchmal schwer lesbaren Vorschriften zu den kommenden Wahlen. Das sind natürlich noch längst nicht alle Vorschriften. Zum Beispiel erhalten die Wahlvor­stände noch ganz eingehende Anleitungen für die Durchführung der. Bahl. Dieje Anleitung hat fast den Umfang einer kleinen, Bro schüre. Der erstrebenswerteste Zustand wäre natürlich, daß alle Wahlvorstände auch das Gesetz über die Wahl des Reichspräsidenten vom 6. März 1924, das Reichsmahlgeseh vom gleichen Tage und die Reichsstimmordnung vom 14. März 1924 beherrschen würden. Aber dann müßten alle Männer, die schon einmal in einem Wahl vorstand gesessen haben, Wissenschaftler sein.

Die Wegelagerer der Hedemannstraße

Nazihaus als ständiger Unruheherd

Einen Anjang hiermit hat der Berliner Polizeipräsident bereits am Sonnabend nachmittag gemacht. Das Nazihaus wurde von Poli­zeibeamten besetzt und durch eine Konfrontation aller im Hause An­wesenden mit den beiden überfallenen Reichsbannerleuten wollte man die Täter ermitteln. Das war leider ein ergebnisloses Bemühen, denn die Täter waren natürlich längst über alle Berge. Wie wir erfahren, will der Polizeipräsident eine teilweise oder völlige Schließung des Nazihauses in der Hedemannstraße in Erwägung ziehen. Die Entscheidung darüber dürfte heute oder morgen fallen.

Am Belle Alliance- Platz wurden gestern, wie wir bereits[ keit zeigt, wie die Hakenkreuzler die Autorität des Staates achten, berichteten, zwei Reichs bannerkameraden von etwa zehn sollte endlich den verantwortlichen Stellen Veranlassung geben, diesen bis zwölf Hakenkreuzlern überfallen und niedergeschlagen. Die An- Herd ständiger Unruhe endgültig zu beseitigen. Zum anderen machten die Hauswirte Stilaugen, wer denn da greifer flüchteten dann nach der Hedemannstraße, wo sie kurz nun eigentlich angezogen tam. Denn so etwas Genaues war es vor dem Nazihaus von zwei Polizeibeamten und den Ueberfallenen, doch nicht, es mußte doch etwas gemadelt haben, wenn die Leute die in einer Autodroschte den Flüchtigen nachgefahren waren, gestellt ihre schönen Wohnungen, in denen sie bisher gelebt hatten, plöglich wurden. Die Täter erhielten jedoch aus dem Nazihaus sofort Ver­verliezen und eine engere, fleine bezogen. Und da einen Arbeits- stärkung, und mährend die Polizeibeamten abgedrängt wurden, fielen lofen kein Hauswirt gern nimmt, ließen sich die Paschas Miet- die Nazibanden abermals über den einen Reichsbannermann her, ficherheiten geben, meist 100 Mart. Nachdem die Klippe der Umschlugen ihn brutal zu Boden und bearbeiteten den jungen Menschen zugskosten durch die Hilfe von Mag, Paul und Adolf glücklid) um­mit Stiefelabjäzen. Das alles geschah im Beisein der beiden Polizei schifft war, mußten noch die 100 Mart Mietsicherheit aufgetrieben beamten, die nur wenige Meter weiter selbst Mühe hatten, sich der werden. So wurde in diesen Tagen Gott und die Welt angepumpt, nationalsozialistischen Angreifer zu erwehren. Erst als die Beamten bis die Nacht hercinjant und endlich die Bettstellen in der neuen zum Gummifnüppel griffen und die Dienstwaffen zum Wohnung zusammengehakt werden konnten. Gebrauch fertig machten, flüchteten die nationalsozialistischen An­greifer in das Nazihaus.

Reparierte Schönheit.

Aber das ist noch längst nicht alles, was es an Schwierigkeiten zu überwinden gab. Da war in der neuen Wohnung die Koch­maschine windschief und kein Lehm mehr im Feuerloch, die Stube hatte keine Tapete, sondern war nur mit gefärbter Schlemmfreide bestrichen, das Fensterspind war auseinandergefallen, die Dielen waren abgetreten und die Fensterkreuze abgegriffen, alles war ver­nagelt, die Leute, die vorher in der Wohnung waren, hatten noch nach Urgroßmutters Mode alle Töpfe an die Wand gehängt und das schlimmste war das Riefenloch an der Wasserleitung. Da war einmal das Rohr verstopft und damit die Klempner herankonnten, hatten fie einfach ein Loch in die Band gemeißelt.

Nun begann das Arbeiten. Erst mal wurde die Dede ge­schlemmt. Ein Biertelzentner Schlemmfreide wurde geholt, dazu auf jeden Eimer ein Pfund Leim, obendrauf für 20 Pfennig Farbe, orange, grün oder blau, je nachdem die Leute die Decke haben wollten, und alles machte zusammen etwas über einen Salaban 2 Mart. Dann kam die Tapete für die Stube, 14 Rollen à 75 Pfennig, dazu 15 Pfund Roggenmehl als Kleifter: fchon waren wieder 13,20 Mart weg. Dann 15 Pfund Gips zum Ausschmieren der Löcher, für einen Taler weiße Farbe für die Fenster und Türen, für zwei Taler Farbe für den Fußboden, dann noch für fünf Mart Delfarbe für die Küche, es fam ein Heidengeld zusammen. Und menn Karl nicht Metallarbeiter gewesen wäre, dann hätte er noch

Das Gaubüro der Berliner Nazis in der Hedemann­straße ist schon seit Jahren Ausgangspunkt vieler Schlä­gereien und 3wischenfälle. Wiederholt sind Republikaner dort überfallen und aufs schwerste mißhandelt worden, aber stets gelang es den Tätern, in dem Nazigebäude sicheren Schutz und Zuflucht zu finden. Dieser gestrige Zwischenfall, der wieder mit aller Deutlich

Montag in die Tennishallen!

Die Anordnungen für das Reichsbanner. Am Montag, dem 4. April, findet die erste große Sundgebung der Eisernen Front nach dem Ende des Osterfriedens in Berlin statt. In den Tennishallen, Wilmersdorf , Brandenburgische Straße 53, spricht um 19.30 Uhr Polizeipräsident Albert Grzesinski . Für das Reichsbanner werden vom Gauvorstand folgende Anordnungen getroffen:

Verkehrsmittel: Untergrundbahn Fehrbelliner Platz; Ringbahn Bahnhof Halensee und Hohenzollerndamm. Saalschutz stellen die Kreise Westen, antreten 18.30 Uhr rechte Seite und Süden linke Seite. Sämtliche Spielleute der Kreise Westen und Süden haben zu erscheinen.

Neu: Goldfink- Einhänder

Hintertür in der Withelmstraße.

Eine sonderbare Beobachtung hat ein Passant gemacht, der zu Beginn der Polizeiaktion die Wilhelmstraße an der Ede der Hedemannstraße passierte. Während die Polizeibeamten die Hede­mannstraße fast in der ganzen Länge abgesperrt hatten, famen aus dem Eckhaus Wilhelmstraße und Hedemannstraße meh­rere Hafenkreuzler heraus, die Koffer und Patete trugen, ihre Last eiligst in dort haltende Autodroschten verstauten und da vonfuhren. Kurz darauf verließen noch mehrere Nazis in aller Eile denselben Torausgang. Als der Passant sofort seine Wahr nehmungen der Polizei mitteilte, war es leider schon zu spät, die Nazis maren bereits alle außer Schbereich.

Reisen ins Ausland.

Schärfere Kontrolle der erlaubten 200 Marf.

Der Reichsanzeiger" veröffentlicht eine Befanntmachung, die die bei Auslandsreisen erlaubte Mitnahme von 200 mark pro

Person unter schärfere Kontrolle stellt. Bei der Abgabe ausländischer Noten in entsprechender Höhe wird danach von den Bewerbern eine schriftliche Erklärung verlangt, aus der hervorgeht, daß die Noten für die Durchführung einer Reise benötigt werden, daß der Erwerber eigene ausländische Noten nicht besigt und den für die Reise nicht benötigten Ueberschuß an Noten der Reichsbank oder einer dazu ermächtigten Bank wieder abzu­liefern hat

Prosp. gratis.

D. Öffnet sich selbst Zentral- Büro

R.P. durch Druck einer Hand

Goldfink Berlin W& K

Friedrichstraße 74, 143, 163 183. Leipziger Str. 113, Ecke Mauerstr. Tauentzienstr.4, a. Wittenbergpl. Spittelmarkt 15, Goldfinkecke.