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BERLIN  Montag 20. Juni 1932

Der Abend

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Vormarsch in Hessen  

Die Sozialdemokratie gewinnt Stimmen und Mandate/ Keine Nazimehrheit/ Keine Rechtsmehrheit

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Die Landtagswahl in Hessen   hat Bedeutung als Vorblick auf die kommende Reichstagswahl stärker als die Wahlen in Oldenburg   und Mecklenburg  . In Hessen   gleicht die Stel­lung der Parteien dem Reichsdurchschnitt. Das Ergebnis ist: Sozialdemokratischer Vormarsch!

Keine Nazimehrheit!

Keine Papen- Mehrheit!

SA.   Aufruhr in München  

Mobilmachung gegen die Ministerpräsidentenwohnung/ Sie wollten 1923 spielen

Novemberputsch von 1923 im Reichsmaßstab zu wiederholen!

Das Braune Haus   in München   hat einen regelrech| Zustände in Deutschland   eintreten würden, wenn Hitlers  Das ist ein günstiger Ausblick auf die kommende Reichsten Aufruhr gegen die bayerische   Regierung organisiert. Bürgerkriegsarmee den Versuch unternehmen sollte, den tagswahl! Wo ist die Mehrheit der Regierung der Barone? Jeßt gilt es nun, unseren Vormarsch zu verstärken, den Kampf gegen das Kabinett der Barone und gegen die hinter diesem Kabinett stehende Nationalsozialistische   Partei zu verdoppeln!

Das Wahlergebnis von Hessen   darf nur ein Ausblick auf die kommende Reichstagswahl sein, kein getreues Abbild ihres Ergebnisses! Unser Vormarsch muß weitergehen, die Bewegung, die im Gange ist, sich verstärken! Jezt muß aus dem Stellungskrieg gegen die Reaktion der angriffsweise Bewegungskrieg werden!

Borwärts zum Angriff auf die Reaktion!

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Darmstadt  , 20. Juni.  ( Eigenbericht.) Die Wahl in Hessen   hat der Sozialdemokratie Stimmgewinn und Mandatsgewinn gebracht. Sie hat im neuen Landtag 17 Mandate gegen 15 im

alten Landtag.

Die Wahl hat der Hitler  - Partei die von ihr erwartete absolute Mehrheit nicht gebracht. Die Hitlerianer haben zwar auch ihre im November erhaltenen Stimmen noch um einige Prozent zu vermehren vermocht, jedoch sind ihnen von den 70 zu vergebenden Mandaten statt der erwarteten 36 Site nur 32 zugefallen. 54,2 Proz, der hessischen Wähler haben den Nationalsozialisten auch diesmal die Gefolgschaft versagt.

Der sozialdemokratische Erfolg ist erfreulich und bemerkenswert. Die Sozialdemokratie behauptete nicht nur ihre Stimmziffern vom November 1931, sondern erhielt darüber hinaus weitere rund 5000 Stimmen und steigerte ihre Mandatsziffer ent­sprechend den Enwartungen von 15 auf 17 Sigen. Katastrophal haben sich dagegen die Kommunist en geschlagen. Sie verloren rund 25000 Stimmen und behaupteten von ihren bisherigen 10 Mandaten nur 7. Die Partei der Spalter um Seydemiz und Rosenfeld  , die auch diesmal mit der kommunisti­ schen   Opposition marschierte, verlor nicht weniger als 50 Proz. der im November aufgebrachten Stimmen, indem sie von 23000 auf rund 11000 Stimmen zurüdging und infolgedessen von den bisherigen zwei Mandaten nur eines erhält. Aehnlich tatastrophal ist der Verlust der Nationalen Einheits= liste", hinter der sich sämtliche Spalter der Mitte, wie die Wirt­schaftspartet, das Landvolk und die Staatspartei verstecken. Diese

Obwohl in Bayern   ein Demonstrationsvorbot und ein Uniformverbot besteht, hat eine regelrechte Mobilmachung auf zentralen Befehl stattgefunden, die SA.   aus der umgegend von München   wurde auf München   in Marsch gesetzt, in geschlossenen, uniformierten Zügen versuchte sie gegen die Wohnung des Ministerpräsidenten vorzudringen. Mit einem Worte: es sollte 1923 gespielt werden!

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Wie 1923 wollte das Braune Haus der bayerischen  Regierung beweisen, daß die Nationalsozialistische Partei auf das Gesez pfeift und macht, was sie will! Man kann in diesem SA.  - Aufruhr eine Parallele zu dem Aufmarsch von Hitlers   Truppen auf dem Oberwiesenfeld sehen. Das war damals die Generalprobe zum Novemberputsch! Die Verantwortung der Reichsleitung der NSDAP  . für den Münchener   Aufruhr steht einwand­frei fest. Unter den Verhafteten befinden sich Führer der einschlägigen Spezialrefforts aus dem Braunen Haus  .

Hier liegt ein ganz eklatanter Fall der Friedensverletzung und der Gesetzesverletzung vor, über den das Reichsinnen­ministerium nicht hinwegsehen darf. Es ist nicht die Rede davon, daß es sich dabei um unkontrollierbare Gruppen ge= handelt habe, vielmehr ist die Bürgerkriegsarmee des Herrn Hitler   ganz offiziell in die Erscheinung getreten!

Wie 1923! Vielleicht macht sich das Reichsinnen­ministerium flar, was dieser Vergleich bedeutet, und welche

Reichsgeld für Schwerindustrie.

Der Staat als Wohlfahrtsanstalt für Trustherren.

Die Reichsregierung, die das Wort geprägt hat, daß der Staat keine Wohlfahrtsanstalt sein dürfe, hat soeben einen Betrag von 0 Millionen Mark zur Sanierung der rheinisch- westfälischen Schwerindustrie ausgeworfen! Der Staat als Wohlfahrtsanstalt für die Trustherren! ( Näheres siehe 4. Seite.)

auf Kosten der bürgerlichen Mitte geht. Immerhin hat es den Anschein, als ob diesmal auch in Hessen  , ähnlich wie beim zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl, z a hlreiche Kom

Unruhen im Regierungsviertel.

München  , 20. Juni.  ( Eigenbericht.) In München   versuchten die Nationalsozialisten am Sonntag Massendemonstrationen gegen das bayerische Uniformverbot durchzuführen. Schon am frühen Morgen gab es in den Außenvierteln starke Ansammlungen und Kundgebungen uniformierter Trupps, die nach dem Zentrum der Stadt vorzurücken versuchten. Von den Außenbezirken Freising   und Nymphenburg   her versuch­ten starke Kolonnen in die Innenstadt vorzubringen, wurden jedoch schon im Anmarsch von der Polizei gestellt und aufgelöst. Auch oberbayerische SA.  - Trup­pen waren mit herangeholt worden, so daß es sich ganz offensichtlich

um eine von der Zentralleitung befohlene Aktion handelte.

"

Insbesondere hatten die Demonstranten es auf die Wohnung

des bayrischen Ministerpräsidenten abgesehen, dem ein Sonntags­ständchen" gebracht werden sollte. Immer wieder ertönten Rufe: Auf zu Held! Nieder mit Held!" Die Polizei hatte von den Ab­Demonstrationen im Reime erstidt werden konnten. Immer sichten der Nazis rechtzeitig Kenntnis erhalten, so daß auch hier die hin gelang es größeren Trupps, das Gebäude des Ministerpräsi­diums zu erreichen, wo sie grölten und Drohungen gegen die baye­rische Regierung ausstießen.

Berittene Gendarmerie und starke Polizeikräfte griffen scharf durch und zerstreuten die Demonstranten. Vielfach wurden Offiziere und Polizeibeamte bei der Säuberung der Straßen angespuckt. Insgesamt wurden 470 Unifor= mierte zwangsgestellt, unter ihnen zahlreiche Bonzen des Braunen Hauses  , darunter in der Hauptsache Prinzen und Grafen. Die Verhafteten, gegen die das ge= richtliche Verfahren bereits eingeleitet ist, wurden gegen abend

Günstige Aussichten für die Sozialdemokratie! Frankfurt   a. M., 20. Juni.  ( Eigenbericht.)

Zum Ergebnis der hessischen Landtagswahlen schreibt die

Barteien gingen von 47 445 Stimmen, die sie insgesamt im No- munisten zu den Bundesbrüdern von rechts hinübergewechselt find. Frankfurter Zeitung  " u. a.: Ergibt sich aus dem Ergebnis

Dember erhalten hatten, um fast die Hälfte, auf 24675 Stim= men zurück. Das bedeutet einen Rückgang der Mandate von fünf auf zmei. Aller Voraussicht nach werden diese Mandate ein Volksparteiler und ein Angehöriger des Landvolk erhalten. Die Staatspartei geht voraussichtlich leer aus. Das Zentrum verlor rund 4000 Stimmen, behauptete jedoch seine bisherigen zehn

Mandate.

Das vorläufige amtliche Ergebnis lautet:

Mandate 17( 15) 10( 10) 7( 10) 1( 2)

Soz.

.

·

Zentr.

Komm.

Spalterpartei

172 550( 168 101) 108 603( 112 244) 82 051( 106 790) 11697( 23 108) 11 267( 10 857) 328 268( 291 183)

1( 1)

32( 27)

Dnat.

Natioz.

Hess. Dem.

Einheitsliste

4930

( 4613)

24 675( 47 445)

0( 0) 2( 5)

Das Ergebnis zeigt, daß der Gewinn der Nationalsozialisten in der Hauptsache wiederum, mie bei allen Wahlen der legten Zeit,

Die Frage der Regierungsbildung ist in Heffen durch das Er­gebnis der geftrigen Wahlen nicht einfacher, sondern noch fomplizierter geworden.

Eine stabile Mehrheit ist nur zu bilden durch das Zusammenwirken von Nationalsozialisten und Zentrum, deren gegenseitiges Verhältnis heute schlechter ist denn je. Andererseits würden für den Fall, daß die zwei Abgeordneten der Einheitsliste fich mit den Deutschnatio­nalen auf die Seite der Nazis schlagen sollten, 35 Mandate der Rechten und der bürgerlichen Mitte die gleiche Zahl von Mandaten der übrigen Parteien gegenüberstehen. Angesichts dieser politisch­parlamentarischen Situation bleibt das Zentrum in Hessen   für eine Regierungsbildung auf parlamentarischer Grundlage ausschlaggebend.

Der Wahltag selbst ist in Hessen  , von kleineren Zwischenfällen abgesehen, ruhig verlaufen. In der Nacht zum Sonntag tam es jedoch insbesondere in Mainz   zu schweren Zusammenstößen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Mehrere Personen munden jo jdymer verlegt, daß sie ins Krantenhaus geschafft werden mußten.

der gestrigen hessischen Wahlen eine Vorschau auf die kommenden Reichstagswahlen? Das ist schwer zu sagen. Die Partei Hitlers  wird einen neuen Fortschritt bejubeln, aber auch die Sozialdemo­traten haben zugenommen, und das Zentrum hat seine Stellung gehalten.

Die Sozialdemokraten dürfen ohne falschen Optimis­mus darauf rechnen, daß die Auswirkung ihrer Oppositionsstellung mit jeder neuen Woche der Ne­gierung Papen  , wenn es so fortgeht wie bisher, sich verstärken wird.

Gleichermaßen wird wohl auch das Zentrum damit rechnen, daß die propagandistische Wirkung seiner Opposition sich erst all­mählich einstellt. Jedes Prophezeien auf den 31. Juli verbietet sich ja heute schon dadurch, daß in den Wochen bis dahin es voraussicht­lich nicht an lebhaften und vielleicht tief eingreifenden politischen Und wer Vorgängen, innen- und außenpolitischen, fehlen wird. wollte voraussagen, zu wessen Gunsten diese noch ungeschehenen Borgänge fich dann wohlpolitisch auswirken würden?