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BERLIN Sonnabend

18. Juni

1932

Der Abend

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Nr. 284

B 142 49. Jahrgang

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Schwindel der Reaktion entlarvt

Die Wahrheit über den Reichshaushalt

Wir wissen, daß man troh Rentenkürzung und neuer Steuern sehr wahrscheinlich mit der Aufnahme eines Ueberbrüdungskredits für Juli und einer Vermeh­rung der schwebenden Schuld des Reiches rechnen muß, nur um die Kaffenlage zu halten!"

,, Deutsche Bergwertszeitung", 16. Juni 1932.

Die Notverordnungen des Kabinetts Brüning entsprachen nicht unseren Wünschen. Aber mit ihnen wurde durch mehr­malige schmerzhafte Opfer, die die breiten Massen aus Staats­interesse ertragen, der Reichshaushalt ausbalancieri. Darüber hat in den Tagen, da das Kabinett Brüning gestürzt wurde, die Haushaltsabteilung des Reichsfinanzministeriums einen ausführlichen Bericht erstattet.

Am 1. Juni 1932 verschickte der damalige Direktor der Haushaltsabteilung im Reichsfinanzministerium, Graf Schwerin von Krosigt, den Abschluß der Bücher der Reichshauptkasse für das Rechnungsjahr 1931.

Der Jahresabschluß der Reichshauptkasse per 31. März 1931 ergibt eine schwebende Schuld, also einen Gesamtfehl­betrag von 1690 Millionen Mark gegenüber 1525 Millionen Marf für 1930. Dazu erklärte die Haushaltsabteilung des Reichsfinanzminifteriums:

,, Bei der Beurteilung des im Jahre 1931 entstandenen Feil­betrages des ordentlichen Haushalts ist zu berücksichtigen, daß er mit 134 Millionen Mark dadurch entstanden ist,

daß Reichsbankvorzugsaffien in weit höherem Nennbetrage nicht verkauft worden sind, diese Werte also dem Reich erhalten geblieben sind.

Es ist weiter zu berücksichtigen, daß im Rechnungsjahr 1931 trotz der überaus schweren Wirtschaftskrisis neben der regelmäßigen Tilgung der fundierten Schuld in Höhe von über 250 Millionen Mark 420 Millionen Mark schwebende Schulden getilgt worden sind, also ein Betrag, der ungefähr dem neu entstandenen Fehlbetrage entspricht. Der Schuldenstand war demgemäß am Ende des vergangenen Rechnungsjahres nicht höher als zu deffen Beginn." Was für Gefühle muß der neue Herr Finanzminister haben, wenn er heute als Kommentar zu der von ihm mit ausgearbeiteten Elendsverordnung liest, zum Beispiel in der

,, Berliner Börsenzeitung" ,,, daß sie bezwecke, das drohende Kassenchaos zu beseitigen, das das Kabinett von Papen als Erbe der Regierung Brüning übernommen hat".

Der Berliner Lokal Anzeiger": Die Defizit wirtschaft ist ein besonderes Charakteristikum der Aera Brüning­Dietrich gewesen. Aber das schlimmste war, daß aus dem bilanz­mäßigen Defizit ein regelrechter Kassenfehlbetrag, ein Kassenchaos, zu werden drohte."

In der reaktionären Provinzpresse geht es noch saftiger zu. Die Schlesische Zeitung" zum Beispiel schreibt, daß die Regierung Brüning eine Finanzlage zurückgelassen habe, die den sofortigen Zusammenbruch von Reich, Ländern und Ge= meinden herbeigeführt hätte, menn nicht die Reichsregierung von Papen mit der neuen Elendsverordnung sofort eingegriffen hätte. Und die Fachpresse des deutschen Unternehmertums, wie zum Beispiel die

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,, Deutsche Bergwerks 3eitung" meint jogar, daß jetzt die Regierung von Papen nur das Testament des Kabinetts Brüning vollstreckt und kündigt zugleich eine Vermehrung der schwebenden Schuld des Reiches an.

Alle diese Behauptungen der mit der derzeitigen Regierung sympathisierenden Zeitungen sind Ohrfeigen für den neuen Reichsfinanzminister. Noch vor vierzehn Tagen hat er der gesamten deut­ schen Presse den Jahresabschluß der Reichshauptkasse für das abgelaufene Rechnungsjahr mit genauen Erläute rungen vorgelegt und ausdrücklich betont, daß es ge­lungen sei, die Kassenlage auf dem Stand von 1930 zu halten und eine Verschlechterung zu verhüten. Ueber die Einzelheiten, wie das möglich war, braucht heute nicht mehr gestritten zu werden, da feststeht, daß es zuerst die Opfer der breiten Massen gewesen sind, die jenes Resultat er­

Neuer Auftakt zum Bürgerkrieg.

150 Nationalanarchisten gegen 35 Republikaner .

An der Ecke Goethe- und Schlüterstraße in Char -| lottenburg wurde am Freitag abend furz nach 10 Uhr eine Gruppe von 35 Reichsbannerleuten von etwa 150 S2.- Ceuten über­fallen. Troh der vielfachen zahlenmäßigen Ueberlegenheit wehrte fich die kleine Gruppe Reichsbanner erfolgreich. Leider find bei dem Handgemenge ein Reichsbannertamerad schwer und drei weitere leicht verletzt worden.

Gestern abend hatte das Reichsbanner in der Pestalozzistraße einen Turnabend, und zur gleichen Zeit hielt die Sozia listische Arbeiter Jugend einen Heimabend in der Goethestraße ab. Es war vereinbart worden, daß nach Schluß der Turnstunde die Reichsbannerkameraden die Jugendgenossen nach Hause begleiten sollten, da

in letzter Zeit wiederholt Naziffrolche über die wehrlosen Jugendlichen hergefallen

waren.

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Als sich die Reichsbannerleute mit den jungen Genossen auf den Heimweg machen wollten, vertraten ihnen etwa 150 SA. Leute, die fast ausnahmslos Uniform trugen, den Weg. Gleichzeitig wurden aus der SA. Kneipe in der Goethestraße mehrere Dugend Stühle auf die Straße gereicht. Mehrere Nazis zerbrachen die Stühle und reichten ihren SA. - Mordkumpanen die herausgebrochenen Stuhlbeine, Lehnen usw., mit denen sie auf das Reichsbanner und die Jugendgenossen einschlugen. Kamerad Grünberg mußte mit schweren Gesichtsverlegungen zur nächsten Rettungsstelle gebracht werden. Außerdem wurden leicht verletzt die Kameraden Richter, Woitsche und Kuhn. Dem Kame­raden Grünberg wurde von der nationalsozialistischen Bande das Fahrrad gestohlen, und mehreren anderen Kameraden wurden die Taschen mit dem Turnzeug entwendet. Als das Ueberfallkommando, das vom Reichsbanner gerufen

worden war, in der Goethestraße eintraf, besaßen die National­sozialisten, die sich in offensichtlicher sechsfacher Uebermacht befunden hatten, die unglaubliche

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Unverschämtheit, zu behaupten, das Reichsbanner hätte das Lokal demoliert.

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Drei Nazis wurden festgenommen. Vier Reichsbannerleute stellten sich als 3eugen zur Verfügung, wurden auf der Politischen Polizei allerdings behandelt, als wenn sie zwangsgestellt ſeien. Inzwischen sind die Nazis wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Ausgesprochenen Straßenterror also bereits eine übten die Terro­deutliche Form des Bürgerkriegs risten vom Hakenkreuz gestern in Neukölln am Hermannplay und in der Urban- und Kaiser Friedrich- Straße aus. Offenbar auf Grund von vorherigen Abreden und ergangenen Befehlen" kämmten" sie in Gruppen von 15 bis 20 Uni= formierten die Straßen nach Republikanern ab. Wenn die Polizei auftauchte, verschwand die Bande in ihren Kneipen. In der Kaiser- Friedrich- Straße wurden drei junge Leute, offenbar Kommunisten, von 15 uniformierten Nazis nieder­geschlagen. Als das Ueberfallkommando erschien, wurden nicht etwa die Täter, sondern die Ueberfallenen fest= Der Führer der SA. stand nämlich beim Er­genommen. scheinen der Polizei stramm" und erklärte, die drei hätten den Ueberfall inszeniert. An diesen beiden Fällen ist klar zu erkennen, daß die SA. von höherer Stelle Anweisung hat, in jedem Falle

den Gegner des Ueberfalls zu bezichtigen. Man braucht ein Alibi zur ungehinderten Ausübung des legalisierten Mordterrors. Die Republikaner werden diesen ,, Anordnungen" durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen wissen.

Der Kampf um Hessen

Massenfundgebung der Sozialdemokratie

Darmstadt , 18. Juni. ( Eigenbericht.)

Am Freitagabend fand die Reihe der großen Parteifund­gebungen zur Heffenwahl mit einer Riesendemonstration der Sozial­demokratischen Partei in Darmstadt ihr Ende. Der mit dem neuen Symbol der Eisernen Front, den drei Pfeilen, und dem Kampfruf Freiheit" durchgeführte Wahlkampf zeigt unverkennbar ein ffim­mungsmäßiges Zurückweichen des Hakenkreuzes. Eine schwer zu schildernde Begeisterung hat die Masse der Arbeiterschaft erfaßt im Kampf gegen die drohende Bersklavung.

Den Reden des Reichstagspräsidenten Löbe, des Staatspräfi­denten Adelung, des Führers der Sozialistischen Arbeiterjugend Ollenhauer und des Berliner Reichsbannerführers Dr. Hau­ba ch folgten hingerissen die 20 000 Menschen, die nicht erst, wie zwei Tage vorher, in der Hitler- Versammlung von weit her herangeholt werden mußten, sondern lediglich, abgesehen von kleineren Abord­

reichten. Aber festgestellt muß werden, daß die neue Elends­verordnung nicht aus dem Jahresabschluß des Reichshaus­halts für 1931 erklärt und begründet werden kann,

sondern verfaßt wurde, weil der Reaktion die Gelegenheit günstig erschien, ihre Wünsche zu ver­wirklichen.

Die Schuztruppe für diese Maßnahmen hat als Gegenleistung dafür das Recht auf eine neue Uniform bekommen. Ein Irrtum wird es bleiben, daß das Volk stillhalten und zahlen Die Reichstagswahl wird eine fürchterliche Ab­rechnung sein

Der Reichstag wurde aufgelöst, weil er angeblich nicht mehr der Meinung des Volkes entsprach. Die breiten Massen merden ihre Meinung deutlich sagen! Kurt Heinig.

nungen der nächsten Umgebung, aus Darmstadt selbst stammten. Der aus unzähligen Sondergruppen mit Transparenten und symbolisch belebten Wagen bestehende

Fackelzug von 10 000 Teilnehmern

stellte einen Aufzug dar, der den Hitlers weit übertrumpfte. Die von weiteren 20 000 Zuschauern gefüllten Durchmarschstraßen Darm­stabts hallten bis lang nach Mitternacht von Freiheitsrufen wide r. Reichstagspräsident Löbe gab Hitler die gebührende Ant­mort, nicht nur auf das, was Hitler gesagt, sondern auch auf das, worüber er geschwiegen hatte, so insbesondere von der neuesten Notverordnung. Wenn Hitler jetzt von Versöhnung und Volksgemeinschaft redet, so sei zu fragen,

ob es jemals seit 70 Jahren in Deutschland soviel Haß und Bluf gegeben habe,

als seit dem Bestehen der Hitler- Bewegung. Unsere Arbeitskraft, so schloß Löbe, wird dem Dritten Reich nicht zur Verfügung stehen.

Ruhe und Ordnung."

Mit Sensen und Hacken gegen das Reichsbanner.

Groß- Gerau ( Hessen ), 18. Juni. Im benachbarten Geinsheim sollte gestern abend eine sozial­demokratische Wahlversammlung stattfinden, zu der Mitglieder des Reichsbanners aus Groß- Gerau und Trebur erschienen waren. Bei der Ankunft der 70 Reichsbannermitglieder in Geinsheim wurden fie von etwa 200 Geinsheimer Einwohnern, die national­

1ozialistisch eingestellt sind, mit Hacken, Sensen und knüppeln angegriffen. Ein Reichsbannermann aus Trebur erlitt einen schweren Schädelbruch, zwei weitere Reichsbanner­leute wurden ebenso wie ein Geinsheimer Einwohner schwer verlegt. Zahlreiche weitere Personen erlitten leichtere Ber­lekungen. Gendarmerie und das aus Darmstadt herbeigerufene Ueberfallkommando ftellten die Ruhe wieder her.