«wbtn andurch alz ordnungswidrig verboten."— DaS ist eineProbe der fchätzenswerlhen Einzelstaatsgesetzgebung. deren Kon-servirmig dem Bnndesrath so sehr am Herzen liegt. Uebrigenswird die Rechlsgilligleit des Bundesralhsbeschlusses juristischer-seits bestritten.— Die„Elsässer" im Reichstage. Der klerilaleFührer Delfor-Nordheim veröffentlicht in der„Elsaß-Lothringi-schen Volkszeitung" eine Erklärung, worin er das Fort-bestehen einer besonderen elsässischen Gruppeim Reichstag für absolut»oth wendig erklärt, s olange Elsaß-Lothringen nicht ein ebenbürtigerBundesstaat sei, so lange die Reichslande nicht sonveränüber ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden dürsten. Die Aus-söhnung mit dem Zentrum, das Anschließen gewisser reichs-ländischer Reichstags-Abgeordneten an die konservative und Reichs-partei und den Freisinn sei scharf zu verurtheilcn.—St. Ludwig, 26. Juli.(Eigener Bericht.) Die Germani-sation nach Mauteuffel'scdem Muster ist wieder im Schwung,diesmal in verschärfter Auslage. Im Laufe dieser Woche sindvon der Strafkammer Mülhausen drei Urlheile gefällt worden,die allerorts Aufsehen und Befremden erregen. Die Verurtheiltenwaren Taglöhner und Fabrikarbeiter und die Strafthat, die siebegangen, bestand in nichts anderem als dem Ausrufe:„Vivsla France"; der erste erhielt— wie bereits gemeldet— dreiMonate, der zweite erhielt ein Jahr, der dritte gar dreiJahr Gefängniß. Der Ausruf darf durchaus nicht alsantideutsche Kundgebung aufgefaßt werden. Ohne sich dabeietwas zu denken, blas um Gendarmen und Polizistenzu necke», wurde der Ruf„Vive la France" ausgestoßen. Und da wäre es nicht nölhig, daß mansolche drakonische Strafen fällt. Besondere Fähigkeiten, annektirteVölker für Deutschland zu gewinnen, haben deutsche Beamte janoch nie gezeigt, in den Reichslanden am allerwenigsten. DieSozialdemokratie als Partei hat das Vorgehen der deutschenBeamten und Richter in den Reichslauden nicht zu beklagen;niaffenhaft treiben die deutschen Beamten, selbstverständlich widerWillen, die reichsländische Bevölkerung in das sozialdemokratischeLager, als der einzigen, wahren und echten Protestpartei gegenpreußisch-deutsche Bureaukratie!—St. Ludwig, 26. Juli.(Eig. Bericht.) Es geht doch nochgemüthlich her im Lande der„wiedergewonnenen Brüder". Warda a», 2l. Juni Gemeinderathswahl im ganzen Lande. In fastallen Gemeinden wurden die Gemeindeväter durch neue Kräfteersetzt, so auch in dem lieblich gelegenen Vogesenstädtche» Bühl.Aber dort ließ sich der alte Gemeinderath nicht so mir nichtsdir nichts verdrängen. Nach wie vor hielten die alten Ge-meindevertreler ihre Gcmeinderathssitzung, ohne sich um die am21. Juni neugewählte» Gemeinderäthe zu kümmern. Bis heutehaben die 16 neugewählten Gemeinderäthe noch keine Ein-ladungen zu den Gemeinderathsfftzungen erhalten, während dieübrigen sieben alten ruhig Beschlüsse fassen in wichtigen Gemeinde-angelegenheiten. So schlimm habe» sie es nicht einmal in Mülhausengemacht, dort haben sie vorderhand nur einen— den GenossenBueb— ausgeschlossen, den sie nun aber doch in ihren„Cercle"aufnehmen müffen. Eigenthümlich bei dieser Sache ist nur dasVerhalten der vorgesetzten Behörden, die anstandslos die Ab-hallung dieser Gemeinderathssitzungen gestatten und Kenntnißvon den ungesetzlichen Beschlüssen habe». Sonst ist es anders.Kommen einmal ein paar Arbeiter zusammen und halten eineganz harmlose Vereinssitzung ab, flugs ist Polizei und Staats-anwalt bei der Hand, um gegen die Arbeiter einen großartigen Geheim bunds-Prozeß zu inszeniren.— Die Untersuchung gegen Peters geht einigenBlättern, deren Beziehungen zu Peters bekannt sind, nicht schnellgenug. So hat die„Rhein.-Westf. Ztg." heftige'Angriffe auf dieKolonialverwaltung gerichtet, die angeblich die Untersuchungverschleppe, weil das Ergebniß derselben ihr unbequem sei. Inder„Köln. Ztg." wird, ersichtlich aus dem Kolonialamt, darauferwidert, es sei eine vollständige und im Reichstag selbstwiderlegte Verschiebung des Vorfalls, als ob es sich lediglichdarum handelte, den angeblichen Brief an Bischof Dückersaufzufinden oder nicht. Es handelt sich vielmehr darum, obDr. Peters aus zu rechtfertigenden oder aus verweis-liehen Gründen einen Negerburschen und ein Negermädchen hataufhängen lassen. Ueberdies sind noch andere Thatsachen vonsehr ernster Art im Laufe der letzten Monate zur Anzeige gelangt,die gewiß nicht blas mit Stillschweigen übergangen werdenkönnen. Erwäge man, daß es sich um Ermittlung und Abhörungvon Zeugen handelt, die in der ganzen Welt und nicht amwenigsten in Afrika verstreut sind, so werde jeder billig Denkendedie Dauer der Untersuchung begreifen.Gleichwohl hat, wie die„Frankfurter Zeitung" zu meldenweiß, die Abtheilung �Berlin der Deutsche» Kolonialgesellschaftden Gesammtvorstand der Gesellschaft in einer von ihreneinzelnen Mitgliedern unterzeichneten Denkschrift ersucht, bei derReichsregierung die geeigneten Schritte zu thun,»m ein« Be-schleunigung der gegen Dr. Peters schwebenden Untersuchungherbeizuführen.Schweiz.Basel, 24. Juli.(Eig. Ber.) Vor einigen Tagen be-richtete ich etwas vom hiesigen deutschen Landwehr-und Reservistenverein und seiner Verbindung mit demLandwehr-Bezirkskommaudo Lörrach. Heute bin ich schon wiederin der Lage, etwas Neues von diesem hochpatriotischen Vereinzu melden. Eine patriotische Heldeuthat erste» Ranges istim Plane, und der Erfinder dieses genialen Planes ist kein ge-ringerer als der Berwaltungschef der Elsaß-Lothringer Bahn.Ter Mann verlangt nämlich nichts Geringeres, als den Ans-schlich aller Sozialdemokraten aus dem Vereine. Das ist abereine schwere Aufgabe, denn es steht niemand auf der Stirne ge-schrieben, was er für eine politische Gesinnung hat. DerBierboykott ist da ein vortreffliches Hilfsmittel. Von seilendes Antragstellers wurde ein ganzes Korps organisirt. das aus-paffen und melden soll, wer von den Mitgliedern in jetziger ZeitBier triukt und>ver nicht. Wer kein Bier trinkt, bei demist seine Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie schon erwiesen undist zum Ausschluß reif. Bis jetzt sind bereits 46 Missethäterentdeckt worden, die kein Boykoltbier trinken. Alle 46 deutscheKrieger sind nicht mehr werth, Mitglieder des deulschen Land-ivehr- und Reservistenvereins zu sein und werden in dernächsten Versammlung mit„Hurrah" hiuansbesördert!" Eigenl-lich geschieht's den Leuten schon recht, den» als Sozialdemo-kraten haben sie in den/ Bereinen nichts zu suchen.sind sie aber keine Sozialisten, sondern brave rcichslreueUnterthanen, so haben sie auch das patriotische Opfer zu bringenund Boykoltbier zu trinke», damit es nicht sauer wird. Werhätte geglaubt, daß der Bierboykott eine solche Wirkung aufsonst so harmlose Gemüther ausübt? Der Ausschluß aus denMilitärvereinen wird zwar in Deutschland schon lange praktizirt,ohne daß man davon viel Aufhebens gemacht hätte. Daß sichderartige patriotische Hcldenthaten aber auch hinüber ins Aus-land verirren, hätte man bisher nicht geglaubt. Nun, es istauch so recht, die Sozialdemokratie wird jedenfalls den Schadennicht haben.Ungar«.Budapest, 26. Juli.(Franks. Ztg.) Eine von 1200 Sozial-dcmokraten besuchte Versammlung, welche für die nächstenReichslagswahlen die Kandidaten nominiren wollte, wurde nachgroßen Schlägereien(?) von der Polizei aufgelöst. Bisherwurden im Lande 16 sozialdemokratisch« Kandidaturen auf-gestellt.—Frankreich.PariS, 26. Juli. Vor seiuer Abreise nach Saint-Die, wounter großem Gepränge das Denkmal des leichtsinnigenKolonialpolitikers traurige» tonkincsischen Angedenkens, JulesFerry, enthüllt wurde, hat Ministerpräsident Melinemit dem Justizminister. der interimistisch die Ge-schäfte des Ministeriums des Innern leitet, über die jüngstenEreignisse in Lille konferirt. Eine Folge dieser Berathung dürftejedenfalls die Versetzung des Präfekteu VelDurand vom Nord-Departement sein.Damit gesteht die Regierung selbst ein, daß die Sozialistennicht die mindeste Schuld an dem beklagenswerthen Austretender Bourgeoisjugend trifft.—Belgien.— Die Provinzialwahlen haben am Sonntag statt-gefunden. Ueber ihren Ausgang liegen vorläufig blos solgendeMeldungen vor:Nach den bis jetzt bekannten Ergebnissen wurden inBrüssel sämmtliche liberalen Kandidaten mit26 663 Stinimen gewählt, die Soziali st en erhieltenIS 168 Stimmen, die Klerikalen betheiligten sich nicht. InAntwerpen haben die Liberalen 24 346, die Klerikalen23 433, die Sozialisten 78SS Stimmen erhalten. Es hatStichwähl zwischen Liberalen und Klerikalen stattzufinden. InL ü t t i ch ist das Ergebniß Stichwahl zwischen Kleri-kalen und Sozialisten.Nach den bis jetzt bekannten Ergebnissen der Wahlen zu denProvinzialräthen gewannen die Katholiken in Marche2, in Neufckaleau 1, in Etalle 1, in Gemblonx 1, in Couvin1 Sitz; die Liberalen in Schaerbeck 3, in Wavrc 1, in Flo-rennes 1 Sitz. Stichwahlen finden besonders in Antwerpen,Lüttich und Spa statt. Die Majorität der Katholikenist daher in den Provinzialräthen der Provinzen Luxemburg undNamur verstärkt' in der Provinz B r a b a n t ist die M a z o r i t ä tvon der Reihten auf die Linke übergegangen.Italien.Rom, 2V. Juli. Der Senat genehmigte den Gesetzentwurfbetreffend die Aushebung des Ausfuhrzolles fürSchwefel.Türkei.Konstantinopel, 26. Juli. Zum Schutz der Küste Kretaswerden die Panzerfregatte„Nedschimi-Schefket", 3 Torpedobooteund 5 Holzschiffe ausgerüstet.Der Redakteur einer Marine-Zeitschrift, Seeoffizier Riza,welcher sich an den jungtürkischen Umtrieben betheiligt hatte nndim Winter nach Egypten geflohen war, ist jetzt, in Chios ver-hastet worden.— Ander griechisch» türkischen Grenze kam eszu ernsten Zusammenstöße» zwischen türkischen Truppenund Aufständischen, die allem Anscheine nach von der griechischenRegierung unterstützt werden. Aus Athen wird hierzu! gemeldet: Die Vertreter der Mächte richteten dringliche Vor-tellungen an die Regierung anläßlich der so unerwartet hervor-getretenen makedonischen Bewegungen. Der KriegSmtnister hatstrengen Befehl gegeben, jede auftauchende Bande am Ueber-schreiten der Grenze zu verhindern.— DaS Komitee in Larissascheint über bedeutende Mittel zu verfügen, da mehrere reicheMakedonier beträchtliche Summen deponirt haben.—Amerika.Saint LoniS, 26. Juli. Die Populisten nominirtenheute B r y a n als Kandidaten für die Präsident-s ch a f t. Dieser Schritt ist bezeichnend, weil von den imJahre 1892 bei der Nominirung der Präsidentschaftskandidatenabgegebenen populistischen Stimmen 1642 666 Stimmen gegenund SSS4 226 für Cleveland gezählt wurden.—Afrika.— Die Matabele haben, wie über London anS Bulu-wayo gemeldet wird, Erfolge über die Engländer errungen.—Iuv TaKkift dvv polnischenSozioldemokrnlivnimmt Genosse B e r f u s in der„Gazeta viobotnicza". demOrgan der polnischen Sozialdemokratie Deutschlands, in An-lehnung an einen von ihm gehaltenen öffentliche» Vortrag dasWort. Schwer ist der Befreiungskampf, so führt Gen. Berfusaus, den das Proletariat mit dein Kapitalismus zu führen hat;aber während anderwärts das Volk nur gegen«inen Feind,»ämlich gegen das kapitalistische System, anzukämpfen hat,stehen uns polnischen Sozialisten deren zwei gegenüber, dennauch die nationale Unterdrückung lastet schwer auf uns.Die sozialistische Bewegung und mit ihr das Klassenbewußtseinvermag sich bei uns nicht in dem Maße zu entwickeln, wie inanderen Ländern, weil die Behörden der Staaten, die unserenationale Selbständigkeit vernichtet haben, unser Volk in derDummheit zu erhalten suchen; um die Volksschulen kümmern siesich entweder gar nicht, denn in den an Rußland gefallenenpolnischen Landestheilen. oder wo solche Schulen existiren, lehrensie, statt Wissen zu verbreiten, die VKinder des olkes eine fremdeSprache, während gleichzeitig das Verbot polnischer Zeilschriftenund Lieder, die Forderung der Uebersetzung jeder Kleinigkeit, die Ver-folgung der Intelligente» aus den übrigen Theile» Polens, sofernste das Licht der Wahrheit zu verkünden wagen— während, wiegesagt, all dies die Aufklärung des Volkes in höchstem Maßebeschränkt, ein finsteres, unaufgeklärtes Volk aber nicht im ständeist, eine erhabene Idee, wie die des Sozialismus zu erfassen.Niemand wird gleichwohl bestreiten, daß unser Proletariat,alS die zahlreichste Volksklaffe. in Zukunft bei der Neugestaltungder politischen Verhältnisse Polens eine entscheidende Stimmehaben wird. Es frägt sich also, welche politische Formseinen Interessen am meisten entspricht. Jedenfalls diejenige,die eine möglichst demokratische Staatsverfassung verbürgt.Wie weit das demokratische Element in der Verfassung einesgegebenen Staatswesens entwickelt ist, hängt in der Hauptfachenaturgemäß von dem gegenseitigen Verhältniß und der Stärkeder verschiedenen Klassen ab. Während in den polnischenLändern im allgemeinen das Proletariat die Hülste der ge-sammten Bevölkerung ausmacht und das industrielle Proletariat,dieses energischste gesellschaftliche Element, im Königreich Polen3— 6 pCt. beträgt und in ein paar mit einander zusammen-hängenden Bezirken, wie Lodz, Sosnowice, Warschaukonzentrirt ist, sind in Rußland die gegenseitigen Be-ziehuugen der verschiedenen Klassen von ganz andererArt. Vergessen wir nicht, daß in den Agrarverhältnissen Groß-rußlands noch bis auf den heutigen Tag die alte kommunistischeGemeinde- Ordnung in Geltung steht, die zwar gegenwärtig inder Auflösung begriffen ist. aber doch noch auf lange Zeit hinein Hinderniß der Proletarisirung der ländlichen Bevölkerungbilden wird. Das industrielle Proletariat beträgt kaum2— 3pCt.der gesammten Bevölkerung und ist überdies Uber mehrere weitauseinanderliegende Industriezentren, wie Petersburg. Moskau.Südrußland zerstreut. Ueberdies bildet die Klasse, der Fabrik-arbeiter in Rußland keinen so scharf umrissenen fest kristallisirtenKörper wie in Polen: während der polnijche Arbeiter beständigin der Stadt lebt, revoluiionäre Traditionen besitzt und durchund durch Arbeiter ist, bildet der russische Arbeiter ein flukluiren-des alljährlich für die Sommermonate aufs Land wanderndesElement. Die Zerstreuung des Proletariats über einen weitenRaum und das Wandern von der Stadt ins Dorf sind Um-stände, die eine politische Agitation außerordentlich erschweren.ES ist daher anzunehmen, daß das russische Proletariat nichtso bald eine fthälige Rolle in der Politik spielen wird. Diestärkst« soziale Klaffe in Rußland bildet der grundbesitzende Bauer,ein finsteres, unaufgeklärtes Element, das an den Zaren wie aneinen Gott glaubt, daS sich nur um die Interessen seiner Ge-meinde kümmert, in der allgemeinen Politik dagegen vollkommenstumpfsinnig ist und aus diesem Grunde den Interessen derReaktion noch ans lange Zeit hin dienstbar sein wird. TS ver-steht sich von selbst, daß aus so grundverschiedenem Verhältnißder einzelnen Klassen auch grundverschiedene politische Ber-sassungen sich ergeben müffen.Während somit der russische Bauer noch auf lange Zeithin eine Stütze des Zarenthums bilden wird und einerussische Konstitution, die etwa am Horizont auftaucht, vor derHand nicht viel mehr als eine Fiktion, eine Art LoriS Mekikow-schen Projekts sein kann, nach dem ohne Erlaubniß des zarischenMinisters kein Recht sanktionirt werden dürfte, könnte ein un-abhängiges Polen keine andere als eine deinokratisch-republikanischoVerfassung haben. Während Polen immerhin gewisse republi-konische Traditionen hat, wird selbst in einem konstitutionelle»Rußland noch das Wort des Zaren Gesetz sein. Es unterliegtalso gar keinem Zweifel, daß eine unabhängige polnische Republikfür das polnische Proletariat ein weit erstrebenswertheres Ziel bildetals eine Petersburger Konstitution. Aber noch wichtiger ist, daßdas polnische Proletariat sich auch bei einer rnsfischen Konstitutionunter Umständen weit übler befinden würde, als das russischeProletariat. So wissen wir, daß die Geschworenengerichte unddie„Semstwa" nur in Rußland, nicht dagegen im KönigreichPolen eingeführt wurden. Dasselbe kann auch mit einer Kon-stitution der Fall sein— während ganz Rußland gewissekonstitutionelle Rechte erhält, kann Polen auf Gnade und Ungnadeden Herren Gurko und Genossen ausgeliefert sein. Ueberdies istbekannt, daß auch bei Vorhandensein einer Konstitution das unter.worfene Land unter verschiedenen Ausnahmemaßregeln ächzenmuß. So sind in Deutschland, das eine stark demokratischeReichsverfaffung besitzt(Wer mag dem Genossen Berfus wohldas weiß gemacht haben. Ist ihm denn vom Bundesrath undseiner Bedeutung in der Reichsverfaffung gar nichts bekannt?Red. d.„Vorw."), die Polen gleichwohl in ihren natürlichenRechten vielfach bedrängt. Die fSozialisten von Schlesien undPosen müssen häufig für Dinge ins Gefängniß wandern, die sonstin ganz Deutschland erlaubt sind, wo die Sozialisten eine gesell-schaftliche Macht bilden. Wie würde das in Rußland sein, dasnoch lange Jahre auf eine Konstitution von der Art,wie sie gegenwärtig in Deutschland existirt, warten muß.Ein wichtiger Punkt ist auch, daß das sozialistisch geschulteProletariat der drei verschiedene» Theile Polens in der Ver-einignng eine ganz andere Macht bilden würde, wie in dergegenwärtigen Zersplitterung. Eine solche Bereinigung würdeauch in allgemeiner kultureller Hinsicht von hoher Bedeutungsein: Bildung. Wissenschaft, Literatur, die gegenwärtig in ihrerEntwickelung behindert und vielfach bedrückt sind, würden einenungeahnten Aufschwung nehmen und das intellektuelle Niveau desVolkes aufs günstigste beeinflussen.Sehen wir nun die Sache vom Standpunkte der Entwicke-lung der europäischen Demokratie an. In den Staaten desWestens erstarkt mehr und mehr eine neue gesellschaftliche Klaffe,das Proletariat. Es ist unleugbar, daß der Einfluß dieserKlaffe aus die Politik der Staaten mehr und mehr erstarkt.ES liegt auf der Hand, daß die heutigen Bourgeois-staaten nicht mit einem Lalto mortale in die sozialistische Ordnung der Dinge hineinspringen, sondern erstdurch einen nichtsozialistischen, jedoch bereits starkdemokratischen Zustand hindurchgehen werden, in dem dasProletariat eine hervorragende Rolle spielen und in der innerenwie äußeren Politik den Ton angeben wird. In einem solchenStadium werden die Staaten Europa's sich zur Wieder.Herstellung Polens entschließen müssen, nicht nur ans Ge-rechtigkeitsprivzip, sondern um ihres eigenen Interesses willen,da sie durch eine Wiederherstellung Polens sich am bestengegen einen Einbruch Rußlands in das demokratische Europaivahren. Daß die Politik des Proletariats eine solche Richtungeinschlagen wird, dafür bürgt die gegenwärtige Auffassung dereuropäischen Sozialdemokratie hinsichtlich der polnischen Frage.Sie hält die Wiederaufrichtung Polens nicht nur für eineFrage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch für eine Frageder Sicherstellung der europäischen Kultur und des«uro-päischen Sozialismus gegen eine Vergewaltigung seitensdes russischen Barbarenthums. Das offizielle Organder deutschen Sozialdemokratie, der„Vorwärts", hat ge-legentlich des hundertjährigen Gedenktages der Theilung Polensunter dem Titel„Noch ist Polen nicht verloren" einen Leit-artikel veröffentlicht, in dem ausgesprochen ist, daß Polen durchdie Hänbe des europäischen Proletariats wieder aufgerichtetwerden wird")Angesichts aller dieser Umstände und angesichts dessen, daßdie Frage der Wiederanfrichtung Polens sich mit den ökonomisch-sozialen Tendenzen unseres Landes verträgt, kann man wohl be-hanpten, daß schon die Thatsache, daß diese Frageaus die Tagesordnung gesetzt wird, ein hohes Maß vonAufklärung in de» Reihen des polnischen Proletariats verbeitenund zur Revolutionirung der polnischen Gesellschaft wesentlichbeilragen wird.Indem wir zu gunsten einer demokratischen Republik agi»tlren, werden wir die Arbeiter mit den demokratischen und repu-blikanischen Institutionen bekannt machen, was der polnischenArbeiterschaft einen weit umfangreicheren Horizont eröffnen wird,als die Agitation zu gunsten einer zarischen Konstitution. Ueber-dies ist die Unabhängigkeit Polens eine so populäre Losung,daß sie eine weit größere Anzahl von Proletariernin die Kämpferreihen rufen wird, als daS Losungs-wort von einer russischen Konstitution. Die Befürchtung, daßdieses Losungswort die sozialistische Bewegung in die Hände derPatrioten ausliefer» könnte, fällt in sich zusammen, da diesesLosungswort ja vom sozialistischen Proletariat aus-gehe» soll, das heißt von dem einzigen sozialen Element, dasmit klarem Bewußtsein auf dem Boden des Klassenkampfes stehtund ganz genau weiß, woran es mit den Herren Patrioten alle-zeit war und sein wird.Der Vortrag des Genossen Berfus wurde seitens der Ver-sammlung polnischer Genossen, in der er gehalten>m»de, mitBeifall aufgenommen und zum Schluß nahezu einstimmigfolgende Resolution gefaßt:„Die am 6. Juli versammeltenpolnischen Sozialisten Berlins stimmen mit den Ausführungendes Referenten überein und erklären den. Antrag, den die Dele-gaten sämmtlicher drei Theile Polens betreffs der ErhebungPolens zu einem selbständigen, auf der Basis der Arbeiter-sorderungen begründeten Staatswesen einbringen werden, fürvollkommen gerechtfertigt und zur Entwicklung des Sozialismusunbedingt nolhwendig."VÄlVkei-AÄchvichte«.Quittung. Für die Familien unserer im Essener Meineids-prozeß verurtheilten Genosten ging noch bei mir ein aus:Berlin, l. Wahlkreis, durch den Vertrauensmamr 412,16 M.Den Gebern besten Dank.Bochum, den 2S. Juli 1896.Wolfgong Wunderlich,Johanniterstr. 10.Zur Agitation. Die Parteigenossen Kassels werde*Anfang September einen für die Landbevölkerung be-stimmten Volkskalender verbreite».Polizeiliche«, Gerichtliche»»e.— In F ü r st e n w a l d e a. d. Spree war gegen mehrereParteigenossen ein Verfahren anhängig wegen Uebertretung derZz 16 und 41 des preußischen Preßgesetzes vom12. Mai 1831, weil sie den„Märkischen Volks-kalen der" ohne polizeiliche Erlaubniß verbreitet hatten.•) Unseres Wissens hat die deutsche Sozialdemokratie offiziellin der Frag« noch nie Stellung genommen. Gin gelegentlicherLeitartikel kann als eine solche Stellungnahme nicht bezeichnetwerde». R. d. V."