Einzelbild herunterladen
 

So ist das Leben appl

Die Tragödie eines, der Arbeit bekam/ Von Fritz Klauske

Ein trostloser, regentriefender Himmel hing wie ein schmutziger Sad über den Dächern der verräucherten Mietkasernen und lastete mit bleigrauer Schwere auf der Stadt. Unablässig spien die Wolfen den Regen aus, den dann ein eistalter Wind durch die Straßen peitschte und wo ein kleiner Park war oder eine Laubenkolonie, da roch es nach frisch umgegrabener Erde und auf den Wegen stand das Wasser in großen Pfügen. Büsche und Bäume hatten dicke Knospen, die kleinen grünen Spigen der Schwertlilien froren und Der- ä- änz ist daaa!" irgendwo grölte ein Lautsprecher: Franz Zibell schob sich durch den Regen. Mit hochgeschlagenem Jacenkragen und beide Fäuste tief in den Taschen. Ihm fröstelte. Die Feuchtigkeit hatte längst das dünne Jackett durchzogen und die Plitschnasse Hose flebte bei jedem Schritt an den Beinen fest. Der Wind schlug ihm den Regen ins Gesicht. Er zog die Schultern noch höher und stapfte perbissen weiter. Links- rechts rechts.

links

Wie schön müßte es sein, jetzt einen warmen Mantel anzuhaben, fo einen, der den Regen abhält und unter dem die Jacke und die Hoje trocken bleiben. Aber sein Junge, der Willi, brauchte so nötig etwas Warmes zum Anziehen und da hatte seine Frau den letzten Mantel zerschnitten und für ihn zurechtgemacht. Willi durfte nicht frieren. Er hatte es an der Lunge. In der kleinen Brust pfiff und röchelte es und manchmal drohte er unter einem furchtbaren Hustenanfall zu erstiden.

-

,, Vor allen Dingen braucht das Kind gute Pflege und kräftiges Essen," hatte der Arzt gesagt, bedauernd mit dem Kopf geschüttelt und mar gegangen.

-

-

Zum Teufel ja das mußte er selber! Gutes, fräftiges Essen und vielleicht ein halbes Jahr zur Kur nach Davos oder menigstens eine sonnige Wohnung mit hellen, hohen, trodenen Zimmern und einem schönen Balkon, auf dem Willi seine Liegefur machen könnte. Dann war vielleicht Aussicht vorhanden, daß sich sein Zustand beffern könnte. Aber so?

Franz Zibell fühlte es bitter in der Kehle aufsteigen. Er spuckte aus und fürchtete sich, den grausamen Gedanken zu Ende zu denken. Stapfte weiter mit nassen Sachen.

Zwei Jahre Arbeitslosigkeit zermürben den kräftigsten Menschen. Man fühlt sich ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Schaffenden, versucht zwar anfangs mit allen erdenklichen Mitteln Beschäftigung zu finden, gibt dann aber refigniert und müde sein aussichtsloses Bemühen auf und verliert zum Schluß den Glauben an die Mensch lichkeit und das Vertrauen zu sich selbst. Man läßt sich eben treiben, bäumt sich, wie ein Tier im Todestampfe, noch einige Male gegen das Schicksal auf. und verfällt danach in noch größere Verzweif­lung, deren Schlußafford nur zu oft eine kurze Notiz in der Zeitung unter ,, Unglücksfälle und Selbstmorde" darstellt.

-

Ganz so weit war es nun mit Zibell noch nicht. Gott sei Dank hatte er sich eine fleine Portion Lebensmut in diese schweinemäßigen Verhältnisse hinübergerettet, aber mehr und mehr bröckelte davon ab. Nun kam noch dazu, daß es mit seinem Sohn seit einem halben Jahr immer schlechter wurde. Manchmal schien er ziemlich gesund zu sein doch gleich kam der immer schlimmer werdende Rückschlag und zerstörte rauh die kurze Freude. Heute morgen war der Anfall wieder besonders schwer gewesen. Mit fiebrigen roten Flecken auf den Baden lag er und rang nach Luft und ein schrecklicher Husten erschütterte den schmächtigen zehnjährigen Körper. Seine Frau saß mit geröteten Augen am Bett des Kindes und fühlte ihm die brennende Stirn.

,, Wo gehst du hin?" hatte sein Junge gefragt, als er sich die Müge auffezte, um nach dem Arbeitsnachweis zu gehen. Und er hatte ihm erzählt, daß er mun bald Arbeit befonmmen werde und dann gäbe es mittags wieder schöne Suppen und Fleisch - und er befäme einen neuen Anzug und neue Schuhe und dann würde er wieder ganz gesund werden.

-

Das Kind hatte mit blanten Augen zugehört und froh gelächelt. ,, Ja- Suppen und Fleisch einen großen Berg- ja- und dann werde ich wieder gesund. Ja."

-

-

Da hatte er sich umgedreht und war hinausgestürzt auf die Straße in den Regen. Er konnte es nicht mehr aushalten in der dumpfen Stube, konnte nicht mehr den vertrauensvollen Ausdruck der Kinderaugen ertragen, die an seinen Lippen hingen und gläubig alles hinnahmen, was er, der Vater, sagte.

Er. Stöhnte dumpf und verzweifelt in sich hinein. 3wei Jahre Arbeitslosigkeit zermürben Leib und Seele. Die Schuhe quietschten an den Füßen. Franz 3ibell stapfte durch Wind und Regen, einer von den Millionen, die nach dem Ar­beitsnachweis kommen, ihre Stempelfarte zur Kontrolle abgeben und dann schon gar nicht mehr enttäuscht wieder nach Hause gehen.

-

-

Heute geschah hier auf diesem Nachweis, der immer nach den Ausdünstungen der vielen Menschen roch, und der heute noch dazu von der stickigen Luft, die die feuchten Sachen ausströmten, erfüllt

mar, heute geschah hier ein Wunder. Wenigstens war Franz Zibell nahe daran, es für eins zu halten. Er hatte seine Karte abgegeben, der Beamte drückte den Tagesstempel auf, besah sich das Anmeldes datum und sagte dann, vergnügt mit den Augen blinzelnd: Sagen Sie mal, würden Sie gerne Arbeit annehmen? Ich habe etwas für Sie!"

Da hatte er plößlich ein unfagbares Gefühl der Leere in seinem Kopf. Die Wände, die Fenster, die Aktenregale und Registratur­fästen begannen zu kreisen und zu schwanken. Und der Beamte sah so verschwomemn undeutlich aus, er fragte verschiedenes, dessen Sinn er nicht begreifen konnte hörte wie sein Name und seine Wohnung ausgesprochen wurde. Vielleicht hatte er etwas geant­wortet. Er mußte es nicht. In seinem Gehirn hämmerte es: Arbeit! Arbeit!

-

Dann stand er wieder auf der Straße, hatte trampshaft fest in der Hand das Stückchen Papier , das ihm Arbeit und Brot versprach. Wieder und immer wieder las er sich den Schein durch, konnte es noch nicht richtig faffen, daß die furchtbare Zeit der Untätigkeit, die Zeit des Jammers vorbei sein sollte- und war dabei schon auf dem Wege zu der auf dem Schein angegebenen Arbeitsstelle, um sich vorzustellen.

Zu seiner Arbeitsstelle... Wie sich das anhörte!

-

-

1

-

-

Es hatte aufgehört zu regnen. Der Wind schob die dicken schwarz­grauen Wolkenmassen durcheinander und begann die Straßen ab= zutrocknen. Trapp trapp links rechts gingen die Schritte und der Kopf und das Herz hämmerten: Arbeit! Arbeit! Geld! Endlich! ,, Also, dann tommen Sie morgen um sieben Uhr und melden sich unten beim Portier," hatte der Betriebsleiter gesagt und ihm seine Zeugnisse wiedergegeben, in die er sich sehr eingehend vertieft hatte. Ihre Papiere behalten mir gleich hier."

Als er nach Hause ging, tam ihm das große Glück erst recht zum Bewußtsein. Er malte sich aus, wie er seine Frau am besten mit der freudigen Nachricht überraschen fönnte und wie die Augen feines franten Jungen strahlen würden. Immer länger und schneller murden seine Schritte. Ihm war, als müßten ihm alle Menschen ansehen, daß er jegt wieder arbeiten durfte.

Wie ein Schuljunge rajte Franz 3ibell die Treppen hinauf und blieb tiefatmend erst ein Weilchen stehen, ehe er auf den Knopf drückte und die Klingel kurz ihr zersprungenes klid Klid sagte. Alles blieb ruhig.

-

-

Wieder Klick Klid . Er hörte, wie seine Frau die Stubentür zumachte, und jetzt: öffnete sie langsam die Korridor­tür. Freudestrahlend trat er ein und nahm die Frau gleich auf dem dunklen Korridor in seine Arme. Du, weißt du, was uns passiert ist?" scherzte er und hielt erschreckt inne; denn seine Frau unfähig, ein Wort zu meinte hemmungslos an seiner Brust sprechen.

-

-

Verwirrt fragte er: ,, Was ist los. Du! Reine Antwort. Nur wimmerndes Weinen

--

-

-

Kind--!"

-

Sprich doch!" ,, Mein­

Bei Franz Zibell brach eine Welt zusammen. Er riß fich los und stolperte in die Stube. Da lag sein Sohn auf dem Bett -talt. Ein unschuldiges Opfer.

tot

-

-

-

Einmal brüllte Franz 3ibell auf. Dann nahm ihm eine tiefe Bewußtlosigkeit für lange Stunden alle Sorgen und Gedanken.

Kurt Doberer: Die Schiene

Wir sind der Weg

-

ich bin ein Stück davon.

Ich liege still am Schwellenholz, und menn im Taft

9913

der kolbenstampfenden Maschine das Rad dem Ziel entgegenrollt, dann fling ich leis und stolz.

Ich nehme meine Bürde

Dom Kameraden hinter mir

und geb sie dem, der vor mir steht. So trag ich eine Last dem Ziel entgegen und bleibe selbst so fern davon, Dom harten Schidjal angeschraubt am Weg, der in die Zukunft geht.

Wer spricht von uns,

Solang wir unsre Pflicht erfüllen; was wir bedeuten,

ist so wenig und so viel.

Wir sind der Weg

ich bin ein Stück davon.

Nur über uns erreicht das Rad sein Ziel.

Provinznest in Frankreich

Ein Rundgang/ Von B. Krüger

Die Kaftanien stehen in strengen Reihen um ein großes Biered.| Hosenböden geriffen haben. Gegen die Abhobelung der Schulbänke Den Marktplaz. In der Mitte ein Kriegerdenkmal Rein hat sich allerdings damals eine starte Opposition geregt, die mit Flammenschwert, fein Racheschwur, fein strahlender Krieger mit großem Papier - und Schreibaufwand nachwies, daß die vier splitter­heldischem Lorbeerfranz. Eine alte Mutter, die ſtill die Hände faltet. betroffenen Schüler zu den schlechtesten der Klasse gehörten, die sich Und am Sockel die einfache Inschrift ,, Unseren Toten" und die zwei vielleicht die Splitter mit Absicht eingerissen hatten, um dadurch zu so viel Leid bergenden Jahreszahlen. Das ist alles. einigen Krankheitstagen zu kommen und die Eramen schwänzen zu fönnen. Soll die Faulheit von vier Schülern der Republif 2500 Franten Hobelfosten verursachen?" Mit diesem knalligen Fragejazz auf grellbuntem Papier hat damals die Opposition viel Rumor gemacht und es auch erreicht, daß die Bänke wirklich nicht gehobelt wurden. Sie wurden mit blankem Linoleum belegt, was um 320 Franken billiger fam, und nun ist wieder Ruhe in der Stadt. Die vier Splittertinder sind auch wirklich durchs Examen geprasselt. Das Leben geht seinen alten Trott weiter.

Der Marktplay.

An der einen Seite des Marktplatzes die Mairie. Ein sonder barer Schnörkelbau mit Eckchen, Erfern und Schwibbogen. Ueber dem Eingang die Fahne der Republik . Neben ihm der Kasten mit den amtlichen Beröffentlichungen. Bimmermann Henry Dubois be­absichtigt Mademoiselle Renée Ferry zu heiraten". Reiner hält hier an und liest. Die Bürger wissen es längst, denn die Mundzeitung der Stadt ist schneller als jede amtliche Veröffentlichung. Seit Henry Dubois Mademoiselle Renée Ferry dreimal sehr spät nach Hause brachte, ist die Sache perfekt. Und die Kastanien auf dem Marktplay find leider stumm, sonst würden sie noch obendrein die Bestätigung liefern zu dieser Heirat, denn in ihrem tiefen Schatten wurden die ersten Zärtlichkeiten zwischen Henry und Renée getauscht. Aus dem Amtshaus schlurft der Gemeindediener hervor. Klebt ein neues Blatt in den Aushängelasten. Der Kartoffelschädling Diophora ich weißnichtmehrwieweiter ist in unserem Kanton aufgetreten. Man nehme zu seiner Bekämpfung sechs Eimer Basser, vier Schaufeln gelöschten Kalt, rühre alles gut durch usw. usw." Einige Männer sehen sich das Papier an, schütteln den Kopf und gehen weiter. Sie haben ihre eigenen Mittel. Was die Herren am grünen Tisch in Baris da schon wieder ausgebrütet haben! Man nehme zur Be fämpfung...!" neue Methoden einführen in Gros Caillou du Trou sur la Mer! Die Herren fennen den französischen Aderbürger schlecht. Seit zwei Jahrhunderten wird hier un gelöschter Kalf ver­mendet, und dabei soll es bleiben.

Es bleibt überhaupt alles beim Alten. Der Markt zum Bei­spiel. Immer die gleichen Zinkeimer, Angelschnüre, Holzpantinen, Leitern, Regenschirme und Hüte. Ein einziges Radiogeschäft ist in der Stadt, aber der Besizer ist sowieso verdächtig, ein Ausländer zu sein. Er tommt auch wirklich aus Paris . Außerdem ist er schon der Bierte. Die anderen drei gingen elend zu Grunde.

Und hier sind die Cafés.

Den Cafébefizern gehts schon besser, aber auch sie können nicht allein von ihrem Laden leben. Der eine macht nebenbei den Hagelversicherungsagenten, ist also schon von vorneherein als halber Betrüger entlarot. Ein zweiter ist Vorstand einer politischen Partei, und das geht ja schließlich noch an. Seine Gesinnungsgenossen fönnen bei ihm in aller Ruhe schon einmal einen Staffee trinken, ohne befürchten zu müssen, er schütte ihnen kochende Salzsäure da­zwischen. Andere Leute wiederum gehen ins dritte Café, wo die Rennberichte durchgetickt werden. Worunter aber die Qualität des hier verzapften Kaffees gelitten hat, weil der Besitzer doch die elektrische Tidermaschine verzinsen muß. Guten Kaffee und Renn­berichte dazu-, alles für 50 Centimes, also acht deutsche Pfennige, das ist ein bißchen viel verlangt.

-

-

Die Ruhe, fast Stillstand der Zeit der erste und gewaltigste Eindrud einer fleinen französischen Stadt. Selbst die Kirchen­glode ist hier leiser als anderswo, und die Autos.... ach richtig, die Autos! In Gros Caillou du Trou sur la Mer sind es genau fünf. Der Apotheker, der Schlächter, der Tierarzt, der Menschenarzt und ein Bauunternehmer. Als der große Krieg ausbrach, und Autos von der Militärverwaltung bringend angefordert wurden, waren die fünf Motorungeheuer der Stadt schon alt und wurden als total untauglich zurückgewiesen, was sie aber nicht hindert, heute, nach. siebzehn Jahren, noch fauchend und teuchend ihren Dienst zu tun. Hupen haben sie alle nicht. Ist auch nicht nötig, denn sie machen allein einen höllischen Rattertrach beim Fahren, der Motor spudt und bockt und pufft und knallt mozu also eine Hupe? Sparen, immer nur sparen! Und die Mütter benutzen die fünf Autos der Stadt als Schredpopanz für die Kinder. Wenn du nicht artig bist, fommt das böse töff- töff und nimmt dich mit!" Das hilft dann selbst bei den allerſtärksten Schreiern.

-

Man feiert Feste...

Und einen Geschichts-, Heimat- und Trachtenver­ein hat die Stadt auch. Sein Vorhandensein gibt sich durch Theatervorstellungen fund, die dreimal im Jahre stattfinden. Beim letzten Fest spielte man das erhebende Drama Friedrich der Schöne von Burgund in der Gefangenschaft". Es war eine sehr erfolgreiche Vorstellung, bei der es gelang, den fünfundvierzigjährigen Haupt­lehrer der Stadt endlich unter die Haube einer Bürgerstochter zu bringen, ganz zu schweigen von dem neuen jungen Hilfslehrer, der der Apothekerstochter zufiel. Jezt sind nur noch der junge Richter zu verheiraten, ein Angestellter der Bürgermeisterei und ein frisch etablierter Zahnarzt. Wartet nur, ihr jungen Taugenichtſe, beim nächsten Trachtenfest wird man euch schon triegen! Schämt ihr euch nicht, unverheiratet in dieser ehrbaren Stadt herumzulaufen? Wie macht ihr das bloß?

Und was nun die Trachten betrifft, so werden sie bis zum großen Fest im allgemeinen nur Sonntags hervorgeholt. Hier aller­dings bricht die Neuzeit mit ihrem verderblichen Einfluß am sozusagen mondänes Paris . Zierliche Halbschuhe und seidige schnellsten ein. Von unten angefangen bis zum Knie ist schon Paris , Strümpfe. Darüber dann ein schwerer Rod, das geschnürte Mieder gehalten, die Vorstandsdamen vom Trachtenverein so weit zu und ein weißes, fofett gefälteltes Spizenhäubchen. Es hat schwer bringen, Seidenstrümpfe und moderne Halbschuhe zuzulassen, aber hielt also vor Jahren der sex appeal seinen Einzug in die kleine im Interesse der heiratsfähigen Töchter gings dann doch. Und so

Stadt.

denn es ist gar übel beleumundet. Bis elf Uhr abends soll es sogar Und das vierte Café? Ach, reden wir beffer nicht viel davon, neulich geöffnet gewesen sein, und das ist doch einfach der Gipfel des guten Bürger dieser Stadt neun Uhr, und darüber hinaus beginnt Lasters. Seit zwei Jahrhunderten ist die Schlafensgehzeit für alle die schlimmste Perversion Wie kann die Jugend bis elf Uhr beim Kartenspiel fizen, Wein trinken, fingen und luftig sein? Wo sollen Radfahrklub haben sie sogar gegründet, einen Musikverein und- da die Renten herkommen, wenn nicht gespart wird? Und einen die Welt geht unter! einen Schwimmverein! Natürlich ist der Wirt daran schuld. Ganz sicher ist er es, denn seine Großeltern haben ja auch in diesem gottverdammten modernen Paris gewohnt, und der Sage nach soll sogar seine Großtante immer noch da an­sässig sein. Sie muß zwar bald neunzig Jahre auf dem Rücken haben, aber man fann nie wissen. Der Einfluß der Großstadt reicht weit, und man weiß in Gros Caillou du Trou sur la Mer jeit zwei Jahrhunderten: Was von Baris fommt, ist zuerst mal schlecht! Siehe gelöschter Kalt für die Kartoffeln! Und wenn es aber ausnahms weise doch mal gut ist, dann ist sicher der gute Abgeordnete mit seinem in Gros Caillou du Trou sur la Mer gestählten Provinz- le Terrible am 14. März und der Heimatdichter Jacques le Timide gewissen der engelhafte Urheber dieses Guten. Ueberhaupt: der Abgeordnete!

Der liebe Gott.

Sollten die Franzosen jemals in die Verlegenheit fommen, ihrem Gott ein Denkmal zu setzen, so fann für die beste Darstellung nur die Abbildung in Stein oder Marmor ihres Deputierten mit der republiffarbenen Schärpe um den sanft geschwellten Bauch in Frage kommen. Alle Gebete der Stadt gehen zu ihm, alle Bittbriefe werden an ihn gerichtet, und daß man ihm nicht eine eigene Kirche zum persönlichen Kult errichtet, scheitert mur an dem geizigen Spar­sinn der Bürger. Der Abgeordnete muß schlechtweg für alles sorgen. Für die Ausbesserung und Ausfrautung des sogenannten Flusses zum Beispiel, der sich ob dieser sehr schmeichelhaften Bezeichnung noch armseliger und verschämter unter den Weiden entlangwindet, als er es ohnehin schon tut. Oder für die Abhobelung der Bänke im Gymnasium, wo sich in den legten zwei Jahren vier Schüler, darunter sogar der Sohn des Gemeindedieners, Holzsplitter in die

Neben den Trachtenfesten und den Theatervorstellungen des Ge­schichtsvereins gibt es aber noch andere Feste in der Stadt, die immer wiederkehren. Das große Fest der Republit am 14. Juli wird natürlich von allen gefeiert, aber das zählt schon nicht mehr als Besonderheit. Es ist Tradition geworden, ist allen in Fleisch und Blut übergegangen. Aber zweimal im Jahre werden die berühmten Männer der Stadt geehrt, das heißt: auf jeden kommt im Jahr eine Ehrung. Oder noch genauer ausgedrückt: Jede Heldenbüste friegt einmal im Jahre einen neuen Lorbeerfranz umgehängt. Böse Zungen behaupten zwar, es wäre immer derselbe Kranz, aber das fann schon aus klimatischen Gründen schlecht möglich sein, weil die beiden berühmten Männer der Stadt zu ver­schiedenen Jahreszeiten Geburtstag hatten. Der Kapertapitän Jean

am 4. September. Es ist also schon technisch unmöglich, den Marine­Ehrungskranz vom März auch im September für die Dichttunft zu verwenden; die gärtnerisch geschulten Augen der Bürger würden den Betrug schon merken.

Und diese Zeitereignisse bewegen die Stadt noch einmal außer­halb der Reihe. Dann stehen die Schulkinder vor den Büsten der berühmten Stadtsöhne und singen das gleiche Lied wie seit Jahren, mit den gleichen hellen Kinderstimmchen und falschen Noten. Der Bürgermeister hält die gleiche Rede wie alle seine Vorgänger und bleibt auch an der gleichen Stelle stecken, wo ihm dann der Lehrer das schlimme Wort Vercingetorix " zuflüstern muß, über das alle Bürgermeister immer stolpern. Nachher bekommen die Kinder Buckerzeug geschenkt, und am Abend ist Fackelzug.

Und der steinerne Dichter auf seinem Bostament lächelt über seine Landsleute, die ihm vielleicht damals zu Lebzeiten nicht die Buft gegönnt haben und die seinen Gedankenflug in die Weite miß­verstanden...