Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Montag, 20. Juni 1932

Der Abend

Spalausgabe des Vorwards

Bismarcks großes Spiel

Die geheimen Tagebücher Ludwig Bambergers

Als am 15. Juni 1888 die Neunundneunzig- Tage- Herrschaft Kaiser Friedrich I. zu Ende ging, wurde im Auftrage des Kron­prinzen Wilhelm  , des nun designierten Kaisers, das Schloß des Toten von Gardehusaren umstellt und bewacht; man wollte den liberalen Ratgeber des foeben dahingegangenen Kaisers festnehmen, das Ge­heimnis der 99 Tage enthüllen. Vergebens. Und doch gab es dieses ,, Geheimnis", nur daß die Tagebücher des liberalen Politikers Lud mig Bamberger, die den Schlüssel zur Lösung jenes Geheim­nisses bedeuten, bis heute unbekannt geblieben sind. Während dreier Jahrzehnte, von 1867 bis 1897, hat Ludwig Bamberger   zur eigenen inneren Rechenschaft, nicht zum Zwecke der Veröffentlichung, Auf­zeichnungen gemacht, die der Herausgeber Dr. Ernst Feder mit Recht unter dem Titel: Bismards großes Spiel" zu­sammenfaßt.( Sozietäts- Verlag, Frankfurt   a. M. Mit Anlagen, Anmerkungen und Register 583 Seiten.) Bambergers Tagebücher werden in Zukunft zu den wichtigsten und bedeutungsvollsten Doku­menten gehören, die uns zur politischen und sozialen Geschichte des legten Drittels des 19. Jahrhunderts überliefert worden sind. Die äußerst sachkundigen Anmerkungen des Herausgebers machen das Werk besonders wertvoll.

Drei Jahrzehnte ist Ludwig Bamberger  , der schon als Fünfund­zwanzigjähriger in der 48er Revolution den badisch- pfälzischen Auf­stand mitgemacht hatte, einer der Führer des deutschen   Liberalismus gewesen; seine Tagebücher lassen die innere Wandlung des deutschen  Liberalismus deutlich erkennen; aber ebenso aufschlußreich sind die neuen Dokumente für eine intime Kenntnis Bismards, in dessen un mittelbarer Nähe Bamberger oft und lange geweilt hat.

Nach der Revolution von 1848 lebte Bamberger zwanzig Jahre im Eril. Er widmete sich, durch seine Rechtskenntnis, sowie durch seine Familienverbindungen begünstigt, dem Bankfach. In England und von 1853 an in Paris   arbeitete Dr. Bamberger mit großem Er­folg in dem internationalen Bankhaus seiner Onkel Bischoffsheim  . Er wird finanziell unabhängig. Nach 1877, mehr als zwei Jahre nach dem Tode seiner Frau und nachdem er schon längst von Paris   nach Berlin   übersiedelt ist, schreibt er in seinen Tagebüchern:" Doch wenn man sich gar mit dem täglichen Brot herumschlagen müßte. Sei dankbar, daß dir dies erlassen ist!" Diese äußere Unabhängigkeit hat sicher die innere Freiheit Ludwig Bambergers start be­dingt und die vielen Jahre, die er in Paris   verbracht hatte, gaben ihm ein Kulturbewußtsein, das auch den entschiedenen Borkämpfer für die deutsche   Einheit nie seine europäische Verantwortung

vergessen ließ.

Mit dem Ausbruch des deutsch  - französischen Krieges verließ Bamberger   Frankreich   und stellte sich Bismarck   zur Verfügung, der ihn während des Krieges für das Presse- und Verwaltungswesen des besetzten französischen   Gebietes verwandte. Bamberger konnte auf diese Weise

die intime Geschichte des deutsch  - französischen Krieges von 1870/71 späteren Generationen überliefern.

Im Mittelpunkt steht immer Bismarc, dessen Bild er mit der Feder des Meisters für alle Zeiten festhält. So schreibt Bamberger Anfang 1873 nach einem Empfang bei Bismarck  : Ich beob= achtete während des langen Gesprächs nach Tisch, da ich ihm gerade gegenüber saß, zum gten Male diese Züge. Die Stimme..ist eigentlich nicht so bedeutend, wie man gemeinhin annimmt. Sehr prononziert sind nur die stark vortretenden Stirnknochen über den Augen,... was besonders durch die starken, buschigen wilden Augen­brauen noch mehr ins Gewicht fällt. Die Fülle des Gehirns scheint mehr unter dem vordersten Teil der oberen Schädelpartie zu liegen. Die Nase beinahe mongolisch mull; das Interessanteste und Charak­teristischste ist der Mund. Unter dem Vorhang des Schnurrbartes tann man ihn stets nur teilweise beobachten. Bei seiner gewöhnlichen Plauderei erscheint etwas Weiches und stets leicht Lächelndes auf diesen weiten Lippen, aber unmittelbar dahinter liegt etwas gewalt­sam zerreißendes, entschieden Raubtierisches. Dieser anmutig lächelnde leise Mund kann plöglich sich auftun und den Interlocutor ( Gesprächspartner) verschlingen... Das Auge ist mißtrauisch­freundlich, lauernd- hell, falt- blizend, entschieden, nicht zu verraten, was dahinter vorgeht, außer wenn er was Bestimmtes mit Absicht zeigen will. Trotzdem er im Landtag zwei lange Reden gehalten, plaudert er von 5% bis 8% Uhr ohne Unterlaß, hört nur auf sich und will nicht im Faden seiner Gedanken, die er abspinnt, irre ge­macht sein. Was ihm in den Kram paßt, schlägt er in sein Gespinſt ein, was nicht, läßt er fallen. Dabei merkt man, daß alles, was er sagt, lange und oft von ihm durchdacht und ausgesponnen worden ist, daß er sich seine Gedankenwelt zurechtmacht, in der er lebt. Er hat fie mit Bildern reich geschmückt, die jeden Augenblick humoristisch ver­wendet werden. Besonders sind sie aus der Militärwissenschaft und der Land- und Deichwirtschaft entlehnt."

Ludwig Bamberger  , an den Erfahrungen des westlichen Bar lamentarismus gereift, sieht in Bismarck   den großen Teufel", der Deutschland   zu feiner inneren Selbstverantwortung sich ent­wickeln läßt.

,, Er( Bismarck  ) desorganisiert nicht nur, wie bis. her", so notiert Bamberger   1878 ,,, alle Organisation und Regierung, sondern die fümmerlichen staats­erhaltenden Elemente im Volk selbst,

nur ganz selten einen leichten Anflug von Selbstgefälligkeit zeigt. Ludwig Bamberger   war, mit den Worten einer Freundin, ein Europäer und ein gütiger, großartiger Mensch, der alles Niedrige weit hinter sich ließ."

Der Herausgeber Dr. Ernst Feder hat den Tagebüchern eine Einleitung vorausgestellt, die ganz ausgezeichnet ist. Die deutsche  und die europäische   Deffentlichkeit muß Ernst Feder   für dies schöne und würdige Buch danken, das nachhaltig für die heute be= drohte Idee der Demokratie werben wird. J. P. Mayer.

Sexualethik

und bei der entgegenkommenden Disposition im Bolt fragt man fich Dr. S. Weinberg: immer von neuem: ob nicht abermals alles zurückgehen werde, wie 1815 und 1848." Später, im Jahre 1884, sieht Bam­ berger   flar die Gründe, weshalb Bismarck   mit den deutschen   Par­teien machen kann, was er will. Er schreibt: Dieses deutsche Par­iament ist zu spät auf die Welt gekommen, als der Parlamentaris mus bereits niederging." Bringt man diese Bemerkung mit einer anderen vom 7. August 1883 in Verbindung, so gewinnen Bam­bergers Einsichten geradezu prophetischen Charakter:" Der legte Economist  "( eine englische Zeitschrift) hat einen merkwürdigen Artikel über Parlamentarismus   gebracht mit ganz denselben Symptomen wie bei uns. Die Ertrakte der Zeitungen werden kürzer, weil das Publikum weniger davon lesen will. Man nimmt Anstoß an der Länge und Unfruchtbarkeit der Debatten. Die Gefahr, daß ein mal bei einer kritischen Situation nach innen oder außen eine starke Hand dem Parlament vorgezogen werde, wächst; um so mehr als die 3 er splitterung der Parteien die Bildung von Kabi­netten erschwert."

Wenn die Bismardsche Reichsführung vielfach( zuletzt von Beumelburg) als Vorbild für unsere heutigen parlamentarischen Schwierigkeiten gelten soll, so dürfen Bambergers Tagebücher gar manchem, der sich heute nach der starken Hand" sehnt, über gewisse Begleitumstände eines diftatorischen Regiments aufklären können. Ein Beispiel:

Der Schwiegervater des Staatssekretärs Boettcher im Reichsamt des Innern muß als Direktor der Reichsbankfiliale eine Veruntreuung von einer Mil­lion decken.

Boettcher verschafft seinem Verwandten den Betrag durch Hilfe von Bleichröder  , Hansemann und Mendelsohn. Bismarck   ersetzt seinem Staatssekretär die Million aus den Mitteln des Belfen fonds, aus dem Bismarck   ja auch bekanntlich dem bayerischen König bis zum Jahre 1884 jährlich 300 000 Mark für dessen Zustim­mung zum deutschen   Kaisertum des preußischen Königs auszahlen ließ, wobei der Uebermittler der Summe, der Oberstallmeister des Bayernkönigs, Graf von Holnstein, eine Provision von zehn Prozent jeweils gleich einbehielt. Solcher Art sind die Hand", die von keiner demokratischen Instanz kontrolliert wird! unvermeidlichen Begleitumstände einer Regierung der starken

Zum unmitelbaren Gegenspieler von Bismarck   wird Ludwig Bamberger   während der kurzen Regierungszeit Friedrich I. Kaiser Friedrich 1. und seine Frau Viktoria, die Tochter der Königin Vittoria von England, standen von jeher in tiefstem Gegensatz zu Bismarck  . Die Kaiserin formuliert diesen Gegensatz in einem Schreiben an ihre vertraute Freundin Frau von Stockmar, die die Verbindung zu Bamberger   hergestellt hatte. Die liberale Partei mitsamt Kaiser Friedrich und seiner Witwe müssen in den Staub vor die ganze Nation( man sieht, wie die Kaiserin der deutschen Sprache nicht ganz sicher ist) und jeder und jede, die ihnen treu gewesen sind! Von ihnen allen darf nie ein Mensch wieder das Haupt erheben. Zu Erempel für alle nachfolgenden Regierenden damit niemals wieder einer wage, den Versuch zu machen, liberal, tolerant, modern usw. zu regieren. Der Kulturstaat darf nicht geduldet werden,- nur der Militärstaat, Beamten­ſtaat Polizeistaat! Ein Kanzler, ein Ministerium muß regieren, auch ein absoluter und konservativer Kaiser, wenn

will!

-

-

er

Schärfer kann Bismards Regime kaum kritisiert werden, aber auch das Regime Wilhelm II.   wird von dieser Kritik getroffen. Schon am 17. November 1888 schrieb die Kaiserin ebenfalls an Frau von Stockmar:

,, Krank wird er( Friedrich) immer noch ein viel besserer Kaiser als sein unreifer Sohn, wenn dieser auch noch so gesund ist."

Aber trotz der Schwäche des todkranken Kaisers gelang es Bam­berger, den preußischen Innenminister Butttammer, dem die Deffentlichkeit konservative Wahlbeeinflussung vorwarf, zu stürzen. Niemals hat Bismarck   erfahren, daß es Ludwig Bamberger   war, der sein großes Spiel durchkreuzt hatte.

Mit Bismarcks Gedanken und Erinnerungen" und dem Brief­wechsel von Marg und Engels gehören die geheimen Tagebücher" Ludwig Bambergers zu den aufschlußreichsten persönlichen Dokumen ten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine heute verschwundene bürgerliche Kulturgefinnung spricht aus jeder Zeile dieses Buches: Ein tiefer, feiner, überlegener Geist, dessen starkes Selbstbewußtsein

Mit besonderer Leidenschaft wird in der Gegenwart um eine Neugestaltung der Sexualethit gekämpft. Die alten An­schauungen haben ihren Einfluß auf die Wirklichkeit weitgehend verloren. Am deutlichsten wird die Wandlung im Verhalten der jungen Generation. Sie hat alle Bindungen abgestreift, eine un­leugbare Tatsache, auf die der amerikanische   Jugendrichter Lind seŋ in seinen meit verbreiteten Büchern mit Nachdruck hingewiesen hat. Die Ursachen dieses Umwandlungsprozesses sind vielfach unter­sucht worden: sie liegen in den veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, in der geänderten Stellung der Frau, im Busammenbruch der gesicherten bürgerlichen Weltanschauung und in den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung, die neue Ein­fichten in die Bedeutung des Geschlechtslebens für das gesamte Leben vermittelt hat. Diese Faktoren haben die Revolution der modernen Jugend" hervorgerufen und in ihrem Gang beschleunigt.

Die tatsächlichen Wandlungen werden allgemein zugegeben, aber es herrscht Streit über die Bewertung der neuen Lage und über das, was angesichts dieser Tatsachen getan werden soll. Die Vertreter der alten" Segualethik sehen in den modernen Lebens­formen nur bedauerliche Auswüchse einer verderbten Zeit, sie halten die alten Anschauungen für die allein richtigen und lehnen daher Reformvorschläge ab, mag es sich nun um das Problem der Ab­treibung, um Erleichterung der Ehescheidung oder um neue Formen der Ehe( Kameradschaftsehe) handeln. Die Vertreter der ,, neuen" Segualethit weisen dagegen darauf hin, daß Reformen notwendig sind, weil die bisherigen Regelungen das Produkt längst ver­gangener wirtschaftlicher und sozialer Zustände sind und weil da­her die bisherige Serualethit und Ehegesetzgebung zu schweren Konflikten führen muß, die durch keinen Machtspruch zu beseitigen sind. Es handelt sich nicht darum, einfach die alten Bindungen zu beseitigen; denn ohne Regelungen müßte ein verderbliches Chaos entstehen. Die Sexualreformer wollen eine bessere und ge= rechtere Neugestaltung, und sie weisen mit Recht darauf hin, daß die größere Freiheit dem einzelnen und der Gesamtheit auch größere Verantwortung auferlegen.

Der Streit über diese wichtige Frage ist noch nicht entschieden; es ist klar, daß nur im Rahmen einer Ordnung des gesamten so­zialen Lebens auch das Problem der Serualethik gelöst werden tann. Inzwischen reden die alte und die neue Richtung noch viel­fach aneinander vorbei; auf beiden Seiten wird der Gegner mit­unter verfetzert, was zwar zu bedauern, aber noch begreiflich ist; rührt weitgehende und wichtige Interessen. Es ist daher notwendig, denn die Sexualethik ist ein Teil der Lebensanschauung, sie be­daß diese Fragen immer wieder durchdacht und mit dem Bewußt­sein der Verantwortung behandelt werden. Eine gründliche Kennt­nis der Probleme ist das beste Mittel gegen vorschnelle Entscheidun gen. Der Gießener   Philosoph August Messer gibt in seinem neuen Buche ,, Segualethit"( Bolksverband der Bücherfreunde, sonnene Darstellung des ganzen Fragenkomplexes. Messer will Wegweiser- Verlag, Berlin  , 266 Seiten) eine sehr wertvolle und be­nicht fertige Ergebnisse vermitteln, er versucht durch Darlegung der Probleme den Leser zum selbständigen Durchdenken und zu eigener Entscheidung anzuleiten. Das Buch beginnt mit grundlegenden Er­örterungen über die Ethik, es zeigt die wesentlichen Formen der Ethit und gibt Richtlinien für eine verantwortliche Stellungnahme. In weiteren Kapiteln werden die Tatsachen über die Physiologie, die Hygiene und die Psychologie des Geschlechtslebens mitgeteilt; mit Recht stellt Messer fest, daß dieses Wissen um das Tatsächliche für jeden Entscheid notwendig ist. Zu den Grundfragen der Segual­ethik wird in den beiden Hauptfapiteln ,, Geschlechtsleben und Sitt lichkeit und ,, Geschlechtsleben und Recht" Stellung genommen. Messer tritt für eine Neugestaltung auf Grund größerer Verant­wortlichkeit ein, aber er läßt abweichende Auffassungen in aus­

reichendem Maße zu Worte kommen. Vor allem die katholische Auffassung wird eingehend gewürdigt und auf ihre Voraussetzung geprüft. Die Vertreter der alten Richtung werden in wörtlichen Zitaten angeführt, so daß eine sachliche Auseinandersetzung mit

ihren Argumenten erleichtert wird.

Messer hebt hervor, daß die Beförderung der geschlechtlichen Sittlichkeit nicht möglich ist ohne Eintreten für ausreichende Woh­nung, Arbeit und Erziehung im Geiste der Wahrhaftigkeit. Die Segualethif ist ein philosophisches und individuelles, zugleich aber auch ein Teil des großen sozialen Problems. Auch dieses Buch von Messer zeichnet sich durch eine vornehme, leicht verständliche Sprache aus, so daß man ihm weite Verbreitung wünschen muß.

CLUB ist nicht

für Bilder- Sammler, sondern für Qualitäts- Raucher bestimmt, denn echt macedonische Tabake sind so teuer, aber auch so gut, daß» Zugaben«(?) weder möglich noch notwendig sind.

CLUB

31

FIM