Einzelbild herunterladen
 

BERLIN Freitag 27. Mai

1932

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Zugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis für beide Ausgaben 75 Pf. pro Woche, 3,25 M. pro Monat ( davon 87 Vf. monatlich für Zustellung ins Haus) im voraus zablbar. Voft bezug 3,97 m. einschließlich 60 Vf. Bostzeitungs­und 72 Vf. Vostbestellgebühren

Spätausgabe des Vorwärts"

10 Pf.

Nr. 246

B 123 49. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Millimeterzeile 30 Bf., Reklamezeile 2.-M. Ermäßigungen nach Tarif. Vostscheckkonto: Borwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37 536.- Der Berlag behält sich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor! Redaktion und Expedition: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Gernsprecher: Dönhoff( A 7) 292–297.

SA. Raufbolde an der Arbeit

Sozialdemokratischer Redner schwer verletzt

Eisenach , 27. Mai. ( Eigenbericht.)

Am Donnerstagabend kam es in Dietlaf( Rhön ) zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen National­sozialisten und Sozialdemokraten. Der Zusammenstoß war von den Nationalsozialisten systema tisch organisiert. Er wurde bewußt durchgeführt. Die Nationalsozialisten hielten am Donnerstagabend in Dietlaf eine öffentliche Versammlung ab, zu der der sozialdemokratische Diplomlandwirtschaftslehrer Wormbs als Redner erschienen war. Wormbs hatte nach dem Vortrag des Nazireferenten, hinter dem zunächst eine längere Pause folgte, kaum das Wort ergriffen, als von auswärts ein Lastauto mit A. eintraf, die in den Saal stürmte und besonders auf Wormbs ein­schlug. Wormbs wurde schwer verletzt. Wahr­scheinlich wurde ihm eine Niere verletzt. Außer ihm sind noch weitere sechs Sozialdemokraten schwer verlegt worden. Als das Ueberfallkommando der Landespolizei Gotha eintraf, hatte die Schlägerei bereits ihr Ende gefunden. Der Vorfall selbst hat in der Gemeinde Dietlaf ungeheure Empörung hervorgerufen. Stralsund , 27. Mai. ( Eigenbericht.)

Der im März von Nationalsozialisten unternommene Sturm auf das Geschäftshaus der Greifswalder Volkszeitung" stand jetzt zur gerichtlichen Verhandlung. Von den fieben Angeklagten wurden vier freigesprochen, während der Student Werner Gehrte zu acht Monaten fängnis, der Kaufmann Arthur Manthei zu sieben Monaten Gefängnis und der Arbeiter Otto Hinz zu vier Monaten Gefängnis verurteilt wurden.

Ge=

Braunschweig, 27. mai.( Eigenbericht.) Am Freitag war die angeblich aufgelöste SA. wieder unterwegs. Sie 30g in Stärfe von etwa 120 Mann vor das Bolksfreund"-Gebäude, um Niederrufe auf die Redak­teure und Heilrufe auf Hitler auszubringen. Dann stürmten sie in die Nachbarstraßen, um Schlägereien zu veranstalten. Der sozial­demokratische Oberbürgermeister Böhme, der zufällig des Weges fam, wurde ebenfalls angepöbelf und mit Nieder­rufen empfangen. Ein Gewerkschaftsbeamter wurde von dem nationalsozialistischen Janhagel in Gegenwart eines Polizei­beamten mißhandelt. Als das Ueberfallfommando einfraf, verzog sich die Menge, um in anderen Straßen weiter zu demon­ffrieren. Die Polizeibeamten wagten nicht, die Namen der Ruhe­ftörer festzustellen, da fie offensichtlich eine Maßregelung durch Klagges fürchten. Ein Geschäftsreifender aus Leipzig wurde wegen seines Aussehens ebenfalls in Gegenwart eines Polizeibeamten beleidigt und beschimpft. Als der Reifende dringend die Hilfe der Polizeibeamten verlangte, wurde ihm geantwortet, daß er evtl. selber festgenommen werden würde. Beschwerden über das Verhalten der Polizeibeamten find eingereicht worden.

Kerri beanstandet...

Die Unparteilichkeit des Nazipräsidenten. Wegen des Verhaltens des Vorsitzenden im Bankauer Mordprozeß hat der Abgeordnete Kuttner eine Kleine An­frage eingebracht. Die Anfrage bezog sich auf die gemütlose Aeußerung des Vorsitzenden zu der Frau des von den Nazis ermordeten Landarbeiters August Bassy: Na, Sie leben ja noch." In seiner Anfrage hat Genosse Kuttner sich einleitend darauf berufen, daß diese Aeußerung durch die Presse be­richtet wird. Er bekam die am 24. Mai eingereichte Eingabe mit folgendem Bescheid zurückgereicht:

Berlin , den 26. Juni( soll wohl heißen Mai) 1932. Der Herr Präsident hat die allgemeine Angabe ,, die Presse " ohne nähere Angabe der betreffenden Zei­betreffenden 3ei­tungsstelle beanstandet.

Die Aeußerung des Vorsitzenden ist von einigen Dußend Blättern berichtet und kritisiert worden. Selbstverständlich kennt das Justizministerium, an das sich die Anfrage richtet, diese Berichte. Im übrigen kam es gar nicht auf die Zeitungsberichte, sondern auf das Resultat der vom Justizministerium einzuziehenden diretten Erkundigungen an.

Die Beanstandung der Anfrage durch den Landtagspräsidenten entbehrt jedes Rechtsgrundes. Der Präsident hat nach der Geschäfts­

Unbegreiflich!

" Det mir de Nazi bei de Aufstellung zum Abjeordneten iebajangen ham, wo id Weltmeefta im Stuhl schmeißen bin, is eenfach unbejreiflich!"

ordnung das Recht und die Pflicht, offensichtliche Beleidigun gen aus Anfragen zu entfernen, wie sie namentlich von den Nationalsozialisten bisher mit Vorliebe in die Form Kleiner An­fragen eingekleidet wurden. Dagegen steht ihm fein Recht zu, Ab­geordnete zu schulmeistern, die in sachlicher Form Anfragen stellen.

Die Anfrage wird nunmehr ohne Bezugnahme auf die Presse von neuem eingebracht werden. Im übrigen dürfte das Berhalten des Landtagspräsidenten noch ein parlamentari fches Nachspiel haben.

Das Befinden Jürgensens.

Roch feine wesentliche Besserung.

Das Befinden des Genossen 3 ürgensen, der bei der Nazi­schlägerei im Landtag schwer verletzt wurde, ist noch feines­wegs befriedigend. Zwar verheilt die Fleischwunde am Kiefer ver­hältnismäßig gut, doch scheint es, daß Genoffe Jürgenjen eine Gehirnerschütterung) erlitten hat. Er hatte geffern abend hohes Fieber und phantafierte.

Genoffe Jürgensen, der die Geschäfte unserer Landtagsfraktion führt, ist als Unbeteiligter durch ein blindlings gefchleu­dertes Wurfgeschoß, wahrscheinlich einen Tischkasten, ge­troffen worden, deffen scharfe kanten ihm die schweren Verlegungen beibrachten.

Adolf I. inspiziert ein Kriegsschiff. Hitler in Wilhelmshaven .

=

Wilhelmshaven , 27. Mai. ( Eigenbericht.) Aufsehen und Unwillen in der Bevölkerung Wilhelmshavens wurde durch einen Empfang Hitlers auf dem Kreuzer Köln" her­vorgerufen. Hitler kam am Donnerstag mit einigen Reichs tagsabgeordneten hier an und wurde vom Kommandanten, dem Kapitän v. Schröder, empfangen, der selbst die Führung über­nahm. Zur Rechtfertigung des Vorgangs wird erklärt, daß der Kreuzer zur Besichtigung freigegeben sei und daß es dem Brauch der Marine entspreche, Reichstagsabgeordnete mit besonderer Höf­lichkeit aufzunehmen.

Des Habichts Beute.

Oder der aufgenordete Proudhon.

Die österreichischen Nazis haben einen Führer aus Deutschland vorgefegt erhalten. Er heißt Habicht und hat seinen biederen Namen Theodor zu einem modischen Theo beschnitten. Herr Habicht hat eine Sammlung seiner bedeutenden Aufsätze herausgegeben; darin findet man eine Stilübung, die den Titel trägt: Die Geburt

der Nation." Mit einem feierlichen Gelöbnis schließt sie: Deutsch­ land wird leben, und wenn wir auch sterben müssen!" Dieses innige Gelöbnis ist leider nicht, sondern- gestohlen. Es stammt von dem dem Nationa zialismus gar nicht zugewandten katholischen Arbeiterdichter Heinrich Lersch , der 1914 ein Gedicht Soldatenabschied" geschrieben hatte, fünf Strophen, und die letzte Zeile jeder Strophe hieß: Deutsch = land muß leben, und wenn wir sterben müssen!" Nicht einmal das Ausrufungszeichen ist von dem Habicht, der be= fanntlich ein fecker Raubvogel ist.

Gregor Straßer , neuerdings Reichstheoretiker des Braunen Hauses, wird ihn belehren können, daß der französische Sozialist Proudhon das Eigentum als Diebstahl definiert hat.

Ergänzung des Reichsfabinetts.

Reichswehrminister Hasse?

Ein Mittagsblatt verbreitet die Nachricht, daß der Ge= neral Hasse, Befehlshaber des Gruppenkommandos I der Reichswehr Berlin , zum Reichswehrminister aus­ersehen sei. Richtig ist daran, daß Brüning und Groe ner den genannten General als einen Mann betrachten, der für das Amt geeignet ist und mit dem sie zusammen­zuarbeiten bereit wären. Ueber seine Ernennung ist jedoch unseres Wissens noch nicht entschieden. Der Berliner Kom­mandeur General Hasse ist übrigens nicht mit jenem General­leutnant von Hasse zu verwechseln, der seinerzeit die Reichs­egekution in Thüringen leitete.

Als Nachfolger Warmbolds im Wirtschaftsministe= rium wird wieder der Leipziger Oberbürgermeister Goer= deler genannt. Dagegen wird es als zweifelhaft hingestellt, ob Groener an der Spize des Reichsinnenministeriums blei= ben wird. Wir glauben aber nicht, daß sich Brüning von Groener trennen kann, ohne den Charakter seines Kabinetts fundamental zu ändern, und wir glauben auch nicht, daß er die Absicht hat, das zu tun.

Sozialversicherung in Not.

Der Ausschuß aber vertagt sich.

Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags trat am Freitag unter dem Vorsiz des nationalsozialistischen Abgeord neten Dreher zur Beratung über die Lage der Sozialver= sicherung zusammen. Ministerialdirektor Grieser berichtete über die außerordentlich ungünstige Finanzlage der Invaliden- und Unfallversicherung. Auch die Krankenkassen haben durch die Krise versicherung ist ebenfalls eine rückläufige Bewegung in den Bei­eine starte finanzielle Anspannung erfahren. Bei der Angestellten­tragseingängen zu verzeichnen.

Abg. Aufhäuser( S03.) verlangte, daß der Regierungsvertreter über die zur Sanierung der Sozialversicherung bestehenden Pläne des Reichsarbeitsministeriums Auskunft geben soll. Abg. Rädel ( Komm.) schloß sich diesem Verlangen an. Abg. Timm( Dntl.) hielt eine Weiterberatung für zwecklos, solange nicht die schriftlichen Unterlagen zu dem Vortrag des Regierungsvertreters unterbreitet werden.

Ministerialdirektor Grieser gab auf die Anfrage Aufhäusers die Antwort, daß Pläne der Reichsregierung noch nicht vorlägen.

Abg. Graßmann( Soz.) machte alsdann den Vorschlag, in die Diskussion einzutreten, um die Auffassung im Ausschuß zu klären, während Abg. Schumacher( Njoz.) beantragte, den Ausschuß auf die nächste Woche zu vertagen, bis die Regierung in der Lage sei, ihre Absichten zur Sanierung der Sozialversicherung bekanntzu­geben. In der Abstimmung wurde dieser Bertagungsantrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten und des Zentrums angenommen.

Anschlag auf Georges Philippar".

Eine Höllenmaschine soll an Bord gewesen sein. Das Journal" gibt in einer Meldung aus Marseille eine Dar­stellung der dortigen Zeitung Soleil de Marseille" wieder, die behauptet, bei der Zolldurchsuchung in Port Said sei seinerzeit unter dem für den Dampfer Georges Philippar" bestimmten Ge­päck auf Grund einer anonymen Anzeige eine Untersuchung ange­stellt worden und habe zur Entdeckung einer Höllenmaschine geführt. Das Journal" fügt allerdings hinzu, daß man in den Büros der Reederei von dieser Entdeckung, die das Marseiller Blatt meldet, nichts wisse.