Morgenausgabe
Nr. 208
A 105
49. Jahrgang
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Der„ Borwärts erscheint wochentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Jllustrierte Sonntagsbeilage Bolt und Zeit".
Mittwoch
4. Mai 1932
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Haus", wo er von dem Wirt verstedt gehalten wurde. Er founte erft um 9 Uhr abends dort ermittelt und in Haft genommen werden, während die Tat sich bereits um 4.20 Uhr ereignet hatte. Außer dem Rudzinski wurden drei weitere an dem Ueberfall beteiligte uniformierte Nationalsozialisten in Haft genommen.
Erhaltet das Kulturtheater!
Dringende Forderung auch in Notzeiten. Von Dr. S. Nestriepke.
Ein mit höchster Leidenschaft geführter politischer Kampf und die Sorge um eine Milderung der aus der Wirtschaftsfrise entspringenden sozialen Nöte lassen nur wenig Interesse für jene Bestrebungen, die auf fulturelle Ziele gerichtet sind. Das ist selbstverständlich, aber nicht weniger auch bedenklich.
Der Bauunternehmer Rudzinski, Führer der S. in Neuteich , hatte heute vormittag mit der Frau des so. zialdemokratischen Stadtverordneten Gruhn eine Auseinandersetzung. Am Nachmittag wollte Gruhn den Bauunternehmer auf der Straße zur Rede stellen. Als jetzt mehrere Nationalsozialisten hinzu cilten, fam es zu Tätlichkeiten. Rudzinski zog eine Pistole und gab auf den Stadtverordneten und dessen Frau vier Schüsse ab. Gruha wurde durch einen Der bestialische Mord in Bantau.- Die Naziftrolche lachen Verrohung und einer Berwilderung fittlicher Begriffe in sich Schuß ins Herz auf der Stelle getötet. Seine Frau blieb unverlegt.
Zu dieser Meldung des Wolff- Büros erfahren wir aus Neufeich noch folgende Einzelheiten:
Der Zimmermeister und Bauunternehmer Rudzinski, der Führer der in Danzig immer noch nicht verbotenen SS., hatte im Laufe des Tages die Frau des Stadtverordneten Gruhn auf der Straße getroffen und sie ohne Beranlassung mit dem Regenschirm ins Geficht geschlagen. Die NationalfoziaTiffen waren an diesem Tage besonders unternehmungsluffig. Es fand in Neuteich nämlich eine Bullenscha u statt, aus welchem Anlaß zahlreiche Großbauern aus der Umgegend. dort versammelt waren.
Augenscheinlich um sich wichtig zu machen, hat der ebenso wie feine Parteigeroffen in Uniform herumlaufende Rudzinski den brutalen Ueberfall auf die Frau des Sozialdemokraten verübt. Etwa eine. Stunde später traf Gruhn in Begleitung feiner Frau den Rudzinski wieder. Eine Anzahl Nationalsozialisten, die in Begleitung ihres„ Führers" waren, riffen ohne irgendeine Beranlassung den friedlich seines Weges gehenden Gruhn zu Boden. In diesem Augenblick zog Rudzinski einen Revolver aus der Tasche und gab auf den am Boden Liegenden drei Schüsse ab, von denen einer ins Herz traf und den sofortigen Tod herbeiführte.
Die ganze Szene spielte sich unmittelbar vor dem als Naziheim bekannten, durch die Hakenkreuzflagge auch äußerlich gefennzeichneten„ Hotel 3um Deutschen Hause" ab, auf dessen Beranda die Bauern der Affäre schmunzelnd zujahen. Auch die Naziführer Lindmeier aus Danzig und der Reichstagsabge. ordnete Forster waren anwesend.
Eine Vernachlässigung der hier vorhandenen Einrichtun gen muß sich früher oder später verhängnisvoll auswirken. Gerade in Zeiten wie den heutigen, in Zeiten, die so viele schwierige Probleme aufwerfen, die so starke Gefahren einer
Der Staatsanwalt hat Zeit! überkommene Vorstellungen erschüttern, die täglich neue
In der Verhandlung gegen die an dem Bankauer Ueber fall beteiligten Kreuzburger SA.- Leute vor dem Schmurgericht in Oppeln erfolgte am Dienstag die Bernehmung von etwa 30 Zeugen. Der Landjäger Marloni sagte aus, daß er bei Absuchung des Tatortes neben der Leiche draußen vor dem Kam merfenster zahlreiche Geschoßhülsen gefunden habe. Nachts um 1 Uhr sei er zur Berichterstattung zum Kreuzburger Staatsanwalt gefahren. Dieser habe ihn fortgeschicht und ihm gejagt, er möge am nächsten Bormittag wiederkommen. Die Mordkommission sei erst 16 Stunden nach der Taf in Bankau eingetroffen.
Der Gemeindevorsteher Drevnik, der den Nazis nahe= steht und den Angeklagten während einer Verhandlungspause Zigaretten schachtelweise zustedte, befundete, er habe insgesamt zwölf Geschoßhülsen gefunden. Ernst Bassy, der Bruder d Ermordeten erklärte, daß er von dem Nationalsozialisten Smyrek kurz vor dem Ueberfall in der Dorffneipe belästigt wurde.
Als die Frau des Ermordeten im Gerichtssaal erscheint, brechen
die Angeklagten in ironisches Gelächter aus!
Die Frau bestätigt als Zeugin, daß sie den Anführer der Nazis unter Hinweis auf ihre beiden kleinen Kinder angefleht habe, von ihrem Manne abzulassen.
Der Oppelner Kriminialiommissar von Franzius berichtete, daß durch die Kreuzburger S. im Laufe der vorangegangenen Monate zahlreiche Zusammenstöße hervorgerufen worden seien. Darauf wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Der Mörder flüchtete nach der Tat in das„ Deutsche Verkündung des Urteils ist für Mittwochnachmittag zu erwarten.
Brüning hält sich.
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Besprechung mit Hindenburg / Neue Notverordnungen/ Reichsbanner bleibt. ,, Rüdtrittsgerüchte um Brüning" Krisenbehalten uns vor, zu diesen Notverordnungen, an denen die Iuft um Brüning"„ Es trifelt im Rabinett"-Sozialdemokratische Partei natürlich in feiner Abendblätter mit diesen Ueberschriften waren gestern in den Straßen Beise mitgewirft hat, Stellung zu nehmen, sobald sie im Berlins für einen Groschen das Stück reichlich zu haben. Bei den Wortlaut vorliegen. Gläubigen des Dritten Reiches erweckten sie die angenehmsten Erwartungen. Inzwischen war Brüning beim Reichspräsidenten , und es ergibt sich, daß zunächst alles beim alten bleibt, abgesehen davon, daß der Reichswirtschaftsminister
Warmbold sein Abschiedsgesuch eingereicht
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hat. Wozu man nur sagen kann:„ Wenn es weiter nichts ist...?" Die Gründe für Herrn Warmbolds Rücktritt werden mie man annehmen darf, annähernd richtig in der Berliner Börsenzeitung" dargelegt. Der bisherige Reichswirtschaftsminister lebt so sehr in der Gedankenwelt der Schwerindustrie, daß er in der Vierzigstundenwoche ein umstürzlerisches Experiment sieht und in Herrn Stegerwald einen halben Bolschewisten. Ueber feinen Nachfolger ist noch nichts entschieden.
Als Ergebnis der Besprechung mit dem Reichspräsidenten erwartet man für heute zwei Notverordnungen,
Aus der Tatsache, daß die gestrige Besprechung des Reichstanzlers mit dem Reichspräsidenten reibungslos verlief, darf natür lich nicht gefchloffen werden, daß alle Konfliktstoffe endgültig weggeräumt sind. So ist die
Ordnung im Reichswehrminsterium noch nicht wiederhergestellt. Es muß aber, aus den Gründen, die schon gestern hier dargelegt worden sind, erwartet werden, daß das baldigst geschieht. Auf keinen Fall darf geduldet werden, daß eine angebliche Stimme der Truppe" von der Bendlerstraße her sich politischen Einfluß zu schaffen versucht. Die ,, Truppe" hat nicht zu politisieren, sondern Disziplin zu halten. politifieren, sondern Disziplin zu halten.
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Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die entschieden werden müssen, sind im Kabinett noch nicht zur Entscheidung gelangt. Feststehen dürfte nur, daß der Plan einer Prämienanleihe für Arbeitsbeschaffung den Reichstag gleich ron denen die eine das Reichsbanner meiterbestehen läßt, die nach seinem Zusammentritt am 9. Mai beschäftigen wird. Ueber die andere der kommunistischen Gottlosenbewegung" an Finanzhilfe für die Gemeinden, die Arbeitslosenfürsorge, die Inden Leib rüdt. Die erste Notverordnung foll, wie es heißt, dem validenversicherung find noch feine Beschlüsse gefaßt. Die Regierung Reichswehr und dem Reichsinnenministerium besondere Kontroll- Brüning befindet sich also erst am Anfang einer flippenreichen rechte gegenüber den sogenannten Wehrverbänden einräumen. Wir Fahrt.
schließen, braucht das Volk Bildungsstätten, die den Blick weiten, die mit den letzten Ursachen der Zeitnöte vertraut machen, die über alle Tagessorgen hinweg die großen 3iele einer Höherentwicklung der Menschheit aufweisen, die das Gefühl der sozialen Verbundenheit pflegen und den Willen zu einer neuen Gemeinschaftskultur spornen.
Anstalten. Nicht meniger wichtig sind Einrichtungen, die durch die Vermittlung fünstlerischer Erlebnisse erzieherisch wirken. Eine solche Bildung" des Menschen, die sich mehr an sein Gefühl als an seinen Intellekt mendet, ist vielleicht fruchtbarer als alle Belehrungen, die vornehmlich zum Verstand sprechen. Einsichten und Erkenntnisse, die in einer inneren Erschütterung, in einem ,, Erlebnis" wurzeln, wirken sich meist am stärksten und am nachhaltigsten aus.
Es handelt sich dabei nicht nur um Schulen und ähnliche
Keine Kunst vermag die Menschen so zu packen und aufzumühlen, wie die des Theaters. Gewiß, nicht alles, was ein Theater bietet, trägt bildenden" Charakter. Nur ein Teil der Aufführungen, die von den Bühnen geboten werden, bringt mehr als leichte Unterhaltung. Indessen ist doch kein Mangel an Werken, die in reizvoller und spannender Form
wertvolle Erkenntnis vermitteln können, und es hat auch nie an Bühnen gefehlt, die es sich zur Aufgabe machten, gerade solche Werke in den Vordergrund ihres Programms zu rücken.
Aber gerade diese Bühnen schweben heute in höchster Gefahr. Schon hat die Wirtschaftskrise nicht wenige von ihnen zum Erliegen gebracht. Diejenigen, die noch spielen, fämpfen fast alle einen verzweifelten Kampf um ihre Existenz. Man hat Erstaunliches geleistet, um die Ausgaben einzuschränken. Alle Beteiligten haben Opfer gebracht. Aber das hat feinen Ausgleich für die sinkenden Einnahmen schaffen können. Am schlimmsten ist: jene Bühnen, die sich ein fulturelles Ziel gesetzt hatten, waren von jeher auf Bei= hilfen aus öffentlichen Mitteln angewiesen. Die zunehmenden Finanzschwierigkeiten der Städte und Länder haben aber jetzt fast überall Bestrebungen aufkommen lassen. diese Zuschüsse nicht nur herabzusehen, sondern womöglich ganz zu streichen. Aus den Abbaumaßnahmen drohen Schläge zu werden, die alle lebendige Theaterkultur vernichten.
Diesen Tendenzen muß endlich ein Halt geboten werden! Nicht zuletzt muß dieses Halt auch von den Massen der Werftätigen gerufen werden, die heute schwerer denn je um ihren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg ringen. Ein solches Halt bedeutet noch nicht die Zustimmung zu dem, was die deutschen Theater bisher waren und was sie leisteten. Hier ist genug Kritik zu üben: Wie wenig standen diese Bühnen im allgemeinen noch den arbeitenden Massen offen! Wie wenig waren sie bei ihrer Spielplangestaltung bereit, den Interessen des Proletariats Rechnung zu tragen! Aber eine Bernichtung des Borhandenen würde gleichwohl viele auch für die werktätigen Massen wichtigen Werte zerstören. Nötig aber wäre durch Erhaltung und Fortbildung des Bestehenden die in einem lebendigen Theater gegebenen Möglichkeiten zur Befruchtung der proletarischen Bildung weiter zu entwickeln. Nötig wäre, an Stelle des Abbaus der deutschen Theater einen 2 ufbau zu setzen, der die Kunst der Bühne ganz anders als bisher der arbeitenden Bevölkerung erschließt und der zugleich dem Aufstiegswillen der Massen neuen Antrieb schafft.
Sucht das Theater diese neue Verbindung mit dem Volke, ist es mehr als bisher bestrebt, wirklich Führer der Massen in ihrem Suchen nach einem neuen Weltbild zu werden, dann ist zugleich jede Rechtfertigung für seine Förderung und Unterstützung durch öffentliche Mitteln gegeben. Dann wird es ihm auch nicht an Besuchern fehlen, die mit ihren Opfern für den Theaterbesuch zwar noch nicht die ganzen Kosten decken, die aber dafür sorgen, daß jeder Plazz besetzt und daß fein Kraftaufwand unnük vertan wird. Dann wird- trog Sino