Joe Strambach faniert die Well
Groteske/ Von Kurt Schmeltzer
In der Zeit der Weltwirtschaftskrise ereignete es sich, daß in dem schönen und großen Lande Patria Präsidentenwahl stattfinden mußte. Allen Propagandamaßnahmen der Parteien zum Trotz wat endlich einmal Voltes Stimme Gottes Stimme: es wurde nämlich bei hundertprozentiger Wahlbeteiligung des Volkes der Patrioten, wie sie sich nannten, einstimmig der Weltmeister im Schwergewichtsbogen Joe Strambach zum Präsidenten gewählt.
Alle anderen Völker der Erde, von den Estimos bis zu den Kapländern, schüttelten die Köpfe so heftig zu dem Ergebnis, daß der Erdball ein wenig ins Schwanken tam, jedoch Joe Strambach ließ sich nicht einen Augenblick aus der Fassung bringen, wie er das aus seinem Beruf gewohnt war, sondern brach sofort mit halb stündigem Denken den Weltrekord im Denken von Schwergewichtlern und produzierte folgenden Erlaß:
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,, Vom Tage meines Regierungsantritts an bestimme ich, daß nicht nur Boren und Angeln, Radfahren und Briefmarkensammeln Sport sein soll, sondern jegliche Beschäftigung jedes Men schen ist Sport: Gerichtsaftenschreiben wie Straßenbahnfahren, Zahnziehen wie Hemdenwaschen, Schuhebesohlen wie Asphalt stampfen, auch Küssen und Trinken
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es soll feinerlei Tätigkeit im Lande Patria mehr geben, die nicht auf Rekord gestellt ist. Jeder Patriot muß in einem Sport Profi sein und kann sich, in so vielen anderen er will, als Amateur betätigen. Wettbewerbe mit hohen Preisen für die Gewinner hat das Ministerium des Innern anzusetzen.
gez. Joe Strambach,
Weltmeister im Schwergewichtsbogen und Reichspräsident. Eine Welle der Begeisterung flutete durch das ganze Land, und noch am selben Abend begann ein Training im Alkoholkonsum, daß die Wirte und Brauereien am nächsten Tage Joe Strambach eine Huldigungs- und Dankesadresse übermittelten.
Nach wenigen Wochen war von der Wirtschaftskrise im Lande Patria nichts mehr zu verspüren. Zunächst hatten sämtliche arbeitslosen Zeichner zu tun gehabt mit Entwerfen von Abzeichen und Fahnen für die unzähligen neuen Sportvereinigungen; und nach ihnen die Abzeichen- und Fahnenfabrikanten. Aber das war wirklich nur erst der Beginn. Die Kaufsportler und besonders die Kaufsportlerinnen setzten mit ihrem Training ein, daß die Verkaufssportler faum Schritt halten konnten. Der Sport des Schulden bezahlens fand derart Anklang, daß es diesem schönen Sport bald an Möglichkeiten gefehlt haben würde, wenn nicht der Sport des Schuldenmachens ihm die Waage gehalten hätte.
Es würde zu weit führen, auch nur annähernd alle Möglich feiten aufzuführen, die sich aus dem fegensreichen Erlaß Joe Strambachs ergaben; soviel sei nur gesagt: als nach halbjährigem Training die ersten Meisterschaften ausgetragen wurden, setzte bei diesen Veranstaltungen ein derartiger Zustrom des Publikums ein, daß die Regierung, die diese Wettkämpfe inszenierte, zwei Wochen später sämtliche Steuern aufheben konnte, denn die Einnahmen aus diesen, ich darf wohl sagen, Volksfesten, wogen reichlich alles auf, was vorher durch Steuern erpreßt werden mußte, und-moralisch michtig! es wurde gern bezahlt, denn es gab niemand, der nicht felsenfest überzeugt war: er hatte etwas für sein Geld bekommen. Als gar das erste große Sechstagetrinken abgehalten wurde, schwammen sozusagen alle Patrioten in Seligkeit und Bier. Trintmeister wurde übrigens der Schriftsteller Gerhart Herrmann Starmos, der ohne Aufsehen in einem weltentlegenen Dörfchen, in dem er zurückgezogen lebte, still und leise vor sich hin trainiert hatte. Nur seinen nächsten Freunden waren seine Fähigkeiten bekannt, die Welt war überrascht; aber sein schriftstellerischer Ruhm war von diesem Tage an besiegelt.
Im Reichstag und im Landtag wurden fünftighin Arenen aufgebaut. Die langwierigen Reden fielen weg, die Antragsteller verteidigten in der Folge ihre Meinung im Bor- oder Ringkampf. Nach darauf folgendem shake hand trennte man sich im besten Ein-|
Erna Büsing:
vernehmen. Die Ersparnisse an Tintenfässern und Stuhlbeinen waren enorm. Bald mußten alle Landtags- und Reichstagsfizungen im Sportpalast abgehalten werden, denn der Zustrom des Publikums war trog ziemlich hoher Eintrittspreise ungeheuer, und die Kassen der Regierung füllten sich so beängstigend, daß die ausgesetzten Preise für alle sportlichen Wettbewerbe verdoppelt und verdreifacht werden konnten, was wiederum seinen Anreiz auf die sportliebenden Patrioten nicht verfehlte.
Scheinbare Mißstände regulierten sich bald von selbst. So verursachten der Kinobesuchs- und der Sportveranstaltungsbefuchssport bald eine derartige Ueberfüllung der Irrenhäuser, daß Joe Strambach einen Augenblick ratlos war. Aber logischerweise tamen die Verrückten von selber darauf, den Irrensport zu erfinden: der Verrückteste bekam den Preis, und dieser Sport wurde begreiflicherweise der populärste im ganzen Land.
Aber auch der Quasselsport, wie volkstümlich die sportliche Betätigung der Schauspieler und Rechtsanwälte und anderer sinnverwandter Berufe bezeichnet wurde, erfreute sich der größten Beliebtheit, freilich mehr der Teilnehmer als der Zuhörer. Aber das machte Prächtige Kombinationen ergaben sich aus dem Lesesport in Verbindung mit anderen Sportarten: Radiohören mit Geschwindig
nichts.
teitslefen beispielsweise wurde vielen unentbehrlich, und ein goldenes Zeitalter brach für die Schriftsteller an, die ihrerseits heftig an Schmierfähigkeit um die Paline rangen und Wallace und die Courths Mahler bald in den Schatten stellen konnten.
Die früheren Offiziere und abgedankten Fürsten huldigten dem Kanonensport. Jeder kriegte eine Kanone für sich und alle zusammen ein weites Gelände, wo sie tagtäglich um die Wette bullerten. Da denen bekanntlich am Geld nicht viel liegt, wurden Orden und Ehrenzeichen als Preise ausgesetzt, die sie sich unter feierlichen Zeremonien gegenseitig auf die Brust hefteten, und, als die Brüste nicht mehr ausreichten, auf Schultern, Rücken und anderen Stellen anbrachten.
Joe Strambach war der gefeiertste Mann auf der Welt. Daran war er von früher her gewöhnt, aber jetzt begannen sämtliche anderen Völker, die früher die Köpfe geschüttelt hatten, ihn als einen der ihren zu requirieren. Die Vereinigten Staaten schlossen aus seinem Vornamen auf amerikanische Stammeszugehörigkeit, die Deutschen versicherten glaubhaft, Strambach sei ein urdeutscher Name, der alte weitbekannte Fluch ,, Gottstrambach!" beweise das. Andere Völker kamen mit anderen mehr oder minder stichhaltigen Argumenten, aber die Patrioten lachten nur dazu, und Joe Strambach blieb Präsident im Lande Patria.
Klugerweise hatte er längst seine Idee in allen Kulturländern patentamtlich schützen lassen und gestattete ihren Gebrauch nur gegen hohe Lizenzgebühren. Das brachte einen neuen Goldstrom ins Land, denn die anderen Völker beeilten sich, seine Regierungsmethode auch bei sich einzuführen. Danach wurden die neu erfundenen Sportarten international die Weltwirtschaftskrise schwand im Handumdrehen, und in unbedeutender Variierung des bekannten Dichterwortes konnte am Joe- Strambach- Wesen endlich doch die Welt genesen...
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Die Schlafwandler
Ein Briefwechsel
Lieber Freund! Wie fonnten Sie mir dieses krause Werk*) empfehlen? Ich finde keine Brücke von unserer sozialistischen Weltanschauung zur Mystik Broch s. Gewiß, dieser Mystiker weiß alle Mittel darstellender Realistik zu handhaben. Seine Milieu- und Wirklichkeitsschilderungen sind ausgesprochen gut, jeder seiner Bände atmet das Wesen der Zeitepoche, in der er sich abspielt. Trotzdem vermag ich mir über die innersten Absichten des Autors nicht flar zu werden. Er will vermutlich den Zusammenbruch der bürgerlichen Kultur, der Kultur des 19. Jahrhunderts an drei Wendepunkten flarmachen. Aber die wirtschaftlichen, technischen und sozialen Abläufe merden von Broch kaum angedeutet. Das Schwergewicht seiner Kunst legt Broch auf- ich möchte es so nennen ,, feelische Querschnitte", und mündet damit schließlich im Unfaßbaren, Unbeweisbaren, im Mystischen .
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Die schlichten Handlungen der drei Romanbände sind kaum mehr als Borwände: v. Basenom, der Held des ersten Romans, ist der altpreußische Offizier, nicht etwa im Simpliziffimus- Stil farifiert, sondern dargestellt mit den Vorzügen und Begrenztheiten seiner Kaste: vornehm, zum religiösen Grübeln neigend, aber dann aus der Sicherheit der Traditionen und der Uniform herausgeworfen durch das Liebeserlebnis mit einem Mädchen der Halbwelt. Schließlich aber landet Basenom doch in der Ehe mit einer durchaus sympathischen Standesgenoffin. Dieser Ehe fehlt nur eins: die Liebe, das Wissen um mystische Verbundenheit, das den Offizier an das Mädchen der Halbwelt fettete.( Fontanes ,, Irrungen und Wir rungen" fielen mir ein.)
Nach diesem Kabinettstück aus dem Dreikaiserjahr bringt der zweite Band fleinbürgerliches Milieu: Der Buchhalter Esch wird plötzlich an der Gerechtigkeit der Welt irre, er beginnt allen über
*) Hermann Broch : Die Schlafmanbler. Eine Romantrilogie. Erster Roman: 1888 Pajenom oder die Romantik. Zweiter Roman: 1903 Esch oder die Anarchie. Dritter Roman: 1918 Huguenau oder die Sachlichkeit. Rhein- Verlag, Zürich .
50 Tauben wollen Fuller
In der autodurchrasten Potsdamer Straße fällt er auf, dieser Handwagen, auf dem ein eigenartiges Rastenhochhaus thront. Der Mann, der den Wagen zieht, hält behutsam an. Er öffnet fleine Türen und vier Tauben verlassen mit gravitätischen Schritten ihren Berwahrungsort. Sie stellen sich auf die geöffneten Klappen, die zu Laufbrettern geworden sind. Zwei zu zwei nehmen sie in die Schnäbel leichte, dünne Fädchen, an denen zerbrechlich zierliche Transparente schwanken. Auf dem einen steht ,, 50 Tauben wollen Futter" und auf dem anderen ,, Wir sind engagementslose Artisten".
Dann wird Klappe auf Klappe geöffnet und eine schneeige Weiße quillt hervor. 50 Tauben treten zur Vorstellung an.
Sie erklettern Leitern, sie fliegen durch sich schnell drehende Reifen, fie trippeln in tomischen Tanzschritten.
Ihr Besizer stand vor dem Nichts. In den vielen schlaflosen Nächten dachte er mehr als einmal beruhigt an seinen Revolver, durch den er Schluß machen konnte mit diesen elenden, zermürbenden Sorgen. Der ihm Ruhe geben konnte, Ruhe für immer und den tiefen Schlaf, aus dem es kein erschrecktes Erwachen gibt. Einen Schlaf, dessen Abschluß nicht die bange Frage bildet, ob die Wirtin heute wohl noch das Frühstück borgt?
Und dann dachte er an die Tauben, die ihn, dem Menschen, als Futterquelle betrachteten, aus einer Gewöhnung heraus, die inniges Vertrauen und anschmiegsame Zutraulichkeit wurde. Er war erfüllt von dem Gedanken, daß er sich ihm ohne weiteres zu geschriebenen Worten formte.
Er borgte sich einen Handwagen und dann ging er auf die Wanderschaft durch die Millionenstadt Berlin . Er, der bekannte Artist, nahm das Gewerbe wieder auf in der Art, wie es die Vorfahren der jetzigen fahrenden Leute betrieben. Er spielte unter freiem Himmel.
Die Menschen kommen aus den Hinterhäusern. Sie umstehen das elende Gefährt. Diese Menschen kennen jenes Gefühl, das be: rufen ist, den Menschen über das Tier zu erheben, sie kennen das Mitleid. Sie kennen dieses sorgende Erbarmen, geboren aus gleicher, bitterer Not. Ihr Herz schlägt für die Tiere. Die Menschen könnten einander helfen, wenn sie es ernstlich wollten. Wenn die Armen, wenn die Gequälten sich zusammenschlössen und wie eine Mauer ständen, wenn keiner flau machte, um die Weltenwende zu erzwingen. Aber die Tiere, die sind nicht nur dem Menschen, die sind auch seiner Not so hilflos preisgegeben.
vierten Stockwerk.
Der Mann wirft eine Taube in die Luft. Sie flattert bis zum Er schreit ,, Adolf, tomm' runter. Deine Frau erwartet dich". Brav kommt der Angerufene und Adolf und seine Frau Amanda schnäbeln sich.
Eine Sammelbüchse geht herum. Eine kleiner Junge trägt sie bescheiden. Der Mann wählte keinen Teller, der wirkt verlegend, sieht dann doch der eine, was der andere gibt und die Pfennige spielen heute eine zu mörderische Rolle.
Die Menschen geben ohne Aufforderung. Der Schlig einer Sammelbüchse verrät nicht den Wert der Münze, die in ihn gesteckt wird. Sie wollen ja nicht so arm sein, daß sie nichts mehr schenken fönnen. Nichts geben können wird zur Troftlosigkeit, die Herz und Gemüt verdorren läßt. Unter diesem von der Wirtschaftsnot Aus gepreßtsein leiden am meisten die Frauen.
Die Unverzagten geben aus einem anderen Grund. Sie wollen helfen, um selbst das wohlige und frohgemut machende Gefühl der Macht zu haben.
Ein Schupo wartet, bis sich feine Hand mehr nach der Sammelbüchse streckt. Dann sagt er:„ Es ist genug. Mann, gehen Sie bitte weiter." Und wie zu seiner Entschuldigung fügt er hinzu:., Die Wache ist hier so nahe."
,, Nicht weit von hier ist der Winterfeldplay. Da ist' ne Masse Platz auf dem Plaz selbst", läßt sich eine Stimme aus dem Menschenwall vernehmen.
Der Mann rüstet zur Abfahrt: die weiße Schönheit wird wieder verpackt.
Der Mann ging nicht auf die Höfe. Er wußte, dort ist in jeder Wohnung die Not zu Hause, und wenn die Menschen dir Münzen zuwerfen, dann geben sie übertriebene Almosen; denn sie nehmen den halben Groschen von der Miete oder von den 50 Pfennigen, die fürs Brot zurückgelegt sind. Darum sagte er auch nicht, 50 Tauben haben Hunger. Er wußte, in Hungerfrämpfen schreien Die Abgebauten und die Frauen, die einholen wollten und sich in der ganzen Welt die Arbeitenwollenden. Im Kampfe mit dem aufhielten, sehen den Tieren sehnsüchtig nach. Sie waren für sie Hunger vergeuden viele Mütter ihre Nervenfräfte, sei es in einem ein Gruß aus einer Zeit, in der man noch Geld für etwas Schönheit Industrieland, in dem die Fabrikschornsteine nicht mehr rauchen, sei und Entspannung hatte. Einen Augenblick haben sie Abwechslung es in einem Agrarland, wo man den Segen der Felder nicht ver- genossen. Aber sie haben nicht jenseits von Arbeit und Sorge die faufen fann, obwohl man ihn unbedingt verkaufen muß, wenn Schönheit gesehen. Sie empfanden nicht die Schönheit, die verzückt man sein Leben fristen will. Er sagt: 50 Tauben wollen Futter. und selig macht. Sie sind derart eingesperrt in die Sorgen des Darin liegt die Verpflichtung für ihn, als Besizer, darin liegt die| Tages, daß sie in der weißen, stäubenden Wolfe voller Schönheit Bekundung, daß er entschlossen ist, den Betrieb aufrechtzuerhalten. doch nur die zur Schau geftelite Not sahen.
lieferten Lehren und Wertungen, mögen sie von rechts oder links kommen, zu mißtrauen und möchte ganz aus sich heraus, d. h. aus fleinbürgerlicher Verschrobenheit und Mystik eine neue Gerechtigkeit zimmern. Hier komme ich nicht mit. Ich gebe zu, daß in den Gedankengängen dieses Esch sich viel Unbewußtes und Unterbewußtes auftut, aber sein reales Handeln wirft grotest. Esch empört sich 3. B. mit Recht, als sein Freund Martin, Führer streikender Hafenarbeiter, wegen der Exzesse anderer ungerecht drei Monate Gefängnis abbekommt. Aber wie will Esch Gerechtigkeit herstellen? Indem er den Präsidenten der bestreiften Schiffahrts= gesellschaft megen Homosexualität dem Gerichte anzeigt. Das iſt unmöglich! Es wird mir auch dadurch nicht geholfen, daß dieser Vorgang in Eschs Gehirn symbolische Bedeutung gewinnt und von Esch weder real aufgefaßt noch real ausgeführt wird, sondern daß sich diese Sühnetat in schlafwandelnder Dämmerung abspielt. Der dritte Band ,, Die Sachlichkeit" behandelt dann den streng zweckmäßig handelnden Menschen unserer Epoche, der Unmoral auf Unmoral, Verbrechen auf Verbrechen häuft, sich dessen aber nicht bemußt wird, weil er ja zweckmäßig, nach seiner brenzten Anschauung also richtig handelt. In diesem Band hat Broch alle Formen zerbrochen: nicht weniger als vier oder fünf Romane ranken durcheinander, die Mystik, zum Teil in Versform, zum Teil in rein philosophischen Abhandlungen eingestreut, überwuchert die Wirklichfeit, die nur noch als Dornröschenschloß aus diesem Gerant herausschaut.
Ich halte diese schlafwandelnde Konfusion für ein gefährliches Betäubungsmittel, das unsere Kräfte lähmt, anstatt sie anzuspornen.
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Ihre
Charlotte.
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Liebe Freundin! Wäre der Sozialismus eine Kirche, an Dogmen gefesselt, so müßte dieser Hermann Broch allerdings glatt verboten werden. Ich glaube auch nicht, daß man in Rußland dieses Buch gestatten wird. Auch im„ Dritten Reich" dürfte die Romantrilogie schon wegen der souveränen Verachtung, mit der Broch sich über den Krieg erhebt siehe dritter Band wohl faum zum Verschleiß zugelassen werden. Wir aber sind nun einmal keine Kirche, sondern eine Gemeinschaft strebender Menschen. Deshalb werden wir uns auch mit dieser Form der Dichtung auseinandersetzen müssen, und das wird wertvoller sein, als die sture Ablehnung des Angebots, einmal die Welt mit anderen Augen als den unseren zu sehen.
Ich lasse mich sogar durch die Etikettierung Brochs als ,, Mystiker" nicht abschrecken. Mir scheint es immerhin wesentlich für den Mann zu sein, daß er bis in seine reifen Jahre Leiter sehr realer wirtschaftlicher Unternehmungen war und erst als Vierziger dichterisch zu schaffen begann. Ich sehe in seiner Dentart eine Art Metapsychologie, eine psychologische Tiefenforschung. Wir handhaben alltäglich unsere parallelen, scheinbar kausalen Gedankenfetten. Aber unvermittelt zeigt uns Broch die Querverbindungen, die das Unterbewußtsein zwischen scheinbar ganz verschiedenartige Dinge, zwischen Menschen und Sachen schlägt. Was wir Don Freud her als Traumerlebnis kennen, z. B. die Ersegung einer Person durch die andere, die beide in unserem Unterbewußtsein unter einem höheren Sammelbegriff stehen, das wird hier Romanmirflichfeit.
Wie ist es denn mit unserer Seelenkenntnis? Was wissen wir von unseren Tiefen? Wir bilden uns ein, die Weltkugel zu kennen, und können doch höchstenfalls nur ihre Oberfläche aufzeichnen. Aber entwerfen Sie einmal einen Globus der Erde in zehn oder hundert Meilen Tiefe! Und doch scheint mir, daß wir über die Tiefen unserer Erdkugel relativ besser Bescheid wissen, als über die Tiefen der Seele. Nicht nur Forschung, auch seherisches Erlebnis führt in diese. Freud hättte uns sicherlich fein neues Gebiet erschlossen, wenn er nur ein trockener Wissenschaftler wäre.
Ich fordere Sie nicht etwa auf, an die platten Albernheiten des Horoskops zu glauben oder auf die Betrügereien eines geschäftstüchtigen Spiritismus hereinzufallen. Ich fordere Sie aber auf, aus dem Sehen eines Dichters ein Stüd Seelenfenntnis zu empfangen. Keine Menschenführung fann der Kenntnis der Menschenseele entraten, feine geistige Leistung von wirklichem Belang steht außer jeder Beziehung zu unserer universalen, sozialistischen Weltanschauung!
Ihr
Arabische Sprichwörter
Frage nicht nach dem Menschen, sondern nach seinen Weggenossen; denn jeder gleicht sich seinen Kameraden an.
*
Der Mensch ist unter den Falten seiner Zunge verborgen und nicht unter den Falten seiner schönen Kleider.
*
Die Vögel gesellen sich zu ihresgleichen.