Morgenausgabe
Nr. 261
A 132
49. Jahrgang
Böchentlich 75 Bt., monatlich) 3,25 M. ( davon 87 Pf. monatlich für Zustel lung ins Haus) im voraus zahlbar. Postbezug 3,97 M. einschließlich 60 Pf. Bestzeitungs- und 72 Pf. Postbestellge ühren. Auslandsabonnement 5,65 pro Monat; für Länder mit ermäßige tem Druckfachenporto 4.65 M
Der Vorwärts" erscheint wochentäg. lich zweimal, Gonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend". Jllustrierte Sonntagsbeilage Bolk und Zeit"
Sonntag
5. Juni 1932
Groß- Berlin 15 Pf.
Auswärts 20 Pf.
Die etnipalt. Millimeterzeile 30 B1. Reklamezeile 2.-M. Kleine An zeigen" bas fettgedruckte Wort 20 Bf. ( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 10 Bf. Rabatt It. Tarif. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Millimeter. zeile 25 Pf. Familienanzeigen Milli. meterzeile 16 Pf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr Der Verlag behält sich das Recht der Ab. lehnung nicht genehmer Anzeigen vorl
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Vorwärts- Verlag G. m. b. H.
Fernspr.: Dönhoff( A 7) 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Postschedkonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3. Dt. B. u. Disc.- Ges., Depofitent., Jerusalemer Str. 65/66.
Die Redaktion hat den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Otto Wels , den Vorsitzenden des den Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes , Theodor Leipart , den Reichstagspräsidenten Paul Löbe und den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, Rudolf Breitscheid , gebeten, ihre Meinung über die Erklärung der Regierung Papen den Lesern des Vorwärts" darzulegen. Sie tun es in den folgenden, in Protest und Kampfbereitschaft übereinstimmenden Ausführungen.
Diese Regierungserklärung ist zwar kein Programm, sondern mehr ein Sammelsurium von Stammtischschlag worten, die sich selbst ein drittklassiger nationalsozialiſtiſcher Disfuffionsredner in einer Dorfversammlung genieren würde, zu produzieren. Immerhin genügen diese Schlagworte, um flar zu zeigen,
weffen Geistes Kinder die neuen Herren sind: es ist der übelste Geist
der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Reaktion, der aus ihnen spricht. Man mißbraucht den Begriff der Nation und den Begriff Gott , um die Junterherrschaft wieder aufzurichten.
Diese Regierung vertritt die Anschauung einiger tausend Adelsfamilien von Großgrundbesihern, föniglich- preußischen Offizieren und Beamten a. D. und Großzindustriellen sonst wagt niemand, sich offen zu ihr zu bekennen.
-
Aber diese Regierung war nur möglich durch den Aufstieg der Hitler- Bewegung. Hätte sich das Herrenklub- Kabinett dem Reichstag vorzustellen gewagt, dann würden Hakenkreuzler, Hugenberger und Dingeldener ihr
„ Die Hand, die ein Staatsmann den Franzosen entgegenstrect,| Klaffenkampf, der Zersehung durch das marxistische Denken, von der wirkt födlich für Deutschland wirkt tödlich für Deutschland " Herr von Papen streckt allen Nafionen die Hand zum friedlichen Zusammenwirken entgegen und läßt sich seine besonders guten Beziehungen zu Frankreich von einer ergebenen Presse bescheinigen unter freundlicher Toleranz von Hugenberg und Hitler!
-
Fast zuviel Siege des Hakenkreuzes auf den ersten Hiebkein Wunder, daß Herr von Schleicher sich mit Hittlers Angesicht begnügt und die 107 im Reichstag, die Straßer, Goebbels , Reventlow, nicht mehr zu sehen wünscht, daß er den Reichstag brüsk verabschiedet, ohne auch nur den Versuch der Erwerbung von Vertrauen gewagt zu haben!
lange die Wähler ihr dazu die Macht gegeben. Diese Macht nahm Die Sozialdemokratie hat diese Entwicklung aufgehalten, so in dem Grade ab, als verwirrte Köpfe den Traum des Dritten Reiches träumten und das Hakenkreuz an ihre Heldenbrust hefteten. Die Arbeitslosen, die Invaliden, die Kriegstreiber, aber auch die noch in Arbeit Befindlichen, die Angestellten und Beamten und mit
ihnen Mittelstand und Bauern, werden jetzt die Früchte dieses Sieges ernten.
-
aus einem bösen Traum!
Die Erklärung der neuen Reichsregierung ist geeignet, in den Massen der arbeitenden Bevölkerung, insbesondere der gewerkschaftlich organisierten, die aller stärkste Beunruhigung hervorzurufen.
Unternehmerkreise nur allzu gut bekannt ist, die aber im offenIn einer Sprache, die uns aus Kundgebungen sozialreaktionärer
Notwendigkeit des Aufbaus auf christlicher Weltanschauung verbrämt werden, beweist, daß die neuen Herren den Wunsch haben. dem Hitlertum, dessen Vertreter sie nicht ins kabinett genommen haben, wenigstens durch die Uebernahme seines Phrasenschatzes ihre Reverenz zu erweisen. Daß sie vom Margismus ebenfowenig verstehen wie von wahrhaft christlicher Gesinnung, braucht nicht besonders befont zu werden.
Was schließlich zur auswärtigen Politif gejagt wird, ist so wenig originell, daß um dieses Programmpunktes willen Brüning wahrhaftig nicht hätte gestürzt zu werden brauchen.
Und nun sollen wir die Taten der Regierung abwarten. Wir zu können. Das Kabinett Schleicher- Papen ist der Versuch, das find nicht so geduldig und glauben uns schon heute ein Urteil bilden System Primo de Rivera ins Deutsche zu übersehen. In Spanien ist das Regime einer geistlosen Diktatur kläglich zusammengebrochen. Daß es in Deutschland nicht andauern kann dafür wird die Arbeiterklasse sorgen.
-
Gegen die Schande!
Ein Kampf des Volkes um Ehre und Brot. Von Friedrich Stampfer .
Die Erklärung der Regierung Schleicher- Papen ist klar und fordert eine flare Antwort. Was gibt diesen bekannt sind und die allesamt ihren Beruf zum Staatsmann Herren, deren Verdienste um Staat und Volk ziemlich un
haben. Aber sie hat das Parlament aufgelöft, nicht nur, weil fie fundigen Gegenfah fteht nicht nur zu allen früheren Regierungs- erst zu beweisen haben, das Recht, über Regierungen, Re
ihrer Niederlage im voraus sicher war, sondern offenbar auch, weil fie einer öffentlichen Aussprache geistig nicht gewachsen war. So viel ist klar: eine kleine Schicht von feudalen Monarchisten, auf Schleichwegen mit Unterftüßung der Hitler - Bewegung an die Macht in der Republik gelangt, hat den Volksmassen den schärfften klaffentampf von oben angefagt. 3hr Bernichtungsfeldzug gegen den„ Wohlfahrtsstaat" wird dabei nicht halt machen vor den Arbeitslosenunterstützungen und Sozialrenten, die auch die Mitläufer des Nationalsozialismus beziehen. Da wird fein Unterschied gemacht werden zwischen Margiffen“ und„ Antimargiffen". Gleiches Elend für alle mit Ausnahme der Herrenschicht das ist die wahre Parole dieser Clique! Diese Parole muß und wird den Millionen von proletarischen und kleinbürgerlichen Nachläufern des Hitlerismus die Augen öffnen.
-
Das Adelskabinett verlangt„ innerpolitische Klarheit". Es foll fie haben. Das werttätige Bolt nimmt den kampf auf!
„ Nieder mit der Regierung Brüning , los von den Notverordnungen, weg mit dem System des Parlamentarismus freie Bahn uns Tüchtigen!". Mit diesem Feldgeschrei zog die Nationalsozia listische Deutsche Arbeiterpartei in die Arena. Mit Jubelgefängen und Triumphgefchrei quifitert sie ihren ersten Erfolg- Brüning ist gestürzt, das Parlament ist aufgelöst, die SA. foll frei werden Die Vereinbarungen mit Herrn Hitler helfen der ersten Regierung in den Sattel, die von den Nationalsozialisten toleriert wird: Herr von Papen, Freiherr von Neurath , Freiherr von Gayl, Freiherr von Braun, Graf Schwerin von Krosigk . Herr Eltz von Rübenach , General von Schleicher und zwei Herren der Bourgeoisie!
-
die neuen Männer sind da.
Als Arbeiterpartei zogen sie aus, den Freiherren halsen sie auf den Thron, mit dem Wort„ Sozialismus" schmückten sie ihr Firmenschild, den kapitalisten öffneten sie das Tor. Herr Straßer verkündet die sozialistische Gesinnung von 95 Prozent des deutschen Bolles, feine Partei half den 5 Prozent Grundbesikern, Kapitalsintereffenten und Offizieren in die Macht!
"
-
bekannten kaiserlichen Botschaften über die Sozialpolifit, Staatssozialismus und von jener Auffassung, die den Staat als eine predigt die neue Regierungserklärung die Abkehr vom fogenannten Art Wohlfahrtsanstalt betrachte.
Dazu ist zunächst zu sagen, 1. daß die von der neuen Regierung bekämpfte Auffassung in der Reichsverfaffung verantert ist und 2., daß es in den Ländern, in denen eine andere Auffassung herrscht, für das Elend und die knechtschaft der arbeitenden Menschen überhaupt keine Grenzen gibt.
Die Regierungserklärung läßt erkennen, daß dem deutschen Volke kämpfe von außerordentlicher Schwere bevorstehen. In diesen kämpfen muß das arbeitende Bolf einig sein. Der Plah der gewerkschaftlich Organisierten ist dort, wo die Fahnen der Demokratie und des Sozialismus wehen!
-
Das Kabinett Papen gibt sein Programm durch Presse und Rundfunk bekannt. Es dem Reichstag vorzutragen, hat ihm der Mut gefehlt und das läßt sich angesichts des Inhalts der Erklärung begreifen. Der Reichskanzler würde schon gleich mit seinen ersten Säßen, in denen er von der Zusammenfaffung aller aufbauwilligen und staatserhaltenden Kräfte spricht, ein hohngelächter hervorgerufen haben und der Frage nicht entgangen fein, ob sich diese Aufbauwilligkeit auf die Barone des Berliner Herrenklubs beschränkt.
Das Kabinett Papen will, so versichert es, den Kampf um die Erhaltung der Lebensgrundlagen des Boltes, insbesondere auch der werftätigen Bevölkerung, unverzüglich aufnehmen. Das ist schön von dem Kabinett Papen , aber noch schöner wäre es, wenn man uns etwas darüber sagte, wie man sich diesen Kampf vorstellt. Das Schweigen über diesen immerhin nicht ganz unwichtigen Teil des Programms versucht man mit der heroisch anmutenden Erklärung zu rechtfertigen, daß die Regierung feine Versprechungen machen wolle. Dahinter kann sich sowohl 3de enlosigkeit verbergen wie auch die Abneigung gegen ein allzu frühzeitiges Auf
decken der Karten.
Auf jeden Fall ist das Schweigen mißlich, denn eine offene Enthüllung der wahren Absichten des Adelsklubs könnte recht ungünstig selbst auf einen Teil derjenigen Wähler wirken, mit dem er einstweilen rechnen zu dürfen glaubt.
Herr von Papen, seine Freiherren, seine Grafen, seine Generäle kündigen den zweiten Sieg des Hakenkreuzes an: Weg mit dem „ Staatssozialismus ", weg mit dem Wohlfahrtssta a t", nieder mit dem„ Klassenkampf"( von unten), an feine Stelle tritt der Klassenkampf der Herren von oben. Immerhin: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, Weg mit der Politik der Notverordnungen Herr Goebbels und deshalb erfahren wir aus dem Programm, daß die Regierung hat es hundertmal durch den Sportpalast geschrien! Die alten Not- Schleicher- Papen sich den Wiederaufbau durchaus im Sinne des verordnungen bleiben, fie merden von Herrn Hitler tole- arbeiterfeindlichen kapitalismus denkt. Gegen riert, die neuen Notverordnungen kommen, sie werden von Staatsfozialismus“ und„ Wohlfahrtsstaat" wird zu Felde gezogen Herrn Hitler toleriert verschwinden wird nur die Notverordnung gegen die Großgrundbesitzer aus Ostelbien. 5 gegen 95 Prozent!
-
97
und es ist deutlich genug, daß der Angriff sich gegen die Sozialpolitik und insbesondere gegen die Sozialversicherung richtet. Daß diese reaktionären Pläne mit Redensarten wie der von dem unjeligen
gierungssysteme, Weltanschauungen und Parteien, mit so an= kann sich den Unfehlbarkeitston, auf den das ganze Schriftmaßender Ueberheblich feit zu urteilen? Man stück gestimmt ist, nur aus der Ideenwelt seiner Urheber erflären, die sich nun einmal für g'e borene Führer halten, weil die Wiege, in der sie lagen, mit einer Freiherrnkrone geschmückt war. Sie möchten auch in dieser Beziehung die alte Zeit wieder herstellen, sie werden sich aber davon über zeugen müssen, daß in der neuen Zeit an die Verstan= deskräfte der Regierenden viel größere Ansprüche gestellt sind. Von diesen notwendigen Verstandeskräften läßt ihre Erklärung leider nichts erkennen.
-
Wie könnte sonst mit den Worten der Erklärung selbst zu sprechender gemeinschaftsfeindliche" Verfuch unternommen werden, das Volk willkürlich in zwei Teile zu scheiden, von denen der eine ,, national" ist, der andere nicht? Die Männer, die im Schützengraben lagen, als der jezige Herr Reichskanzler in New York außenpolitisch tätig war, haben ein Recht, sich alle Belehrungen über das, was national ist, zu verbitten. Sie dürfen daran erinnern, daß der kaiserliche Reichskanzler von Bethmann Hollweg in wiederholten Reichstagsreden während des Krieges derartige Unterscheidungen für die Zukunft als moralisch völlig unmöglich abgelehnt hat. Aber mußte sich nicht auch dieser kaiserliche Kanzler gegen eine Heze zur Wehr setzen, die ihm die echte Nationalgesinnung absprach?
M
Es soll nicht näher untersucht werden, ob bei den Krisenvorgängen der letzten Woche eine schöne Charaktereigenschaft, die man dem deutschen Volke zuspricht, die deutsch e Treue, die ausschlaggebende Kraft gewesen ist, darüber fönnte Herr Groener sich kundiger äußern. Wir fühlen uns auch nicht berufen, in den Streit der Weltanschauungen einzutreten, soweit er nicht unsere eigene betrifft, wir wollen daher nur interessierte Zuschauer sein, wenn die neue Reichsregierung mit Alfred Rosenberg , Heines und Schulz gegen Kaas, Brüning und Josef Wirth ,, christliche Grundsäge" perwirklichen wird. Wir verstehen bloß nicht, warum die kommunistische Gottlosenpropaganda verboten worden ist, die plump und unwirksam war. Ist das nur darum geschehen, weil die neue Regierung diese Propaganda in eigene Regie nehmen und wirksamer treiben
will?
Das alles find für uns nur Nebenerscheinungen. Aber mit verbissener Energie werden wir uns dagegen wehren, daß unter Mißbrauch irgendwelcher Ideologien und Gefühls