Morgenausgabe
Nr. 247
A 125
49. Jahrgang
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Sonnabend
28. Mai 1932
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Alarm um den Osten.
Pariser Pressefeldzug gegen Deutschland .
Paris , 27. Mai( Eigenbericht).
Im Zusammenhang mit der Agitation der Nazis in Danzig , der Entschließung des Aus wärtigen Ausschusses des Reichstags Polen sowie anläßlich der Meldungen über die beabsich tigte Entsendung des Kreuzers ,, Schlesien " nach Danzig und über den Ausbau der ostpreußischen Grenz befestigungen, ist in einem Teil der französischen Presse eine neue Hekkampagne gegen Deutsch land eingeleitet worden, die immer größeren Umfang annimmt. Das Signal dazu hat der„ Matin" gegeben, worauf fast alle reaktionären Zeitungen, wie das„ Echo de Paris", das ,, Journal des Débats ", die ,, Liberté" und der Figaro", sofort das gleiche Lied angestimmt haben. Die genannten Zeitungen erklären in ihren Artikeln, daß die deutsche Bevölkerung systematisch gegen Polen aufgehezt werde, indem man ihr vormache, daß Danzig von Polen bedroht und auf diese Weise eine Stimmung geschaffen werde, die, wie in den Jahren vor dem Weltkrieg, zu einer neuen katastrophe, für die Polen die Verantwortung zugeschoben werde, führen würde. Der ,, Matin" spricht in einem Artikel sogar von genau festgelegten Plänen der Reichswehr , die das Ziel verfolgten, Polen von Rußland abzulenken, das sich zugleich an der polnischen Grenze und der Man dschurei bedroht fühlt und ein Vorwand für die Wiederaufrichtung des alten Deutschland seien, wenn es gelinge, Polen zu unbesonnenen Taten zu verleiten.
Was der ,, Matin" über angebliche Pläne der Reichswehr erzählt, ist natürlich reine Phantasie. Das Blatt, das feit einigen Monaten von der französischen Rüstungsindustrie beherrscht wird, sucht damit Stimmung zu machen für einträgliche Rüstungsaufträge an seine Geldgeber.
Was die ostpreußischen Grenzbefestigungsarbeiten betrifft, die tatsächlich in Angriff genommen worden sind, so handelt es sich um Werte im sogenannten Seilsberger Dreieck, die von der Botschafterkonferenz genehmigt worden sind, weil sie im Friedensvertrag ausdrücklich gestattet wurden. Der französischen Presse, die sich für die in die Milliarden gehenden Befestigungsarbeiten an der Ostgrenze Frankreichs begeistert hat, steht es schlecht an, sich über die| Inangriffnahme erlaubter deutscher Befestigungen im abgeschnittenen Ostpreußen aufzuregen. Der Betrag für diese Heilsberger Arbeiten war bereits in den vorjährigen Etat eingesetzt worden. Ob es bei der jetzigen Finanznot Deutsch lands angebracht und ob es am Vorabend von Lausanne flug war, diese Summe auszugeben, ist eine andere Frage,
aber eine rein deutsche Angelegenheit. Anscheinend wollte die Reichsregierung damit nur dem blöden Geschwätz der Kriegsdienstverweigerer nationalsozialistischen entgegen treten, daß man nichts für die Erhaltung Ostpreußens tue. Damit wird sie aber bestimmt nicht erreichen, daß diese Lästermäuler gestopft werden, vielmehr liefert sie obendrein den französischen Hezpolitikern nur neue Nahrung.
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Wahr ist leider, das muß gleichzeitig offen ausge sprochen werden, daß auch das deutsche Volk seit einigen Wochen gegen Polen in einer Weise aufgehegt wird wie noch nie seit Kriegsende. Die gesamte Rechtspresse hat einen Feldzug inszeniert, der seine giftigen Früchte zu tragen beginnt. Die verlogenen Sensations berichte des hitleroffiziösen Daily Expreß" aus Danzig , die nach der Bekundung des Reichskanzlers ohne sachliche Begründung sind, haben zu der Annahme der nationalfozia listischen Resolution im Auswärtigen Ausschuß geführt, die ein außen und innenpolitischer Skandal war. An diesem Skandal sind die Reichsregierung und die Regierungsparteien durch ihren Mangel an Zivilcourage mitschuldig.
Was sich andererseits in Danzig selbst unter Duldung und aktiver Förderung durch den von den Nazis kontrollierten rechtsgerichteten Senat abspielt, ist nicht weniger gefährlich.
Wir warnen! Die Nationalsozialisten wußten ganz genau, was fie taten, als sie das Schwergewicht ihrer außen politischen Hezarbeit nach der Ostgrenze verlegten.
Wenn das so weitergeht, dann werden wir wieder eines Tages in eine Katastrophe ,, hineinschliddern", bei der zwar weder Herr Hitler , noch Herr Goebbels , noch Herr Hugenberg, noch die sonstigen Hegmatadore auf der Rechten, sondern irregeleitete Massen ihre Knochen zu Markte tragen werden.
Es genügt nicht, daß offiziös, wie es geschieht, gegen die Lügen des ,, Matin" Stellung genommen wird. Auch wir weisen diese Phantasien entschieden zurück. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, daß manche Reden polnischer Nationalisten in letzter Zeit dazu beigetragen haben, die gegenwärtige Stimmung zu erzeugen. Schließlich ist nicht zu vergeffen, daß ursprünglich an allem der Bersailler Ber trag mit seinen unmöglichen Grenzziehungen schuld ist.
Aber die Reichsregierung hat ihrerseits die Pflicht, den eigenen Nationalisten Einhalt zu gebieten und auf die Danziger Regierung dahin einzuwirken, daß sie nicht durch ihre Maßnahmen das glimmende Feuer schüre. Unterläßt sie aus Mangel an innerpolitischem Mut die notwendigen Erklärungen und Schritte, dann übernimmt sie vor dem deutschen Volke und vor der ganzen Welt eine ungeheure Verantwortung!
Ein Lump als Minister.
Heimwehrminister Jakoncig als italienischer Betrüger entlarvt.
Wien , 27. Mai( Eigenbericht).
Die halbfaschistische Regierung Dollfus stellte sich am Freitag dem österreichischen Nationalrat vor. Ihr erstes Auftreten endete mit einer gewaltigen Bla: mage jener bürgerlichen Politiker, denen diese Regierung zu verdanken ist.
Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der sich sofort mit den schweren Anschuldigungen gegen diesen Heimwehr minister zu befassen hätte. Vor diesem Ausschuß versprach Bauer auch mehrere Mitteilungen über den Innsbrucker Strafakt zu
machen.
Einheitsfront gegen Arbeitslose
Kommunisten und Nationalsozialisten wollen feine Arbeitsbeschaffungsanleihe.
Im Preußischen Landtag prügeln sich die Kommunisten mit den Nationalsozialisten; im Reichstag fämpfen sie ge= die Arbeitsbeschaffungsmeinsam gegen anleihe eine merkwürdige Einheitsfront, deren Kosten die Arbeitslosen zu zahlen haben werden.
Bekanntlich liegt es so, daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion schon vor Monaten den Entwurf eines Gesetzes zur Auflegung einer Prämienanleihe im Reichstag einbrachte. Der Ertrag dieser Anleihe soll ausschließlich zur Arbeitsbeschaffung verwendet werden. Unter dem allge= meinen Druck der stürmischen Forderung nach Arbeitsbeschaffung hat sich dann das Kabinett Brüning entschlossen, diese Prämienanleihe für die Zwecke der Arbeitsbeschaffung festzulegen. Die Genehmigung dazu hat sie durch ein besonderes Kreditermächtigungsgesetz erhalten, das in der Plenartagung des Reichstags am 12. Mai unter anderem gegen die Stimmen der Kommunisten und Nationalsozialiſten angenommen wurde. Der§ 8 jenes Gesetzes sagt aber nichts über Einzelheiten der Ausstattung der Anleihe und über die Verwendung der Mittel. Für diese Einzelheiten gibt der oben erwähnte Gesezentwurf der sozialdemokra= tischen Reichstagsfraktion die Richtlinien. Er wurde in diesen Tagen im Haushaltsausschuß des Reichstages beraten. Das sozialdemokratische Ziel war dabei, der derzeitigen Reichsregierung für die Durchführung des§ 8 des Kreditermächtigungsgesetzes bis ins einzelne gehende Bor
schriften festzulegen.
Wie sich die Kommunisten in dieser Beratung be= nommen haben, das verdient bis zum letzten Arbeitslosen bekannt zu werden. Der kommunistische Sprecher erklärte furzerhand, die von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Finanzierung der Arbeitsbeschaffung durch eine Prämienanleihe sei unmarristisch und ein Betrug an den Arbeitern. Was ist eigentlich eine Prämienanleihe?
Eine Prämienanleihe beruht auf der Verbindung von üblichen Anleiheprinzipien und üblichen Lotterieprinzipien.
Was eine übliche Anleihe ist, und was eine übliche Lotterie ist, weiß jedermann. Die gewöhnliche Anleihe ist ein festverzinsliches Papier. Alljährlich wird meist zum Nennwert durch Auslosung ein Teil des gesamten Anleihebetrages zurückgezahlt, also getilgt.
Bei einer Lotterie erwirbt man durch Hingabe von barem Geld einen Anteilschein, der nicht verzinst wird. Das hingegebene Geld kann vervielfacht an den Besitzer des Loses zurückkehren, wenn auf seine Losnummer ein Gewinn gezogen wird. Im anderen Fall verliert der Losbefizer das gesamte eingezahlte Geld. Bei der Prämienanleihe ist nach dem Anleiheprinzip eine Verzinsung vorgesehen. Sie ist aber niedriger als die übliche Berzinsung. Aus der Differenz zwischen üblichem Zinssaz und tatsächlich gezahltem Zinsfazz gewinnt derjenige, der die Prämienanleihe ausgegeben hat, eine Kapitalreserve. Sie wird dazu benutzt, um diejenigen Anteile, die alljährlich ausgelost und zurückgezahlt werden, mit einer Prämie, also mit einem Gewinn auszu= ſtatten.
Das Gemeinsame zwischen Prämienanleihe und Lotterie ist, daß der Inhaber eines Anteilscheines einen Gewinn machen kann. Der Unterschied ist, daß bei der Lotterie, wenn fein Gewinn gezogen wird, der Einsatz verloren geht, während er bei der Prämienanleihe erhalten bleibt. Die Prämienanleihen, im besonderen die ausländischen Prämienanleihen, waren in den Jahrzehnten vor dem Kriege in Deutschland ein beliebtes Spekulationspapier, zugleich ein Objekt der Gesetzgebung.
Die bürgerlichen Parteien waren durch die Mitteilungen Dr. Bauers, der der neuen Regierung namens der Sozialdemo- Prämienanleihen, Im Anschluß an eine farblose und nichts sagende Refraten allerschärfsten Kampf anjagte und einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung einbrachte, sichtlich fonsterniert. Unter gierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Dollfuß hielt Dr. Otto Bauer im Namen der Sozialdemokratischen Partei dem Eindruck dieser Niedergeschlagenheit standen auch die Reden der bürgerlichen Sprecher zu der Regierungserklärung, die es faum Dernichtende Abrechnung mit dieser wagten, zu Bauers Enthüllungen Stellung zu nehmen. Der Nationalrat tritt am Dienstag wieder zusammen.
Berzweiflungsregierung der Rechtsradikalen. Besonders Bauers Enthüllungen über den neuen Heimwehrminister dieser Regierung, den Tiroler faschistischen Rechtsanwalt Jakoncig, machten auf das Haus einen niederschmetternden Eindruck Bauer teilte nämlich mit, daß dieser Dr. Jakoncig nach dem Umsturz im Jahre 1918 sich als italienischer Staatsbürger bekannte und auch die italienische Staatsbürgerschaft erworben habe. Erst später, nachdem er durch eine dunkle Angelegenheit Italien verlassen mußte, habe er sich um die Staatsbürgerschaft in Desterreich beworben, diese aber auf einem völlig un geseglichen Wege erlangt, so daß mit Recht daran gezweifelt wird, ob dieser öfter reichische Minister überhaupt österreichischer Staatsbürger ist.
Darüber hinaus teilte Bauer dem Parlament mit, daß gegen diesen Heimwehrminister beim Innsbrucker Strafgericht ein Strafperfahren wegen einer sehr unsauberen Angelegenheit im Gange ist. Bauer beantragte daher die
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Wie der Wiener Korrespondent des„ So3. Pressedienst" erfährt, wird der österreichische Heimwehrminister beschuldigt, als erfährt, wird der österreichische Heimwehrminister beschuldigt, als Anwalt eine Konkursmasse, zu deren Verwaltung er ein gesetzt war, ver untreut zu haben.
Und draußen brüllen die Nazis:„ Deutschland erwache!"..
Wien , 27. Mai. Während der Aussprache im Nationalrat über die Regierungserklärung sammelten sich auf der Ringstraße, die sich innerhalb der Bannmeile befindet, etwa 5000 Menschen an, die Kundgebungen gegen die Regierung veranstalteten. 3ahlreiche Sprechchöre riefen: Die Deutschland erwache!" und Juda verrede!" Polizei räumte die Ringstraße. 15 Personen wurden verhaftet. Nach Schluß der Parlamentssigung verlief sich die Menge.
Nach dem Weltkriege und im vergangenen Jahrzehnt sind die Prämienanleihen in einer ganzen Reihe von Ländern. wieder stark entwickelt worden. Die Deutsche Nationalver sammlung hat schon im August 1919 eine große Sparprämienanleihe aufgelegt. Damals sollten fünf Milliarden gezeichnet werden, aber nicht ganz vier Milliarden
tamen ein.
In größtem Umfange hat die Sowjetunion den Aufbau ihrer Industrie durch Prämienanleihen unterstützt. So gut wie sämtliche inneren russischen Anleihen sind Prämienanleihen. Der russische Staat hat den Spieltrieb seiner Einwohner außerordentlich weit ausgeschöpft. Einzelne seiner Prämienanleihen sind unverzinslich. Dafür erfolgen aber monatlich Auslosungen, also Gewinnziehungen. Für die Gewinne hat der russische Staat Steuerfreiheit ge= währt. Einzelne der russischen Prämienanleihen sind mit Steuerfreien Hauptgewinnen bis zu 500 000 Rubel ausge