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Trude E. Schulz: Orangen im See

( Schluß.)

Mariettas Geschichte hatte damit doch noch ein gutes Ende ge­funden, und Marietta brauchte zu ihrem Glüd nun nichts mehr als die Anerkennung des Bruders, daß ihre erste Schilderung feine schrecklich fündhafte Lüge, sondern die vollkommen richtige Dar­stellung der Tatsachen gewesen war. Ja, davon hatte sich Beppo mun felber überzeugt.

Der erste Teil des Mittagsprogramms, den gewohnheitsgemäß Marietta zu bestreiten pflegte, war damit abgeschlossen. Jetzt war Beppo an der Reihe. Zu erzählen hatte er selten etumas. Seine Gedanken hatten keine Flügel, sondern duckten sich schwer und scheu am Boden. Selbst menn er einmal wirklich etwas erlebte, was ihm des Erzählens wert schnen, so fonnte er nur ungeschickt die Ereignisse zusammenstellen, und erst Mariettas Phantasie webte die Geschichte Daraus. Beppos Kunstfertigkeit lag auf anderem Gebiet. Schon Schon wenn Beppo die Mauer zum See herunterging, das war bewunderns­mert. Marietta mar sicher: fein Kind hatte einen Bruder, der so, ohne überhaupt hinzusehen, die schwierigsten, lückenhaftesten Stellen dieser schrecklich hohen Mauer zu überschreiten verstand. Aber Beppo konnte mehr: er fonnte dort, wo die Mauer am breitesten mar, auf ihr Rod schlagen. Marietta magte bei diesem Anblick nicht zu atmen. Nicht, weil sie Angst hatte, daß Beppo herunterstürzen konnte. Es wäre eine Kränkung für diesen Bruder, ein Zweifel an feinen un­begrenzten Fähigkeiten, mollte man um ihn Angst haben. Nur ein so tomisches Gefühl rieselte einem beim Zuschauen durch den Körper und es war dabei, als stecke man in einem Schraubstoc. Eigentlich hatte Marietta lieber, menn Beppo nicht auf der Mauer Rad schlug. Heute würde er es sicher nicht tun. Es war so heiß und der See lag so glatt da; heute würde Beppo tauchen und fdymimmen.

Er hatte schon seine Arbeitshose abgestreift und stand da in der Fleinen rotweiß geringelten Badehose, die seine einzige Unterkleidung bildete. Nun ging er einige Schritte auf der Mauerbrüstung vor­wärts, die den Hotelgarten nom See abschloß. Marinetta setzte sich auf die Mauer und ließ die Beine zum Wasser herunterbaumeln. Stolz blickte sie auf den Bruder, der in weitem Hechtsprung in das Wasser schoß. So schön wie er konnte das einer von den Hotel­gästen, obgleich denen ein herrliches Sprungbrett zur Verfügung stand, und nur, weil die seinen Leute vom Hotel Beppo bewunderten, durfte er dort von ihrer Mauer ins Wasser springen. Einmal hatte ihn der Hausdiener wegjagen wollen und mit einer Anzeige beim Bräfeft gedroht, aber da hatten Gäste Beppos Partei genommen. Marietta mar sehr stolz auf den Bruder, der jetzt die Mauer von außen her wieder erfiettert hatte und sich gerade anschickte, zam zweitenmal zu springen. Hallo", rief da eine Stimme vom Hotel, und dann klang es aus einem Kindermund: ,, Beppino!"

Marietta zuckte zusammen. Nur wenn ihre Zärtlichkeit für den Bruder besonders wild überschäumte, rief sie ihn mit diesem Kose­namen, der zwar ihrer Liebe für den Bruder, nicht aber seiner Würde entsprach. Ihre Augen suchten die Ruferin. Da winkten von einem Balkon des Hotels eine Frau und ein kleines Mädchen, das faum älter zu sein jdzien als Marietta, und Beppo hatte sich ihnen zugewandt und winkte wieder. Blöglich ein Zurus; ein Gegenstand flog in weitem Bagen durch die Lust und flatschte im Wasser. Blitz­schnell sprang Beppo hinterbrein.

Diesmal maren Mariettas flinke Gedanken doch nicht flink genug. Während sie noch mit beunruhigtem, bebrüdtem Herzen auf der Mauer hockte und sich nicht einmal darüber klar war, ob sie ihre Augen auf das Hotel oder auf den See richten sollte, stand Beppo schon wieder tricfend neben ihr und drückte ior eine Orange, eine größe, leuchtend gelbe, wunderbare Orange in die Hand. Dann ver­neigte er sich gegen den Balkon, von dem die Frau und das Kind wie zu einem gelungenen Schauspiel flatschyten. Marietta aber ducte fich über die Orange und verstand nicht, weshalb sie sich nicht froher fühlte.

Sonst war sie immer traurig, wenn die Mittagszeit um war; doch heute freute sie sich, als Beppo zum Aufbruch mahnte. Sie reichte ihm, als sie beide unten an der Mauer standen, die Frucht. Beppo sah sie erstaunt an: Aber sie ist für dich." Marietta schüttelte den Kopf. Sie wußte nicht recht, sollte sie sagen: ,, Ich hab sie nicht verdient", oder: ,, Man gab sie dir", und so schwieg sie. Da dachte Beppo, daß ihr Tonios Kinder wieder eingefallen feien, und er sagte: ,, Morgen früh hole ich die Alpenweilchen, und die Orange kannst du ganz allein essen; ich habe überhaupt keinen Appetit dar­auf", und der Satz war zuviel gewesen, denn er fam nun einen Augenblid nach dem Meister an den Arbeitsplatz und friegte die Ohrfeigen, denen er am Morgen glücklich entgangen war. Aber da von erfuhr Marietta glücklicherweise nichts.

Mit dieser Orange hatte ein kleines Wunder in Mariettas und Beppos Leben Einzug gehalten. Ein kleines nur; aber höchstens Kleine Wunder steigen ja in die Wirklichkeit, große wohnen für immer und emig mur in den Heiligentegenden. Dies aber war greifbar, wenigstens für jemand, der so gut schwimmen fonnte wie Beppo. Er durfte jetzt jeden Tag eine Frucht aus dem Wasser holen- man denke, eine Orange! die dann Beppo und Marietta gemeinsam auf der Mauer verzehrten. Nur an jedem dritten Tag verzichteten sie darauf; dann bekam die Mutter die ganze Frucht mitgebracht. Davon nahmen Beppo und Marietta auch nichts an; sonst hätten ihnen ihre Orangen auf der Mauer nicht geschmeckt. Mit voll­tommenem Genuß Marietta sie ja noch immer nicht, obgleich es sicherlich die wunderbarsten Orangen waren, die es überhaupt gab, und die bestimmt sehr selten und sehr kostbar und eigentlich über­haupt nur für die Bewohner eines so herrlichen Hotelpalastes da Bielleicht lag es sogar gerade daran, daß Marietta der Früchte nicht ganz froh merden konnte. Irgendwie schienen sie aus­zudrücken: wir sind nicht für dicht. Dazu kam, daß das fremde kleine Mädchen den Bruder stets Beppino" nannte, und dieser, statt menigstens zu Marietta seine Entrüstung darüber zu äußern, lachte nur darüber. Ja, neulich hatte er sogar auf der Mauer am See vor der Kleinen Rad geschlagen, und Marietta hatte, das war nicht zu ändern und nicht wegzuleugnen, vor Angst gezittert, weil diese Mauer gar nicht sehr breit war und unten der tiefe See. Ein Sturz auf festes Land, und bestehe es aus noch so steinigem Boden, schien ihr dann doch ungefährlicher. Nein, Marietta mollie ganz gern auf die Orangen verzichten; menn nur diese beiden Fremden erst

waren.

abreisen wollten. Natürlich konnte sie so dumme, unvernünftige Gedanken nicht zu dem großen, flugen Bruder äußern.

Hätte man Beppo gefragt, ob ihm das Schwimmen nach den Früchten Spaß mache, so hätte er selbstverständlich ja" geantwortet. Nur zu seinem eigenen Bergnügen wäre er nicht jeden Tag in den See gesprungen. Das tühle Bad bei der Sie war zwar recht erfrischend; doch er war oft so müde von seiner Arbeit, daß er nichts anderes wünschte, als wie die übrigen Arbeiter in der Mittags­stunde rach zu essen und dann zu schlafen. Das heißt, er hätte nichts anderes gewünscht, wenn nicht Marietta da gewesen wäre, und es wäre ihm nie auch nur im Traume eingefallen, daß es angenehmer für ihn sein würde, Marietta fäme nicht. Der Schwester machte sein Springen und Schwimmen Freude, und darum sprang und schwamm er, und er mar den Fremden dankbar, die diese Freude für Marietta noch mit Orangen belohnten, die wiederum Marietta Freude machten

Solange die Fremden bleiben würden, mar Beppo entschlossen,

jeden Tag dieses Bad im See zu nehmen, auch wenn einmal fühleres

und unfreundlicheres Wetter wäre. Denn bliebe er einmal aus

überlegte er so fänden sie vielleicht um die Mittagsstunde einen anderen Zeitvertreib, und mit dem Orangensegen wäre es dann zu Ende.

Marietta empfand ein geheimes Entsetzen, als nach einem gewitterdurchtobten Morgen Beppo sich anschickte, in dem noch heftig bewegten See sein tägliches Bad zu nehmen. Die Wellen, die sich an der Mauer brachen, schufen den Eindruck einer gefährlichen Brandung. Daß fogar Hotelgäste sich in den See gewagt hatten, schien ihr allerdings tröstlich; auf jeden Fall aber hinderte diese Tatsache Marietta vollends an jedem Versuch, Beppo von dem Bad zurückzuhalten. Doch die beiden Fremden schienen heute nicht zu kommen. Als sie sich nicht zeigten, löste fich langsam der Druck über Mariettas Herzen. Nun hatte sie gar keine Angst mehr um Beppo. Der sprang, flacher und weiter als sonst, wenn er die Orangen einfing, in den See hinaus. In rajchen Stößen fam er zurück zur Mauer, ein kleiner Kampf mit der Brandung, dann hatte er Fuß gefaßt,

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glorbert Jacques:

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stand oben, stand neben Marietta.., Beppino", sagte sie zärlid, und Dom anderen Flügel des Hotels tönte eine helle Kinderstimme, das Echo: Beppino!" Von einem entlegenen Balkon minkten die Kleine und ihre Mutter, und in weitem Bogen flog die tägliche Frucht ins Wasser.

Beppo lief auf der Mauer bis zu der Stelle unter dem Balkon; dann schoß er in den See.

Vom Hotelbad erhob sich Lärm. Leute stürzten in den Garten, liefen aufgeregt ins Haus. Bom Bad aus tam man auf die Stelle 31, wohin Beppo gesprungen mar und an der er noch immer nicht auftauchte. Die Menschen hielten sich schlecht in der Brandung auf­recht, aber wenn sie standen, sah man, daß ihnen hier das Wasser mur bis zum halben Oberschenkel reichte. Das war Marietta, die den Ereignissen verständnislos, mit erschreckten Augen zusah, ein kleiner Trost. Beppo, Beppino fonnte dort nicht ertrunken sein. Weshalb war er nur noch immer nicht zu sehen?

Da brachte man ihn. Leblos hing er einem Mann im Arm. Das war doch Blut am Kopf? Marietta überwand ihre Scheu vor der Vornehmheit des Hotels und ließ sich in den Garten hinab­fallen, rannte auf die Hotelhalle zu, in der man Beppo eben nieder­legte. Schreiend warf sie sich über den bleichen, stummen Bruder, rief ihn mit allen Rosenamen, die ihr einfielen. Plötzlich bewegten sich seine Augen ein wenig; er fühlte wohl Marietta mehr als daß er sie jah. Er flüsterte: Morgen hol ich mieder Orangen." Marietta verstand die Worte; sie wünschte dem kleinen fremden Mädchen den Tod.

In der südamerikanischen Stadt

das die Augen mit Sinnlichkeit vollschleudert.

Als ob Mittelalter und gegenwärtigste Zeit sich mit lebendig| jedem Ohr... ein ununterbrochenes Affordspielen... ein Theater, gebliebenen Schnittflächen berührten, ist die Straße der südamerika nischen Stadt stets durchrudelt vom Tragtier und vom Auto, in Beru und Ecuador bis zu malerischster Gegensäglichkeit durch das Bild des Lamas als Tragtier gesteigert, das mit traumhaften Augen seinen Weg durch den Taft des Straßenlebens sucht.

Da Südamerika feine Landstraßen hat und erst seit drei Jahren hier und dort Autostraßen baut, übergeht es eine Phase in der Verkehrsentwicklung, die des Karrens, und wendet sich unmittelbar vom Reit- und Lasttier zum Auto und zur Flugmaschine.

Aber die Betätigung in technischen Dingen hält sich zum Teil noch etwa in der Verfassung des Gemüts eines Knaben, der sie zum Spiel ausnützt, und selbst in großen Städten sind Anlagen von elektrischen oder Telephonleitungen zu sehen, die unsern technisch erzogenen Augen wie eine Karitatur vorkommen.

Mit der hemmungslosen Hingabe naturnäherer Gemüter mirst sich die südamerikanische Stadt vor allem auf das Automobil, von dem einer der wichtigsten Bestandteile die Hupe zu sein scheint. Unter ihrem energischen Konzertieren fährt man stundenlang als Gast eines einheimischen Freundes durch die Straßen und um die Plaza de la Independencia spazieren, und freuzt seinen Weg mit Omnibussen, die ein unternehmender Geist mit Hilfe von Risten­deckeln, Heiligenbildern, Aftphotographien und schwungvollen Namen mie der Blitz, der Siegreiche auf alten Ford- Gestellen aufge­zaubert hat. Die improvisierende Kraft dieser Leute bewältigt die Aufgaben, die an eine Verkehrslinie gestellt sind, bis der Omnibus infolge zu heftigen Chauffierens sich eines Tages an einer Straßen­ecke wieder in seine Kistendeckel auflöst.

Oft findet man in Südamerika plötzlich mitten im Land den Stumpen einer Autostraße, die zwei Städte miteinander verbindet. Es geht fein anderer Weg hin, mie nur der Saumpfad, und die Bagen werden auf dem Rücken von Indios in Stücken hingebracht. Diese Transporte dauern oft wochenlang. Die wieder zusammen­gefeßten Kraftwagen haben dann eine Strecke von 100 oder 150 Kilo­meter vor sich, über die sie nicht hinausbrechen können.

Doch habe ich auch Automobile in Städten gesehen, zu denen und von denen nicht ein halber Kilometer Fahrweg führte. Nicht einmal im Innern der Stadt gab es Straßen, die befahrbar waren, außer die um den Plazz in der Mitte. Diese Kraftwagen umkreisten täglich ungezählte Male und unermüdlich und stundenlang nur den Plaz, zeigten sich, ihre Besizer und deren Entzücken an dem neuen technischen Gebilde.

In den Küstenstädten rudeln die Kraftwagen zu Hunderten und auf den Pläzen halten sich oft 60 bis 70 nebeneinander dem Fahr­liebhaber zur Verfügung. Knaben als reitende Messenger- Boys traben auf Eseln an ihnen vorbei, die Beine gekreuzt auf dem Rücken des Tieres. Von überall her grölen, fingen, deklamieren, pofaunen, flimpern Grammophone aus den offenen Türen und Fenstern der Häuser.

Wir sehen in diesen Städten, auf die die Tatkraft des weißen Unternehmungsmillens losgelassen ist, über das Schilfdach der Hütte unvermittelt das Hochhaus aus Beton aufwachsen. Der Bahnhof, wo es schon Eisenbahnlinien gibt, gehört in einer natürlichen Besitz nahme der Augen zur Straße. Denn wo wäre mehr und Neueres zu sehen als in einem ankommenden Zug? So erwartet ihn stets die ganze Stadt, läuft ihm entgegen, bespringt ihn, während er noch fährt, und fängt ihn schließlich, wie in einem Neß einen Ball, in dichtgerammter Volksmenge auf, die zu schreien und zu jubeln beginnt.

Hundert Händler haben sich rundum aufgetan. Man kann je nach der Gegend von der Zigarette über das Glas Chicha bis zur Wolldecke und zum im ganzen gebratenen Schwein alles bei ihnen taufen.

Die Straßenverfäufer entwickeln sich durch die ganze Stadt in einer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit. Aber im ,, Mercado"( Markt) steigert sich ihr Treiben zu einem ewigen Jahrmarkt. Von Menschen, Waren, Farben, Schreien, aus Kähnen Singen durchstrudelt, ist er stets der Höhepunkt der Stadt. Aufsaugsquelle aller Produktion, Affumulator des ganzen Taktes städtischen Lebens. Er bringt den Indianer zum Neger, den Caboclo zum syrischen Händler, alles umtürmt von den schwersten, maftigen Früchten der Natur, von Fischen und Fleischvierteln, von Stoffen und Töpfereien, Sätteln und Hüten... Vögeln, Affen und Truthühnern...

Als ein Pizzicato auf den Rausch der Sinfonie solchen Lebens hüpfen die hellen Stimmen der Kinder, die vom fünften, sechsten Jahre an aus der Straße ihren Lebenserwerb ziehen oder als Bier­jährige schon in ihr als Stromer und Eckensteher Zeitvertreib suchen. Ich ging einmal mit dem brasilianischen Journalisten Vianna durch die Avenida Rio Branco in Rio. Plöglich blieb er stehen und grüßte mit lebhaften Handbewegungen jenseits einen Belann ten, der vor einem Café faß. Deffen Hände nur antworten und mir war nicht, als ob ich diese Hände sähe, sondern als ob ich fic hörte. Da sagte Vianna:

,, Mein Freund drüben teilte mir eben mit, daß er seit furzem Don Paris zurück sei und daß er schöne Abenteuer mit Frauen ge­habt habe."

So spricht man in Südamerika über die Straße. Und überall in ihr sieht man, wie ein Ansteigen und harmonisches Zusammen­fallen von Lönen, die hieroglyphische Begleitung oder den bild­mäßigen Erjazz der Sprache durch die Musik der Hände. Das ist eines der stärksten Bilder in dem Bilderreichtum des Straßenlebens. Hemmungslose Großartigkeit, menschenfameradschaftliche Mitteiljam teit, eine Telegraphie, jedem Auge verständlich, eine Mujit, hörbar

In diese schrankenlos immer breite Deffentlichkeit" schauen einige Fenster des Hauses hinein, in dem diese Menschen mit ihren Familien um den Patio, den Hof, wohnen. Mit starren Gittern vor den zwei Fenstern in einem schauererregenden Gegensatz, wie in einem Gefängnis, verbarrikadieren sie die weiblichen Mitglieder vor der Deffentlichkeit. Was die Familie aber der Straße widerstrebend von ihren Mädchen spärlich freigibt, ist eine Körperlichkeit voll Süße, Spannung und Fremde.

Roch eine besondere Merkwürdigkeit ist zu verzeichnen; die Straßen der südamerikanischen Städte haben nicht das gepreẞt strudelnde Leben wie die der asiatischen. Sie gehen früh schlafen, und etwa in Quito , der Hauptstadt Ecuadors , sind nach acht Uhr abends alle Cafés und Restaurants geschlossen. Die Straßen sind menschenleer. Aber mit zwei, drei Uhr nachts beginnt es in diesen Städten zu mandern. Frühaufsteher geistern umher. Zu melchem 3med und Ziel, habe ich nie sicher erforschen können.

Sind das vielleicht nur Spaziergänger, die die Hitze des Tages scheuen? Sonst geht der Südamerikaner eigentlich nie spazieren, meil er die Natur fürchtet und haßt. Er tut das wohl wegen ihrer Triebkraft, die ihm unnüz Arbeit macht, and wegen ihrer mir Krankheit und Fieber geladenen Atmosphäre. Bielleicht auch nur, meil in diesen tropischen Gefilden Natur ja sehr billig ist? Ja, dies mag der Grund sein und die öffentlichen Anlagen scheinen es zu verraten.

Mit geringen Ausnahmen mie der Praça da Republica in Rio de Janeiro ( ein Park von märchenhafter Landschaftlichkeit, aber immer leer) bestehen die städtischen Parts in der Hauptsache aus Marmorbalustraden und die Wege sind mit Fliesen belegt. Ja, in Guayaquil sah ich am Fluß eine Parkanlage, bei der man überhaupt auf die Mitwirkung der Natur verzichtet und die Blumen gleich aus Zement in die Erde gegossen hatte.

Die Ziegenherden ron Paris

Ein ebenso anmutiges wie seltsames Bild, das dem Pariser Straßenleben eigen war, bildeten die malerischen Ziegenherden, die in Gruppen zu 20 und 30 frei herumliefen, geführt von einem Hirten, der auf einer schrillen Pfeife monotone Weisen blies, um seinen regelmäßigen Kunden anzufünden, daß sie sich mit frischer Ziegenmilch versorgen fönnten. Seit vielen Jahren haben die Pariser dieses bukolische Idyll, das die Verwunderung jedes Frem­den erregte, nicht mehr zu sehen bekommen. Der Polizeipräfeft hatte die Ziegen mit ihren Hirten aus dem Innern von Paris ver­bannt, weil er der Ansicht war, daß für solche vierfüßigen Passanten fein Raum in den verkehrsreichen Vierteln sei. Aber die Pariser wollten auf ihre frische Ziegenmilch nicht verzichten und sie haben die Behörden solange mit Eingaben bestürmt, bis das Verbot auf­gehoben wurde. Jetzt hört man wieder die Pfeifen der Ziegen­hirten in den engen Gassen des Quartier Latin und in der Nachbar­schaft des Hotel de Ville, und würdevoll ziehen sie dahin, begleitet von ihrer folgsamen Herde und dem Hund, der die Ziegen sicher durch das dichte Gewimmel von Menschen und Wagen geleitet. Der Aufmarsch der Ziegenprozession erfolgt in den einzelnen Stadtteilen zu ganz bestimmten Tageszeiten und sie fehren zu ihren Stallungen außerhalb der Stadt zurück, bevor die Hauptverkehrszeiten einsetzen.

Warum jehen Vögel besser als Menschen?

Schon oft ist das überaus scharfe Gesicht verschiedener Vogelarten angestaunt und bewundert worden. Es scheint uns eine geradezu übernatürliche Leistung, wenn ein Falke, der in großer Höhe über dem Erdboden schwebt, dennoch die kleine Maus zwischen den Acker­schollen erkennt und mit sicherem Stoß die Beute ergreift. Man hat nun bei einer Untersuchung der besonders scharfsichtigen Raben­

was für das

gel festgestellt, daß diese außerordentliche Leistung auf einer Eigentümlichkeit des Vogelauges beruht. Die Vögel werden nämlich durch große Lichtungen nicht geblendet. Während ein Mensch bei einer hellerleuchteten Häuser front durch die Fenster hindurch in den dunklen Zimmern nichts erkennen. fann, weil sein Auge bei Vorhandensein einer großen Lichtmenge nur auf Sellsehen" ein­gestellt ist, können das die Rabenvögel ohne weiteres. Sie sind auch imstande, längere Zeit direkt in die Sonne zu sehen menschliche Auge schwere Schädigungen zur Folge haben würde dabei sehen sie aber zugleich auch die Vorgänge im tiefsten Schatten. Wenn sie also in die Sonne sehen und es tritt dabei etwa unter dem dunklen Dachbalken ihres Wohnkäfigs ein Insekt auf, so wird dieses sogleich bemerkt und gefangen. Das sind Fähigkeiten, an die mir Menschen mit unserem immerhin auch recht vollkommenen Sehorgan bei weitem nicht heranreichen können.

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Die Wüste Sahara bedeckt eine Fläche, die zwölfmal der Größe Deutschlands gleichkommt.

Farnkräuter werden in den Tropen 16 Meter hoch. Der älteste deutsche Holzschnitt stammt aus dem Jahre 1423.

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