Morgenausgabe
Nr. 216
A 109
49. Jahrgang
Wöchentlich 75 Bt., monatlich 3,25 M ( davon 87 Pf. monatlich für Zustel lung ins Haus) im voraus zahlbar. Postbezug 3,97 M. einschließlich 60 Pf. Bestzeitungs- und 72 Pf. Postbestellge Buhren. Auslandsabonnement 5,65 pro Monat; für Länder mit ermäßig tem Drucksachenporto 4,65 M
Der„ Borwärts erscheint wochentag lich zweimal, Gonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Dez Abend". Illustrierte Sonntagsbeilags Bolt und Zeit"
Dienstag
10. Mai 1932
Die einipatt. Millimeterzetle 30 Bf. Reklamezeile 2.- M Kleine An zeigen" das fettgedruckte Bort 20 Bf. ( zulässig zwei fettgebrudte Worte, jedes meitere Bort 10 Bf. Rabatt It. Tarif. Worte über 15 Buchstaben zählen fiir zwei Worte Arbeitsmarkt Millimeter. zeile 25 Pf. Familienanzeigen Milli. meterzeile 16 Pf, Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr Der Verlag behält sich das Recht der Ab. lehnung nicht genehmer Anzeigen vorl
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernspr.: Dönhoff ( A 7) 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Vorwärts: Verlag G. m. b. H.
Postichedkonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3. Dt. B. u. Disc.- Gef.. Depofitent., Jerusalemer Str. 65/66.
Geschehen Zeichen und Wunder? Beginnt im Abgrund| der Krise des Parlamentarismus seine Wiedergeburt? Gibt es noch Anstand bei den extremen Parteien? War es nur ein Tag zufälliger Disziplin, der morgen schon wieder in Radau versinkt, oder ist es das Wiedererwachen geistiger Kämpfe im Parlament? Wird der Reichstag wirklich noch einmal eine Stätte politischer Debatten merden? Die erste Sigung dieser furzen Reichstagssession wirft solche Fragen auf. Die Nationalsozialisten waren da. Die Deutschnationalen waren da. Die Kommunisten auch, und dieser Dreibund politischen Krawalls hörte den Reichsfinanzminister, hörte sogar den Fraktionsredner der Sozialdemokraten so gut wie ohne Zwischenrufe an. Als Breitscheid seine scharf gegen rechts, seine aggressiv gegen den Talmihalbgott Hitler gerichtete Rede beendet hatte: da eilte fein Nationalsozialist auf die Tribüne, um den Novemberverbrecher vom Allerheiligsten des Dritten Reiches abzuwehren. Keine Wortmeldung lag vor. Erst die Aufmunterung des Präsidenten brachte einen Kommunisten zum Reden. Welche Weisungen mögen die Nationalsozialisten aus München erhalten haben? Die nächsten Tage müssen doch wohl etwas Licht auf die Ursachen dieser Anwandlungen der Nationalsozialisten zur parlamentarischen Gesittung und zur Enthaltsamkeit von demagogischen Schimpforgien werfen.
ausländischen Journalisten, er sei nicht dafür, daß die Juden| weniger Rechte haben sollen als andere Staatsbürger. Außen politisch, innerpolitisch, wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch, fulturpolitisch I a uter Widersprüche. Herr Hitler ist ein ganz anderer, wenn er zum Ausland redet, als wenn er in Deutschland vor Volfsversammlungen steht.
Endlich einmal hat der Reichstag einen würdigen Tag erlebt, und an solchem Tage wirkt ein Mann wie Breitscheid als Träger großer geistiger Werte nicht nur der Arbeiter: klasse, sondern der ganzen Nation. Und die Nationalsozia listen? Sie manövrierten ausweichend. Dr. Frick wollte durchaus, daß nach dem Kommunisten Schneller die Sigung abgebrochen werde. Das Haus tat ihm den Gefallen nicht. So mußte denn der sozusagen Finanzsachverständige der
Frattion, Herr Reinhardt, an das Rednerpult. Wunder über Wunder! Er hielt eine von Sachlichkeit gerade stroßende Rede, womit nicht gesagt sein soll, daß sein Manuskript dasselbe Maß von Sachkunde gehabt hätte. Er predigte auf den Reichsfinanzminister ein. Kaum ein Zuruf aus dem Hause. Reinerlei Beifallskundgebungen aus seiner Fraktion. Be tonteste Bornehmheit im Hause Hitler . Als am Schluß die Drohung kam, daß die Nationalsozialisten die verfassungsbrüchige Regierung Brüning und mit ihr wohl Herrn v. Hindenburg auf Grund des Artikel 59 der Reichsverfassung vor den Staatsgerichtshof stellen wollen, dröhnte zwar der Beifallssturm aus dem rechten Wetterwinkel des Hauses, aber aufregend war der Augenblick für niemanden.
Die große Sensation blieb: Reichstag ohne Radau.
Der Staatsgerichtshof erklärt die letzte Wahl für ungültig.
Ueber diesen Einspruch wurde am Montag vor dem Staatsgerichtshof verhandelt. Die Nichtzulaffung des wirtschaftsparteilichen Vorschlags war erfolgt, weil 54 von 500 erforderlichen Unterschriften ungültig waren. Der Staatsgerichtshof, der sich aus fünf Berufs: richtern und acht Parlamentariern zusammensetzt, von letzteren fehlte einer, war der Ansicht, daß die Wirtschaftspartei, die im Jahre 1930 bei den Reichstagswahlen in Hessen 17 000 Stimmen aufgebracht hatte, zwar nicht, wie die seither schon im Landtag vertretenen Bar
Das hessische Gesamtminifterium trat am Montagabend zu einer Sigung zusammen, um sich mit der durch das heutige Urteil des Staatsgerichtshofes, das die Landtagswahlen vom 15. November 1931 für ungültig erklärt hat, zu befaffen. Das Minifterium hat für die Neuwahlen zum Hessischen Landtag den frühesten Termin, nämlich Sonntag, den 3. Juli bestimmt.
Darmstadt , 9. Mai. ( Eigenbericht.) teien, nur 20 Unterschriften zur Glaubhaftmachung aufzubringen Reichsfinanzminister Dr. Dietrich begründete die Der Hessische Landtag ist am Montagnachmittag vom habe, daß aber die restlichen 446 gültigen Unterschriften nicht einfach Vorlage des Schuldentilgungsgesetzes. Es war der übliche Staatsgerichtshof für aufgelöst erklärt worden. Was den mehr- vom Wahlprüfungsausschuß hätten ignoriert werden dürfen, da sie nüchterne Vortrag des verantwortlichen Finanzmannes. Er fachen Auflösungsanträgen der Nazis und Kommunisten nicht ge- für die Glaubhaftmachung genügend zeugten. Durch die Ablehnung versuchte, der Finanzlage des Reichs einige tröstliche Zahlen lungen war, wurde erreicht durch einen Einspruch der hessi- dieses Wahlvorschlags seien wesentliche Vorschriften des Wahlverabzugewinnen. Die schwebende Schuld ist von 1938 Milichen Wirtschaftspartei, die sich wegen nichtzulassung ihres fahrens vom Wahlprüfungsausschuß unberücksichtigt geblieben. lionen Mark am 31. März 1930 auf 1591 Millionen Mark Wahlvorschlages durch den Wahlprüfungsausschuß benachteiligt! Mit diesem Beschluß des Staatsgerichtshofes gilt der Landtag als aufgelöst. am 31. März 1932 zurückgegangen. 293 Millionen Mark fühlte. dieses Rückganges erklären sich allerdings durch die UmWahltermin: 3. Juli. wandlung von schwebender in fundierte Schuld. Die fundierte Schuld betrug Ende des vorigen Jahres 10,2 Milliarden Mart . Sie ist um 300 Millionen Mark zurückgegangen. Der Reichsfinanzminister wies den Vorwurf schlechter Verwaltung in der Republik zurück. Der allergrößte Teil der Schulden sei durch Kriegsfolgen entstanden. Nur 1,5 Mil liarden Mark der fundierten und 1,7 Milliarden Mark der unfundierten Schuld hätten andere Ursachen. Diese Summen seien nicht überwältigend. Die Bankentrise hätte durch Eingreifen des Reiches überwunden werden müssen. Sie habe dem Reich nicht weniger als 200 Millionen Mark Steuerausfall gekostet. Wenn das Reich nicht die Banken gestützt hätte, würde ein Zusammenbruch auch der Reichsfinanzen eingetreten sein. Der Reichsfinanzminister begründete schließlich die Notwendigkeit einer Prämienanleihe zum Ausbau des Arbeitsdienstes; aus laufenden Mitteln sei nichts aufzubringen. Das Haus nahm die Rede schweigend auf. Die Reichstagsfißung am gestrigen Dienstagnachmittag eröff-| der Minister die Vorlage auf Bewilligung der Prämienanleihe Dann nahm Dr. Breitscheid das Wort. Zur all- nete Präsident Löbe mit Nachrufen auf den ehemaligen Vize- zur Arbeitsbeschaffung. gemeinen Ueberraschung blieben die Nationalsozialisten. präsidenten des Hauses Rießer sowie auf die Abgg. Jörrissen Breitscheid begann mit den Forderungen: Sanierung der Arbeitslosenunterstützung, einschließlich der Aufwendungen in den Gemeinden; kein weiterer Abbau der Unterstützungsdauer; keine Aufhebung oder Suspendierung der Arbeitslosenversicherung, denn das würde ein entscheidender Schlag gegen die Sozialpolitik sein. Es müßten neue Einnahmen erschlossen werden. Eine etwaige Sonderabgabe dürfe nicht nur die Lohn- und Gehaltsempfänger, sondern müsse auch die Selbständigen umfassen.
Nun griff Breitscheid in strengster Sachlichkeit und in glänzender Form die Nationalsozialisten an. Unter atemloser Aufmerksamkeit des ganzen Hauses hielt er den Nationalsozialisten ein Kolleg über Parlamentarismus und Demofratie.
=
Zur vollen Höhe einer großen Barlamentsrede hob sich Breitscheid , als er den Nationalsozialisten die tollen Widersprüche auf allen Gebieten ihrer Be tätigung aufmies. Sie sind massenfeindlich, aber sie umschmeicheln dieselben Massen, um sich durch demokratische Mittel in die Macht zu schwingen, zur Vernichtung der Demofratie. Sie wissen nicht, ob das Dritte Reich Monarchie sein soll oder Republik . Sie machen den Antisemitismus zur Grundlage ihrer Agitation, und Hitler erklärt gegenüber
( Wp). und Limberg( Soz.). Der Präsident hat Beileidstelegramme anläßlich des Anschlags auf Paul Doumer an den Präsidenten, der französischen Kammer in Paris und zum Tode Albert Thomas' an das Internationale Arbeitsamt in Genf gerichtet.
Die Finanzvorlagen, mit denen die politische Debatte und die dazu gestellten Anträge verbunden sind, begründet
Reichsfinanzminister Dietrich.
Er legt die bereits bekannten Kassen- und Etatsaussichten dar und betont den Charakter der amerikanischen Anleihe, von der die Vorlage handelt, als Betriebsmittelkredit. Die schwebende Schuldenlaft von 1595 Millionen Mark ist für ein 64- Millionen- Reich nicht übermäßig. Die Schulden des Reichs sind vollständig die Folgen von Krieg, Inflation und Entschädigung. Unverantwortlich ist es, Gerüchte auszuftreuen, als ob das Reich besonders schlecht gewirt fchaftet hätte, und als sei feine Finanzlage hoffnungslos. Die Kreditermächtigung ist erforderlich infolge der Notverordnungen, um die Kreditpolitik fortzusehen. Als der Minister untersucht, ob Kreditermächtigung durch Notverordnung verfassungsmäßig ist, unterbricht ihn Dr. Frid( Nsoz.), der sich besonders für die Ver fassung ereifert!- Der Minister führt weiter aus: Immerhin haben die Bedenken der Reichsschuldenverwaltung uns veranlaßt, die Kreditermächtigung Ihrer Genehmigung zu unterbreiten. Der Minister berichtet dann über die Banfensanierung. 1259 Millionen Mart beträgt zur Zeit die Garantiesumme. Zum Schluß begründet
-
Abg. Dr. Breitscheid( Soz.):
Die Auffassung der Reichsschuldenverwaltung gegen die 3ulässigkeit einer Kreditermächtigung durch Notverordnung erscheint mir nicht so ganz belanglos, auch wenn ich die Motive dieser Auffassung nicht untersuche.( Sehr gut! links.) Man kann im Haushaltsausschuß darüber und auch über die Prämienanleihe beraten, allerdings dürfte deren Verabschiedung in der jeßigen furzen Tagung dadurch nicht verhindert werden. Wir bedauern, daß der Etat nicht schon jetzt fertig ist. Es wäre trotz aller Schwierigkeiten möglich gewesen, das Tempo zu beschleunigen. Bei der notwendigen Einschränkung der Ausgaben hoffen wir, daß sie dort erfolgt, mo sie am notwendigsten ist, wo sie gleichzeitig für die Gesamtwirtschaft am wirksamsten ist und wo sie die Entbehrungen der unter der schwersten Not leidenden Boltsteile nicht noch weiter steigert. Die Kosten infolge der Arbeitslosigkeit haben 1930 schon drei Milliarden, im Jahre darauf 3,3 Milliarden und werden in diesem Jahr mindestens 3,5 Milliarden betragen. Die Bolitik der Ausgabensenkung und Einnahmenerhöhung lastet außerordentlich schwer auf den arbeitenden Klassen, verhindert aber auch diesmal den Fehlbetrag nicht. Die Steuereinnahmen sind um 385 Millionen hinter den schon berichtigten Voranschlägen zurüdgeblieben. Dazu kommen die Ausgaben für Sanierung der Banken und Genossenschaften, für die Winterhilfe usw., so daß ein Gesamtdefizit von über dreiviertel Milliarden entsteht. Der Fehlbetrag war im Vorjahr nur auszugleichen durch erhöhte Einnahmen aus der Münzprägung und durch die Aufnahme neuer Schulden ungefähr in dem gleichen Betrage, wie die alten Schulden abgetragen wurden. Da diese Entwicklung andauert, betonen wir, daß die