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Beilage

Donnerstag, 14. April 1932

taalgod noelschogers Der Abend

Was ist national?

Spätausgabe des Vorwärts

Einige grundsätzliche Bemerkungen zu unserer Zeit Von J. P. Mayer

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es ist

Braun und Brüning haben in diesen Tagen mit dem Nationalismus" der heute noch sogenannten ,, Natio­nalsozialistischen Arbeiterpartei" abgerechnet, einem Nationalismus, der die Nation im Stich lassen roill, wenn es irgendwo an der Grenze zu einer ernsten Aus­einandersetzung kommt, weil man um mit Adolf Hitler zu sprechen die Kämpfer nicht für das System opfern will. Was ist national, was ist Nation notwendig, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Die politische Unreise des deutschen Menschen ist schon fast sprich wörtlich geworden. Wäre es sonst möglich, daß oin 10. April mehr als 13 Millionen Stimmen für Adolf Hitler abgegeben werden konnten? In feinem Land mit einer festen politischen Tradition hätte die nationalsozialistische Bewegung diesen Umfang annehmen fönnen. Es unterliegt wohl auch heute im Kreise der National­fozialisten feinem Zweifel mehr, daß das ,, Nationale" in dieser Bewegung stärker betont wird als das Sozialistische".

Hitlers Vertrautheit mit der Schwerindustrie dürfte ja hier die letzte Klarheit geben; gleichwohl ist die Bedeutung des Nationalen, so wie sie in der Hitler- Bewegung angewandt wird, feineswegs ein­deutig geflärt. Man fühlt sich als die nationale" Oppo­fition gegen das offenbar doch vaterlands feindliche System":

Die moderne Nation ist das Resultat ciner historischen Entwicklung,

verband, eine Berwaltungseinheit, jebenfalls teine repräsentative| fubjettivistische und nuftische Borauslegung eines Rolfsgeistes", politische Einheit. In Luthers Schrift An den christlichen Abel der der Geschichte gleichsam vorausgehen soll. deutscher Nation" wird Nation im Unterschied zu Bolf ge= braucht; Nation( Bischöfe und Fürsten ) wird die politisch aktive und herrschende Einheit. Im 18. Jahrhundert libernimmt das auf­steigende Bürgertum das Wort Nation, um sich vom Bolt" ( peuple), zu dem es eben noch gehört hat, zu unterscheiden und, was von besonderer Wichtigkeit ist, zu distanzieren. In der Franzö­fischen Revolution wird dann die heutige Bedeutung des Wortes Ration" als große einheitsstiftende politische Gemeinschaft fest gelegt. Jode Begründung" des politischen und geschichtlichen Fal tums der Nation, die allein Merkmale wie Sprache, Blut, Rasse, Boden, Klima usw. aneinanderreiht, ist ebenso unzureichend wie die

wie es der bedeutende französische Forscher Ernest Renan ein­mal ausgesprochen hat. Eine Soziologie der modernen Nation muß demnach auf den gesichtlichen Entwidlungsprozeß der Nationbildung zurückgreifen. Heinz D. Ziegler geht in seinem Buch Die moderne Nation"( Berlag Mohr, Tübingen , 1931) diesen Beg, der allein zu einer fachgemäßen Klarstellung von bee und Wirklichkeit der Nation führen kann. ( Ein weiterer Artikel folgt.)

Soll's so in Preussen werden?

man will zwar jetzt nicht mehr sofort den Young- Plan erreißen", Flüchtige Aufzeichnung aus Neapel 1932- Von O. F. Heinrich

auch das Siegreich wollen wir Frankreich schlagen" ist widerrufen worden. Offenbar beansprucht aber hier eine Partei, die alleinige Trägerin der nationalen Idee zu sein. Es ist nur selbstver­ständlich, daß andere Parteien diesem behaupteten, Nation- Patent" sehr entschieden widersprechen und es sich wie der Kanzler Brüning aufs entschiedenste verbitten, über das Baterländische, das Nationale Belehrungen zu empfangen. Auch die Sozial­demokratie hat Herrn Josef Goebbels auf seinen Vorwurf, daß sie ,, die Partei der Deserteure" sei, heftig widersprochen und es wäre in jener denkwürdigen Reichstagsfißung beinahe nicht beim Wider­iprechen geblieben.

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Ist jedoch in diesen Auseinandersetzungen der sa chliche Gehalt dessen, was unter Nation zu verstehen sei, eindeutig geflärt? Die Entwicklung der Nachkriegszeit zeigt, daß Idee und Wirklichkeit der Nation eine neue und starke Betonung erhalten hat, der sich teine Partci nur dies sollen die obigen Bemerkungen zeigen entziehen kann. In Italien hat der Faschismus im Namen der Nation die sozialistische Arbeiterbewegung niedergeworfen, in Ruß land. herrscht der nationale Bolichemismus, im fernen Osten fämpfen China und Indien um ihre nationale Befreiung in Eng: land hat sich Macdonald im Namen der Nation von seiner Partei getrennt, die er durch Jahre hindurch geführt hat, Frankreichs neue Weltmachtstellung ist eindeutig national ausgerichtet und auch das republikanische Deutschland steht im Zeichen einer ent­schiedenen Nationalisierung. Freilich muß man hier sehr sorgfältig zwischen Wort und Sache unterscheiden. Eine natio­nale Haltung beweist sich nicht durch Worte:

Die deutsche Sozialdemokratic hat sicherlich das Wort national" seltener gebraucht, als sic national gehandelt hat. Allein auf das objektive Faktum der Nation oder des Nationalismus tommt es ant.

Was aber wollen wir unter Nation verstehen? Wir könnten Diese Frage mit einer Erklärung des Bortes beantworten, was aber faum weiterführen würde. Unsere Frage muß vielmehr anders gestellt werden: Wie kommt es, daß sich heute das politische Welt geschehen entscheidend an der Nation als Geschehenseinheit orientiert? Hat sich das weltgeschichtliche Geschehen immer in der Geschehens­einheit Ration" vollzogen?

Keineswegs. Die antife griechische Geschichte war von der Ein heit der Stadt, der Polis, bestimmt. Die lokale Begrenztheit und lleberschaubarkeit ber antiken Polis, aber auch Rechtsformen oder der auf eine Stadtgottheit bezogene Kult machen den griechischen Stadt- Staat zu einem mit einer modernen Nation unvergleich baren fozialen Gebilde. Ebenso zeigt die Entwicklung des Imperium Romanum, des römischen Reichs, feine nationalen Züge. Die Bürgergemeinde der Stadt Rom bestimmt die Einheit der politischen Organisation und diese geschlossene Gruppe erhebt einen univerfalistischen Herrschaftsanspruch, einen Anspruch auf Weltherrschaft, der im christlichen Mittelalter erhalten bleibt, menn er auch auf andere Träger übergeht: Papstamm und Kaisertum wer­den die Träger der mittelalterlichen universalistischen Herrschaft. Die Kreuzzüge sind die Bestätigung, daß die Kirche die ent fcheidende, reale politische Macht in den Kämpfen zwischen Kaiser und Bapst bleibt.

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Eine ziemlich ängstliche Geste war es.

Um die Mittagszeit schlendert man gern durch die alten Gassen| wird mir ein Zeichen gemacht: ich möge mich gedulden bis nachher. Neapels , die um die Piazza Dante herum liegen und von der Bia Roma abwärts nach dem Hafenviertel führen. Händler schreien den üblichen Salm; jezo: Orangen, Zitronen, Gemüse, Fische, Brot, Fleisch. Es ist eng und schmutzig, weil vieles zur Erde fällt und nur wenig aufgehoben wird.

Die Sonne Süditaliens

Sie sah Jahrtausende hindurch über Gerechte und lingerechte, wanderte über das Forum Ro­manum wie über den Palazzo Chigi, fie strahlte über dem freien Italien wie über dem proßenden Rutenbündel. Das aber prangt in symbolischer Bereinigung mit dem Beil in Miniaturausgabe auf der Brust so manchen Italieners, der die Freiheit verkaufte, ehe er sie besaß.

Am besten ist man zu Mittag in den kleinen Sneipen, die un­scheinbar für Fremde und wenig verlodend, irgendmo in die Häuser­wände eingenistet, marten. Was gibt's? Fischsuppe, Salat von Blumentohl, geröstetes Huhn, Gorgonzola und zum Schluß eine faftige Catania - Drange. Ich esse mit z mei. Neapolitanern zusammen an einem der kleinen, weißgedeckten Tische. Es schmeckt ihnen scheinbar ebensogut wie mir. Bielleicht war diese über das Weinglas hinüber freudig festgestellte Genugtuung der Beginn der eine unseres Gespräches. Jedenfalls brachte o Freude von ihnen ein paar deutsche Vokabeln angeschleppt. Er sprach sie mit großer Mühe und strahlte, daß ich sie verstand, denn er hatte den Brenner nordwärts noch nicht überschritten, sondern die swere Sprat bruchstückweise aus Büchern gestemmt. Nun flapperte sie in einem nur weichere Laute gewohnten Munde wie ein schlecht geöltes und darob stockendes Räderwerk.

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Nichts hätte das heitere Wortgeplänfel, die Freude am gegen seitigen Berstehen gestört, wenn nicht 3 mei Faschisten pom Rebentische aus geäugt hätten: aha, ein Ausländer, zwei sogar ( denn die blonde Dame neben mir stammte schmerlich aus Balermo). An die Neugierde der uniformierten Beglücker Italiens ist man gewöhnt; also: weiter und laß fie glogen.

Doch dabei darf es nicht bleiben. Sie stehen auf, treten heran. und nun erheben sich auch die beiden Neapolitaner, Worte hin, Worte her. Ausweise werden hervorgetramt, Brieftaschen durch­sucht, Fragen gestellt, Antworten gegeben.

Die Gäste schielen. Der Kellner vergißt zu bedienen. Donna Maria kommt aus dem quaimenden Küchenmintel. Wird sie reden? Sie redet nicht. Alles ist still. Nur die zwei Herren vom Fascio verhören ihre kleinen, ach so kleinen Landsleute.

Was mag denn los sein? Haben die fröhlichen Gegenüber was ausgefressen? Werden sie gesucht? Ich frage vorsichtig. Berstohlen

Als Großstädter aufs Land

Stürzlich veranstaltete die Berliner Funkstunde ein äußerst inter­effantes Zwiegespräch zwischen einem Siedlerbauern und einein großstädtischen Freunde der Siedlerbewegung über das Thema: Als Großstadtarbeiter aufs Land". Die Diskussion sollte der Berständigung und Zusammenarbeit von Land­und Stadtl evölkerung dienen und im besonderen die Schmierig. feiten, 3iele und Erfolge der Umsiedlung von Stadtarbeitern zu bäuerlichen Siedlern aufzeigen.

Endlich ist das Berhör beendet. Die Faschisten verlassen die zerstörte Gemütlichkeit des kleinen Raumes und verschwinden im Freien; das Gewühl der Straße verschlingt ihre wehenden Mäntel. Als ob jemand auf einen verborgenen Snopf gedrückt hätte, setzen die Gespräche wieder ein.

Ich bin natürlich neugierig und begleite die beiden später ein großes Stück die Via Roma abwärts. Jetzt entdecke ich bei dem Roch merkwürdiger.... einen das faschistische Abzeichen. ,, Nun sagen Sie mir, was follte das alles?" Sie sehen sich um: nein, es hört niemand zu. ,, Weil wir haben zusammen gefeffen mit Ausländern." Der andere nicht, die Mundwinkel spöttisch verzogen: Ja, das ist alles! Die Freiheit Italiens !"

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Und auf meinen Einwurf, daß er doch dem Abzeichen nach Mitglied der faschistischen Partei sei, ein müdes Abwinken mit der losen Hand: Ich bin Kaufmann. Wenn ich das nicht mit­mache, kann ich in einem Jahr meinen Laden schließen. Bielen ist es so gegangen, die sich zuerst weigerten. Nach zwei Jahren öffnet man die Liften. dann ist es zu spät. Gewaltsamer Boykott tötet."

Was ich schon lange geahnt, hier wurde es mir bestätigt: nicht alle sind Anhänger des Duce, die mit seinem Zeichen aufwarten. Es werden sogar Hasser unter ihnen sein.

Berärgert über die Blamage feines Vaterlandes vor einem Ausländer fuhr er fort:

,, Aber glauben Sie nicht, daß ich mit Erfolg gesegnet bin, weil ich zur faschistischen Partei gehöre. Das ganze Jahr über muß ich spenden", für ein Denkmal, für ein Kraftwerk, ein andermal für die Luftflotte, und wenn ich am Ende Bilanz ziehe, dann bleibt mir nichts mehr übrig, nichts!"

Wir unterhalten uns noch eine Weile. An den Galerie Um­berto trennen wir uns. Auf dem weiten Wege zur Piazza Amadeo stellte ich Vergleiche an. Kein Wunder, daß ich nordwärts geriet:

Dort leben Menschen, die sich die gleichen Fesseln schmieden und obendrein erfreut zuschauen, wie das Eisen schon glüht, mie es zäh gebogen wird, zur Klammer geformt.

Einmal erfaltet, öffnet es nie mehr den erdrückenden Ring, in dem alles, was sich Mensch nennen darf, verkümmert und ver dirbt..

,, Lasciate ogni speranza" schrieb Dante über das Tor zur Hölle. Laßt alle Hoffnung fahren" müßten auch wir als furcht baren Spruch wählen, wenn wir statt die Freiheit zu vera teidigen, einem Phantom auch nur einen Zoll breit Platz ließen!

zwischen Stadt und Land, meil man die Sorgen und Er. fahrungen des alten Berufs nicht vergessen merde. Die Erkenntnisse aus der früheren disziplinierten und solidarischen Mitarbeit in der Arbeiterorganisation, in der Gewerkschaft brauchten nicht verneint und verleugnet zu merden; vielmehr lasse sich aus diesen Erfahrungen heraus eine fruchtbare genossenschaft. liche Zusammenarbeit der Sicolergemeinschaf ten gestalten. Bon hier aus führten dann auch bald die Wege zur prattifchen Berbindung mit der Stadtbenälterung.

Die territorialstaatliche Opposition, Sas eigenmütige Bestreben der Herzöge und Fürsten , in ihren Ländern auf Kosten des Reichs umabhängige Herrscher zu bleiben, zerschlägt das christliche Imperium. Dynaftisone Intereffen schaffen geschlossene, zentralistische Staats­Beide Redner bejahten die Notwendigkeit des weiteren Aus­wesen. Von einer nationalen Gruppierung oder Ausrichtung Der Siedlervertreter, selbst früherer Industriearbeiter, hat nach baues der ländlichen Volkshochschult iloung, des ländlichen fachlichen des politischen Geschehens kann nicht die Rede fein. Die Ausbildung des territorialen Königtums findet im Zeitalter des Absolutismus längerer Arbeitslosigkeit mit Hilfe der auf diesem Gebiete erfolgreich Fortbildungsschulwefens. Besonderer Bert müsse auch auf die Dr­feine Bollendung. Sicherlich bildet dieser Zentralismus man dente arbeitenden preußischen Staatsregierung den Weg aufs Land geganisierung ständiger, im Orte selbst regelmäßig erreichbarer Bera magt. Er schilderte in klarer und überzeugender Form, melch tung der Landbevölkerung in Landwirtschaftlichen , behördlichen, nur an Frankreich die homogene Einheit der modernen Nation vor. schwere Lasten und Entbehrungen zu überwinden gewesen seien, steuerlichen und wirtschaftlichen Fragen gelegt werden. Aber erst in der großen französischen Revolution melche törperliche, geistige und seelische Umstellung es erfordere, wird die Nation im Gegensatz zum absolutistischen plöglich umzulernen, um sich als Bauer im neuen Beruf zu behaup ten und einen wirtschaftlich rentablen Betrieb aufzubauen. Aber er Staat zum Zentrum des politischen Geschehens, meinte, daß es fid) mohl lohne, auch eine Zeitlang auf die Freuden wird die politische Herrschaft der Nation on Der Großstadt, auf viele Erholungs, Bergnügungs- und auch neben einem völlig neuen Prinzip orientiert. berufliche Bildungsmöglichkeiten verzichten zu müssen; trok härte Auch die Mortgeschichte des Begriffes Nation" bestätigt diese| fter Arbeit bebaute es bei der heutigen Strifenzeit ja unendlich viel, Gnanidhung. Das Wort Nation" stammt aus dem Lateinischen auf eigener Scholle zunächst einmal ohnung und Brot zu natio( geboten merden) und bezeichnet ursprünglich eine bhaben und von bem zermürbenden Schicksal der Arbeitslnfig- liche Preisbildung, über Abfagorganisation, Qualitätsproduktion ftammungsgemeinschaft im Sinne einer Zierart, feit und des Stempelnmüffens befreit zu sein! jcboch feinesmegs als 2bstammungsgemeinfdjaft eines Boltsftammes. Im tirchlichen Mittelalter mird das Bort ,, Nation " für Gruppierungen auf Konzilien und Universitäten verwandt. Eo umfaßt die deutsche Nation z. B. auf dem Konzil zu Konstanz die ungarische, polnische nb ffandinavische Geistlichkeit. Natio ist im Mittelalter ein 3med

Start betonte er auch, daß der Weg vom Industriearbeiter zum Bauern sinar auch eine wirtschaftliche Umstellung des Arbeitsbewußt­feins mit sich bringe, da man sozusagen vom Berbraucherstandpuntt zum Erzeugerstandpunkt hinübermedhfle. Aber das begünstige auch eine bemußte und organisch aufzubauende 3usammenarbeit

Es ist erfreulich, daß die Berliner Funkstunde derartig national­mie jozialpolitisch wichtigen Auseinandersetzungen ihre Hilfe zuteil werden läßt. Der Rundfunk ist gewiß mit dazu. berufen, auch per praktischen Berständigung von Land- und Stadtbevölkerung zur Klärung aller wirtschaftlich und tulturell bedeutsamen Probleme zu dienen. In diefer Boche werben ja innerhalb der Vortragsreihen für Grmert alofe speziell Siedlerfragen behandelt. Hoffentlich wird dieser Beg meitergegangen. Massprachen über die tandwirtschaft­

mürden ficher Antlang finden. Die Kleinbauernfchaft hat ein Interesse daran, den Kontaft mit ber Großstadt nicht zu ver lieren und nitergebrachte, überlebte Gegenfäße, besonders zur pro letarischen Stadtbevölkerung, zu überbrüden. Arbeiter- und Bauern schaft müssen dem Ziele einer kameradschaftlichen, geistigen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zufteuern,