Der Sen Berlinerisch eine Wenn auch im übrigen Deutschland ein Mißvergnügen an Ber- Ii» und an der Mundart seiner Bewohner besteht: der derbe Humor, die Schlagfertigkeit, die mit einem Witz über peinliche Situationen hinweghilft, wird von allen, die nach Verlin kommen, oder die mit Berlin zu tun haben, rasch aufgegrisfen. Di« Spottlust des Berliners, die fast immer nur aus der Abwehr geboren wird, bringt viel Lachen in das nicht immer leichte Leben hinein. Der Berliner will nämlich sich und den Nächsten belustigen und erheitern, wenn das auch oft auf seine eigenen Kosten geht. Bei dieser Absicht, das Lachen zu fördern, ist ihm die mit der Denkweise verbundene Sprache sehr dienlich. Das Berlinerische bringt einen entschiedenen Gewinn an Lebensfreude. Das Berlinerische ist nicht, wie vielfach von Unwissenden und Uebelwollendcn behauptet wird, ein entartetes Hochdeutsch, es ist vielmehr eine eigene Sprache mit eigener Grammatik und eigenem Wortschatz. Zwar gilt das Berlinerische sür etwas Gewöhnliches, weil es vor allem von den sogenannten niederen Schichten gesprochen wird. Doch dieser angeblich barbarische Mischmasch von Sprache wird gar nicht nur von den ungebildeten Leuten gesprochen. Alle Berliner Volksschichten wurzeln mit ihrem Sprachgefühl im Berlinerischen. Sie benutzen nicht nur den berlinerischen Tonsall, de» Akzent. Die meisten Berliner verwenden auch, oft absichtlich, oft aber auch unab- sichtlich, Worte und Ausdrücke berlinerischer Art. Selbstverständlich sprechen sie nicht das vollendete derbe Berlinerisch der unteren Schichten. Ja, sie legen manchmal Wert aus ihr Hochdeutsch. In bestimmten Situationen aber dringen auch dem Gebildelen rein der- linerische Worte auf die Zunge. Dann hört man ick und det, knorke und keß, Boom und Jähre. Mindestens ebenso oft aber hört man Berliner Redensarten und witzige Wendungen. Wieweit die vor- aussetzungslose Freude des Berliners an humoristischen Wendungen geht, die Hans O st w a l d in seinem köstlichen, soeben bei Piper u. Co. in München erschienenen Buch„Berlinerisch " zu- sammengetragen hat, kann man erfahren, wenn man mit Berlinern zusammenkommt. Um ihre Borurteilslosigkeit zu beweise», erzählen sie irgendeinen Scherz von der berüchtigten Berliner Schnauze, wie etwa diesen: Ein Berliner sagt zu einem Wiener:„Bei uns an der Klinik hat man einem Mann beide Beine amputiert, durch künstliche ersetzt, und der Mann hat den ersten Preis bei dem Sechstagerennen gewonnen!"—„Das ist gar nichts", antwortete der Wiener.„Bei uns hat man einem Berliner die Ohren mehr nach rückwärts ver- setzt, damit er das Maul noch mehr aufreißen kann." In diesem Witz wird die Großschnäuzigkeit des Berliners rück- sichtslos gekennzeichnet. Der Berliner nimmt das gar nicht übel, sondern hat selbst seinen Spaß daran. Diese Fähigkeit zur Selbst- ironie ist eine besondere Eigenart des Berliners und liegt wohl in
iner Witz eigene Sprache! seinem Werdegang begründet. Die Reichshauptstadt wird zu Recht Kolonialstadt genannt, wo immer viele Menschen aus oller Welt zusammengekommen sind. Alle mußten im Erwerbsleben herzhaft zupacken. So wurde der Berliner Witz abwehrend und schlagfertig, ätzend und lachend zugleich. Die ersten Anekdoten und Witze berlinerischer Art werden aus der Mitte des 17. Jahrhunderts über- liefert. Da fragte ein Goldschmied den Ratsherrn Schönbrunn , woher es käme, daß die neuen doppelten Groschen so bald rot würden? Dem antwortete Schönbrunn :„Sie schämen sich, daß sie arm an Silber sind." Dann rückte Berlin durch den ersten Preußenkönig in eine bevorzugte Stellung, bekam durch den großen Hof eine gewisse Lebhaftigkeit. Der Soldatenkönig fügte seine Grob- heit hinzu. Unter Friedrich II. strömten viele unerschrockene Elemente in sein Heer und seine Hauptstadt. Der Aufstieg Preußens, der sich in den Zeiten der Aufklärung vollzog, wuchs sich zu einer frei- wütigen Ueberlegenheit aus. Aus jener Zeit erzählt Rosenberg eine Anekdote, die das Wesen des sog. Urberliners zeigt:„Lessing traf sich gern mit seinen Freunden in der„Baumannshöhle ", einem nach dem Küfer Baumann benannten Weinkeller in der Brüderstraßc. Dort las der Philosoph Mendelssohn eines Abends seinen„Phaedon, über die Unsterblichkeit der Seele" vor. Ein Berliner hörte aufmerk- sam zu und trat nach der Vorlesung an den Tisch, an dem Lessing, Mendelssohn und Nicolai saßen.„Ick jloobe nich an ihr", meinte er.„Woran glauben Sie nicht?" fragte Lessing. —„Nu an de Unsterblichkeit."—„Warum denn nicht?"—„Ja, seh'n Se, wenn ick daran jloobte, un se kommt nich, denn ärgerte ick mir. Wenn ick dran sloobe, un se kommt doch noch, so finde ick weita nischt dabei: wenn ick aba nich dran jloobe un se kommt, so freie ick mir. Merken Se wat? Drum jloobe ick nich an de Unsterblichkeit." Sprach's und verließ das berühmte Dreigestirn. Hier offenbart sich auch der nüchterne Verstand des Urberliners, ein Verstand, der trotz dem strengen Lebenskampf aus dem dürren Boden der Mark und in der arbeitsamen Großstadt durch Hilfsbereitschaft und Gutmütigkeit zu gefllhlsvoller Vernunft gemildert wurde. Denkweise und Sprache sind aber sicher auch von der Blut- Mischung der Bevölkerung beeinflußt worden. Im 1k!. Jahrhundert waren in Berlin die Juden und die Angehörigen der französischen Kolonie verhältnismäßig zahlreich. Eine solche Blutmischung hat es zwar an vielen Orten gegeben, ohne daß die Sprache durch sie beeinflußt wurde. Aber in Berlin wurde zum mindesten die Denk- weise durch die Juden und die Franzosen beeinflußt. Der schwer- fällige Märker und Norddeutsche übernahm von ihnen eine kleine Dosis Lebhaftigkeit.
Todesopfer der Kinderlähmung Llebergreifen der Seuche auf Magdeburg . Magdeburg , 28. 3uni. Die spinale Kinderlähmung, die im benachbarten Groß- Ottersleben ausgebrochen ist, hat ihr erstes Todesopfer ge- fordert. Eines der kranken Kinder ist im Magdeburger Altstädtischen Krankenhaus gestorben.— Neuerdings ha! die Seuche auch aus Magdeburg selbst übergegriffen. Eine Anzahl erkrankter Kinder, bei denen alle Merkmale der spinalen Kinderlähmung vor- lagen, wurde in das Allflädtifche Krankenhaus eingeliefert. Die Krankheit ist bisher in allen Fällen gutartig verlaufen. Zwei Mörder voll Mus. Oer Tod des Furagehändlers Meyerhardt vor Gericht. Kor dem Landgericht I stehen zwei zerknirschte junge Burschen unter der schweren Anklage des Raubmordes: der noch nicht ISjährige Fritz Zepernick und der ZZjährige Hermann Rülow. In der Nacht des 2. März d. I. entdeckte man im Flur des Hauses Milastraße 2 in einer großen Blutlache den Furage- Händler Meyerhardt mit zertrümmertem Schädel. Seine Tasche mit 925 Mark fehlte. Meyerhardt gehörte zu den Hausbewohnern und besaß am Nordbahnhof einen großen Lagerplatz. Am 3. März fand der Hauseigentümer Goethestraße 51 ein geschlossenes Kuvert mit 275 Mark Inhalt und einem Zettel: Es war nicht meine Absicht, ich bereue die Tat. Schon vorher war der Verdacht der Täterschaft awf Fritz Z. und aus Hermann R. gefallen. Beide wurden verhaftet. Auf die Frag«, weshalb er das Geld in der Goethestraße niedergelegt habe, sagt: Z.: Ich habe das Geld nicht mehr sehen können. Für einen Teil des Geldes hatte er sich eine Wanderausrüstung gekauft. R. hatte seinen Teil der Beute in Höhe von 406 Mark im Tegeler Wald vergriben. Die treibende Kraft bei Begehung der schrecklichen Tat war R. Cr mar als Stahlhelmmann trog erfolgreich bestandener Prüfung zur Polizeilausbahn nicht zugelassen worden, er hatte sich mit seinen Eltern überwarfen, sich in der letzten Zeit mit Betteln durchgeschlagen und zwei Monate auf Treppenfluren oder sonstwo übernachtet. Von seinem Bekannten, einem früheren Kutscher von M., hatte er einen Tip bekommen, Meyerhardt zu berauben. Es kam aber zwischen ihm und seinem Bekannten zur Entzweiung, er beschloß, mit Z. den fallengelassenen Plan auszuführen. Dieser, früher Bürobote, war arbeitslos und brachte eine Ausrüstung. Das Verbrechen geschah. Meyerhardt wurde erschossen, noch ehe er zu seiner Waffe gegriffen hatte. Maske und Revolver warf man in die Spree. Z. taufte sich einer Wanderausrllstung. Hinterher kam die Reue. Beide Angeklagten sind heute geständig, bestreiten aber, Meyerhardt mit Ueberlegung getötet zu haben. Sie hätten nicht die Absicht gehabt, ihm ein Uebel zuzufügen.
Oer russische Wirtschastsumbau. Freier Handel der Kollektivbauern wird geschützt. Seit einigen Monaten gibt es in den russischen Städten wieder stark beschickte Lebenemittelmärkte, da den Kollektivbauern erlaubt worden ist, diesen Handel wieder aufzunehmen. Eine weitere Förde- rung erhielt diese Entwicklung durch die Befreiung verschiedener Landesprodukte von der Rationierung, die freilich immer weniger imstande war, sie ausreichend und pünktlich zu liesern. Soeben ist nun das zehnjährige Bestehen der Sowjetstaats- anwaltschaft zum Anlaß einer neuen Verordnung genommen worden, die den Umschwung der Wirtschaft konsequent und entschieden fortsetzt. Darin werden einer freien Entwicklung der landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaft neue Konzessionen gemacht. Der erste Schritt guf diesem Gebiete, so heißt e», sei die Freigabe des gesetzmäßigen Han- d e l s der Kollektiven auf den städtischen Märkten gewesen. Jetzt erfolge der zweite Schritt, der der Bevormundung der Kollek- tiven durch rechtsunkundige Ortsgerichtsbarkeiten ein Ende bereiten und alle Eingriffe in die Verwaltung beseitigen solle. Weiterhin wird daran erinnert, daß namentlich jeder Druck aus den einzelnen Bauern zum Eintritt in ein Kollektiv ungesetzlich sei. Auch ein zwangsweises Eingliedern de» den Bauern gehörigen Viehs in ein Kollektiv dürfe nicht erfolgen, da ein derartiges Verfahren den Gesetzen widerspreche. Die Staats- anwaltschaft habe streng darüber zu wachen, daß in Zu- kunft alle derartigen, mit den Gesetzen in Widerspruch stehenden Maßnahmen unterbleiben, zu denen auch ungesetzliche Ver- Haftungen. Haussuchungen und Vermögenskon- fiskationen gehören. Hiernach wird die Ausschaltung der P a r t e i st e l l e n au« der Wirtschaft, die schon früher für die Industrie verordnet wurde, auch aus die Landwirtschaft angeordnet. Es ist dabei freilich nicht zu verkennen, daß Partei und Staat in Rußland identisch sind und alles dem gleichen Willen dient, durch unermüdliche, gegen sich selbst rücksichtslose Arbeit den ge- waltigen Aufbau der Industrie zu schaffen, von dem das vordem so industriearme Land eine starte Besserung der Lebensverhältnisse erhofft. Korruptionsprozeß gegen Sowjethandelsbeamte. Moskau , 28. Juni. Sechs Tage lang wurde hier gegen 23 Angestellte der Mos- kauer staatlichen Kleinhandelsgeschäste, darunter den stellvertretenden Leiter, verhandelt. Die Anklage lautete aus Waren- und Geld dieb stahl, ungesetzliche Prciserhö- h u n g und Versorgung der Spekulanten� mit Kontingentware. In fünf Monaten sollen die Angeklagten den Staat um eine Mit- l i o n Rubel geschädigt haben." Da? Gericht verurteilte fünf Ange- klagte zum Tode durch Erschießen. Sieben weitere Angeklagte erhielten zehn, die übrigen drei bis fünf Jahre Gefängnis. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.
Naziblati verboien. Wegen Kritik an„Gayl, dem Zauderer". Hamburg , 23. Juni. Das nationalsoziali st ische„Hamburger Tageblatt " wurde auf Grund des Sj 6 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1032 mit Wirkung vom heutigen Tage auf die Dauer von fünf Tagen bis einschließlich 2. Juli verboten. Das Verbot erfolgte wegen einiger Bemer- kungen in dem Artikel:„von G a y l, der Zauderer" in Nr. 148 des„Hamburger Tageblatts". wegen Aufreizung von Seesoldaten zum Ungehorsam, die durch Zeitungsanikel begangen sein soll, wurde der Geschöstssührer der kemmunistiscken Pariser„Humanit in A b w e s e n b e j t zu zwei Jahren Gefängnis und 3000 Franken Geldstrafe verurteilt.
Langfristige Wettervoraussagen. Versuch auf zwei Monate. Di«„Staatliche Forschungsstelle für lang- fristige Wettervorhersage" wird vom 4. Juli dieses Jahres ab eine bedeutsame Neueinrichtung versuchsweise beginnen, nämlich eine zehntägige Wettervorhersage. Professor Dr. B o u r, der Leiter der Forschungsstelle, ist seit vielen Jahren damit befaßt, die Möglichkeiten«iner solchen Witterungeprophezeiung Wissenschaft- lich zu erkunden. Bisher konnte man das Wetter in de» amtlichen Witterungsberichten nur auf wenige Sturtden ankündigen. Das Bestreben der Wissenschaft geht schon seit Jahren dahin, diese unvoll- kommene Art der Wettermeldung zu erweitern. Diesem Ziele dien- tcn schon bisher zahlreiche große wissenschaftliche Unternehmungen, wie z. B. die Nordpolexpedition des Graf Zeppelin". Auch das „Polarjahr 1932" wird in erster Reihe der Erkundung der Witte- rungefaktoren im Polargebiet zugute kommen. Die sogenannte „Polarsront" hat einen bedeutsamen Einfluß auf die Wettergestal- tung in Europa . Seit 40 Jahren werden von den Forschern die Wetterfolgen beobachtet, um allmählich aus dem scheinbaren Unge- ordneten der Wetterfolgen ein« Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Das Wetter und kris Lustmeer besitzen offenbar bestimmte Zwangsläufigkeiten, wenn sie sich auch auf weite Zeiträume aus- wirken und darum in ihrem Zusammenhange nicht eindeutig zu er- kennen sind. Die wirkenden Kräfte der Wettergestaltung liegen auch heute noch im Dunkeln, trotzdem wir durch die zahlreichen Expedi- tionen und wissenschaftlichen Arbeiten«inen großen Ueberblick über die scheinbar willkürlichen Erscheinungen erhalten haben. Man muß sich darum an die praktischen Ersahrungen halten, die in den letzten 40 Jahren gemacht worden sind. Es wurde genau sestgestellt, wie das Wetter in Deutschland sich gestaltet«, wenn es so oder so kurz vorher im Polarland und in Amerika gewesen ist. Man glaubt aus diesen Erfahrungen ganz bestimmte Folgerungen ziehen zu können, denn es hat sich gezeigt, daß sich bei gleichen Vorbedingungen Ser Wetterverhältniss« in Europa , im Polargebiet und in einem Teil von Nordamerika in Deutschland immer ziemlich dieselben Wetter- erscheinungen für mehrere Tage herausbildeten. Es wurden Stati- stiken darüber aufgestellt, die die Wetterstellc ermutigten, nunmehr an langfristige Wettervoraussagen heranzugehen. Zunächst will sie für 10 Tage das Wetter vorher prophe- zeien. Selbstverständlich sind ganz zuverlässige und irrtumslose Vorhermeldungen auf lang« Frist kaum zu erwarten. Immerhin aber wird es trotzdem von großer Bedeutung sein, wenigstens die Wahrscheinlichkeit der Wetterbildung kennenzulernen, wie sie sich nach den Erfahrungen der letzten 40 Jahre bei den vorhandenen Wettergrundlagen gestalten wird. Diese ersten amtlichen, langfristi- gen Wettervoraussagen werden nicht nur praktischen Wert haben, sondern auch der Forschung dienen, denn man wird aus ihnen für die künftige Gestaltung der langfristigen Wettervorhersage viel lernen können. Versuchsweise sollen diese langfristigen Voraussagen für die beiden Reisemonate Juli urtd August eingeführt werden. Falls sich diese Voraussagen bewähren, ist eine Fortsetzung geplant.
„Orei arme kleine Mädels." Nose-Theater. Dem dramatischen Borwurf nach(wenn man die pathetische Bezeichnung hier überhaupt verwenden will) ist dies« Wolter- K o l l o- Operette ein sanftseliger Blödsinn: an sentimentaler Schnur aufgereihte Perlenprachtemplare von unerfüllten Geschichten. Nicht nur Tenor und Diva wie sonst, nein— ganze Geschlechter werden da heimgesucht von überaus unglücklicher Liebe. Dem wackeren Kaufmannssohn entgeht die angebetete Baronesse, da sie doch einen Grafen heiraten muß, sein Sohn kriegt ihre Tochter nicht, sinte- malen die einen Fürsten heiraten soll— das ist zweifellos alles sehr rührend und sehr traurig Gott sei Dank aber merkt man nicht allzuviel von der erschütternden Tragik, denn es gibt da eine An- zahl längst abgebrauchter, immer wieder aber brauchbarer Lust- spieltypen und Schwanksituationcn: es gibt da eine Anzahl nied-
licher und netter Genrebildchen aus der guten alten Zeit mit Wind- lichter» und Postillongetön— und schließlich auch Musik. Eine handfeste, gemütliche, scharf konturierte Musik, ohne alle Prätentio- nen, ohne viel Geist, Scharm, Originalität— eine sehr ordentliche Wald- und Wiesen-Operettenmusik sozusagen, sympathisch-anspruchs- los und ansprechend zugleich. Dem Publikum(dem das Episodische viel Spaß machte) ging ganz begeistert mit und freute sich der in Hülle und Fülle gebotenen Dinge: der hübschen Bühnenbilder Grothes, der geschickten Regie Hans Roses(gut gelungen in Bild und Bewegung das Finale des ersten Aktes) und seiner in Scharen aufgebotenen Lieblinge. Die armen kleinen Mädels sind Alice Bindernagel, Hedi K r a m e r, Lotte S ch ü r h o f f— die erste lustig, die zweite sentimental, die dritte berlinisch-frech. „Er", der Herrlichste von allem, ist Mario L erch tsie singen alle mehr oder weniger naturalistisch). Prächtige Typen sind Lotte von Syrow, Kurt Mikulski und vor allem Ferdinand Asper. cv. „Vormundschastssache Gerd Funker." Hörspiel von Auditor. Daß eine innerlich unheilbar zerbrochene Ehe nicht durch gesetz- liche Gewalt an der äußeren Lösung verhindert werden darf, er- scheint heute jedem wahrhaft moralischen Menschen als selbstverständ- lich. Doch es ist«in großer Unterschied, ob zwei Ehegatten oder zwei Eltern leiden. Das kinderlose Paar findet seine Freiheit wieder: das Clternpaar kann in schwerste Unfreiheit geraten, um so mehr, je zärtlicher Vater und Mutter an den Kindern hängen. Wie oft wird das Kind„geschiedener" Eltern von dieser Liebe, die durch den Haß gegen den anderen Ehepartner häufig krankhaft gesteigert ist, hin und her gerissen und im wahren Sinn heimatlos gemacht. Das Kind, das bei dem Vater lebt und die Mutter zu verein- borten Zeiten besuchen muß, steht zwischen der Feindschaft und dem Mißtrauen, da» diese beiden Menschen gegeneinander hegen. Es wird ungezogen, da beide sich bemühen, es gegeneinander zu er- ziehen: es lernt feine Chancen ausnützen und einen gegen den anderen auszuspielen. Aber die kleinen Vorteile und Näschereien, die er dabei gewinnt, machen den kleinen Gerd nicht sroh, der nicht mehr weiß, wohin er gehört und auf wen er hören soll. Einem verständigen Vormundschaftsrichter gelingt es, den Eltern die Ge- fahren klarzumachen, die für den Charakter des Kindes, für seine ganze Zukunft aus diesem Zustande hervorgehen. Liebe ist nur schön und fruchtbar, wenn sie aus Verständnis, nicht aber wenn sie aus Haß hervorgeht. Wenn die eheliche Gemeinschaft zwischen den Eltern unmöglich geworden ist, so muß doch dieses Verständnis schon um der Kinder willen gepflegt werden. Wie alle Hörfolgen von Auditor wirkte auch diese durch die Echtheit ihrer Szenen. Die Frankfurter Aufführung, die von der Berliner Funkstunde übernommen wurde, war vortrefflich.— lz.
Paul Michael gestorben. Mit dem in diesen Tagen verstorbenen Leipziger Arbeiterdtrigenten Paul Michael versinkt ein Stück lebendiger Geschichte der Arbeitersäugerbewegung. Paul Michael ist am 20. Oktober 1867 in Leipzig geboren und wurde zuerst Litho- graph. Aber die Liebe zur Musik war stärker. Michael absolvierte das Konservatorium und suchte als Gesangslehrer und Dirigent eine neue Existenz. Bei dieser Suche geriet der politisch frühzeitig klar sehende Musiker am 6. Januar 1891 in die Gründungversammlunq der Sängerabteilung des Arbeitervereins der Leipziger Vorstadt Thonberg. Diesen Männerchor, dem nach dem Kriege ein Frauen- chor angegliedert wurde, hat Paul Michael über 40 Jahre lang dirigiert. Mchr als 20 Jahre stand unter seiner Leitung auch der Männer- und Frauenchor Leipzig-West. „Die Vereinigung künstlerischer Vühnenvorstände" verurteilt da» in den letzten Wochen immer stärker sich fühlbar machende Ein- dringen unkünstleriscber Gesichtspunkte bei den Engagements der Bühnenmitglieder und bei der Gestaltung de« Spielplans. Sie sieht in diesen Mahnohmen einen verhängnisvollen Eingriff kunst- und kulturfeindlicher Mächte in das deutsche Theaterleben. Sie protestiert nachdrücklich, daß konfessionelles oder weltanschauliches Bekenntnis maßgeblich fein soll. Tic Städtische Oper bring« heute nicht„Troubadour", sondern infolge ber starken Nachfrage eine Wiederholung der„Banditen". Beginn 8 Uhr.