Morgenausgabe
Nr. 275
A 139
49. Jahrgang
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Der„ Borwärts erscheint wochentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend". Jllustrierte Gonntagsbeilage Volk und Reit"
Dienstag
14. Juni 1932
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Heute Notverordnung
Kabinett der Barone kürzt Renten und Unterstützungen. Das ist die Frucht des Nationalsozialismus! Süddeutschland lehnt jede Verantwortung ab.
Die Reichsregierung wird heute nachmittag ihre neuen| um sich diese Sympathie zu erhalten, muß es die BürgerNotverordnungen bekanntgeben. Durch diese Notverordnungen wird dem arbeitenden Teil der Bevölke= rung eine neue Last von 400 Millionen Mark auferlegt. Der Besitz bleibt von neuer Belastung frei.
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Erwerbslose und Sozialrentner wie Kriegsopfer werden in ihrem Einkommen abermals beschränkt obwohl die Versorgung der Erwerbslosen jetzt schon unter dem Eristenzminimum liegt. Die Pläne des Kabinetts der Barone gehen über die Pläne der Regierung Brüning weit hinaus.
Gegen diese Notverordnung richtet sich eine überaus scharfe Opposition der süddeutschen Länder. Die Aussprache mit dem Reichspräsidenten hat entgegen den offiziösen Versicherungen, daß eine weitgehende Entspannung im Verhältnis zwischen Reich und Ländern eingetreten sei feineswegs zu einer Entspannung geführt. Die ,, Bayerische Staatszeitung " veröffentlicht eine außerordentlich scharfe Erklärung gegen die kommende Notverordnung:
,, Sachlich sei festzustellen, daß von einer fühlbaren Entspannung im Verhältnis zwischen Reich und Ländern schwerlich die Rede sein könne. Nach bayerischem Urteil habe die Reichsregierung nicht vermocht, die süddeutſchen Bedenken gegen ihre einzelnen Maßnahmen oder Pläne zu zerstreuen. Zusammenfassend sei für den Augenblick zu sagen, daß die süddeutschen Regierungen, insbesondere Bayern ,
für die neue Notverordnung jede Verantwortung ablehnen und insbesondere nicht die geringste Verantwortung übernehmen für gewisse Maßnahmen in derselben, deren Durchführung ihnen nur mittels Gewalt möglich erscheint. Die ungeheure Verantwortung der Reichsregierung ist damit bezeichnetzugleich aber ist der ungeheuerliche Volksbetrug der National sozialisten festgestellt, die diese Regierung tragen und die deshalb diese Notverordnung mit zu ver antworten haben!
Eine weitere Notverordnung soll das Verbot der SA. , der Hitlerschen Bürgerkriegsarmee, praktisch aufheben. Auch darüber ist in den Besprechungen beim Reichspräsidenten Leinerlei Einigung erzielt worden. Darüber schreibt der ,, Bayerische Kurier":
Böflig ergebnislos sei die Aussprache über die Aufhebung des SA. - und SS.- Verbots verlaufen. Die Reichsregierung glaube, ein Wiedererstehen dieser Organisationen werde zur allgemeinen Beruhigung beitragen. Es sollte ermöglicht werden, die
Jugend zu nichtmilitärischen Zwecken zur körperlichen Ertüchtigung und Schulung zusammenzufassen. Man denke also offenbar an eine Verwirklichung der Pläne des früheren Reichsinnenministers Groener. Davon versprächen sich die Ministerpräsidenten Süddeutschlands nichts. Weil sie befürchteten, daß das Wiederauftauchen von Uniformen zu schweren Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen werde, hätten sie die Reichsregierung dringend aufgefordert ,, ein allgemeines Verbot sämtlicher auch der jetzt noch vorhandenen- Organisationen zu erlassen. Daß die Reichsregierung sich dazu entschließen werde, dürfe als ziemlich ausgeschlossen angesehen werden. Ob und welche Folgerungen sich aus der Aufhebung des SA. - Verbots für Süddeutschland ergäben, hänge von dem Wortlaut der neuen Notverordnung und ihrer Auslegung ab.
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Unter Umständen wäre es denkbar, daß die süd: deutschen Regierung mit eigenen Verordnungen eingriffen.
Die Bindung des Kabinetts der Barone auf die Aufhebung des SA.- Berbots hat eine offiziös inspirierte Stimme damit verteidigt, daß diese Dinge nicht unter dem Gesichtswinkel Reich und Länder zu sehen seien, als vielmehr unter dem der parlamentarisch parteipolitischen Lagerung. Das heißt: das Kabinett der Barone hat nichts hinter sich als die Sympathie der Hitler - Partei, und
Herr Groener hat soeben in einer Erklärung festgestellt, daß der Grund für die Auflösung der SA. die Gefährdung der Staatsautorität gewesen sei. Eine Regierung, die eine Frage der Staatsautorität unter dem Gefichtswinkel der parlamentarisch- parteipolitischen Lagerung sieht, ist eine reine Parteiregierung!
Ihre Freunde bemühen sich im übrigen, sie weiter auf die Parteipläne der Nationalsozialisten festzulegen. So schreibt die ,, Deutsche Zeitung":
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,, Daß der Staat sich im übrigen bei der Lösung der großen völkischen Zukunftsaufgaben- wir denken vor allem an die Arbeitsdienstpflicht in erster Reihe auf die großen, im Geiste der alten soldatischen Disziplin ausgebauten nationalen Berbände stüßen wird und nicht auf Reichsbanner und Rotfront, ist eine Selbstverständlichkeit, mit der sich die Novemberlinge und die schwarz- roten Massenkampfparteien abfinden müssen. Wenn in den nächsten Tagen die SA. wieder marschiert, beginnt der Wiederaufbau Deutschlands aus dem Geiste einer neuen nationalen Disziplin." Hier ist offen der Plan angedeutet, aus Hitlers Bürgerkriegsarmee eine staatliche Einrich tung zu machen! Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das hier getrieben wird ,. ein überaus gefährliches Spiel und das Kabinett der Barone tommt ihm mit der Legalisierung der Hitlerschen Bürgerkriegsbanden entgegen!
Die Erklärung Groeners.
Der frühere Reichswehrminister Groener übergibt der Presse folgende Erklärung:
,, In einem Teile der Presse wird behauptet, daß die vom Oberreichsanwalt festgestellte Unmöglichkeit, auf Grund der ausgefundenen Befehle der nationalsozialistischen SA. über Grenzverteidi
Die Schwerindustrie verlangt Ware für ihr Geld. Die Deutsche Bergwertszeitung", das führende schwerindustrielle Organ, richtet einen Appell an Hitler , der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Das Blatt schreibt:
,, Höchstes Lob jedoch gebührt dem Agitator, der seine Gaben, aber auch das, was ihm versagt ist, richtig einzuschätzen weiß, und neidlos den Staatsmann gewähren läßt, nachdem er ihm die Waffe geschmiedet hat und zum Gebrauch bereit hält."
Man kann dies mit anderen Worten auch so ausdrücken: Die schwerindustriellen Unternehmer erwarten, daß ihr in der Hitler Bewegung investiertes Rapital sich auch rentiert.
Ministerialrat Goslar in Urlaub.
Der Gründer und Leiter der Pressestelle der preußischen Staatsregierung.
Wie Ministerpräsident Otto Braun hat auch der Leiter der Pressestelle der preußischen Regierung, Ministerialrat Gos lar, einen längeren Urlaub angetreten. Es wird von der weiteren Entwicklung der politischen Verhältnisse abhängen, ob er in sein Amt zurückkehrt.
Genosse Goslar hat vor 12½ Jahren die Pressestelle der Staatsregierung und ein Jahr später auch den Amtlichen Preußischen Pressedienst begründet.
Zentrum eröffnet den Wahlkampf. Brüning Spitzenkandidat in Hessen .
Darmstadt , 13. Juni. ( Eigenbericht.) Der ehemalige Reichskanzler Brüning murde heute vom Landesausschuß der hessischen Zentrumspartei als Spigentan didat für die Reichstagswahl aufgestellt.
| gungsmaßnahmen ein Landesverratsverfahren gegen Teile der SA. einzuleiten, der Verordnung des Reichspräsidenten über die Auflösung der SA. die Grundlage entzogen habe. Demgegenüber wird darauf hingewiesen, daß der einzige Verbotsgrund für die Auflösung der SA. die Gefahr für die Staatsautorität war. In der Begründung für die Auflösung der nationalsozialistischen Sturmabteilungen heißt es ausdrücklich, daß der Ausgang der polizeilichen und gerichtlichen Verfahren nicht ab= gewartet zu werden brauche,
,, da die Auflösung der Organisationen aus staatspolitischen Gründen erfolgt und von dem Ergebnis der Untersuchung, ob und in welchem Umfange strafbare Handlungen einzelner be
gangen worden sind, völlig unabhängig ist."
Die Anzeige wegen Landesverrats ist von der zuständigen Polizeibehörde ohne Beteiligung von Regierungsstellen erstattet
worden. In politischen Kreisen rechnete man schon auf Grund des bestand des Landesverrats im Sinne des§ 89 des Strafgesetzbuches bekanntgewordenen Materials damit, daß der strafgesetzliche Tatnicht gegeben sei, weil eine solche Handlung nur dann strafbar ist. wenn sie während eines Krieges begangen wird. Demgemäß stellt auch der Oberreichsanwalt in seinem Einstellungsbescheid fest:
,, Soweit Teile der SA. der NSDAP. durch ihre ablehnende Stellungnahme gegen gewisse Grenzverteidigungsmaßnahmen und durch Vorkehrungen, die sie für ihr Verhalten im Falle einer Bedrohung deutschen Gebietes durch fremde Mächte getroffen haben, etwa die Interessen der deutschen Landesverteidigung beeinträchtigt haben mögen, tommt eine landesverräterische Betätigung im Sinne des Strafgesetzbuches nicht in Frage, da die Vorausseßungen des § 89 StGB. nicht gegeben sind."
Die Tatsache, daß eine solche Handlung strafrechtlich nicht erfaßt werden kann, ändert jedoch an der Beurteilung der Handlungsweise der Täter nichts. Berlin , 11. Juni 1932.
gez. Groener, Reichsminister a. D.
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Wer über den Ernst der politischen Lage in Deutschland und über die unvermeidlichen sozialen und politischen Auswirkungen einer künstlich übersteigerten Deflationspolitik nachdachte, kam stets an einen Punkt, an dem es schmer wurde, die Lage mit den normalen Mitteln der Demokratie zu bewältigen. Für diesen Fall mußte eine stärkere Heranziehung der Präsidialgewalt und der Militärgewalt zum Schutz gegen einen gewaltsamen Umsturz der Verfassung und gegen einen Bürgerkrieg mit in Rechnung gesezt werden. Daran werden auch die deutschen Militärs öfter gedacht haben. Sie werden sich noch mehr als die Politiker- gesagt haben, daß eine solche Hineinziehung der Heeresmacht in die Tagespolitik gerade vom militärischen Gesichtspunkt aus ein verhängnisvolles lebel sein werde, das nur im höchsten Notfall zu rechtfertigen sei. Dieser militärische Eingriff mußte von jedem Gesichtspunkt aus so lange wie möglich vermieden werden. Wenn er unvermeidlich wurde, mußte er getan werden, nur um Nation, Reich und Verfassung zu retten. Jeder Schein, daß die Reichswehr zugunsten irgendwelcher politischen oder sozialen Strömung eingriff, war strengstens zu vermeiden. Eine überragende Führung hätte in diesem Fall der Reichs wehr einen großen moralischen Kredit und ein Ansehen verschaffen können, das manche Grundfehler politisierender Generäle der Vergangenheit ausgelöscht hätte.
War die Stunde zum Eingriff der militärischen Macht da? Es wird niemand geben, der diese Frage bejahen kann. Daß das Kabinett Brüning wider Willen wahrscheinlich der Bahnbrecher der Gegenrevolution sein werde, haben außerhalb des Kabinetts selbst viele geahnt. Sie hätten gewünscht,