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Beilage

Sonnabend, 25. Juni 1932

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

denn wenn Germaine im Keller wäscht, darf Emmy nie hinunter;

Gerhart Herrmann Mostar - Geschichte der Woche obwohl doch Germaine Emmy gerade darum zu sich nahm, um

Das Kind des Feindes

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Ein Waisenhauskind aus der österreichischen Stadt W. wurde im Jahre 1922 im Rahmen einer Kinderhilfsaktion in ein belgisches Dorf verschickt. Von dort kam es nicht zurück. Erst jezt haben sich die Begleitumstände des merkwürdigen Falles aufgeklärt. Am einundzwanzigsten Juni fuhr der Kindertransport aus W. ab: ein ganzer, langer zug voll ausgehungerter, strofulöser, hohläugiger Kinder; darunter Emmy Klemens, hungriger, hohl mein Gott äugiger noch als die hundert anderen man schrieb neunzehnhundertzweiundzwanzig, es war fast das bitterste der Nach­friegsjahre, auch in den Waisenhäusern gab es schmale, allzu schmale Kost. Nun aber, drei Tage später, sitzt die Sechsjährige in der räumigen, kahlen und dennoch so warmen und behaglichen flämischen Bauernstube, sitzt vor einer Tafel, die voll märchenhafter Genüsse steht, ist hungriger denn je und kann doch nichts essen vor Fremd­heit, Erregung, Fassungslosigkeit; fann auch auf feine Frage ant­worten, weil die Bäuerin, welche sie aufnahm, nicht Deutsch und Emmy nicht Flämisch versteht, könnte auch nicht anworten, wenn man sich verstünde: alles zu neu noch, zu seltsam, zu andersartig... Und nun kommt sogar noch Besuch! Eine Frau um die dreißig, mit herbem, zerlittenem Gesicht. Ist das euer Bochefind?" fragt fie wenig freundlich. Jawohl. Ist doch ein liebes Ding, mie? Und so verhungert!" antwortet die Bäuerin. Schon. Aber..." ,, Solltest die Sache vergessen!" unterbricht die Aeltere rasch. Ist doch kein Krieg mehr!" Nein. Aber meinen Mann habe ich noch nicht wieder." ,, Solltest trotzdem vergessen!"

Die Frau macht eine hart verneinende Kopfbewegung. Sie sieht die blecherne Erkennungsmarke, die noch auf des Kindes Brust baumelt; nimmt sie in die Hand, achtet nicht auf das Erschrecken der Sechsjährigen, die die Feindschaft empfindet, ohne zu verstehen; liest den eingestanzten Namen: ,, Emmy Klemens, geb. 20. IV. 1916"- und wird plötzlich blaß, ihre zitternde Hand läßt die Marte fallen; verabschiedet sich fast grußlos, schreitet, nein, taumelt die Dorfstraße entlang...

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Mein Gott so eine Marke hat sie doch schon einmal in der die hing auf der bloßen Hand gehabt...? So eine Marke Brust eines Mannes, verborgen unter feldgrauer Uniform, welche sie aufgeknöpft hatte... der Mann ließ es fich gefallen, mußte es sich ja gefallen lassen, der Boche, ob er wollte oder nicht, lag ja im Sterben, oho... lag im dunklen Keller ihres kleinen Hauses, ihr Mann war auch dabei, der stand und reinigte mit fanatischem Lächeln sein Gewehr... Geschah ihm recht, dem Boche, was hatten sie hier zu suchen, er und alle die andern? Na, einer weniger, war gut so... Nun rasch ab die Marke, daß sie nicht etwa gefunden wurde nur rasch einen Blick auf den Namen: Mar Klemens, dann Zahlen und Buchstaben, die den Truppenteil bezeichneten rasch unter den Mauerstein im Boden, der lose war; und in wenigen Stunden war Nacht, dann würde man auch den toten Mann aus dem Keller bringen, und sie sollten sehen, die Boches, ob sie Andre etwas würden beweisen können...

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nun

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Die Frau streicht sich über die Augen. Sie steht vor ihrem Hause. Es ist noch das gleiche Haus... ist ja hier nicht wie drüben in Frankreich , wo sie alles zusammengeschossen haben, die Boches ... Aber vielleicht aber gemiß hat sie sich geirrt. Vielleicht gewiß war der Name nur ähnlich, nicht gleich. Sonst wäre ja dies Kind Er hatte ihr ja doch einmal eine Photo­sein Kind graphie gezeigt, seine Frau mar darauf mit einem Kind, einem Säugling noch, und er hatte gesagt: Maria und Emmy , und hatte gelacht... Und sie hatte freundlich getan, oh, das mußte man ja, damit sie sicher wurden... Gleich nachsehen unter dem Stein, da mußte es ja noch liegen, das Stück Blech; nur um gewiß zu sein, daß es ein Irrtum war...

Seltsam: ihr graut etwas vor dem Düster des Kellers: zum erstenmal. Sie sieht sich scheu um, als sie den Stein hebt, mit zitternden Fingern die Marke dreht, im ungewissen Halblicht die Buchstaben entziffert. Dann muß sie sich auf die Treppenstufe setzen, die Knie werden ihr schwach: es stimmt.... ,, Mar Klemens" und eben bei der Bäuerin: Emmy Klemens"... Also doch. Also doch.

Und was bedeutet das nun für sie? Es braucht sie nichts an­zugehen, nein. Aber ist es nicht das Kind des Mannes, um dessent­willen sie ihren André an die Wand gestellt haben, drei Tage später, obwohl er nichts gestanden hatte... aber sie hätten ihn überführt, fagte sie... War es nicht das Kind des Mannes, um dessentwillen sie nun ohne Mann war seit fünf Jahren, ohne Mann und ohne Kind, um dessentwillen sie leben mußte von der schäbigen Rente, die man den Kriegerhinterbliebenen zahlte, und vom Waschen für fremde Leute? War es nicht sein Kind, ein Bochekind, des gleichen Hasses wert wie der Vater? Hatte sie ihn nicht in sich hinein­gefressen, diesen Haß, fünf Jahre lang von keinem verstanden, weil sie alle Flamen waren und nicht Wallonen wie sie und ihr Mann, weil sie gar nicht wußten, wie man hassen kann... Und konnte man nun nicht diesem Haß Futter geben, ihn nähren und stillen mit dem Fleisch und dem Blut dieses Kindes...? Oh, man würde sehen, man würde sehen. Man würde vorerst freund­lich sein zu der Kleinen, sie in sein Haus ziehen, mit Lockungen und Zärtlichkeiten und Süßigkeiten. Und dann...? Man würde sehen, man würde sehen...

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,, Komm, Emmy , ich will dir etwas Schönes zeigen!" Germaine zieht Emmy in ihr Haus. Sie streicht mit der hartgearbeiteten Hand über den blonden Kopf sie muß sich immer einen Ruck geben, nicht, um überhaupt es zu tun, sondern um es nicht gar gern zu tun... Es tut ihr wohl, dies Streicheln über einen Kinder­topf, ste ist eine Frau und hat kein Kind, da ist das so... aber es darf ihr nicht wohl tun, es darf nicht. Es ist sein Kind... Oh, für heute hat sie sich etwas Feines ausgedacht! Geldstücke will sie Emmy zum Spielen geben, und darunter soll sich die Erken­nungsmarke des Vaters befinden, und Emmy foll spielen mit der Erkennungsmarke ihres Vaters, den sie, Germaine, und ihr André getötet haben. Sie kann ja noch nicht lesen, die Sechsjährige, es ist ungefährlich, aber für Germaine wird es eine Freude sein, eine ganz seltsame und besondere Freude. Und in den Keller wird sie das Kind führen, damit es spiele an der Stelle, an der sein Vater starb. Oh, man muß es verstehen, sich zu rächen, man muß es langsam tun und sorgsam. es muß eine lange und feine Rache sein. Borerst ist Emmy in der kleinen Stube. Es ist eine enge und düstere Stube, die Fenster sind fast immer verhangen, denn Ger­maine wäscht den ganzen Tag im Keller oder bei anderen Leuten;

die Luft ist abgestanden, es ist Schlafluft. Aber wie nun das Kind darin steht, ist es mit einemmal heller, das kommt, weil das Blond­haar der Kleinen das Licht auf sich sammelt und spiegelt; und es riecht gut im Zimmer, denn Emmy hat bisher im Heu gespielt, so duftet es nach Gras und kindlicher Gesundheit... Es ist dumm, das zugeben zu müssen; es sollte umgekehrt sein; ein Schatten sollte das Kind sein in ihrem Leben, den man beseitigen muß; nun ist es ein Licht in ihrer Stube. Aber das darf so nicht bleiben, das wird so nicht bleiben. Denn das Bild Andrés blickt von der Wand, drohend, fordernd...

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,, Hier hast du Münzen zum Spielen, Emmy!" sagt Germaine zu dem Kind, das schon in den drei Wochen des Hierseins etwas Flämisch gelernt hat und es gehört beinahe Tapferkeit dazu, das zu sagen. Nun sieht sie zu, wie Emmy die blinkenden Stücke vor sich hinlegt jetzt jetzt ist die stumpf schimmernde Blech münze dran. Aber wie Emmy danach greifen will, reißt Germaines Hand das Blech rasch fort ganz von selbst hat die Hand das getan, ganz eigenmächtig, Germaines schmerzendes Hirn hat es nicht hindern können, und die fest geschlossene Hand gibt die Münze auch nicht zurück...

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Warum friege ich die nicht?" fragt Emmy und zeigt auf die geschlossene Hand.

nicht allein zu sein. Und man kann wohl neugierig werden, mas es denn da unten besonderes gibt.

Eines Tages bringt die Bäuerin ein Schreiben zu Germaine: es enthält das Datum der Wiederabreise des Kindertransports und das Ersuchen, das Gastkind am Bahnhof der nächsten Stadt abzu= geben. Das kann ich ja für dich tun!" meint Germaine, und ihre Stimme zittert. Und die Bäuerin ist auch das zufrieden.

Aber als der Tag der Abreise heran ist, bringt Germaine Emmy nicht zur Bahn. Ich habe Erlaubnis bekommen, es noch länger zu behalten", sagt sie zu der erstaunten Bäuerin. Das ist aber gar nicht wahr. Sondern Germaine hat zu der Erkennungs­marke unter dem Stein im Keller eine zweite getan, die Marke mit dem Mädchennamen das ist ihre Erlaubnis...

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Für Emmy Klemens ist das Ganze längst selbstverständlich geworden: das Bleiben in Flandern und bei Germaine, welche ihre Mutter ist. Nur mit einer Erinnerung wird sie nicht fertig: da hat einmal die Neugierde in ihr gefiegt, und sie ist in den Keller ge­gangen, während Germaine unten wusch. Und da hat Germaine große entsetzte Augen bekommen und plötzlich zu weinen begonnen und Emmy umarmt und ihr unter vielen Schluchzen eine lange Ge­aber schichte erzählt und schließlich zwei Blechmarken vorgewiesen alles, was sie sagte, hat sie französisch gesagt und wohl gar nicht daran gedacht, daß Emmy das nicht verstand; vielleicht hat Ger­maine sich all das auch wohl selbst erzählt, vielleicht mußte es nur heraus, damit Germaine selbst es verstand; jedenfalls hat sie nach= her gelacht, laut und leicht und hell wie ein Kind, und das Jähe,

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,, Ach, es ist- es ist ein Andenken!" antwortet Germaine müh- Düstere, Seltsame, das zuvor manchmal über ihr lag, ist von da ab sam und gibt das blecherne Ding nicht heraus.

,, Es sah aus wie die Marken, die wir im Waisenhaus haben", meint Emmy leichthin. Aber das Wort Waisenhaus" trifft Ger­maine. Gewiß: sie ist Witwe um des toten Boche willen. Aber faum wagt sie's zu denken Emmy ist im Waisenhaus, um

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um Andrés willen... Germaine blickt schüchtern und um Vergebung bittend zu dem Bild auf und streicht verstohlen über den blonden Kopf...

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,, Du könntest mir Emmy eigentlich für ein paar Tage herüber­geben", sagt Germaine zur Bäuerin. ,, Ich bin so allein und würde mich freuen und" sie stockt ,, und gut zu ihm sein." Die Bäuerin ist's zufrieden; sie hat eh genug zu tun; und wenn's die Kleine da gut hat obwohl es seltsam ist, wie die Germaine sich gewandelt hat...

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Emmy zieht zu Germaine. Sie hat es gut da- aber zuweilen bekommt sie Angst. Dann ist Germaine so jäh, so hart, so seltsam. Doch geht das immer rasch vorbei. Und viel allein ist Emmy auch;

weggewesen.

Endlich, nach zehn Jahren, sind Nachforschungen aus W. bis in das kleine Dorf gedrungen. Und dann hat man Germaine das Kind gern, sehr gern gelassen. Und überdies hat sich dabei heraus­gestellt, daß Emmys Vater nie im Kriege gewesen war, und man hat Germaine gesagt, daß es in Desterreich sehr, sehr viele Leute namens Klemens gibt. Germaine hat seltsam gelächelt, als sie das hörte aber sie ist dennoch zum Gendarmen gegangen und hat ihm gesagt, daß André nicht, wie sie früher angegeben hatte, un­schuldig erschossen worden sei, sondern daß er einen deutschen Sol­daten als Franktireur getötet habe, mit ihrem Wissen. Und der Gendarm hat gesagt, ihr werde deswegen nichts geschehen; aber es gebe da eine Liste, die enthielte die ,, Kriegsverbrechen" der Deut­ schen ; davon werde man den Fall André nun streichen müssen.

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,, Ja", hat Germaine nur gesagt ,,, es ist ja gut, daß das alles vorbei ist" und ist nach Hause gegangen zu dem Kind, das ihr Kind geworden ist.

Der Hering kommt!

Fischfang bei Rügen - Von Hermann Fraude

Von den vielen Reisenden und Wanderern, die im Frühsommer Rügen und die Ostsee besuchen, wissen sicher nur die wenigsten, welch eine Ernte die zahlreichen kleinen Fischerboote schon ge­macht haben. Und wenn int Mai die Großstadtfrauen auf den Märkten die Fülle der Heringe und der anderen Fische sehen, wenn die Reichsfischwoche um neue Freunde der nahrhaften Rost wirbt, denken ebenfalls nur wenige an die interessanten Vorgänge beim Fischfang, wie sie Hermann Fraude in den Rügenschen Heimatbüchern des Walter- Krohß- Verlages( Bergen auf Rügen ) so anschaulich schildert.

wt.

Das zeitige Frühjahr bringt den Hering, wenn er dem Laich­triebe folgend, die tiefe Ostsee verläßt und in dichten Rudeln den Küsten zustrebt. Mächtige Fänge sind in den Reusen gemacht wor­den, Tausende von Wall. Es sind noch im letzten Menschenalter so viel Fische in der Reuse gewesen, daß das Netz nicht zu heben war. Man hat an langen Stangen Sensen befestigen müssen, um das Netz aufzuschneiden.

Von allen Völkern Europas waren vor dem Kriege die Deut Zu den chen die größten Heringsverbraucher. 230 000 Faß Salzheringen, die unsere eigene Heringsfischereiflotte mit 283 Schiffen fing, haben wir noch 14 Millionen Faß zugekauft und daneben noch über Millionen Doppelzentner grüne Heringe vom Ausland bezogen. Diese Zahlen gelten für das Jahr 1911. Der einst oft gering geschätzte Hering hat bescheidenen Kaufleuten gar den Spottnamen Heringsbändiger" eingetragen, wie einst der ostindische Pfeffer im Mittelalter den reichen Pfeffersäcken" den Säckel füllte.

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Der Hering macht allein 60 Prozent allen Fischfanges aus. Alle übrigen Fische zusammengenommen liefern nur 40 Prozent. Der Hering ist eben der Massenvagabund des Meeres. Wenn unter dem Drängen des Laichtriebes sich die mächtigen Heringszüge aus die Tiefsee in die Fjorde heineinwälzen, zusammengeballt durch das enger werdende Gewässer, geängstigt von zahlreichen Thun­fischen, Delphinen und Walen, dann drängen sich die Millionen von Fischen zu einer dichten Masse zusammen. Das Wasser scheint über ihnen zu kochen. Die glänzenden Fischleiber geben einen hellen Schein. Die Möven fliegen wie helle Rauchwolken darüber her. In kleinerem Maßstabe kennt auch der Rügensche Fischer diese Erscheinung der wandernden Heringsstümen. Oft genug sind sie vom Lande beobachtet und dann in den bereitliegenden Booten mit dem Garn umstellt worden. Die am Tage ziehenden Schwärme, ,, de Dagstümen", sind seltener. Wenn einer naht, darf man ja nicht mit dem Finger auf ihn zeigen. Während die Fischer in die ❘Boote stürzen und rudern, was die Kräfte vermögen, bleibt de Maker", das ist so eine Art Garnmeister, ein Oberster von den Fischern, am Lande, und läßt den Stümen nicht aus den Augen. Durch Zeichen lenkt er den Kurs der Bote. De Stümen güng weg", heißt es dann, wi kregen blot den Schwanz un harren doch 500 Wall int Garn." Oder:" To Binz foten wi ens den ganzen Stüm, dunn ret dat Garn entzwei." Der Hering macht auch für Rügen weit über die Hälfte des Gesamtfanges aus.

Der Netzfischer muß in beständiger Fühlung mit dem Hering leben, indem er bald hier, bald dort Stichproben macht, einmal seine Neze tief, ein andermal hoch, hier auf tiefen Grund, dort auf flachen Grund segt, wie die Temperatur es vorschreibt, heute eng­maschige, morgen weitmaschige, oder Zusammenstellungen aus den

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verschieden weiten Netzen probiert. Und ein Lotteriespiel bleibt es doch: Von den 30 Meter langen und 3 Meter breiten Nezzen sind immer bis 8 eng aneinander und zu einem Tier" oder Lent" vereinigt. Zuweilen hat sich der Hering auf ein Netz her­aufgedrängt, daß dieses dick voll sizt ,,, as ob in jede Masch en sitt", während die anderen Nezze desselben Tiers" leer sind.

Bei der Treibnetfischerei fann das in einer halben Stunde geschehen. Eben hat man die Nezze noch aufgehoben. Sie sind leer. In ein paar Minuten können sie so dick vollsitzen, daß man nicht alle Fische bergen kann.

Wie gerade die Heringszüge ziehen! Es ist auf ein und dem= selben Netz verschieden. Bald sizen die Heringe alle oben dicht bei dicht am" Flottfimm", bald sind sie am Grundfimm". Wer will das so genau treffen. Setzt man auf zu flachen Grund und der Wind geht über Nacht um, dann wickelt sich das ganze Netz zu einem Strick zusammen, scheuert sich an steinigem Grunde entzwei, und der Fischer stellt morgens mit Trauer fest: Is all upt Reep slan." Hat er's aber gut getroffen, dann findet er aber alles silberglänzend voll blinkender Fischleiber.

Mit dem Hering zusammen fangen sich seine Begleiter, Mai­fische, Dorsche, Schnäpel, und auch sehr zahlreiche Lachse bis zu einem Gewicht von 20 Pfund. Gelegentlich sind schon Störe in der Reuse gewesen, zuweilen gar Delphine und Seehunde. Das gab ein wildes Platschen im Hinterteil der Reuse, in der Totenfammer, da mußte erst ein kräftiger Schlag auf den Kopf das Netz vor Zer­reißen schützen. Im Mai sieht es eigenartig aus, wenn sich Mengen von langschnäbligen Hornfischen in aalartiger Gewandtheit im Rumm umherschlängeln. Auch sonst wird allerlei Fischwerk mit­gefangen, Steinbutten, Hechte, Flundern, Barsche, Plöze u. a. In den Reusen bekommt man auch gelegentlich die seltensten Fische zu sehen: Welsquappen, Grundel, Butterfische, Merlan, Aland , Döbel, Nagelrochen und Seeskorpione.

Die großen Heringsreusen waren seinerzeit die zuver­lässigsten Lieferanten für die Salzhäuser. Als vor 30 Jahren noch der Hering an Ort und Stelle eingesalzen wurde, ging es vor diesen den Tag über lebhaft her. Die Fischer brachten die Heringe an Land und schütteten sie auf Haufen. Damals wurden die Heringe noch nicht gezählt, sondern mit Halbtonnen gemessen. Frauen und Kinder hockten vor dem Haufen, um die Fische auszu­nehmen. Die fertigen Fische holte de Saltner" ab, warf sie in seine Drüsche", den großen, mit Wasser und Salz gefüllten Trog. Nach mehrmaligem Umpacken in Salzschichten hielt dann der Schellhering" seinen Auszug in die östliche Welt Polens und Rußlands .

Trotz der großen Fänge ging es armselig zu. Der Fischer be­fam 4 Pfennige für das Wall, die Frauen fürs Ausweiden 3 Pfennige. Die Fischer trauern diesen Zeiten nicht nach. Keen Minsch har Geld", sagten die Alten. Sie konnten kaum ihre Haus­mieten bezahlen.

Und doch spendet die Ostsee großen Reichtum, der allerdings in harter Arbeit erkämpft werden muß. Zusammen liefern die Rügenschen Gewässer für über 2 Millionen, Mark Fische im Jahr. nicht ganz eine Million kommt davon auf den Hering, 400 000 Marf auf den Aal, 200 000 Mark auf die Flunder. Der Rest vers teilt fich auf die übrigen Fische.