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Beilage

Mittwoch, 15. Juni 1932

Alice Ekert- Rothholz:

Was wissen Angestellte?

Was wissen Angestellte?

Nichts wissen Angestellte!

Der Chef, als Wirtschaftskapitän verkleidet, teilt Befehle aus Und das Personal fliegt hin und fliegt her und fliegt raus.

Was wissen Angestellte?

Sie, junger Mann aus der Expedition!

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Wissen Sie warum Sie an irgendeinem Montag fristlos entlassen werden? Vielleicht wirft die Pleite die ersten Schatten?

Der Abend

Spalausgabe des Vorwards

Not über Dolen

Eine kleine Zusammenstellung Von Nathan Gurdus

In Polen   herrschte immer Not. In wenigen Ländern Europas  gab es selbst vor dem Kriege ein derartiges Eiend wie in den kleinen Städten Polens   und in den Arbeitervierteln der Großstädte Lodz  , Warschau   usw. Aber vor dem Kriege gab es wenigstens das Hinter­land Rußland  . Davon lebte halb Polen  . Die landwirtschaftlichen Er­Vielleicht ist dem Chef seine Frau Gemahlin nicht bekommen? zeugnisse und die industriellen Produkte gingen zum größten Teil Vielleicht duldet der Chef keine roten Krawatten? nach Rußland  . Nach der Gründung der Republik Polen   war das Land auf eigene Füße gestellt und fand keinen Abnehmer in der Welt, der Rußland   ersehen konnte. Seit 14 Jahren kämpft Polen Rrraus! Auf Sie bin ich rein geschäftlich schon lange scharf!" gegen die Not, im letzten Jahr ist sie bis zur Unerträglichkeit ge= Macht ist: wenn feiner fragen darf...

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Was geht vor hinter der fremden, gußeisernen Stirn?

???

Was wissen Angestellte?

Ueberall Privatdiftatur in billigen Mustern.

... Pschschscht! Herr Diktator Meyer räuspert sich! Und die Bürosoldaten zittern im Dustern....

Was wissen Angestellte?

Auch im politischen Geschäft zittern sie heute so. Nicht bloß bei Herrn Meyer im Büro.

Rein! Raus! Rein! Raus!

Minister fliegen. Es regnet Entlassungen, Anschnauzer, Strafen: Das Staatsinteresse gebietet...

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Jawoll, Herr Diktator hat schlecht geschlafen.

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Was geht vor hinter der fremden, gußeisernen Stirn?

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???

Raus! Macht ist: menn feiner fragen darf...

- Auf Sie bin ich rein politisch schon lange scharf!"

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Ein freies Europa  ? Man macht immer mehr ein Büro daraus. Mit Millionen von zitternden Angestellten! Die wissen von gar nichts. Die spenden dem Chef verlogenen Applaus. Und fünf Männeten teilen Schicksale aus.

Hermann Tempel  , M.d.R.:

Brücke, nicht Schranke

Gedanken anläßlich einer elsässischen Reise Ein stupider und brutaler Nationalismus verfeucht die Seele Europas  . Wie Wölfe starren die Völker Europas   zähnefletschend einander an und warten darauf, daß irgendwo die Gittertüren der Grenzen aufgerissen werden, damit man sich von neuem an die Gurgel springen kann. Leben wir in einem Jahrhundert der Bestialität? Fast scheint es so.

Unser Zug rollt auf Straßburg   zu. Ueber dem Rhein   wird im Dunst der Turm des Münsters sichtbar. Ein Erlebnis geht mir durch den Kopf. In einem Nest bei Bentheim, nahe der hollän­dischen Grenze, unterhält sich am Stammtisch des einzigen Hotels am Ort die gute Gesellschaft. Würdige ältere Leute, die sich per Herr Regierungsrat und Herr Doktor abwechselnd zuprosten. Man spricht vom Völkerbund. Ein Glazkopf, goldene Kette über be= häbigem Bauch, liest aus der Zeitung vor. Alles lacht schallend. Fein haben das die Japfe in Schanghai   gemacht. Brandbomben, das ist die Sprache, die man sprechen muß. Bölkerbund? Diese Schwäger! Bomben auf Genf  ! Das wäre das Richtige!" Alles miehert und trinkt als Anerkennung einen besonders tiefen Schlud. Das Abendblatt, das ich mir erstanden habe, setzt das Thema fort. In Regensburg  , so meldet es, wurde ein Knabe überfahren. Man bringt das schwerverletzte Kind in eine Klinik. Als der leitende Arzt, ein Hakenkreuzprofessor, hört, daß der Junge Mandelbaum heißt, weigert er sich, ihn zu behandeln! Er gehöre ja einer anderen Rajse an! Das genügt. Auf dem Wege zum Krankenhaus stirbt das Kind. So etwas kann in Deutschland   passieren! Pfarrer haben aus ihrem Weihnachtsevangelium längst das Wort Friede auf Erden!" gestrichen. Gmynafiasten, die sich zum Pazifismus bekennen, werden wie räudige Hunde behandelt. Die Generation der Hakenkreuzler fintt in die Barbarei zurüd.

Muß das so sein? Sind Menschen zweier Kulturen, zweier Rassen nun einmal Feinde von Natur auf, zwischen deren Bluts­gruppen es eine Harmonie nicht geben kann? Das ist die Frage, die mich quält, während der Zug klirrend die Rheinbrücke überfährt. Am anderen Ufer heißt Straßburg  , heißt das Elsaß   uns mill­Pommen. Das erste Wort, das uns von den Brettermänden einer primitiven Badeanstalt grüßt, ist die Aufschrift Bains du Rhin". Es trifft uns wie ein Gertenhieb.

Auf dem Bahnhof sind wir in Strasbourg  . Nicht in Straß­ burg  . Keine deutsche Bezeichnung, wohin immer man sich wendet. Nicht einmal eine Wechselstube. Französische   Käppis der Eisen­bahner, Postler und Zöllner. Eine Unmenge Militär. Reklamen Parifer Magazine. Die großen hauptstädtischen Zeitungen werden ausgerufen. Man steht verlassen da. Auf dem Nordbahnhof in Paris   ist es nicht so stockfranzösisch wie hier auf dem Bahnsteig eine halbe Stunde jenseits des Rheins.

An der Sperre wende ich mich an den Käppimann, der die Fahrtarten abnimmt.., Pardon, Monsieur! L'hôtel Westminster, s'il vous plait!" Er sieht mich an und weist mich im besten Deutsch  zurecht. Jedermann in Straßburg   spricht deutsch  , soweit er Ein heimischer ist. Nicht nur die ältere Generation. Auch die ganze Schuljugend, die aus Volksschulen oder den Gymnasien heraus­strömt. Auch die kleinen Dreifäsehochs, die eben schwägen fönnen. In den Schulen lernen sie beide Sprachen. Auf den Straßen hört man von ihnen nur das gemütliche Elsässer Dütsch.

Diefe Stadt hat ein besonderes Schicksal. Schicht um Schicht lagert hier abwechselnd deutsche und französische   Tradition, ger­

stiegen. Die Regierung Pilsudskis veröffentlicht zwar Statistiken, in denen es heißt, daß Polen   nur 350 000 Arbeitslose habe, aber der Kenner weiß, daß das nur ein winziger Bruchteil der ohne Arbeit lebenden Menschen in Polen   ist. Millionen Existenzen sind in Polen  erschüttert, Millionen sind brotlos, die feine Arbeitslosenstatistik um­faßt und die somit keine offizielle Unterstützung bekommen! Gäbe es feine privaten Wohlfahrtsorganisationen, so würden in diesem Teil Europas   Tausende des Hungers sterben. Wir kennen die Elends­quartiere der europäischen   Großstädte, wir kennen die furchtbare Not der Arbeitslosen in Amerika  , aber nur wenige fönnen sich die Lage in den Elendsquartieren der polnischen Städte vorstellen!

In den Industriebezirken Polens   raucht schon seit Monaten tein Schlot mehr, die meist kinderreichen Arbeiterfamilien müssen mit wenigen Zloty in der Woche auskommen. Kürzlich reiste eine ameri­fanische Untersuchungsfommission durch Polen  . Sie stellte fest, daß in den Industriebezirken Zehntausende von Menschen nur einmal wöchentlich Mittag essen, obgleich die Produkte sehr billig sind und die Not die Bauern zwingt, z. B. Kühe für 24 Mart zu verkaufen. Fleisch kann sich eben die große Masse der Bevölkerung nicht leisten. In Weißrußland   herrscht unter den Ukrainern eine solche Not, daß ein polnischer Richter sich öffentlich weigerte, Lebensmitteldiebstahl zu bestrafen, da die Menschen gezwungen sind zu stehlen, um nicht zu verhungern. Fünf Minuten von den Lurusstraßen Warschaus  , in nächster Nähe der hell beleuchteten Lurushotels, der Regierungs­paläste und der großen Geschäfte, die Warschau   den Namen Klein­Paris gegeben haben, herrscht bitterste Not, von der besonders das Judenviertel betroffen ist. Die Handwerker und Kleinhändler haben dort jeden Verdienst verloren. Von der Regierung werden sie nicht als Arbeitsloje, sondern noch immer als Steuerzahler behandelt. Es ist ein tägliches Bild, daß Gerichtsvollzieher aus den kleinen Woh nungen der Elend squartiere die letzten Möbel, die letzten Bettstellen zur Versteigerung fortbringen. Ausländer, die vom heutigen War­ schau   mehr als die Hauptstraße Marszalkowska fennen, nennen es nicht mehr Klein- Paris, sondern die ,, Stadt der Bettler". Die Polizei ist zwar angewiesen, jeden Bettler wegzujagen oder zu verhaften,

manische und gallische Kultur übereinander. Gewalttätig hat 1918 der Triumph der Entente Straßburg in Strasbourg   umgewandelt. Im Selbstbewußtsein des Siegers überzog Frankreich   mit dem glänzenden Firnis seiner Lebensform, seiner Sprache das Deutsch  tum dieser Zentrale des Elsaß  . Alle Straßenschilder, alle Geschäfts­inschriften bis hin zu den armseligsten Wäschereien und Küchen der uralten Viertel am Ill find rein französisch. Nur für die histo rischen Gassen um das Münster   herum hat man doppelsprachige Namen wieder zugelassen, und so geht man immer noch in die Krämergasse und nicht in die rue mercière hinauf, um flopfenden Herzens das Wunder der Münsterfassade anzustaunen, das hier am Ende der engen Straßenzeile bis in die Wolken sich auftürmt.

Deutsches Blut pulst durch die Adern dieses alten stolzen Stadt­förpers; aber das Gewand, in das er sich gekleidet hat, ist fran­3ösisch. Und doch, bei aller Wesensverschiedenheit, bei aller Dick­föpfigkeit der alemannischen Bauernrasse und allem Selbstgefühl der französischen   Verwaltung: man verträgt sich! Man kommt mit einander aus. Friedlich stehen deutsche   Schüler und französische   Sol daten nebeneinander. Vor dem Stadttheater warten die Riesen autobusse des Karlsruher Staatstheaters, das hier vor übervollem Hause das Weiße Röß'l" spielt, während auf dem Broglieplatz Pariser   Offiziere, marokkanische Schützen und Touloner Matrosen auf und ab promenieren. Man beißt sich nicht. Während sich in Deutschland   Hitlerjugend   und Jungbanner erbitterte Schlachten liefern, leben hier zwei einander blutsfremde Völker wie vernünftige Ehegatten miteinander. Völkerhaß ist eben nicht ein Naturverhäng nis, sondern eine Kulturentartung. Das Zersetzungsprodukt einer geistigen Verkümmerung, das Gegenteil von Volksgesundheit.

Wenn allerdings das nationalistische Fieber in Deutschland  immer gefährlichere Formen annimmt, so ganz gemiß deshalb, weil der Sumpf der Wirtschaftskatastrophe sein bester Nährboden ist. Man kann in Frankreich  , man fann in Straßburg   schon gelassener und verbindlicher sein, weil man mehr Arbeit hat. Im Straßen­bild sieht man nirgends die typischen Elendsgestalten der deutschen  Erwerbslosen, sieht man keine Bettler, feine bankerotten Läden und darum feine Hakenkreuze. Im Gegenteil, in den Neuesten Nachrichten" werden spaltenlang Arbeitskräfte gesucht. Eine Er­scheinung, die uns wie ein Wunder dünkt.

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Eie öffentliche Bersammlung der Sozialdemokratie in einem der größten Säle der Stadt atmet deshalb eine politische Kultur, die, verglichen mit der vergifteten Atmosphäre bei uns, fauber und erfrischend wirkt. Der Redner, zunächst gemütlichste heimische Mundart, dann unvermittelt elegantes und beschwingtes Französisch, berauscht sich und seine Zuhörer an seinen Gedanken­flügen über die Idee der Freiheit und der Humanität. Ich denke an eine Bersammlung daheim: Saalschutz, Störungstrupps, geifernde Zwischenrufe, Hunger, Notverordnungen... da spricht sichs nicht ganz so einfach wie hier am Kleberplay.

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man kann aber wohl gegen Hunderte vorgehen, jedoch nicht gegen Tausende und Zehntausende, die in Lumpen gekleidet die Straßen Warschaus   bevölkern. Die Statistik der jüdischen Gemeinde von Warschau   zeigt erschreckend, wie hoch die Zahl der Unterstügungs­empfänger ist, und viele, sehr viele müssen abgewiesen werden. Im Arbeiterviertel von Warschau   wurden in diesem Winter Nacht für Nacht Menschen erfroren aufgefunden, weil sie im strengen Frost, von Hunger ermattet, auf der Straße hinfanten, um zu sterben. Dazu fommt, daß im Armenviertel von Warschau   eine schreckliche Woh­nungsnot herrscht und die Wirte rücksichtslos jeden ermittieren, der die Monatsmiete nicht bezahlt. Man findet in jedem Wetter Fa­milien unter den Weichselbrücken sitzen oder sich in Hausfluren wärmen. Private Wohlfahrtsorganisationen haben Baracken für diese Armen hinter der Stadt errichten lassen, aber man hat lein Geld mehr, um die Baracken zu heizen. Der Sommer jetzt wird den Frost zwar hinwegnehmen, aber der Hunger bleibt und wird noch stärker.

Kinderarbeit gab es immer in Polen  , heute gibt es dazu noch Kinderelend, und gewissenlose Menschen nutzen dieses Elend zu ihrem Vorteil aus. Kinder als Arbeiter tosten wenig Geld, und so fann man in Warschau   erschöpfte und von Hunger geplagte Kinder bis zu 14 Jahren sehen, die versuchen, als Lastträger wenigstens ein Stückchen Brot zu verdienen. Fast zusammenbrechend schleppen fie auf den schmalen Schultern schwere Kisten, die für einen Mann eine beachtliche Last wären. Daß die Eltern ihre eigenen Kinder zum Betteln in die Stadt schicken, ist keine Neuigkeit mehr. Kaum ver­schwindet ein Polizist um die Ecke und schon stürzen die kleinen, abgerissenen Gestalten aus den Nebenstraßen und betteln, nicht um Geld, sondern um ein Stückchen Brot.

In den anderen Städten Polens   ist es nicht anders. Im Winter können die meisten Arbeiterfamilien ihre Kinder nicht zur Schule schicken, weil sie keine Kleidung besitzen. Ein polnischer Sozialdemo frat jagte einmal, das Militär sollte von seinem vielen schönen Tuch den armen Kindern etwas abgeben. Aber da ging ein Sturm los, denn der Ausländer aus seinem Hotelfenster soll immer schöne saubere Uniformen sehen; die armen Kinder vom Elendsviertel sieht er ja nicht! Ein ausländischer Wirtschaftsfachmann, ein abgebrühter Amerikaner, der sich sonst nicht sehr rühmen kann, soziales Gefühl zu befizen, sagte in Amerika   in einem Vortrag über Polen  : ,, Glauben Sie mir, ich war eine Stunde im Armenquartier von Warschau  , 10 Minuten nur sah ich eine Schule, in der Arbeiterkinder lernten, und feinen Bissen konnte ich in meinem Hotel herunterbringen!"

Man sollte den Lurusreisenden mit den dicken Brieftaschen nicht nur die Lurusstraßen zeigen, sondern auch die Rückansichten der großen Städte, vielleicht würde sich das Weltbild dann doch etwas ändern.

Das Herz der Stadt ist das Münster  . Romanische und gotische Frömmigkeit haben sich in ihm verschmolzen und ihrem Weltgefühl ein Bekenntnis in den Weltenraum hineingeformt, dem sich der kleine Mensch da unten in Demut beugt. Erwin von Steinbach  , der hier vor mehr als einem halben Jahrtausend tiefste germanische Mystik in Stein und Erz sichtbar machte, hat damit den Charakter dieser Stadt für immer festgelegt: sie gehört der deutschen   Seele. Daran vermag auch der Priester nichts zu ändern, dessen französische Predigt unter den Gewölben verhallt. Fremd und barbarisch er­glänzt zu seiten des Chors die Statue der Jungfrau von Orleans, deren frischbronzierter Panzer im Licht von Glühbirnengirlanden er­strahlt. Glühbirnenarabesken im Münster zu Straßburg  ! Frank­ reichs   Generäle sollten ihren Kunstpatriotismus in ihren Rafinos abladen, nicht in Meister Erwins Dom.

Ostelbische Junker haben unter den Hohenzollern   in diesen Straßen hochmütig den Eroberer gespielt. Pariser   Offiziere äffen ihnen heute nach. Das Volk von Straßburg   lehnt beide ab. Es weiß, daß ihm das Schidjal seiner Geschichte und seiner Lage eine besondere Mission auferlegt hat: Brüde zu sein zwischen zwei großen Völkern.

Goethe gegen Papen

Ich armer Teufel, Herr Baron, Beneide Sie um Ihren Stand, Um Ihren Play, so nah am Thron, Und um manch' schön Stück Aderland, lim Ihres Vaters feftes Schloß, Um seine Wildbahn und Geschoß.

Mich armen Teufel, Herr Baron, Beneiden Sie, so wie es scheint, Weil die Natur vom Knaben schon Mit mir es mütterlich gemeint. Ich ward mit leichtem Mut und Kopf Zwar arm, doch nicht ein armer Tropf.

Nun dächt' ich, lieber Herr Baron, Wir ließens beide, wie wir sind, Sie blieben des Herrn Vaters Sohn Und ich blieb meiner Mutter Kind. Wir leben ohne Neid und Haß, Begehren nicht des andern Titel, Sie feinen Platz auf dem Barnaß, Und feinen ich in dem Kapitel.

( Aus Wilhelm Meisters Lehr­ jahre  . III. Buch, 9. Kapitel.)