Der Abend
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Großer Linkssieg in Frankreich
Tardieus Mehrheit zusammengebrochen- Sozialisten und Radikale in Front
Paris , 9. Mai. ( Eigenbericht.) Die neue Deputiertenkammer wird sich nach den gestrigen Stichwahlen, die den Sieg der Linken über alles Erwarten vollendet haben, wie folgt zusammensetzen: Mandate bisher 129 112(+17) 5(+ 6) 32(+ 5) 109(+50) 90( 28)
Sozialisten
11
Unabh. Kommunisten Unabh Sozialisten und foz. Republ.( Painlevé) 37
52
159
62
Kath. Demokraten( inkl.
elfäff.Heimatsrechtler)
16
Linksrepubl.( Tardien)
72
19(-3) 101(-29)
Unabhängige Republi
28
26(+ 2)
Nationalistische Gruppe
( Marin).
76
90(-14)
Konservative( Royalist.)
5
8(- 3)
Kommunisten.
12
10(+ 2)
Diese Statistik bezieht sich auf 607 Mandate. Einige Resultate aus den Kolonien stehen noch aus, die zumeist den Radikalen zugute kommen dürften.
*
Am vergangenen Montag, nach dem ersten Wahlgang, hatten wir an dieser Stelle einen flaren Sieg der fran zösischen Linken mit Bestimmtheit angekündigt und standen mit dieser Auffassung in der Berliner Presse ziemlich vereinsamt da. Die Rechtspresse, die aus instinktiven Solidaritätsgründen die Aufrechterhaltung der reaktionären TardieuMehrheit wünschte, und der größte Teil der Linkspresse, deren Bariser Berichterstatter bei dieser Gelegenheit einen erstaunlichen Mangel an Beurteilungsvermögen an den Tag legten, verkündeten übereinstimmend, daß die bisherige Regierungsmehrheit zwar leicht angeknabbert, aber letzten Endes unerschüttert aus dem Wahlkampf hervorgehen würde.
Albert Thomas
Paris, 9. Mai. ( Eigenbericht.)
Der Direktor des Internationalen Arbeitsamts Albert Thomas ist am Sonnabendabend in einem Pariser Restaurant einem Herzschlag erlegen.
Thomas war am Freitagnachmittag anläßlich der Wahlen nach Frankreich gekommen, obgleich seine Gesundheit schon in den letzten Tagen zu wünschen übrig gelassen hatte. Am Sonnabendabend gegen 10 Uhr fühlte
aufzubahren. Frau Thomas ist inzwischen von Genf in Paris eingetroffen, hat aber die Aufbahrung im Arbeits. ministerium abgelehnt.
Albert Thomas hat ein Alter von fast 54 Jahren erreicht. Er war am 16. Juni 1878 im Champigny bei Paris als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Nach dem Studium der Philosophie widmete er sich bald der Politik. Als Jean Jaurès im Jahre 1904 die ,, Humanité" grün. dete, zog er Albert Thomas als Mitarbeiter für soziale Fragen heran. Daneben gab Thomas die ,, Revue Syn dicaliste" heraus. 1910 wurde er als sozialistischer Abgeordneter zum erstenmal in die Kammer gewählt. Im Jahre 1915 trat er als Unterstaatssekretär für Artillerie und Munition in das Kabinett Viviani ein, ein Amt, das er auch in dem fünften Kabinett Briand beibehielt. Im sechsten Kabinett Briand wurde er Rüstungsminister und behielt diesen Titel auch im nachfolgenden Kabinett Ribot. 1920 legte Thomas sein Mandat nieder, um seine Tätig. keit ganz dem Internationalen Arbeitsamt zu widmen, das ihn inzwischen zu seinem Direktor gewählt hatte. ( Siehe auch die Beilage.)
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands fandte an die Sozialistische Partei Frankreichs folgendes Beileidstelegramm:
Zum Tode Albert Thomas ' sprechen wir Euch unser herzliches Beileid aus. Mit ihm verliert das internationale Proletariat einen feiner besten Freunde, einen Mann, der energisch bestrebt war, den Darbenden auch über die Einrichtungen des JAA. Arbeit und Brof zu verschaffen.
Parteivorstand.
Für den Bundesvorstand des ADGB. richtete Genosse Lei. part folgendes Telegramm an das Internationale Arbeitsamt in Genf :
" Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund trauert mit dem Internationalen Arbeitsamt um den plötzlichen Tod des genialen Direktors Albert Thomas . Sein großes Werk leuchtet und wirkt in der ganzen Welt. Die internationale Arbeiterbewegung wird in barkeit nennen." aller Zukunft seinen Namen in höchster Anerkennung und Danf
vorstand des ADGB. : An die Witwe des Verstorbenen telegraphierte der Bundes
,, Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund spricht Ihnen, sehr verehrte Frau, aufrichtiges Beileid aus zu dem plöglichen Tod Ihres hochgeschäßten Gatten. Die deutsche Arbeiterschaft hat den großen Vorfämpfer der internationalen Sozialpolitik immer hoch verehrt und geliebt wegen seines Verständnisses
für ihre Lage und seiner unerschrockenheit und Be tigkeit. Seine treue Gesinnung und sein großes Werk sichern harrlichkeit im Kampf für soziale soziale Gerech
er sich auf der Straße plöhlich unwohl. Er begab sich in Wir haben uns insofern geirrt, als wir zwar einen großen er sich einen Rum bestellte. Bevor ihm der Kellner das der Nähe des St.- Lazare- Bahnhofs in ein Restaurant, wo Erfolg der Linksparteien in Aussicht stellten, aber doch nicht Getränk brachte, suchte er den Waschraum auf. Da er wagten, den wahren Triumph zu prophezeien, der nach einer halben Stunde noch nicht zurückgekehrt war, inzwischen von den Gegnern der Regierung Tardieu erfochten ließ der Geschäftsführer den Waschraum gewaltsam worden ist. Noch am Sonntagmorgen wurde hier die Eröffnen. Es bot sich ein trauriges Bild. Albert Thomas wartung zum Ausdruck gebracht, daß die Linksmehrheit lag leblos mit dem Gesicht auf der Erde. ,, ungefähr so stark wie 1924" sein würde. Sie ist aber in Einige Polizeibeamte brachten ihn nach dem nächsten Wirklichkeit noch viel stärker geworden. Krankenhaus, wo die Aerzte den Tod feststellten. Die Denn vor acht Jahren umfaßte diese Mehrheit des Links Polizei lien sofort Thomas Schwester und seinen Schwager Partells auch jene Gruppe der Radikalen Linken", die hier benachrichtigen, die kurz darauf in dem Krankenhaus als unsichere Kantonisten bezeichnet worden sind. Diese eintrafen und die Identität des Toten bestätigten. Die Gruppe war es, die schon 1925 eine Rechtsschwenkung vor- Leiche wurde vorläufig im Krankenhaus aufgebahrt. Am nahm und in der letzten Kammer den Ausschlag zugunsten Sonntag erschienen zahlreiche Persönlichkeiten, darunter der Rechtsmehrheit gab. Jetzt befigt die Linke eine flare Ministerpräsident Tardieu und Arbeitsminister Laval am absolute Mehrheit, ohne auf diese unsichere Gruppe an= Sarge des Toten. Laval und Tardieu haben der Familie gewiesen zu sein, die nunmehr wieder nach links schwenken Thomas vorgeschlagen, die Leiche im Arbeitsministerium ADGB . sein herzlichstes Beileid ausgedrückt. und Anschluß an die kommenden Machthaber suchen dürfte. Rechnet man ausschließlich die Zahlen der Radika= len, der Sozialrepublikaner und der Sozia= listen zusammen. dann ergibt sich schon jetzt eine klare Mehrheit von mindestens 325 Abgeordneten von insgesamt 615. Dazu dürfte nicht nur der größte Teil der 62 Mann starken Gruppe der ,, Radikalen Linken" zuzurechnen sein, sondern auch die Gruppe der unabhängigen kom munisten die übrigens, entgegen Berliner Blätter meldungen, mit Troßfismus" nichts zu tun haben-, melche mit sozialistischen Stimmen gewählt wurden und vermutlich demnächst Anschluß an unsere Partei finden werden.
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besonders groß gewesen und betrug zuletzt bestenfalls 35 bis 40 Stimmen. Gegenüber den 325 Mandaten der reinen Linken in der neuen Kammer verfügt Tardieu jetzt höchstens noch über 260 Mandate, auch wenn man ihm die 62 Mann der Radikalen Linken" zurechnet, die, wie gesagt, jetzt größtenteils wieder nach links abschwenken werden.
ihm dauernde Dankbarkeit der Arbeiter aller Länder." Auch der Zentrale der französischen Gewerkschaften hat der
sogar nicht unwahrscheinlich, aber noch keineswegs sicher. Ihre Bildung hängt sowohl von der Bereitwilligkeit der Radikalen wie auch der Sozialisten ab. Bis gestern schien die Neigung zu dieser Lösung weder bei Herriot noch bei Leon Blum besonders starf.
Aber es gibt Erfolge, die verpflichten. Ebenso wie nach dem Aufstieg der deutschen Sozialdemokratie im Mai 1928 eine Regierungsbildung ohne uns undenkbar war, wird der flare Machtzuwachs der französischen Sozialisten für sie vielleicht den 3 mang zur Koalition bedeuten.
Es ist zwar noch zu früh, um Betrachtungen darüber anzustellen, in welcher Form bei der künftigen Regie rungsbildung dem klaren Bolkswillen, der einen Tardieus Mehrheit ist nicht nur gebrochen, son- Kurswechsel gebieterisch verlangt, Rechnung getragen dern förmlich zusammengebrochen. Sie war nie werden wird. Eine reine Linkskoalition ist möglich und jeẞt| Unsere französischen Freunde werden das Für und Wider