Morgenausgabe 190119101
Ar. 237
A 120
49.Jahrgang
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Der„ Borwärts erscheint mochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abenbausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Des Abend". Jlluftrierte Sonntagsbeilags Bolt und Zeit"
Sonntag
22. Mai 1932
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Die Kabinettsbeschlüsse.
Wichtigste sozial und wirtschaftspolitische Maßnahmen durch Notverordnung.
Amtlich wird mitgeteilt: Die mehrwöchigen, nur durch die beiden Pfingsttage unterbrochenen Beratungen des Reichsfabinetts über die nunmehr in Aussicht zu nehmenden finanz-, fojialund wirtschaftspolitischen Maßnahmen fonnten am heutigen Sonnabendnachmittag in allen grundfählichen Fragen in voller Uebereinstimmung zum Abschluß gebracht werden.
Zu den unter dem Borjih des Reichskanzlers Dr. Brüning ffaff. gehabten Beratungen waren das Reichsbankdirektorium, und, soweit erforderlich, die drei Reichskommiffare für Preisüberwachung, Banfenaufsicht und die vorstädtische Randsiedlung, fowie der Vorstand der Garantiebank hinzugezogen worden. Die Entschließungen des Reichsfabinetts fanden wertvolle Förderung durch nebenhergehende Beratungen mit den berufenen Bertretern der beteiligten Bevölkerungsfreise.
Das Gesamtprogramm erstreckt sich im wesentlichen auf die end. gültige Fertigstellung und Abdefung des Reichshaushalts.
Vor den Entscheidungen.
Was wird im Reich?- Was wird in Preußen?
Von einem Ende Deutschlands zum andern tönt ber Widerhall der Schüsse von Waltershausen. 3war hat es hierzulande leider seit dem Kriege zu fnallen nie gang aufgehört, und gegen Meldungen über Schießereien, bei denen Menschenopfer fallen, ist man ziemlich abgeftumpft. Der blutige Borfall von Waltershausen bedeutet jedoch mehr. Denn hier handelt es sich um einen Fall, in dem die echte Be- Berzweiflung gequälter Menschen zu Erzeffen führte, deren Unterdrüdung mit bewaffneter Hand eine er hebliche Anzahl von Opfern gekostet hat.
plans 1932, die Sicherung der Arbeitslosenfürforge und andere fozialpolitische Reformmaßnahmen, fomie auf ein Arbeitsbefchaffungsprogramm unter gleich zeitigem Ausbau des freiwilligen Arbeitsdienstes. Der Reichshaushaltsplan geht nunmehr dem Reichsrat zu, deffen ratungen unter Beteiligung der Reichsregierung und der Finanzminister der deutschen Länder demnächst beginnen werden.
Die übrigen voterwähnten, grundsäglichen Beschlüsse der
Reichsregierung unterliegen augenblicklich noch der endgültigen Formulierung der zuständigen Stellen, mit der sich das Reichskabinett alsdann abschließend im Anfang der kommen. den Woche befaffen wird.
Weitere Einzelheiten hierüber fönnen im Augenblid noch nicht mitgeteilt werden, da zunächst ein Bortrag des Reichskanzlers beim Herrn Reichspräsidenten über das Gesamtprogramm im Laufe der fommenden Woche ftattfinden wird.
Notschrei der Landgemeinden.
Gefahr für die Unterstützung der Erwerbslosen.
Weimar , 21. Mat.( Eigenbericht.) Nach eingehendem Referat von Dr. Gerife hat der am 21. mai unter Borsiz des Bürgermeisters Lange Weimar in Weimar tagende Gesamtvorstand des Deutschen Landgemeinde tages eine Entschließung eingebracht, in der es u. a. heißt:
Angesichts der nicht mehr zu überbietenden Rot der deutschen Landgemeinden sieht sich der Gesamtvorstand des Deutschen Landgemeindetages gezwungen, nachstehende vordringliche Forderung zu erheben; entsprechend den bereits im Oftober 1930 gemachten Vorschlägen des Deutschen Landgemeindetages, die ungerechte Dreiteilung der Erwerbslosenversicherten, Krisenunterstützten und Wohlfahrtsempfänger zu beseitigen. An ihre Stelle hat eine allgemeine Erwerbslosenfürsorge zu treten, mit deren Durch führung die Gemeinden beauftragt werden. Zu den Kosten dieſer allgemeinen Erwerbslosenfürsorge dürfen die Gemeinden ähnlich mle bei der heutigen Krisenfürsorge höchstens bis zu 20 Pro 3. herangezogen werden. Die fehlenden 80 Proz. find aus Mitteln des Reiches durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und durch Beiträge aller im Berdienst stehenden Personen zu decken. Den annähernd 6 Millionen Erwerbslosen in Deutschland fann jedoch durch eine allgemeine Erwerbslosenfürsorge nicht geholfen werden.
Rücktritt der Preußenregierung. Schreiben Otto Brauns an den Präsidenten des Landtags. Der preußische Ministerpräsident Otto Braun hat in einem furzen Schreiben im Kamen feiner Regierung dem Präsidenten des Landtags mitgeteilt, daß die preußischen Staatsminister ihre Aemfer zur Verfügung stellen.
Durch Arbeitsbeschaffung befreit das Reich die Reichsanstalt fomie die Gemeinden und Gemeindeverbände von untragbaren Aus gaben. Nur Arbeitsbeschaffung fann eine Wiederbele bung der deutschen Wirtschaft zur Folge haben. Die Reichsregierung muß infolgedessen alle erforderlichen Vorkehrungen treffen, melche ein großzügiges Arbeitsbeschaffungsprogramm ermöglichen. Hierzu erscheint die von der Reichsregierung in Aussicht genommene Prämienanleihe jedoch nicht ausreichend."
Außerdem wurde mit Rüdficht auf die Noilage der deutschen Landgemeinden folgendes Telegramm an den Reichs tanzler gefchidt:
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Bei zahlreichen deutschen Landgemeinden, die mitten im finanziellen Zusammenbruch stehen, ist mangels Mittel die Ge fahr atut, die Arbeitslosen nicht weiter unters ſtüßen zu können. Der in Weimar versammelte Gesamtvor: stand des Deutschen Landgemeindetages fordert dringend und nach drücklich sofortige mirksame Reichshilfe und durchgreifende Reform der gesamten Arbeitslosenunterstügung. Soweit augenblidliche Kabinettsberatungen befannt geworden sind, werden geplante Aenderungen für unzweckmäßig und unzureichend gehalten. Die Gemeinden, deren Kräfte und Mittel erschöpft sind, müssen die Berantwortung für Weiterentwicklung der Dinge ablehnen."
bedingungen von St. Germain zum lebensunfähigen Rest eines großen Reiches gemacht haben, dem sie noch den Namen aufzwangen, der den meisten anderen Völkern des zerfallenen Habsburger Reiches damals verhaßt war und den ein Musso lini noch vor wenigen Jahren zu dem Hohnwort gebrauchen konnte: Desterreich ist was es eben ist."
In dem Augenblick, in dem sich der Reichskanzler an schickt, dem Reichspräsidenten eine neue Rotverord nung mit neuen Sparmaßnahmen zur Unterschrift vorzulegen, wirken die Schüsse von Waltershausen wie eine furchtbare Warnung. Gewiß, die unmittelbaren Gefahren, die dem Reichskabinett drohen, fommen von einer längst feinen Regierenden mehr in seinem Schlaf, die Meganz anderen Seite, das bolschewistische Schreckgespenst stört thode, hungernde Menschen mit Waffengewalt ruhig zu halten, ist geschichtlich bewährt, ja sie gilt den Aposteln der Diftatur fogar als das neueste politische Evangelium. Mir aber haben gegen faschistische und bolfchemistische Unterdrückungsmethoden nicht zu dem Zweck gefämpft, damit man in Deutschland mit anderen Methoden zu ähnlichen Zuständen gelangt.
Bir anerkennen die Pflicht jeder Regierung, für die Puf rechterhaltung der öffentlichen Ordnung Sorge zu tragen. Aber mir meinen, daß ohne Sicherung der Bolfsernäh rung die Aufrechterhaltung der Ordnung nicht gewährleistet werden fann. Die Ordnung aufrechtzuerhalten ist die Aufgabe der Länder. Die Boltsernährung zu sichern ist die Aufgabe des Reiches.
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Es ist Zeit, das fpziale Gewiffen machzu rütteln. Niemand verfennt, daß die Weltwirtschaftskrise die Finanzverwaltung der Staaten vor unerhört schwierige Aufgaben stellt. Aber was darüber hinaus nottut, das ist die Erkenntnis, daß diese Aufgaben mit schablonenmäßigen Mitteln nicht gelöst werden können. Die Versorgung jedes Volksgenossen mit dem Nötigsten, das er zum Leben braucht, und es ist ist fein unlösbares Problem. Ist bewiesen hundertmal bewiesen!, daß es auf den alten Wegen nicht geht, so müssen neue beschritten werden.
An Vorschlägen fehlt es nicht. Wir verweisen auf die Denkschriften und Anträge der preußischen Regierung, der Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Wir begrüßen auch besonders den Beschluß des Bezirtsvorstandes der Sozialdemokratischen Partei GroßBerlins, der ein sozialistisches Attionsprogramm der gesamten Arbeiterbewegung verlangt, und unterstützen ihn aufs nachdrücklichste.
Es genügt nicht die ,, antifapitalistische Sehnsucht", von der Herr Gregor Straßer in stillen Reichstagsstunden, in denen gerade nicht geprügelt wird, zu predigen liebt. Was not fut, das ist der Mut zum Sozialismus!
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Die Regierung Brüning ist freilich in das Gestrüpp der politischen Tagesfragen so tief verstrict, daß ihr der Aus blid ins Freie einigermaßen verloren gegangen sein mag. Sie stüßt fich auch viel zu sehr auf die Kräfte des Alten und Konservativen, als daß man von ihr viel Mut zum Neuen erwarten dürfte. Die Masse des deutschen Volkes, zur Verzweiflung über die Not getrieben, strebt unflar und nur tastend nach neuen sozialen Formen, sie glaubt nicht mehr, daß ohne entscheidende, tief einschneidende Verände rungen eine Wendung zum bessern eintreten fann. Ihren materiellen und ideellen Bedürfnissen mit dem viel zitierten Mut zur Unpopularität" entgegenzutreten- das genügt längst nicht mehr!
Die inneren Verhältnisse der deutschen Alpenrepublit find gleichfalls recht erbärmlich. Die Gefahr" einer BarlaDie Legislaturperiode des bisherigen Landtages ist mit dem mentsneuwahl, die nach dem Ergebnis des 24. April die einst Freitag abgelaufen. so starke Partei der Christlichsozialen samt ihrem Koalitions partner, dem Landbund und den aus dem Regierungsblod ausgefprungenen Großdeutschen dezimiert, die Sozialdemokratie, schon längst die stärkste Partei, noch größer gemacht und die Heimwehrfraktion durch Nazis erfegt hätte, ist durch einen parlamentstechnischen Dreh auf den Herbst verschoben worden. Darüber fam es zu einem Regierungswechsel. Aber nicht die im Volk stärkste Partei, die Sozialdemokratie, hat der Bundespräsident Millas zur Regierung berufen, fondern sie den Christlichsozialen trog dem am 24. April ges führten Nachweis, daß sie im Bolk ungeheuer verloren haben, weiter überlassen. Der neue Bundeskanzler Dr. Dollfuß hätte, ebenso gut wie sein Borgänger Dr. Buresch die Minder beitsfoalition mit dem Landbund weiterführen fönnen, hat aber die Heimwehr einbezogen. Dies fogar, obwohl Die sozialdemokratischen Arbeiter erwarten von der Rediese Faschistenart schon in weitgediehenem 3erfall ist, einem gierung Brüning nicht die Führung in den großen grundihrer Freunde aber jogar das Sicherheitsministerium gierung Brüning nicht die Führung in den großen grundauszuliefern, bedeutet nicht nur das Ende der inneren Entfäßlichen Fragen der Wirtschaftspolitif. Sie sind sich ihres waffnung, die der Landbündler Dr. Bachinger auf diesem neu geschaffenen Posten beginnen wollte, sondern eine ich mere herausforderung der Sozialdemokratie noch dazu in einer Zeit des fürchterlichsten Massenelends.
Der Bölkerbundsrat hat wieder einmal über die schwere Rotlage Deutschösterreichs debattiert. Dabei hat der britische Regierungsvertreter Unterstaatssekretär Eden die sehr bemerkenswerten Worte gesprochen, daß Desterreich in diese schwierige Lage nicht zuletzt durch die Friedensverträge gefommen sei. Obwohl alle Großmachtvertreter darin übereinstimmten, daß eine neue Anleihe leine gründliche Hilfe sei, erklärten sich England und Italien , im Rahmen seiner so geringen Möglich feit auch Deutschland , zu einer ausnahmsweisen Finanzhilfe für die Nationalbant in Bien bereit. Diese Hilfe müßte allerdings sofort erfolgen, denn zum Monatswechsel sind Zahlungen fällig, die ohne solche Hilfe zu leisten unmöglich ist. Baul Boncour beharrte für Frankreich auf dem Vorzugszouprojekt für alle Nachfolgestaaten; Frankreich will nur allen diesen Ländern zugleich Hilfe leisten.
Und wieder soll sich ein Finanzfomitee mit den beson beren Schwierigkeiten des Staates befassen, den die Friedens
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Bei alledem gewährt die Hinausschiebung der Wahl doch nur eine algenfrist, denn im Herbst wird ja doch gewählt.
prinzipiellen Gegensages zu jeder bürgerlichen Regierung wohl bewußt. Wenn sie trotzdem verstehen, daß die Partei diese Regierung nicht ohne weiteres dem Ansturm der Gegner von rechts preisgeben will, so deshalb, weil sie in dieser Regierung bisher einen Wall gegen das Vordringen des Faschismus erblickten.
Es muß ausgesprochen werden, daß auch dieses Vers