Einzelbild herunterladen
 

Nr. 177* 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mittwoch, 4S. Juni 4932

Gartenheim für Erwerbslose Die Sommerarbeit der Notgemeinschaft Berlin Arbeitslose helfen sich selbst

Die im Winter von der Notgemeinschaft zur Errichtung von Heimen und Küchen für Enverbslofe begonnene Arbeit wird erfreulicherweise auch im Sommer fortgefeht. Das Hilfswerk der Arbeitslosen macht weitere Aortschritte. So haben sich die Erwerbslosen seht ein eigenes Gartenheim geschaffen. Die Heimräume des Winters wurden mit dem Wiedererwachen der Natur zu eng. Di« Gästeschar des Heims, Alte und Junge, sehnten sich hinaus in den Sonnenschein, wollten die Stunden in Licht und Luft verbringen. Dieser Wunsch, der sich in den Herzen aller Freunde regte, veranlaßte die Heimleitung, Ausschau nach einem geeigneten Gelände zur Errichtung eines Heimgartens zu halten. Unweit des Winterheims, in der Nähe des roten, weithin sichtbaren Volksschulbaues, lag ein einer Bankfirma gehörendes Ge- lande von knapp einem Morgen Größe. Die Verhandlungen. mit dem Besitzer verliefen erfolgreich, so daß schon m den ersten Tagen des Frühlings unsere jugendlichen Erwerbslosen mit Spaten, Hacke und Korren bewaffnet, mit der Urbarmachung des Geländes begannen. Auch die Alten blieben hinter den Jungen nicht zurück, und nicht lange dauerte es, bis sie, schon hoch in die Sechzig bis Siebzig hinein, den Jungen als Vor- bild dienend, sich an diesem Selbsthilfewerk betätigten. Bis zur Fertigstellung und Uebergabe waren 3500 Arbeitsstunden im Wege völlig ehrenamtlicher Arbeit für die Allgemeinheit geleistet worden. Arbeit gibt Hunger! Mit Unterstützung der dem Hilfswerk wohl-

gesinnten Kreise war es möglich, abends nach getaner Arbeit den sleißig Schaffenden ein Stück Speck oder Wurst zu reichen. Sämtliche Einrichtungsgegenstände und Materialien zur Er- richtung des Heims, wie Drahtzaun, Straßenbahnwagen zum Auf- enthalt für Regentage, mehrere Autos voll Sträucher und Bäume, Pumpe, Schlauch, Grassamen, Blumen, Bänke, Liegestühle, Küchen- einrichtung, Farben, Holz und dergleichen mehr wurde in dankens- werter Weise in Form von Spenden der Notgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Den Firmen und kommunalen Stellen gehört warmer Dank für ihr einsichtiges, vorbildliches Verhalten. Die Orts- einwohner verfolgten mit Interesse das rasch wachsende Werk. Junge, schwellende Grasfläche, wo einst Unrat und Schutt lag, eingebettet in Strauchnischen die Liegestühle für die Alten, in leuch- tendem Rot und sattem Grün die umgebauten Straßenbahnwagen, geziert von gespendetem Blumenschmuck. Unter starker Anteilnahme der Bevölkerung und im Beisein von Vertretern des Landes-Wohl- fahrts- und Jugendamts, des Gesundheitsamts der Stadt Berlin sowie Vertretern des Bezirksamts Treptow und der Berliner Presse wurde das Gartenheim im Kreise der zahlreich erschienen Alten und Jungen der öffentlichen Benutzung übergeben. Etwa 50 bis 60 ehrenamtlich tätige Helferinnen und Helfer sind während der Sommerzeit hier tätig. In einer Ansprache gedachte der Stadtverordnete L e m p e r t der fleißigen, hingebungsvollen Arbeit der Erbauer. Er rief alle auf, das Hilfswerk in Baum- schulenweg und darüber hinaus das Gesamtwerk der Notgemein- schaft ideell und materiell weiter zu unterstützen. Wir wollen hoffen, daß sein Mahnruf recht starken Erfolg haben wird.

Berlins Reichsbanner gewappnet Die nächsten politischen Aufgaben. Das Land wird erobert- Um Klarheit über die nächsten politischen Ausgaben des Reichsbanners zn schaffen, hatte der Gauvorsland des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Gau Ber- lln-B randenbnrg, seine sämtlichen Mitglieder, Kreis- führer und Gaufunktionäre zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenberufen. Unter Leitung des Gauvorsitzenden, Reichstagsabgeordneten Stelling, brachte die Tagung die eiserne Entschlossenheit und die Kampfesfreudigkeit zum Ausdruck, die Führer und Gefolgschaft des Reichsbanners erfüllt. Sowohl aus den Ausführungen Stellings wie aus den Darlegungen der zahlreichen Diskussionsredner sprach die Zuversicht von dem Endsieg der Freiheitsidee über Knechtseligkeit und Unterdrückung. Das Reichsbanner Berlin-Brandenburg wird seinen Aufklärungsfeldzug auf dem Lande fortsetzen. Es wird aber auch in Berlin die schon bei den letzten Wahlen gezeigte Aktivität noch erheblich steigern. An den Opserwillen und die Arbeitskraft des einzelnen Reichsbannerkameraden werden die kommenden Wochen unerhörte Anforderungen stellen. Aber die Arbeft wird freudigen Herzens in der Erkenntnis geleistet werden, daß das Interesse von Volk und Republik den Einsatz aller Kräfte bis zum äußersten erfordert. Im weiteren Verlauf der Tagung wurden wichtige Fragen organisatorischer Art, die Art der Land- agitafton sowie die Durchführung des freiwilligen Arbeitsdienstes besprochen. Volle Uebereinstimmung herrschte auch in der Erkennt- nis, daß in dem kommenden Entscheidungskampf innerhalb der Eisernen Front alle Organisationen der Arbeiterbewegung und die republikanischen Parteien aufs engste zusammenwirken müssen. Die Affäre bei der Fremdenpolizei. Voruntersuchung gegen acht Personen beantragt. In der Beslechungsassäre bei der Berliner Fremdenpolizei hat jetzt die Staatsanwaltschaft Boruntersuchung gegen acht der Beteiligung verdächtige Personen beantragt, und zwar gegen wein- berger, die Eheleute Zinkelstein. Lustig, Spie- g e u e r, den Rechtsbeistand Miller, sowie gegen den Polizei- inspektor Z r a n k und den kriminalsekretär G ö h m a n n vom Zremdenamt. Bei den beiden Beamten handelt es sich um den Verdacht der passiven Bestechung, bei den übrigen sechs Personen um den V e r» dacht des sortgesetzten Betruges, der Anstiftung zur Urkundenbcseitigung und-Vernichtung, sowie der aktiven Bestechung. Durch die Voruntersuchung soll sestgestellt werden, inwieweit die bisher in dieser Sache erhobenen Beschuldigungen zutreffen. An der Frau des Kriminalsekretärs Götzmann soll gestern an- geblich ein Erpressungsversuch von einer Person verübt worden sein, die mit der Veröffentlichung weiterer Verfehlungen des Beamten gedroht haben soll. Bisher konnte nicht festgestellt werden, ob es sich hier um eine ernstgemeinte Erpressung oder um eine Mystifikation handelte. Die Polizei ist in dieser Sache nicht bemüht worden.

Polizei gegen Lügner. AaziS schießen- Reichsbanner wird beschuldigt. Vor einigen Tagen ging durch die nationalsozialistische und Rechtspresse die Mitteilung, daß bei politischen Zusammenstößen in Kamen bei Dortmund von Reichsbonnerleuten auf Polizei gc- schössen worden ist. Wie die Bundespressestelle des Reichsbanners mitteilt, entsprechen diese Nachrichten absolut nicht den Tatsachen. Die Polizei erklärt ausdrücklich und ist jederzeit bereit, zu bezeugen, daß von Reichsbannerleuten nicht geschossen worden ist. Dagegen war die Polizei gezwungen, van der Schußwaffe Gebrauch zu machen, um gegen die Horden der Nationalsozialisten vorzugehen, die Republi- kaner und Reichsbannerleute überfallen hatten.

Das Llrteil im Waldhofprozeß. Gefährliche Körperverletzung mit Geldstrafe geahndet. T e m p l i n, 14. Juni. Räch mehrtägiger Berhandlung wurde am Mittwoch in dem Prozeß ivegen der bekannten Borgänge im Erziehungsheim wold­hos das Urteil gefällt. Der Angeklagte Franke wurde wegen ge­fährlicher und einfacher Körperverletzung in fünf Fällen zu 330 Mk Geldstrafe verurteilt. Die Angeklagten Stein und Knoblauch wurden freigesprochen, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen wird der Angeklagte Küchemann zu 70 Mk., Z a a p wegen gefährlicher Körperverletzung in einem Falle zu 100 Mk. und wende wegen gefährlicher Körperlehung in einem Falle zu 60 Mk. verurteilt. Der Angeklagte T e s ch l e r erhält wegen Sitllichkeitsver- brechens in zwei Fällen und wegen Sittlichkeitsvergehens in einen, Falle ein Zahr Gefängnis. k Das Urteil der Prenzlauer Strafkammer ist e»d- gültig. Es gibt dagegen keine Berufung. Höchstens Revision. Der Spruch des Gerichts befindet sich aber im Einklang mit der Ein- stellung des Vorsitzenden und der Richter, wie sie sich im Verlauf der Gerichtsverhandlung gezeigt und wie die Ablehnung der Beweis- anträge des Nebenklägers bewiesen hat. Es lag ihnen in keiner Weise daran, die unglaublichen Zustände in Waldhof darzulegen und sie öffentlich zu brandmarken. Die Milde des Urteils be- deutet nichts anderes, als daß die Zöglinge in den Anstal- ten der Inneren Mission den sa-distischen Gelüsten der Erzieher als Freiwild ausgeliefert werden. Das Gericht in N e u m ü n st e r. das vor zwei Jahren die Erzieher der Anstalt der Inneren Mission in Rickling zu Gefängnisstrafen ver- urteilte, hat mehr Verständnis für die Nöte der unglücklichen Inn - gen und mehr Achtung vor dem Erlaß des Wohlfahrtsministerium?, das die Prügelstrafe verbietet, bewiesen als die Prenzlauer Richter. Selbstmord im Landtag. Im Gebäude des Preußischen Landtages hat sich gestern abend der 50 Jahre alte Lehrer Bruno La Grange erschossen. Die Gründe zur Tat sind bis zur Stunde nach unbekannt. La Grange wurde auf der Herrentoilette um 19,45 Uhr mit einem Schläfeujchnß leblos aufgefunden. Der Lebensmüde gehörte der Sozialdemnkrati scheu Partei an und war stellvertretendes Mitglied des Preußischen Staatsrates . Achtung! Parteigenässische Werbe- und Reklame-Fachmänner werden gebeten, ihre Adresse möglichst umgehend dem Büro des Bezirksverbandes Berlin , SW. 68, Lindenstr. 3, ll. Hos, 2 Treppen, Zimmer 5, zu übermitteln.

Paradies am Mühlendamm Wettstreit der Angler und Schwimmer an der Fischerbrücke

Die Alt-Berliner Stadtteile sind plötzlich zu Sainmelpunkten zweier Sportarten geworden, die Angler treffen sich zwischen Mühlendamm und Fischerbrücke: die Schwimmer zwischen Klosterstraße und Jnselbrllcke. Man kann nicht gut behaupten, daß es früher üblich war, aus der Spree soweit sie durch Berlin fließt die Fische heraus­zuangeln. Erst die Not der Zeit ließ die Arbeitslosen mehr und mehr auf den Gedanken kommen, sich aus der Spree eine will- kommene Mahlzeit herauszufischen. Denn an Zeit gebricht es den Arbeitslosen ja nicht. Bereits um 4 Uhr morgens, gerade wenn die Drosseln ihr erstes Lied gesungen haben, beginnt an der Fischcrbrücke der Angelbetrieb. Wenige Zeit später stehen an der spitzen Ecke des Baumaterialienplatzes an die fünfzig Angler. Einer hat mit dem anderen Tuchfühlung, und wenn ihre Angelhaken von der Strömung zu weit abgetrieben find, müssen sie diese wie auf Kommando zusammen zurückwerfen, damit sich nicht die fünfzig Angelschnüre zu einem unentwirrbaren Knäuel verknoten. So amü- sant nun das Bild aussehen mag, wenn fünfzig kerzengerade aus- gerichtete Männer ihre Angelruten unverwandt in die Spree halten, so abträglich ist die drangvolle Enge dem Angelgeschäft: daß einer mal ein Fischlein fängt, kommt einem Lotteriespiel gleich. Jeder kann sich davon selbst überzeugen, indem er die Reihe entlang geht und den Anglern zu vorgerückter Stunde in die Netze schaut, schlaff und leer werden die Beutel im Sande liegen. Man kann noch weiter gehen und jene, scheint's für alle Ewigkeit berechnete Frage an die Jünger Pctris richten:Na, Herr Nachbar, beißen sie?" Das würde nur den Erfolg haben, daß der am nächsten Stehende auf- sieht, eine süßsaure Miene macht und etwas leise und betrübt ant- wartet:Zwölf Stunden stehe ich schon hier, jetzt ist's vier Uhr nach- mittags, und ich habe erst zwei kleine Plötzen." Diese Auskunft kommt der Wahrheit immerhin näher als das Anglerlatein, das neuerdings am Mühlendamm gesprochen wird. Da glänzen alten gesetzten Männern die Augen, wenn sie von jenem schon legendär gewordenen 20 Pfund schweren Karpfen erzählen, der im Rummelsburger See gefangen wurde, an der Friedrichs-

gracht wieder war es ein dreipfündiger Blei, der nur mit Hängen und Würgen an Land gebracht werden konnte, und dann die Aale: Mann, sehen Sie sich nach einem Gewitter unsere Aale an!" Bis ein lustiger Streit in vollem Gange ist und die Antiangler kommen: Hiii, ick esse doch keen Fisch, den sie aus die Jauche hier gezogen haben. Die haben ja keen Jefchmack. Von Schöneweidc ab ist doch die Spree total verseucht."Hoho," feixen dann die Angler du hast ja keine Ahnung, in dem Modder hier unten fühlen sich die Fische gerade wohl." Bisweilen kommt die Polizei und macht Razzia. Dann werden die Angelbrüder, die keine Karte haben, aufgeschrieben. Die soge­nannte kleine Angelkarte kostet 6 Mark und reicht von der Mllhlendaminschleuse bis Spandau , Eifenbahnbrückc. D i c große Angelkarte kost et 12 Mark plus 2 Mark für de» Fischereischein und reicht bis Brandenburg a. d. H. einschließlich aller Nebengewässer der Havel . Hinter der Sparkasse am Mühlendamm wird schon waidgerechter geangelt, nicht mehr gestippt. Da wird erst genau gelotet, dann der Kopf gewackelt über den Angelhaken, weil .es ein 11er ist, der wäre zu groß, und schließlich ruft es:Paul, hast du einen 15er Haken da?" Darauf Paul:Ne, Paul, aba en 13er kann ick dir jeden." Dann wird die Blechschachtel auf­gemacht mit den Würmern, deren Schicksal nur noch darin besteht, als Köder auf die Haken gespießt zu werden. Den Reigen der Angler ergänzen die Schwimmer. Der Weg zu den Freibädern ist weit, und Häuserlücken längs der Spree gibt es genug. Die bekannteste ist zwischen Molkenmarkt uno Waisenbrücke, im Zuge der Klosterstraße, wo unter der Spree die U-Bah» donnert. Als seinerzeit die Bahn gebaut wurde, hat man die Häuser abgerissen, und auf den Trümmern verfallener Grund- mauern dehnt sich jetzt hier die Badewicse von Berlin C. Hundert- mal wird hier am Tage die Spree durchschwömmen, und wie ein Schwimmer in der Spree seiner 50 Zuschauer gewiß ist, so bleiben die Fußgänger auch anderorts stehen: an der Schleuse und bei den Anglern. Zwei-, dreihundert Menschen jedesmal. Berlin hat wieder Zeit.

Wahl ohne Qual! Wenn man zwischen gleich teuren Dingen die Wahl haty nimmt man das Beste» Deshalb raucht der Berliner die neueGold Saba" nach dem alten OriginobRezepL