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Nr. 231 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Frühling mit Benzin

Die Pfefferkuchenbäder haben ihr Weihnachten, die Schokoladen fabriken ihr Ostern, und die Ferienzeit ist den Reinigungsanstalten und Färbereien von je her reserviert geblieben. Fast ununterbrochen ist das Telephon im Betrieb: Aber ich kann mich doch wirklich dar­auf verlassen, bis zu meinem ersten Ferientag, nicht wahr?" Was soll denn das heißen, diese Kleinigkeit können Sie nicht mehr schaffen, das bißchen Färben?"

,, Dja", erklärt der Leiter einer bekannten Reinigungsanstalt in Spindlersfeld, die schon seit hundert Jahren den Berlinern die Soßen und Rotweinflecke aus den Kleidern vertreibt ,,, in den Frühjahrs­wochen müssen wir uns ganz gewaltig rühren. Natürlich wirkt sich auch bei uns die allgemeine Wirtschaftslage aus; sie zeigt sich aber anßerdem für uns in der Art der Anforderungen, die an uns gestellt werden, in einer ganz besonderen Form. Früher waren es über­wiegend Kleidungsstücke und Gegenstände von bester Qualität, die hin und wieder aufgefrischt wurden. Das Wertniveau ist in den letzten Jahren rapid gesunken. Und außerdem ist die Beschaffenheit der Stücke, von denen der Kunde erwartet, sie so gut mie neu zurüd­zuerhalten, oft derart, daß in ihrer Behandlung bis an die Grenze des Möglichen gegangen werden muß.

Die Lebensmüden".

Aus dem Neueingang an ,, Lebensmüden", Anzügen, Mänteln, Kleidern, Hüten, Handschuhen und einem Berge anderer Gebrauchs­gegenstände, angelt man so einen Anzug heraus. Nun, Anzug ist schon etwas übertrieben bezeichnet, der Trödler würde unter Ach und Weh drei Mark dafür anlegen. Hier aber soll ihm noch einmal neues Leben eingeblasen werden; fleckenrein und farbenfrisch, geputzt und gebügelt soll er als gutes Stück" die Anstalt verlassen. Stüde , bis an die Grenze der Brauchbarkeit benutzt, reden eine ein­dringliche Sprache von den Möten der Zeit. Da hängt ein blauer Damenmantel, nicht modern, nicht ganz modern, wahrscheinlich ein­oder zweimal geändert. Die Markttasche hat ihre Spuren hinter­lassen, und auch die Sonne des letzten Sommers. Vielleicht mar er schon einmal in besseren Tagen ausrangiert. Nun soll er noch einmal ran. Und daneben der biedere Konfektionsanzug; man sieht förmlich den sparsamen Familienvater in ihm, sieht den sonntäglichen be­scheidenen Spaziergang und das eine Glas Bier am Sonntagnach

mittag.

Und dann eine ganze Parade bunter Kleider, die sich nach frischem Weiß und neuen Farben sehnen und ein neues Kleid er­sparen sollen. Und Hüte liegen da zu Hunderten. Und dieses bunte, verblaßte und verstaubte Vielerlei darf nicht wie früher in irgend­cinem verſtedten Krammintel vom Getragenwerden ausruhen, sondern muß noch einmal, gereinigt, gefärbt und aufgefrischt, fleiden und schmücken, im Existenzkampf mitbestehen.

100 000 Lifer Benzin täglich.

Sie müssen sich mancherlei gefallen lassen, die Reinigungsbedürfti­gen. Waschtrommeln bis zu Riesenausmaßen, in denen täg: lich oft über 100 000 Liter Benzin zirkulieren, und die mit un­zähligen Sicherheitsvorrichtungen gegen Explosionsgefahr versehen find, durchspülen das Reinigungsgut, lodern seine Gewebefasern derart auf, daß man meinen möchte, nicht das geringste Fleckchen könne mehr darin sein. Aber so manche Sonntagsbratensoẞe hat es in sich, und fast kein Stüd entgeht der Fledenpuzerei. Flecken­putzerei? Das ist gar nicht einmal so eine gemütliche Angelegenheit, mie es sich anhört. Hier greifen Wissenschaft und langjährige Er­

und Farbbad

PETER

fahrung ineinander. Unter besonderen Apparaten, die meist mit ultravioletten Strahlen arbeiten, wird dem Fleck, ist seine Art nicht ohne weiteres zu erkennen, das Geheimnis seiner Familienzugehörigkeit entrissen. Und dann erst geht es ihm mit vom Chemiker in unzähligen Versuchen zusammengefeßten und erprobten Mitteln ans Leben. Ein Rotweinfleck ist hier nicht einfach ein Rot­meinfled; in Wolle muß er ganz anders behandelt werden als in Seide.

Aber dann gibt's auch Sonderfälle, die dem Chemiker Kopf­schmerzen machen, in denen mit Gasmaste und gefährlichen Säuren gearbeitet wird. Ein Tropfen zuviel, eine Sekunde zu lange behandelt und das Stück ist hin.

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Tütenblau bis Ziegelrot.

Man ist auf eine schillernde Pracht bunter Farben gefaßt, hat man die Türklinke zur Kundenfärberei in der Hand. Aber schnell schnappt man noch einmal nach der verhältnismäßig guten Treppen luft, macht man die Tür auf. Bester Londoner Nebel", sagt der Begleiter. Richtig dicker marmer Nebel läßt gerade noch in einigen metern Entfernung eine Farbkufe erkennen mit einem Färber da­vor, der mit zwei Knüppeln das Färbegut in der Rufe bewegt.- Und dabei steht in diesem Riesensaal Kufe neben Kufe, mit Farb­brühe gefüllt in allen Schattierungen, und, was ja nicht unwichtig

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ist, in allen Temperaturen, vom gemütlichsten lauwarm bis zur Siedehize. Daher der dicke Nebel, an den man sich bald ge= wöhnt hat. Dem Chemiker in seinem Farbenlaboratorium stehen manchmal die Haare zu Berge, wie er aus einem verschossenen Kleidungsstück ein neues farbfrisches hervorzaubern soll. Und manch­mal grenzt auch die Erneuerungsarbeit, die in diesen hellen Sälen mit den fremdartigen Apparaten und Maschinen gemacht wird, an Zauberei.

Und neues Leben

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Wie umgestürzte Litfaßsäulen liegen in einem großen Saale große, dampfgeheizte Trocentrommeln, und es riecht so schön nach Fruchtbonbons. Aha, also hier wird's Ernst. Hier be­tommen die Stücke nach der Appretur so etwas wie Aussehen wieder, Glanz und Frische. Und getrocknet kommt dann die große Prüfung. Natürlich, da ist eine Stelle, an der die verzweifelte Hausfrau in der ersten Aufregung ihr Heil versucht hat. Jezt ist sie ein heller Fleck. Also tuschen. Mit Sprizapparat und Binsel und mit ganz unheimlich anmutender Geschicklichkeit geht's an den hellen Fleck, bis nicht die geringste Farbabweichung mehr zu sehen ist. Manchmal müssen wertvolle Stickereien, künstlerische Muster so nachgetuscht werden. Und dann endlich, gebügelt, und hier und

Rauchen Sie lieber

eine Zigarette weniger, aber dafür

eine gute

Bergmann Klasse

Haus

5 Stück 20

Allen Packungen liegen bei:

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Donnerstag, 19. Mai 1932

da kunstgerecht gestopft, hängt Reihe an Reihe Herrn Krauses An­zug, frisch und glatt, neben dem Sommermantel des Herrn Direktor, und das Kleid natürlich in einem anderen Saale, Herren und Damen auch hier getrennt roten von Fräulein Schulze.

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von Frau Doktor neben dem ziegel­

Tunneleinsturz in Chile .

42 Arbeiter unter den Trümmern begraben. Valparaiso , 18. mai.

Auf der transandischen Bahn ereignete sich heute nahe der chilenisch- argentinischen Grenze ein furchtbares Unglüd, deffen Folgen vorläufig noch nicht abzusehen find.

In der Nähe der Grenze bei Las Raicas wird ein neuer Tunnel gebaut. Ein Teil des Baues ist soeben eingestürzt. Nähere Nachrichten über den Hergang und die Ursache dieser Katastrophe fehlen noch. Fest steht nur, daß 42 Arbeiter, die an der Einsturzstelle beschäftigt waren, unter den Trümmern be­graben liegen. Ihnen Hilfe zu bringen, ist nur von einer Seite möglich gewesen. Das Unglück wollte es aber, daß sich dort, gleich nachdem die Reffungsarbeiten begonnen hatten, ein 3 weiter Einsturz ereignete. Dadurch wurde die Sauerstoffleitung, die der Hilfsmannschaft die nölige Luft zuführte, zerstört und alle Arbeiter, die an der Rettung der Eingeschloffenen tätig waren, mußten unverzüglich ihr Werk abbrechen und flüchten. Es besteht feine Hoffnung mehr, die 42 Berunglückten zu reffen.

Opfer einer Dynamitpatrone.

Bier junge Männer buchstäblich zerrissen.

Warschau , 18. Mai.

Am geflrigen Dienstag fanden Hirten in der Nähe einer Eisen­bahnbrüde eine größere Dynamitpatrone, die egplodierte, als sie daran herumhantierten. Vier Burschen im Alter von 18 bis 22 Jahren wurden auf der Stelle vollkommen zerrissen. Ein fünffer Hirt trug schwere Verletzungen davon. Im Krankenhaus mußten ihm beide Arme abgenommen werden. Die Sicherheitsbehörden haben den Verdacht, daß mit der Dynamitpafrone cin Eisenbahnenschlag beabsichtigt worden war.

Deutscher Student verschwunden.

Auf einer Küstenwanderung nach Gdingen .

Danzig , 18. Mai.

Seit dem 1. Mai ist der 21 Jahre alte Student Walter Heres, der aus Wiesbaden Biebrich stammt und an der Technischen Hochschule studierte, verschwunden. Am 30. April hatte er noch mit einem Kommilitonen in einem Danziger Lokal zu Mittag gegessen und zu diesem geäußert, daß er am 1. Mai eine Wanderung entlang der Küste nach Gdingen an­treten wolle. Er muß auch noch in Gdingen eingetroffen sein, denn seine Mutter und verschiedene Bekannte haben von ihm aus Gdingen vom 1. Mai datierte Kartengrüße erhalten. Seit diesem Tage fehlt jede Nachricht von ihm. Nach den bisherigen Fest­stellungen der Vermißtenzentrale in Danzig hat Heres sich bei der hiesigen polnischen diplomatischen Vertretung kein Visum besorgt. Eine Festnahme megen unerlaubter Grenzüberschreitung ist in Polen jedoch nicht erfolgt. Er hat sich übrigens in feiner Weise je­mals politisch betätigt.

Berliner Gymnasiast im Harz abgestürzt.

Thale ( Harz ), 18. Mai.

Zwei Berliner Gymnasiasten, die sich hier einquartiert hatten, maren abends nach Sonnenuntergang auf die Roßtrappe gestiegen. In der Dunkelheit trat der 18jährige Lothar Hein fehl und stürzte nach dem Bodekessel ab. Sein Freund, der ihm nachkletterie, fand ihn mit gebrochener Wirbelsäure tot auf. Leiche konnte nur unter großen Schwierigkeiten geborgen werden.

Deutscher Süden. Die beginnende Reisezeit läßt das Interesse für die schönen deutschen Reiseziele wieder stärker werden. Deshalb wird der Spielplan des Planetariums am 300 in der kommenden Woche viele Freunde finden. Er zeigt in einem großen Film eine Oberbayerische Bergfahrt, die uns auf be= fannten und verschwiegenen Wegen die schönsten Punkte zeigt. Der Film führt auch ins benachbarte Schwabenland. Im Vorprogramm läuft ein neuer Film vom alten und neuen Wien . Der erste Vor­führungstag war Dienstag, den 17. Mai.

Для

Bergmanns Bunfe Bilder von Walter Trier Wertvolle Stickereien nach Prof. Poetter.

ROCK