Makimmon verliert sein Haus

Leseprobe aus Joseph Hergesheimer: Bergblut

Wir entnehmen diese Szene dem von uns bereits angezeigten neuesten Roman des amerikanischen   Dichters Jofeph Herges= beimer. Jm Berghlut"( Verlag Romablt. Berlin  ) schildert Hergesheimer den vergeblichen Kampf des Postkutschers Gordon Matimmon gegen die Kapitalgemalten, die ihn wie die Lands leute seines Heimatortes mit Spinnenormen umflammern und bernichten..

Balentin Simmons war ein kleiner Mann mit rosiger Glaze, die mit weißen Haarbüscheln wie Watte über den Ohren geziert war, und scharf gezogenen, ausrafierten Lippen, die sich ständig beim Aussprechen ermunternder und wohlwollender Phrasen ver­30gen; mit passenden religiösen Sentenzen bildeten sie neun Zehntel feiner Rede, durch die jene feltenen Worte, die feine 3mede und Wünsche enthüllten, wie dünne, grausame Messer blitzen.

Er beugte sich gerade über sein schmales, langes Kontobuch, als Gordon das Bureau betrat; aber sofort schloß er es und drehte fich in seinem Sessel herum. Der fleine Raum mar heiß und er füllt vom Geruch erhitzten Metalls, dem Summen einer großen torkelnden Fliege.

,, Ah!" rief er freundlich aus, da haben mir unsere Berbins dung mit der Außenwelt, unseren getreuen Boten. Ich moilte Sie sprechen; ach ja." Er blätterte in einem zmeiten, größeren Buch. Da ist es schon Gordon Mafimmon guter schottischer Presbyterianername. Fünfhundertdreißig Dollar", sagte er plötzlich

unvermittelt.

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Gordon war nicht imstande, seinen Sinnen zu trauen, der Tat sache, daß diese Summe seine Schuld darftellte, Glauben zu schenken; es war ein lächerlicher Irrtum, und das sagte er auch. Alles unterm Datum eingetragen", ermiderte der andere un erschütterlich,„ bis zu einem Baar meißer Damenschuhe aus Bud­ftin unterm heutigen Tage ein nobles Geschenk für irgendeine Schöne."

Meine Schwester", murmelte Gordon albern. Fünfhundert. unddreißig Dollar, miederholte er im Geiste ungläubig. Fünf hundert. ,, Wie lange steht das schon an?" fragte er..

Der andere fah im Buch nach. Zwei Jahre, einen Monat, sier Tage", antwortete er präzis.

,, Aber ich bin nie gemahnt worden; man hat mir nie etwas von einer Rechnung gejagt!"

,, 2lch, mir belästigen alte Freunde nicht gern; nur manchmal, menn es nötig wird, ein Wörtchen."

Alte Gerüchte und Geschichten fielen Gordon ein; die langen Sredite, die alten Freunden" von Simmons eingeräumt murden. der Mangel an Abrechnungen, und in diesem Zusammenhang der Gedanke an die Anzahl von Heimstätten, die überall in der Graf schaft durch Zwangsauftion in die Hände des Kaufmanns gekommen maren. Die besonderen Umstände dieser Vorfälle hatten sich durch leidenschaftliche Beschimpfungen zugleich mit der Erinnerung an den trostlosen Ruin, der die Bertriebenen befallen hatte, in sein Ge­dächtnis eingefressen.

dh fann übermorgen etwas zahlen menn ich mein Ge­halt friege. ,, Ausgezeichnet dreihundert nein, meil Sie es sind, ge nügen zweihundertfünfzig; den Rest cin anderes Mal immer es Ihnen paßt."

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wann

Ich bekomme im Tag zwei Dollar fünfsig", erinnerte Gordon ihn mit trockenem und bitterem Humor ,,, und habe einen Monats. John zu fordern."

Balentin Simmons schien ihn nicht gehört zu haben. Nur zweihundertfünfzig", miederholte er ,,, mir fommen alten Freunden gern entgegen; besonders Presbyterianern."

Ich kann Ihnen fünfzig Dollar geben", sagte Gordon gleich zeitig laut und begütigend; dabei grübelte er bereits, wie hierbei er und Klara auskommen sollten. Er mußte in Stenton seine Mahlzeiten bezahlen; der Doktor für Klara mußte sein Honorar erhalten fünfzig Cents pro Besuch, auf den Tisch, sonst hörten die Besuche auf.

Scherzen Sie nur ruhig meiter und dann holen Sie den Strumpf aus dem Bersted, heben Sie den gewissen Ziegel am aber im Ramin auf nur zweihundertfünfzig im Augenblid aber im Augenblid."

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Ein hoffnungsloses Gefühl der Ohnmacht hüllte Gordon ein; der kleine, trodene Mann vor ihm, dessen fahler, rofiger Schädel im Lampenlicht glänzte, das starre Lächeln, alles mar einer Bitte so unzugänglich, wie eine leblose Figur aus Metallguß, ein ge­malter eiserner Mann in adrettem, grauem Mohair, steifem weißem Hemd mit kleinen blauen Knöpfchen und präzisem, sauberem Baum

mollschlips.

Trotzdem sagte er:„ Ich werde Ihnen fünfzig geben und im nächsten Monat dreißig. Zum Teufel, in einem Jahr zahl ich's ab. Ich werde doch nicht durchbrennen. Ich habe eine feste An­stellung; Sie wissen, wieviel ich bekomme; Sie sind doch gesichert." ,, Aber" Balentin Simmons hob eine Hand in gerundeter, glänzender Manschette-ist in diesem Erdental irgend etwas ficher? Ist irgend etwas fest, das am Schlag einer Beifiche hängt?"

Mit einer ungewohnten gewaltsamen Willensanstrengung unter­brüdte Gordon Mafimmon seine mütende Besorgnis bei der ver stedten Anspielung des anderen: abgesehen von seiner Beschäfti­gung als Bostfutscher war er gänzlich ohne Hilfsmittel, ohne die Möglichkeit, ein Pädchen Rauchtabat zu bezahlen. Gut gemirt schaftet hatten die Mafimmons nic am Anfang ließen sie ihren großen Anteil am Tale zu Didicht, wo sie Rotwild jagen fonnten, vermildern, ihre Bäche durch verworrenes Unterholz fließen, wo Fasane sich nähren und ihren treffsicheren Gewehren zur Beute fallen fonnten.

Ja. Und ich werd's auch fun. Und als Sie sagten: Gordon, nehmen Sie nur, was Sie mollen, versuchen Sie die Fliegen und: Kümmern Sie sich jetzt nicht um die Rechnung, ein ander­mal, alte Freunde zahlen, wann es ihnen paßt mußten Sie da nicht, daß ich mich zu weit einlaffe? Haben Sie mich nicht er mutigt damit Sie gegen mich vollstreden fönnen? Mir das Dach überm Kopf verfaufen? Aber warum Sie sich gerade auf mich verlegt haben mas Sie an meinem baufälligem Haus und ver­brauchtem Boden finden, begreife ich nicht."

Simmons bligte den anderen mit einem schnellen, schlauen Blid an. Grund und Boden an einem guten Wasserlauf soll man nie übersehen", riet er.

Gordon Matimmon stand sprachlos und zitternd vor Wut da. Einen Augenblid lang mar in dem kleinen Raum fein anderer Ton zu hören als das Kragen, mit der Simmons Seder über das Papier fuhr. Der Fürsorgliche", fuhr er fort ,,, dient immer als 3iel­scheibe für die Beschimpfungen der der Gedankenlosen. Aber meist fommt er seinem unglüdlichen. Bruder zu Hilfe. Sie könnten ein Darlehen aufnehmen."

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Ja, gemiß". stimmte Gordon mit heiserer Stimme zu ,,, id) tönnte es von Ihrem fürsorglichen Freund Hollidem bekommen-- 300 Dollar ema, zu... zig Prozent Heine Hypothef auf meinen Bejizz. Grund und Boden an einem guten Wasserlauf soll man nie übersehen.' Beim Himmel!" rief er, plöglich heiffichtig geworden, aus, ich habe mir den Strid um den Hafs gelegt!"

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Alfons Paquet  : Ode

Mit oh und meh beginnen Dft und West. Wir atmen in der Mitte ein und aus. Noch brennt der Abend feuerhell

den hohen Waldfaum dort. Der Morgen

schläft schwarz und eingerollt im niedern Strauch schon hier. Es baut im Gras Schafgarbe weiße Häuser. Der Möhn wirft fieben Flammenfugeln, und roja Monde schwimmen dammernd im glatten dunkeln Rundgebüsch.

Das Turmgebunfel schmeigt jezt von den Bienen der Linde. Doch ihr Würzgeruch

aus Millionen honiggelben Blüten tühlt in der Luft mie Arzenei fich   ab... Wer schildert des Holunders zarte Macht, fein finftres Lauern unterm Blätterdach gededt mit meißen   Schindeln an das Haus gelehnt. Du schöner Monat aller die mir lieben, Geburtstag an Geburtstag, Strauß an Strauß und Wein vom vorigen Jahr. Aus Sternen träufelt die Nacht ihr mildes Gift. Zu dieser Stunde fingt fnieend mancher Beter jegt das Lied das über allen Glnden schmingt

Alangballend: ah. Des Tages Dant und Herzschlag

langatmend im Altargemand der Nacht.

*) Wir entnehmen dieses Gedicht dem in der Blauen Rethe des um die Lyrik verdienten Verlags ,, Die Rabenpresse" erschienenen Gedichtband von Alfons Paquet  :„ Das Siebengestirn."

Sind Utopien erfüllbar?

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Eine kritische Untersuchung/ Dr. Bruno Alimann

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Die amtliche Lehrbuchmeisheit pflegt die Geschichte der Utopien mit Blatos Politeia"( Staat) beginnen zu lassen. Das ift, obwohl das Werf im 4. Jahrhundert v. Chr. Geburt abgefaßt murde, eine unzulässig späte Anfegung des Datums. Utopien, d. h. Zustände und Leistungen, die nach menschlichen Ermessen keiner praftischen Durchführung zugänglich sind, entstehen als Ausgeburten des Dentens unter dem 3wange heftiger Wunschbestürmungen. Der Mensch sieht in altersgrauer Zeit Naturelemente, Tiere, Gegenstände Kräfte und Geschwindigkeiten entwickeln, die er feinem Körper nicht abgewinnen fann. Es hätte schon Sinn und Zwed, mit der Schnelligkeit des Vogels oder des geschleuderten Speers dahinzueilen, die Erdgebundenheit zu überminden und die äußeren Schwierigkeiten des Lebens mit vielfach stärkeren Kräften zu meistern, als sie dem Menschen zur Verfügung stehen. Der Wunsch brauchte sich nur zum Phantasiegebilde zufammenzuballen, eine fünstlerisch begründete Persönlichkeit oder besser noch, der Bolks: genius, in Cage und Märchen schaffend, brauchte nur dem munich­erfüllten Phantasiegebilde Form zu geben und die Kunstgattung der Utopie war. begründet.

Auf technische nr Gebiet, an technischen Objekten ent­föltet sich zuerst hei affen Rukturvölkern die utopistische Sehnsucht. Die Sage von Dadolu's und karus, diesen übermütigen Glückskindern, die zur Sonne fliegen wollten und elend umfamen, ist eine flare Befundung des Wunsches, mit den Hilfsmitteln der Technit, eine dem Menschen sonst versagte Möglichkeit wirklich zu machen. In der griechischen Sage, vom Ring des Gyges  ", diesem Ring, der seinem Befizer die Fähigkeit verlieh, unsichtbar zu werden, stedt genau fo mie im germanischen Mythos von der arntappe der verhüllte Wunsch, technisch einen Vorteil zu erlangen, auf den der Mensch ohne solche Mittel verzichten muß Etillschweigend ist mit der Sehnsucht nach derartigen. Leistungen immer das Zutrauen verbunden, daß dem menschlichen Geist einmal

auch diese Vervollkommnungen gelingen werden. Wenn aber solche Hoffnungen, wie sie aus der Sage von Dadalus und Starus, vom Ring des Gnges ufm. hervorfeuchten, auf der Entwicklungsstufe des Ring des Gnges ufm. hervorfeuchten, auf der Entwicklungsstufe des jungen Griechentums auftauchen, so gehört alles das, was da gehofft und erwartet wird, zur Kunstgattung der Utopie.

Die Technik ist das Gebiet geblieben, auf dem sich die utopische Phantasie am üppigsten ausgelebt hat. Es war Utopie, als Cer vantes, der Dichter des Don Quichote  , gegen Ende des 16. Jahr: hunderts in einer Novelle von einer weißen Wandtafel sprach, auf der„ lich fumgosfere Gestalten" erscheinen und verschwinden follten wie auf der Theaterbühne und auch reden oder singen fönnten, als Cervantes also den Tonfilm forderte. Es war lltopie, als der französische   Arzt Simon mit dem Beinamien Nostro damus in seinem Seher- Geiste" Schiffe unter dem Meeresspiegel fahren soh, so gut wie die Weberschiffchen ohne Weber", die Aristoteles   dreieinhalb Jahrhundert v. Chr. Geburt als Bor­bedingung für die Aufhebung des Sklaventums wünschte, seinerzeit Utopie gemejen find. Utopien waren die selbstbemegten Bagen und Räder, an deren Erfindung mittelalterliche Mönche in Neapel  und Padua   gearbeitet haben, so gut wie die Phantasiereise Jules Vernes   zum Monde eine Utopie war und die Reifen zu anderen Planeten es heute sind.

Freilich im Gebiet der Technif ist fast jede Utopie die Wirk lichfeit von morgen. Wir leben hier in lauter verwirklichten Utopien. Die Technit hat mehr erreicht, als die Utopisten zu erträumen magten. Wir können die Stimme längst Verstorbener hören, mir fönnen sie an uns vorüberziehen sehen, wenn sie selbst zu Lebzeiten für die Uebertragung ihrer Stimme und ihrer Bewe gungen auf geeignete Apparate gesorgt haben. Rundgebungen eines Zweihundertfünfzig Dollar", wiederholte Valentin Simmons Menschen nach feinem Tod, Befundungen, die man jederzeit von ihm

freundlich.

Ich hab's nicht, und so schnell fann ich's auch, nicht bekommen", wiederholte Gordon nachgiebig. Dann schlug sein sich bäumender, gequälter Stolz, feine angegriffene Selbstachtung über die Stränge feiner Vorsicht. Sie wissen es ja ganz genau", erklärte, er mit Lauter, unangenehmer Stimme, Sie fennen ja den Inhalt jeder Börse in Greenftream; ich möchte wetten, bei Gott, daß Sie und der alte Hollidem jeden fupfernen Indianer auf jeden Cent in der Grafschaft persönlich kennen."

Balentin Simmons lächelte über diese Borstellung. Gordon he trachtete ihn mit hoffnungslosent, wachsendem Born: der alte Geiz­fragen fchien das wahrhaftig für ein Rompliment zu halten!

Heute ist Mittwoch", erklärte der Kaufmann; wir wollen fagen, Sonnabend die genannte Summe."

2lusgefchloffen." Die legten Refte von Gardons Selbsthe: herrschung schmolzen rajdh in der Hige feiner Leidenschaft. Sim. mons mandte sich dent schmalen Kontobuch zu und nahm eine Feder zur Hand. Als Sie die meißen   Schuhe fauften und die Munition und die feibene Angelleine hatten Sie da nicht die Absicht, zu Bezahlen?"

haben konnte, das erschien selbst den 1ltopisten, sofern sie nicht spiri­tistisch phantasierten und dann den Tatbestand von heute auch ver­fehlten, als ein gar zu gewagtes Unterfangen.

Zwei Bläne find freilich Utopien geblichen. Seit Jahrtausenden will man, früher der Forscher, jezt nur noch Laien und Scharlas tane, das Perpetuum mobile erfinden. Mittelalterliche Geistliche haben sich auf die Erfindung einer Dentmafchine verlegt. Raimundus Lullus  , der abenteuerliche Mönch des 13. Jahr hunderts, glaubte fie fogar bereits anwendungsreif gemacht zu haben. Es mar nichts damit und auch unfere heutigen Rechenmaschinen erfüllen feinesmegs die Ansprüche der Scholastiker, das Denken in Massenproduktion per Maschine betreiben zu fönnen.

Weil doch nicht alle Blütenträume der Utopisten auf technischem Gebiet reiften, entsteht die Frage: mas bleibt nun für alle 3eiten Utopie in der Techni??

Kant hat sich zur Antwort durchgeningen, indem er die Boraus fegungen des Wissens untersuchte und hinterher entschied, welche Biffensmaterien mittels der an jene Boraussetzungen gebundenen Einsichten nicht zu erfassen find. 3eit, Raum und gewiffe Auf foffungsformen mie Ursache, 3ahl, Größe find Voraus

fegungen alles Wissens, durch sie mird unsere Erfenntnis auf Er. fahrung und Mathematik eingeschränkt. Was außerhalb der Bereiche von Mathematik und Erfahrung liegt, bleibt uns daher für inmer verschlossen.

So ähnlich wird der philosophierende Technifer vere fahren müssen, wenn er die Frage aufmirft, mas technisch erreichbar ist, oder für immer Utopie bleibt. Es dürfte dann mit den nou der Erfüllbarkeit ausgeschloffenen Borsägen so stehen wie mit dem Ber. petuum mobile. Für unrealisierbar mird erklärt, mas einem Natur­gesez, dem wissenschaftlichen Fundament der Technif, widerspricht. Gegen die beständige Bewegung eines im Luftraum befindlichen Körpers ohne fortdauernde Antriebskräfte spricht das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Daher wird das Perpetuum mobile ein Traum von Phantasten bleiben, die von diesem Hirngespinst einer unreifen Naturwissenschaft nicht lassen fönnen.

Fast jede Wirklichkeit ist die Utopie von gestern. Der Sak gilt auch für das Staatsleben, dieser klassischen Domäne der Utopie. Genauer müßte man allerdings vorgestern sagen, denn ein Bettlauf von Projekt und Ausführung, wie es die Geschichte der Technik in ihren großen Epochen darbietet, hat die Geschichte des Staatslebens nicht aufzuweisen. Tfogdem: eine ganze Reihe uto pistischer Phasen hat die Kulturmenschheit auch hier überwunden. Die ft.Ianenlose Gesellschaftsordnung mar in den antifen Staaten eine Utopie, fie murde die Wirklichkeit des christ. lichen Mittelalters. Ablösung des uneingeschränkten Fürstenregiments durch die fonftitutionellen Staaten, Ablösung der Monarchie durch die Republit bedeutete den Uebergang von der Utopie zur Realität. Als Utopie verhöhnt wurde die Abschaffung der Todes. strafe, die Einschränkung des Heeresbestandes auf eine Polizeitruppe, die kräftige Inangriffnahme der Sozialpolitik.

Auch hier erhebt sich, angesichts des von der Utopie zur. Sirklich. feit zurückgelegten Weges die Frage, welche Bestrebungen innerhalb der Staatsperfassungen und des Gesellschaftslebens emig utopisch fein

werden. Eine Antwort darauf fann ebenfalls nur auf Kantische

Methode gefunden werden. Belches sind die Boraussetzungen des Gesellschaftslebens? Ihre Formen müssen nach geprüft werden, die Soziologie hat zu untersuchen, wie Menschen im Zusammenleben und Zusammenmirfen geartet find, von welchen Trieben, Interessen, Borstellungen sie beherrscht werden, milches

Maß von Attivität sie aufbringen, mie start ihr Unterordnungs­bedürfnis ist, welchen Grad sittlichen Berhaltens man von gemeinsam operierenden Menschen erwarten fann. Die Wissenschaft der So

iologie ist noch jung. Sie ist noch lange nicht zu abschließenden, alle Fachforscher befriedigenden Ergebnissen gekommen. Nur in einem Puntt herrscht Einigkeit. Einmal in ein gesellschaftlich ge gliedertes Gebilde eingefaßt, also zu einem Staat zusammen geschlossen, gibt sie diese Gliederung nicht mehr preis. Das Be barrungsgefeg beherrscht auch das Gesellschaftsleben. Schon von hier aus wird erfichtbar, daß Formen des Gesellschaftslebens, tie fie etwa der Anarchismus oder der Syndikalismus vorschlägt: einen staatslosen Zusammenschluß freier, zu genossenschaftlichen und gemerffchaftlichen Verbänden vereinigter Menschen, eine absolute Utopie darstellen.

Niemals verlieren indeffen utopische Aufstellungen ihren Wert. 3mächst machen fie ganz deutlich, von welchen Bedürf niffen die Menschheit erfüllt wird. Durch die Utopien eines Thomas Morus  , eines Campanella, eines Bacon   iſt bereits in den Anfängen des Frühfapitalismus an den Tag ge­fommen, mie ftarf der Freiheitsdrang der unter ihm leidenden Menschen war. Durch diese ,, lltopien" ist zutage gekommen, wie der nom Kapitalismus   betroffene Teil, die produzierenden Arbeiter, sich den Weg zur Freiheit und zur ökonomischen Selbständigkeit dachten: Technischer Fortschritt in morimalem Ausmaß, aber Rugnießung der technischen Vervollkommnungen durch alle Arbeitsbeteiligten. Ein Arbeitstag von 6, von 4. Stunden sollte genügen, niemand follte aber aus dem Arbeitsverhältnis gestoßen werden, weil die fortgeschrittenere Technif den Unternehmern gestattete, unter Belaffung der ursprünglichen Arbeitszeit Arbeiter auf die Straße zu jagen. Berteufelt moderne Forderungen haben die Utopisten des 16. und 17. Jahrhunderts aufgestellt.

3u guter Legt find Utopien Wegweiser. Das von ihnen gesteckte Ziel ist vielleicht nicht ganz erreichbar, aber die Richtung fönnen fie angeben, mohin der Weg gehen foll. Möglich, daß ein idealer Bölferbund, eine übernationale Institution von Mächte­vertretungen, die ganz unparteisch ausgebrochene Streitigkeiten schlichten, die redlich bemüht find, Interessenfonflifte gar nicht auf­fommen zu laffen, nie bestehen wird. Die Forderung dieses Dealen Bälterbundes soll aber trotzdem erhoben werden; die Institution foll da fein, damit die von der Miopie geftedten Siele hen Bölter bundvertretern zeigen, nach welchen Prinzipien sie zu arbeiten haben.