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BERLIN Dienstag 31. Mai

1932

Der Abend

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In der Sackgaffe

G

- Nazis fordern den

Das Zentrum beteiligt sich nicht an neuer Regierung Kurs auf Reichstagsauflösung und Neuwahlen

Reichskanzler

-

Es

Wer wird Brünings Nachfolger? werden viele Namen genannt, aber wer wirklich als Reichskanzler in Aussicht genommen ist, das ist noch nicht erkennbar.

Als das Kabinett Hermann Müller am 27. März 1930 nachmittags zurücktrat, erging am Abend der Ruf an Brüning, am anderen Morgen wurde er beauftragt und begann seine Besprechungen, am 29. März war sein Kabinett fertig- ein auch in persönlicher Hinsicht fest gelegter Plan wurde prompt durchgeführt.

Diesmal hat man aber den Eindruck einer gewissen Verlegenheit bei den Krisentreibern, es scheint, daß nicht alles so programmäßig läuft, wie sie sich die Ent­wicklung der Krise vorgestellt haben. Wenn ihnen eine Regierung vorgeschwebt hat, die von den National. sozialisten und Hugenberg toleriert wird, so macht ihnen die Haltung der Nationalsozialisten einen Strich durch die Rechnung.

Die Nationalsozialisten fordern: Auf­lösung des Reichstags, für die Neuwahlen: Aufhebung des SA. - Verbots, Aufhebung der Notverordnungen gegen Demon­politische Ausschreitungen, Aufhebung des strationsverbots, mit einem Wort: Wahlen unter Hafen freuzterror. Dazu selbstverständlich: grundsätzlicher Systemwechsel im Reich und in Preußen.

Unter diesen Umständen erscheint als einziger Aus­weg aus der Krise ihre Verschärfung durch die Auf­lösung des Reichstags. Man hofft in den Kreisen um Hindenburg , die Wahlen bis zum Herbst hinaus­ziehen zu können.

Zentrum beteiligt sich nicht.

Hitlerbuben bombardieren Polizei

Beim Aufmarsch der Reichswehrwache

Sobald die Ablösung für die Reichswehrwache in der| Bendlerstraße unterwegs ist, sammelt sich immer Publikum an, das mitmarschiert. Neuerdings haben die jungen männlichen und weiblichen Nazis daraus ein Sondervergnügen gemacht. Sie benutzen den Marsch der Reichswehr , um die dabei den Verkehr regulierende Polizei zu beschimpfen und zu verhöhnen.

Heute mittag gab es in der Tiergartenstraße gewissermaßen vor den Augen der ausländischen Missionen ein besonders übles Treiben. Tausende von SA.- Leuten in Zivil" brüllten den Beamten Schimpfworte zu, um die Regierungsfähigkeit ihrer Partei zu be­

weifen.

Nach den bisherigen Feststellungen sind die Demonstra­tionen planmäßig inszeniert worden, denn schon von 11 Uhr ab fonnte man Trupps von S.- Ceuten beobachten, die von allen Seiten der Innenstadt zuftrebten.

daß die Gefahr bestand, daß die Wache selbst in ihrem Marsch be= hindert wurde.

Die Polizei griff ein, mußte aber schließlich vom Gummiknüppel Gebrauch machen und die Menge auseinandertreiben. Ein junges Mädchen wurde im Gedränge dabei am Kopf verletzt und mußte nach der Charité gebracht werden. Später wurden, und zwar im Anschluß an den Zwischenfall mit Dr. Goebbels Unter den Linden, vor dem Reichspräsidentenpalais Demonstrationsversuche von Anhängern der NSDAP .

vereitelt und zwei Nationalsozialisten zwangsgestellt.

Nach weiteren Reibereien kam es schließlich an der Ecke der Tiergarten- und Bendlerstraße zu dem ernst eren 3 wischen­fall. Nach den polizeilichen Meldungen hatten sich hier etwa 400 bis 500 Nationalsozialisten angesammelt, die der Aufforderung zum Auseinandergehen keine Folge leisteten und gegen die Be= amten schließlich eine drohende Haltung einnahmen und sie sogar mit Pflastersteinen bewarfen. Daraufhin gab die Polizei einige Schreckschüsse ab und trieb die Demon­mit dem Gummiknüppel auseinander.

Als erste Etappe dieser Aktion" war das Ministerium des Innern Unter den Linden ausersehen, wo sich etwa 1500 Menschen zusammenballten und Goebbels von seinem Privatwagen aus eine Rede zu halten versuchte. Schon an dieser Stelle mußte die Polizei mit dem Gummiknüppel die Demonstranten auseinander- stranten

treiben.

Zu schweren Ausschreitungen fam es einige Zeit später an der Kreuzung Bendler- und Tiergartenstraße, als

nationalsozialistische Demonftranten über mehrere Polizei­beamte herfielen und ein Bombardement mit Pflastersteinen auf die Beamten eröffneten.

Drei Polizeibeamte verletzt.

Ein Mädchen mit Schulterschuß.

Drei Polizeibeamte find bei den Tumulten durch Steinwürfe und Schläge im Handgemenge verlegt worden. Die polizei­

Die Polizisten mußten in ihrer Bedrängnis zahlreiche Schred- lichen Begleitmannschaften haben bis zum letzten größte Zurüd­schüsse abfeuern.

An

Es wird immer deutlicher, daß man im Zentrum über Die Polizei mußte schon in der Straße Alt- Moabit eingreifen, den Sturz Brünings außerordentlich stark verstimmt ist. weil aus den Reihen der die Wache begleitenden National­Man hält nach wie vor im Zentrum an dem bisherigen der Moltkebrüde fam es dann innerhalb der Menge zwischen An­sozialisten verbotene Lieder angestimmt wurden. Kurs fest, der darauf hinausläuft, daß den National- hängern der beiden extremen Richtungen zu Auseinander sozialisten nicht die Machtpositionen ausgeliefert werden jegungen und die Zusammenrottungen waren schließlich so stark, dürften, die zur Aufrechterhaltung verfassungsmäßiger Zustände notwendig sind. Unter diesem Gesichtspunkt steht man im Zentrum den gegenwärtigen Experimenten im Reiche mit der größten Zurückhaltung und Besorgnis gegenüber. Man sieht deshalb auch dem Plan, bald den Reichstag aufzulösen und mitten im Fieberzustand des deutschen Volkes Neuwahlen vorzunehmen, mit großer Besorgnis entgegen.

Der Reichspräsident hat heute die Abgeordneten Kaas und Perlitius von der Zentrumspartei emp. fangen. Beide haben dem Reichspräsidenten gegenüber scharf zum Ausdruck gebracht, daß das Zentrum gegen alle halben Lösungen in der jetzigen Regierungs­krise sei. Das Zentrum werde sich deshalb an der neuen Regierungsbildung nicht beteiligen und die Frage der Tolerierung eines neuen, weiter nacht rechts ge­richteten Kabinetts durch die Zentrumspartei sei noch vollständig offen. Mit großer Bestimmtheit haben sie sich gegen den Plan einer alsbaldigen Auflösung des Reichstags und der Vornahme von Neuwahlen ausgesprochen.

Es befestigt sich immer mehr der Eindruck, daß der Reichspräsident auf ein Präsidialkabinett los. steuert und daß er immer noch hofft, daß die National. sozialisten ein derartiges Kabinett tolerieren würden.

Weitere Empfänge bei Hindenburg . Der Reichspräsident setzte heute vormittag die Besprechun­gen mit den Parteiführern fort. Es wurden nachein­ander empfangen die Abgg. Kaas und Perlitius für die Zentrumspartei , Hugenberg und Winterfeld für die Deutschnationalen, Dingelden für die Deutsche Volkspartei , Drewiß und Mollath für die Wirtschaftspartei.

haltung bewahrt, erst als der Führer des Polizeikommandos feinen anderen Ausweg mehr jah, als viele seiner Beamten von der Menge umzingelt waren, gab er den Befehl zum Feuern. Soweit bisher ter Nettelbeckstraße einen Schulterschuß erhalten. bekannt geworden ist, hat eine 20 Jahre alte Elisabeth Raschke aus Mädchen erhielt in der Sanitätsstube des Reichswehrministeriums Das erste Hilfe.

Die Pläne Hitlers

Ein Nazireichskanzler folt den Reichstag auflösen

Wie dem Nachrichtenbüro des Vereins Deutscher Zeitungsver­leger von nationalsozialistischer Seite erklärt wird, nahmen die Be­sprechungen Adolf Hitlers und Görings mit dem Reichs­ präsidenten einen befriedigenden Verlauf. Dieser Eindruck bei den nationalsozialistischen Unterhändlern sei darauf zurückzuführen, daß Reichspräsident von Hindenburg sich in dem Gespräch nicht ab­geneigt gezeigt habe, einer neuen Reichsregierung die Ermäch­tigung zur Reichstagsauflösung zu geben. Im übrigen dürfte Hitler erklärt haben, daß für die Nationalsozialisten teine Regierung, wie sie auch immer aussehen möge, tragbar sein würde, die den Charakter einer kompromisregierung haben würde. Andererseits aber seien die Nationalsozialisten jederzeit be­reit, nicht nur die Regierung, sondern die volle Berantwor­tung zu übernehmen, immer allerdings unter der Voraus­fehung, daß der Reichstag neu gewählt werde. In nationalsozialistischen Kreisen denkt man sich die weitere Entwicklung offenbar so, daß zunächst ein& abinett unter nationalsozialistischer Führung und unter Beteili­gung der Deutschnationalen , vielleicht auch der Deut­fchen Boltspartei, gebildet werde, das mit einer Regierungs­erklärung vor den Reichstag trete und diesen dann auflöse.

Die Einberufung des Reichstags würde dann allerdings so verzögert werden müssen, daß die Neuwahlen, die nach Artikel 23 der Reichsverfaffung spätestens am 60. Tage nach der Auflösung ftattzufinden haben, erst nach der Ernte, also mitte

September, vorgenommen werden könnten. Nach Abjah 2 des Artikels 23 müßte der neue Reichstag dann zum erstenmal spätestens

am 30. Tage nach der Wahl zusammentreten.

Ein europäisches Unglück...

London , 31. Mai.

Der Rücktritt Brünings steht im Mittelpunkt der Lon­Brünings im Reichstag habe gezeigt, daß er nicht mehr Herr der doner Pressebetrachtungen. Die Times" schreibt, schon die Rede Lage gewesen sei. Seine Aeußerung, daß man sich keine Umstände vorstellen tönne, von denen die Wiederaufnahme der Reparations­zahlungen abhänge, habe im Gegensatz zur Auffassung der Baseler Sachverständigen gestanden und einer Ansicht Ausdruck gegeben, die eine Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland un­möglich gemacht habe. Eine einseitige Ablehnung der früher eingegangenen Verpflichtungen stelle keine Regelung dar und fördere fie auch nicht. Und dennoch seien zu dieser Politik diejenigen jetzt verpflichtet, die den Rücktritt Brünings erzwungen hätten. Es lehnende und rein verneinende Bolitit die politische würde ein europäisches Unglüd sein, wenn diese ab= Richtlinie für Deutschland werden würde.

Ereignisse in Deutschland ein Grund für die Bertagung der Lau­,, Daily Herald" äußert starke Befürchtungen, daß durch die fanner Konferenz gefunden würde. Ganz gleich, ob eine deutsche Krise bestehe oder nicht, die Lausanner Konferenz müsse stattfinden,