Beilage
Donnerstag, 23. Juni 1932
Nation und Internationale
In der ersten Rundfunkrede des Nationalsozialisten Gregor Straßer murde das„ Organische " stark betont und mit ihm die Ganzheit, nämlich Staat, Volt, Nation. Bom Individuum( dem einzelnen) wollte Straßer nichts wiffen, dafür wurde der Begriff Staatsbürger gesetzt. Marxismus und Internationale wurden befämpft. Nun läßt sich trotz der geistigen Diktatur das Individuum, der einzelne, aber nicht wegdiskutieren. Auch der Staatsbürger, dieser einzelne, ist Individuum frog Gregor Straßer . Erst viele einzelne Staatsbürger bilden den Staat. 21s Staatsvolk werden sie dann oft Nation genannt. Die Nation, wie sie der Sozialdemokrat sieht, hat allerdings ein anderes Gesicht als das Zerrbild national sozialistischer Nation. Es klingt zwar sehr schön, wenn jemand seine Rede mit einem dreimaligen Bekenntnis zu Deutschland schließt, aber die anderen Völker, mit denen wir nun einmal in geistigem, kulturellem, wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, verschwinden deshalb nicht von der Erdoberfläche. Wahrhaft sittliche Einstellung meist uns über das Nationale hinaus zum Völkergemeinschafts- und Menschheitsgedanken. Wir fordern ja gerade in sittlicher Einstellung Aufhebung von Tributen eines Volkes an andere Völker, Gleich
berechtigung, Abrüstung, friedliche Schlichtung. Wir machen den Franzosen den Vorwurf, daß sie diese sittliche Einstellung, die zugleich nützliche prattische Dienste leisten würde, vermissen lassen. So der Sozialismus. Der Nationalsozialismus will jene unsittliche Haltung der anderen durch eine noch unfittlichere deutsche Haltung übertrumpfen. Noch dazu mit unzulänglichen Mitteln.
Im Gegensatz zum Nationalsozialismus mußten sich die besten Deutschen der Verantwortung der Nation ebenso wie der Menschheit gegenüber verhaftet. Mitleid, Liebe, menschliche Solidarität haben bei ihnen vor den politischen Grenzen niemals haltgemacht. Sie waren gute Deutsche und dabei in ihrem Denken und Schaffen international. Kulturelles und wirtschaftliches Leben und damit die körperliche und seelische Existenz jedes Deutschen würde bei völligem Abschluß vom Ausland, bei„ Autarkie" verkümmern. Autarkie, Selbstgenügsamkeit, heute von den falschen Propheten als paradiesi scher Zustand gerühmt, würde zu noch schlimmeren Entbehrungen führen, als sie heute schon auf den Massen lasten.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwards
Jugendherbergen in der Krise
Anmerkungen zur Generalversammlung des Reichsverbandes/ Bon Heinz Krüger In Eisenach fand die Jahresgeneralversammlung| rungen mit Hilfe der Jugendverbände und die ständige Veran des Reichsverbandes für Deutsche Jugendher staltung von Freizeiten in den Jugendherbergen, die sich für bergen" statt, die ganz im Zeichen des Abwehrkampfes gegen Maßnahmen der Winterhilfe als besonders geeignet erwiesen haben. die durch die Wirtschaftskrise bedingte Not dieſes großen Jugend- Leider wird den einzelnen Jugendlichen aber das häufige Ueberhilfswerkes stand. Dem Jugendherbergsverband sind zur Zeit nachten in den Jugendherbergen dadurch erschwert, daß der Jugend271 Reichsverbände als Mitglieder oder Förderer und 16 469 Einzel- herbergstag es ablehnte, pro Kopf mehr als 42 Uebervereine angeschlossen; Einzelmitglieder zählt der Verband 131 461, nachtungen im Jahr zuzulassen. Damit verschließt sich das Schulmitgliedschaften 11 411. Die Arbeit des Jugendherbergsver- Jugendherbergswerk in unverantwortlicher Vogel- Strauß- Politik bandes wird in 19 Gauen von 1082 Ortsgruppen geleistet, die der dem gefürchteten, aber damit nicht minder ernsten Problem der wandernden Jugend in ganz Deutschland 2114 Jugend her zahlreich herumvagabundierenden Jugend. Man sollte bergen zur Verfügung halten. Die Neubautätigkeit mußte seit doch gerade angesichts der tatsächlich errungenen Großleistung, faſt 1930 infolge der Wirtschaftskrise fast ganz eingestellt werden. Die aus dem Nichts heraus im republikanischen Deutschland der Jugend meisten Staats- und Kommunalverbände strichen die Beihilfen für über 2000 Wandererholungsstätten geschaffen zu haben, auch offen das Jugendherbergswerk und die Mittel zur Förderung für Schul- in Richtung der geistigen Wirkung bewußt danach handeln, daß das und Ferienwanderungen bis auf ein verschwindend kleines Maß Jugendherbergswert eine im tiefsten Sinne pädagogische und fultuzusammen. relle Einrichtung für die ganze deutsche Jugend ist. Hunderttausende ur: ferer ärmsten Brüder wandern heute heimatlos über die Landstraße; man soll nicht von den damit verbundenen Gefahren der Vermahrlosung, von bettelnden Tippelbrüdern sprechen, sondern großzügig helfen und im Rahmen strenger Hausordnungen die Jugendherbergen als Heimstätten offen halten. Hoffen wir, daß der Vorstand des Jugendherbergsverbandes unter seiner bewährten Führung von Schirrmann, W. Münter und dem Genossen Ernst Albrecht bald positiv entscheidet, worüber in der ge= drängten Form einer Jahresversammlung nicht das letzte Wort gesprochen werden konnte.
Das hat in sozialer Hinsicht bereits sehr betrübliche Folgen gehabt, die sich bei der großstädtischen Arbeitslosen jugend gesundheitlich bald schwer auswirken dürften: die Volksschüler wandern immer weniger. Unter den Herbergsgästen stellten fie 1925 mit 33 Proz. den größten Prozentsatz; 1930 waren nur noch 20 Proz. und 1931 noch ganze 17 Proz. der Wandergäste Volksschüler, also ein Rückgang auf fast die Hälfte seit 1925! Wieviel Wandersehnsucht ist dabei den Aermsten unerfüllt geblieben, und wieviel Schaden an der Volksgesundheit wird die unabwendbare Folge sein: auch hier wieder ist die Jugend ein trauriges Opfer der kapitalistischen Wirtschaftsanarchie.
weiter gestiegen, und zwar für 1931 auf insgesamt 4332 026 UeberDie absolute Besucherzahl der Jugendherbergen ist jedoch noch nachtungen. Ein erheblicher Zuwachs ist durch die schulentlassenen Besucher zu verzeichnen. Ihre Anteilziffer beträgt jetzt 35 Proz. In dieser Zahl kommt zum Ausdruck, wie viele erwerbslose Jugendliche mit Hilfe der Jugendherbergen ihre Zuflucht zur Natur nehmen. Der Reichsverband hielt es für seine Pflicht, an seinem Teile nach Möglichkeit zur Milderung des harten Loses der Erwerbslosigkeit beizutragen. Für mehr als zwanzigjährige Erwerbslose räumte er das Kopfgeld der Jugendlichen, also 20 bis 30 Pfennig pro Nacht, ein. Weiterhin empfahl Nation und Internationale, Nation und Menschmäßigungen zu gewähren. er den Gauen und Ortsgruppen, von sich aus möglichst weitere Erheit sind bei ehrlicher Einstellung der Völker keine Gegen Auf dem Jugendherbergstag setzte sich Jugendpfleger Professor sätze. Beide Einheiten ergänzen einander. Der Sozialdemokrat Schomburgf besonders warmherzig für den weiteren Ausbau liebt sein Volk und sein Land, aber, weil er sie liebt, meist er das der jugendlichen Erwerbslosenhilfe durch das Jugendherbergswesen Zerrbild des deutschen Menschen", wie ihn der Nationalsozialist ein: er forderte organisierte Ermerbslosen wandesieht, als Entstellung ab. Er weiß sich hierin mit den großen deut schen Dichtern und Denkern eins. Der sozialdemokratische Kämpfer will Gleichberechtigung der Bürger, Gesinnungsfreiheit, geistige Aufgeschloffenheit für großes Geschehen in aller Welt. Nationaliozia fistische Enge wirtschaftlicher und geistiger Autartie, der Selbstbe
fchränkung, führt zur Verkümmerung. Diktatorische Knechtschaft fann ein großes Kulturvolk für kurze Zeit ertragen. Endgültige Befreiung und Besserung des wirtschaftlichen und kulturellen Schicksals wird erst dann eintreten, wenn sich die Völker in sittlicher Ge= finnung zum de motratischen Sozialismus bekennen.
Mira von Hollander- Munkh:
Lernen und Begabung
Daß jeder noch zulernen kann und, wenn er sich nur nicht mit Händen und Füßen dagegen spreizt, dauernd zulernt, das ist eine Feststellung, die recht geeignet dazu ist, die Welt, die eigene Existenz und die Mitmenschheit mit gesteigertem Optimismus anzusehen. Etwas zugelernt haben, macht immer Freude, einerlei ob es neues Wissen oder neues Können ist. Man spürt: Es wächst! Ich wachse! Wir wachsen! Es sind unbenüßte Kräfte, lebendige Kräfte und interessantes Leben da, nicht nur müder, ausgeaderter, übervölkerter Boden.
Wenn nur keiner mehr sagen wollte: ,, Das kann ich nicht!" Ich habe es noch nicht gelernt, follte es heißen. Da steckt mehr Mut drin, und zum Lernen gehört zuallererst Mut, damit man wenigstens einmal an die Sachen wirklich herankommt. Was sich so alles an unklaren Gefühlen und ängstlichen Bedenken zwischen Mensch und Lernen schiebt, das ist viel schwieriger zu überwinden als die Schwierigkeiten des Lernens selbst. Bist du nur erst mal bei der eigentlichen Sache gelandet, dann merkst du es, wie leicht und natürlich es ist, zu lernen. Und die Ausdauer, die zum Lernen gehört? Was ist Ausdauer anderes als ein Mut, der auch Niederlagen überdauern kann.
Reiner hat noch je was gelernt, das er sich nicht zu lernen zugetraut hat. Keiner hat sich ein können erworben, der nicht
gerade an seinem Noch- nicht- Können zu lernen bereit war.
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dieje
Jedes Lernen geht von den Grenzstellen aus. Das halb und halb Gekonnte und Gewußte muß befestigt und das Gekonnte so umgruppiert, so geschickt herangeholt werden, bis das Gebiet, das es zu erobern gilt, nach noch so viel mißglückten Versuchen schließlich doch umstellt und eingefreist ist. Dieser Lernvorgang wird, so es fich um ein Wissen handelt, 2 per zipieren, und wo es sich um ein Tun handelt, Trainieren genannt. Und von den ersten Gehversuchen bis zu den höchsten Leistungen in Kunst und Wissen schaft gibt es nur bewußt oder unbewußt angewendet Methode zur Erweiterung menschlicher Fähigkeiten. An dem zur Aperzeption und zum Training nötigen Vorrat an Gekonntem und Bekanntem ist jeder viel reicher, als es ihm so den Anschein hat, wenn er zuerst mit sehnsüchtigen und unentschlosse nen Blicken den Abstand mißt zwischen sich und dem, was er zu lernen wünscht. Da sagt zum Beispiel einer:„ Ich werde nie einen Strich zeichnen lernen!" und vergißt, daß er doch schreiben gelernt hat. Und ein anderer beteuert, er könne nichts Schweres heben, aber leichte und sogar mittelschmere Gegenstände, die lüpft er dennoch ganz gewandt. Wie weit ist es von mittelschwer bis schmer?
unten bleiben? Und außerdem, wer will es so genau wissen, was Sie wirklich höchste Spize überhaupt ist?
Nun, man tann sich den Mut, das Leben und das Lernen auch mit solchen Erwägungen schwer machen. Die meisten Menschen aber wählen, um sich's schwer zu machen, die betreffende Begabung, die ihnen angeblich fehlt: Dabei weiß niemand was Genaues, mas eigentlich Begabung ist, und wie und wann sie sich äußert. Vielleicht läßt sich diese Vokabel gerade so gut verwenden, wenn einer mit dem Lernen erst gar nicht beginnen will.
Ich kannte eine reiche Frau, die war vorerst zu alledem unbegabt, wofür sie dann später erstaunliche Begabung zeigte, als fie ihr Geld verlor. Und dann fannte ich auch einen erstaunlich be= gabten lyrischen Dichter, dem schon manches schöne und sinnvolle Wortgebäude gelungen war. Eines Tages versagte sich ihm der seinem Genie entsprechende Reim auf„ Uhu ", er stellte deshalb fest, daß er für Worte mit ,, u" unbegabt sei, und von der Erkenntnis ausgehend, mußte er das Dichten bald ganz sein lassen. Oskar foerster:
Reform, nicht Abbau!
Nachwort zum Waldhofprozek
Da sind in der Fürsorgeanstalt Waldhof 14-20jährige Zöglinge mit Brügeln, Fußtritten, wochenlanger Einzelhaft in ,, Besinnungszellen" bedacht worden, damit, wie der angeklagte Erzieher Franke diese ,, Hilfsmaßnahmen" motiviert ,,, ihnen ihre Misse tische Leiter der Anstalt dem Gericht erklärt: ,, um die Autorität taten zum Bewußtsein tämen." Oder, wie dieser prafder Erzieher aufrechtzuerhalten."
In diesen Aeußerungen wird deutlich die pädagogische Grundhaltung der angeklagten Fürsorgeerzieher von Waldhof offenbar. haltung der angeflagten Fürsorgeerzieher von Waldhof offenbar. Aus fremden Berufskreisen stammend, einem Lebensfreis angehörig, für den die Gesetze einer durch Alter und Tradition geheiligten Weltordnung unbeschränkte Geltung haben( vier von ihnen waren Landwirte), unberührt von pädagogischer Erfahrung und 3. T. völlig ohne jede Ausbildung für den Erzieherberuf haben diese Erzieher versucht, die Ordnungen ihrer Welt auf junge Menschen zu übertragen, deren durch Milieu und Veranlagung geschaffene psychopathische Struktur jeder normalen erzieherischen Beeinflussung hemmend im Wege steht. Und was diese Erzieher, denen bei ihrer unvollkommenen Ausbildung solche psychologischen Sachverhalte verschlossen bleiben mußten, nicht auf dem Wege der altgewohnten patriarchalischen Autoritätserziehung erreichten, glaubten sie durch eine Art Vergeltungspädagogit erzwingen zu müssen. So gelang es ihnen, mit Prügeln und Besinnungshaft den letzten Rest sittlicher Hemmungen und einfichtiger Bereitwilligkeit in ihren Zöglingen völlig zu vernichten. Denn nirgends ist der ,, männliche Protest", jene Komponente des jugendlichen Selbstgefühls, stärker wirksam jene Komponente des jugendlichen Selbstgefühls, stärker wirksam als im psychopathischen Jugendlichen. Die Sorge um die Autorität der Erzieher stand hier über der Sorge um das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und den Jugendlichen, die wichtigste Voraussetzung jeder Erziehung.
Man hat in der letzten Zeit oft über einen Abbau der Fürs forgeerziehung debattiert. Die Fürsorgeerziehung, das hat der Waldhof- Prozeß dargetan, bedarf der Reform, nicht der Drosselung! Längst hat ein neuer, auf Kameradschaft und Aus weiter Ferne her und mit einem Hops ist freilich noch Vertrauen gegründeter Gemeinschaftsgeist Einzug gehalten in den fein Berg erstiegen worden, und ohne Abrutscher auch nicht. Daß öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten. Nur ein großer Teil man vielleicht nicht bis ganz hoch oben hinauf auf die höchste Spize der Fürsorgeanstalten, und besonders der privaten, ist noch immer bom Berg tommen wird... Soll man etwa deshalb überhaupt| unberührt geblieben von dem pädagogischen Ausdruck des neuen
Erfreulich ist der besonders von den Vertretern der Gewerk gesetzte Beschluß, auch den Herbergseltern Siz und Stimme schaftsjugend geförderte und gegen starken Widerstand durchim Verwaltungsausschuß einzuräumen. Dazu betonte Ernst Albrecht sehr richtig, daß die Herbergseltern die eigentlichen Schaffer am Werk mit der größten Verantwortung vor der Deffentlichkeit und in erzieherischer Hinsicht seien.
Für die nächste Zeit steht allerdings zu befürchten, daß von der Reichsregierung auch das Jugendherbergswert nicht viel Gutes zu erwarten haben wird; denn für die Herren Barone, die ja in Schlössern und Palästen wohnen und nicht mit dem Rucksack mandern, sondern in Luxusautos die Landstraßen verstauben, sind ja auch die Jugendherbergen unangenehme Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates". Der Kampf bei den Reichstagswahlen gegen den Regierungskurs des neuen DrittenReichs- Systems" wird für die gesamte Jugend darum gehen, das große überparteiliche Jugendherbergswerk vor dem Zerfall zu retten und als stolzes Werk des republikanischen Deutschland zu erhalten.
"
Lebensgefühls und wandelt auf den alten Wegen einer Autoritätspädagogik, die geeignet ist, in den Schwererziehbaren Haß und Opposition noch zu steigern, nicht aber das gesellschaftliche Pflichtbewußtsein zu wecken. Hier tut dringend eine Auffrischung der Erzieherschaft not. Es geht nicht an, Leute zu Fürsorgeerziehern zu machen, die weder eine gründliche Ausbildung, noch eine gerade hier unbedingt notwendige innere Berufung nachweisen fönnen. Planmäßige Erzieherausbildung, Kenntnis der grundlegenden psychologischen Gesezze, und vor allem seelische Bereitschaft zum Erzieherberuf das müssen die Grundsäge sein, nach denen eine strenge Auslese unter den Anwärtern diefes verantwortungsvollen Berufes erfolgen muß.
Und was den Abbau angeht: Es ist keine Ersparnis, wenn bei der Fürsorge ersparte Gelder später zur Vergröße rung der Gefängnisse und Strafanstalten ausgegeben merden müssen. Denn Fürsorgeerziehung ist vorbeugende Schutzmaßnahme. Ihr Abbau bedeutet Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Vernachlässigung der ethischen Pflicht, der Verwahrlosung der Jugend zu steuern.
Keherverfolgung 1932
,, Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht...."
Am Tage nach der Konfirmation seiner Tochter erhielt der Arbeiter M. in Deutsch Thierau( Ostpr.) folgendes Schreiben des evangelischen Pfarramts:
An Herrn Arbeiter Friedr. M.!
In frevelndem Ungehorsam gegen die strikte, in der ortsüblichen Sitte begründete Anordnung des zuständigen Pfarrers ist Frieda M. am gestrigen Tage fofort nach Schluß des Konfirmationsgottes dienstes aus der Reihe der Eingesegneten entwichen, hat unerlaubt die Kirche verlassen, ohne sich am hl. Abendmahl danach laut An
ordnung und Pflicht zu beteiligen. Die Feststellung dieses unerhörten Vorgangs verursachte bei der anwesenden Gemeinde schwere Unruhe und eine öffentliche Störung des Gottesdienstes mit Nachwirkungen, die noch weiter zu behandeln sind.
Wir stellen fest, daß Frieda M. und die etwa mitschuldigen Angehörigen unter Vertrauensbruch sich außerhalb der für hiesige Gemeinde rechtsgültig beschlossenen und behördlich bestätigten Kirchenordnung gestellt haben. Zugleich ist damit die Folgeerscheinung der Konfirmation, und zwar die gesetzliche Gemeindemündig feit aufgehoben und infolge Verlegung des heil. Sakraments der vorgemerkte Name in der Liste der Beichtkinder gestrichen worden.
Sollte noch Wert auf das Sakrament, den Konfirmationsschein und dergl. gelegt werden, so ist vorher dazu ein schriftlicher Antrag an den Gemeindekirchenrat mit ausführlicher Rechtfertigung zu richten; derselbe wird dann das Weitere beschlußmäßig bestimmen; bis dahin alles anderweitige Erscheinen oder Anmelden, weil zwecklos, untersagt.
Der Gemeindekirchenrat Deutsch- Thierau. Reinhold, Pfarrer, Vorsitzender."
Die 14jährige Frieda M., die aus familiären Gründen nach ihrer Einsegnung ,, unerlaubt aus der Kirche entwichen", ist somit in Acht und Bann getan. Und wo die Erlöserliebe des Enangeliums malten soll, herrscht bie Unduldjamfeit bürokratischer Weltfremdheit. O, Georg.