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Beilage

Dienstag, 28. Juni 1932

Keine Gebärpflicht!

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

folgen, werden die Strafen erheblich herabgeset. Die Schwangerschaftsunterbrechung, die bisher als Verbrechen galt, wird allgemein nur noch als Vergehen angesehen soweit sie natürlich gesetzlich unerlaubt ist.

Bemerkenswert ist die Begründung, die das Prager

Ein Kulturwerk in der Tschechoslowakai/ Von Dr. J. Moses Justisministerium ſeinem Geſetzentwurf mit gibt: Sie bezeichnet die

Das tschechoslowakische Justizministerium hat| freiheit einen Fall, der kürzlich das ungarische Justizministerium dieser Tage einen Gesezentwurf zu dem dort geltenden beschäftigt hat: ein vergewaltigtes Mädchen suchte um die behörd­Schwangerschaftsparagraphen dem Parlament vorgelegt, der im liche Bewilligung zur Fruchtabtreibung nach, ohne sie natürlich zu Verhältnis zu Deutschland einen großen Fortschritt bedeutet, eine erhalten. Auch bei uns in Deutschland hatte sie die gleiche Abweisung außerordentliche Entlastung für Millionen Proletarier. Der Haupt- erhalten. In der Tschechoslowakei aber wird sie eine solche unver­teil dieses Gesezentwurfes der Regierung, der zweifellos vom Par- schuldete verbrecherische Leibesfrucht fünftig mit Zustimmung des lament angenommen wird, bestimmt, unter welchen Umständen eine Gesezes beseitigen können. In der Begründung wird auch darauf Abtreibung straflos zu bleiben hat. Die wichtigste Be- hingewiesen, daß Kinder von Müttern, die jünger als 16 Jahre sind, stimmung lautet: meist förperlich minderwertig sind.

,, Nicht strafbar ist die Fruchtabtreibung, wenn die Schwangere die Leibesfrucht nicht austragen oder nach der Geburt die Ernährungspflicht gegenüber dem Kinde nicht ohne Bedrohung der eigenen Existenz oder der Existenz einer Person, die sie nach dem Gesetz zu ernähren hat und die ihr ebenso nahe steht, wie das Kind, dessen Geburt sie erwartet, erfüllen

fann."

Das bedeutet die Anerkennung der sogenannten sozialen Indikation durch das Gesetz, die wir in Deutschland seit Jahr und Tag vergeblich verlangen. Sogar Aerzte haben sich in Deutsch land gegen diese soziale Berücksichtigung der Schwanger: schaftsunterbrechung ausgesprochen. In der Tschechoslowakei aber, wo man sicherlich auch so gute Aerzte wie bei uns hat, denft man humaner! Die eben zitierte Bestimmung bedeutet, in die Sprache des Alltags übersetzt: Für alle Frauen wird das Recht gesetzlich festgelegt, ein Kind nicht in die Welt sezen zu müssen, das sie nicht ernähren können, ohne damit ihre eigene Existenz oder die ihrer Angehörigen, vor allem der schon lebenden Kinder, zu gefährden. Die Frauen der Arbeitslosen, die ihre Familien erhalten müssen, die Mütter von Kindern, denen die Nahrung schon ohnehin knapp geboten werden muß, die unehelichen Mütter, die vom Vater ihres erwarteten Kindes verlassen wurden, sollen das gesetzliche Recht auf Unterbrechung der Schwangerschaft erhalten, so wird es in der Begründung des Gesetzes ausgeführt. Das ist wirkliche soziale Gesinnung, Einsicht in die soziale Not, Wille, sie zu bekämpfen.

Der Entwurf ermöglicht weiter die Schwangerschaftsunter­brechung, wenn sie erfolgt,

,, um von der Schwangeren die Gefahr des Todes oder eine schwere Gesundheitseinbuße fernzuhalten". Das ist die sogenannte medizinische Indikation, die allerdings auch bei uns berücksichtigt wird, wenn auch nicht in dem gleichen Umfange. Nach dem tschechischen Entwurf darf nämlich die Schwangerschaftsunterbrechung auch dann erfolgen, menn der Arzt annimmt, die Geburt werde nur mit Hilfe eines Kaiser= schnittes möglich sein. Also: eine Frau, die nicht auf natür­lichem Wege gebären tann, soll nicht mehr verurteilt sein, die Kaiser­schnittentbindung über sich ergehen zu lassen.

Die Schwangerschaftsunterbrechung ist meiter straflos, wenn es unzweifelhaft feststeht, daß die Befruch tung durch Notzucht oder Schändung eines Mädchens unter 16 Jahren zustande gekommen ist."

Das ist die gesetzliche Anerkennung der sogenannten ethischen Indikation, die bei uns ebenfalls nicht berücksichtigt ist. Bei uns müssen Kinder, die kriminell erzeugt wurden, noch immer zur Welt gebracht werden. Der Motivenbericht des tschechoslowakischen Gesetzes enthält als Rechtfertigung für die Notwendigkeit der Strafs

Schließlich darf die Schwangerschaftsunterbrechung erfolgen,

,, wenn es unzweifelhaft feststeht, daß das Kind geistig und körperlich schwer belastet wäre". Sogenannte eugenische Indikation, die in Deutschland ebenfalls nicht gesetzlich anerkannt ist. Der Bericht des tschechischen Justizministeriums erflärt, ,, es müsse Rücksicht auf die menschliche Gesellschaft genommen werden, die ein Inter­esse daran hat, daß möglichst wenig minderwertige Kinder auf die Welt kommen, die ihr nur eine Last sein könnten". Also geistig und körperlich belastete Kinder aus Familien, in denen Geistesfrank­heiten, Alkoholismus, Tuberkulose usw. sich zeigen, müssen nicht mehr in die Welt gesetzt werden.

Zusammenfassend kann man sagen: der neue tschechoslomatische Gesezentwurf berücksichtigt die medizinische, soziale, ethische und eugenische Indikation. Bei Vorliegen solcher Voraussetzungen darf die Schwangerschaftsunterbrechung straflos erfolgen. Allerdings unter gewissen Voraussetzungen: Die Schwangerschaftsunterbrechung unter gewissen Voraussetzungen: Die Schwangerschaftsunterbrechung muß mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt in einer öffentlichen Heilanstalt vorgenommen werden. Diese Bestimmung wird getroffen, damit die Aerzte das Gesetz nicht um­gehen und damit alle Sicherheiten für eine völlig gefahrlose Unter­brechung gegeben sind. Alle anderen Personen, die Schwanger schaftsunterbrechungen vornehmen, z. B. Hebammen, machen sich strafbar. Da den Aerzten das Recht gegeben wird, in den Fällen, die das Gesetz vorsieht, Abtreibungen vorzunehmen, müssen die Frauen nicht mehr, wie bei uns, zu den weisen Frauen und Pfuschern gehen!

Für Schwangerschaftsunterbrechungen, die gegen das Gesetz er

Dr. Maria Faßbender:

Frage der Schwangerschaftsunterbrechung als eines der brennend­sten der strafrechtlichen Probleme". Die gegenwärtige Regelung", so heißt es darin ,,, ist ungerecht und richtet sich namentlich gegen die sozial Schmachen. Die hohen Strafsäge widersprechen sowohl dem Rechtsgefühl der Laien wie der Juristen. Das Justizminifterium tonnte sich davon überzeugen, daß die meisten Fälle von Abtreibungen geheim blieben, und daß ein Abortus über­haupt nur zur Kenntnis der Gerichte gelangt, menn er so spät erfolgt, daß er nicht mehr verheimlicht werden kann, wenn er für die Schwangere unglücklich ausfällt, oder menn er aus Rache an­gezeigt wird. 80 Prozent der in den letzten Jahren Verurteilten maren Arbeiterinnen, Tagelöhnerinnen, haus­gehilfinnen und Arbeiterfrauen. In 7,3 Proz. der gerichtsbekannten Fälle endete der Eingriff tödlich, in 18,6 Proz. mar er mit bleibenden Gesundheitsstörungen der Mutter verbunden." Und jetzt etwas besonders Wichtiges: Der Entwurf sieht auch die Durchführbarkeit der Schwangerschaftsunterbrechung vor. nüßt es, daß Schwangerschaftsunterbrechungen durch einen Arzt gestattet sind, menn die Frauen nicht das Geld haben, um den Arzt zu bezahlen? Deshalb bestimmt der Entwurf, daß vermögens­lose Schwangere einen Anspruch darauf haben, daß in den Fällen, wo die Schwangerschaftsunterbrechung gesetzlich gestattet ist, die Unterbrechung in einer öffentlichen Heilanstalt unentgeltlich oder gegen Ersatz eines Teiles der Kosten vor­genommen wird. Someit nach den Bestimmungen der Kranken­ versicherung die Schwangere Anspruch auf eine Versicherungsleistung bei einer Geburt hat, so hat sie diesen gleichen Anspruch gegen die Krankenversicherung auch bei einer Schwangerschaftsunterbrechung. Also: die Krankentassen müssen die Kosten der Schwanger­schaftsunterbrechung bezahlen!

Was

Durch diesen Gefeßentwurf hat sich die Tschechoslowakei in die erste Reihe der Kulturstaaten gestellt. Im einzelnen mag der Ent­wurf noch nicht vollkommen sein, er läßt z. B. noch genügend viele Möglichkeiten offen, in denen eine Abtreibung trotz dem Vorliegen eines Notstandes bestraft werden kann. Aber er zeigt den ernſten Willen, die Gesundung des Volkes durch eine Maßnahme ver= nünftiger Geburtenregelung durchzuführen, er ist also Don entscheidender volksgesundheitlicher Be= deutung!

Die Ehe als Schicksal

Es sind alte und doch immer wieder aktuelle und padende| Weg zu einer neuen Form ist ein Tasten, Suchen und Kämpfen der Probleme, die Carl Mennice in seinem Buch Schicksal und Aufgabe der Frau in der Gegenwart"( Verlag Alfred Brotte, Botsdam, 2. verb. Auflage 1932) behandelt. Wir sehen die Frau als geistige, schaffende Persönlichkeit, als Geliebte, Gattin und Mutter im Wandel der Zeiten und gelangen zu den wichtigsten Fragen im Leben des Menschen und vor allem im Leben der Frau in der Gegenwart.

Die Tatsache, daß die Frau heute wirtschaftlich und geistig zu einer Unabhängigkeit und Selbständigkeit gelangt ist, stellte das frühere Verhältnis der Geschlechter auf eine andere Basis. Damit zerbrach auch das alte Ideal von Liebe, Ehe und Familie. Was Religion und bürgerliche Moral früher schützte, ist jetzt dem Schußze und der Verantwortung der einzelnen Persönlichkeit überiassen. Der

Die Kinderstube

im Arbeiterhaushalt

und Gerät soll es vor allem das Spielzug aufnehmen, in späterer Zeit kommen Bücher hinein und schließlich auch die Sportgeräte. Für den Säugling ist eine Wickelkommode erforderlich, die im Not­falle aus einem Tisch leicht herzustellen ist. Wenn alle Möbel mit einem hellen Lackanstrich versehen werden, die Zimmerfarben hell und freundlich sind und schließlich noch eine abgedämpfte Lampe hinzukommt, dann ist das Zimmer bereits fertig. Viel Möbel sind ein Schaden, das Kind braucht freien Raum und Platz für seine Spiele. Zerbrechliche und wertvolle Stücke sind entbehrlich, sie behindern die Entwicklung und sind die Quelle unaufhörlichen Aergers. Auch wenn kein besonderer Raum zur Verfügung steht, soll das Kind wenigstens eine Spielede bekommen. Das wird 3. B. auch in der sonst wenig beliebten Wohnküche möglich sein. Dazu gehört vor allem das bereits erwähnte Regal, das für die Spielsachen unerläßlich ist. Auch ein kleiner Tisch ist notwendig. Wenn man dann noch einen kleinen Wandschirm mit billiger aber fester Stoffbespannung baut, dann hat man den Kleinen einen gesicherten Platz geschaffen, der bereits ein besonderes Zimmer ersetzt. Der Wandschirm wird am Abend vor das Kinderbett gestellt, damit kein Lichtstrahl seinen Schlaf störe. Für ältere Kinder fei bei mangelndem Platz das Klappbett empfohlen, das tagsüber in einen Schrank oder in ein Regal verschlossen wird, damit der Play als Wohnraum frei bleibt. Ein besonderer Arbeitstisch ist für die Schulpflichtigen unerläßlich. Denn erst wenn man auch die zweckentsprechenden Einrichtungen schafft, wird die Entwicklung in befriedigender Kurve verlaufen.

Die vernünftige Beschränkung der Kinderzahl hat die Erziehung| Alle erforderlichen Dinge, außer dem Bett, kann man billig selbst der Arbeiterkinder in eine andere Bahn gelenkt. Eine Kinderstube herstellen. Außer einem Tisch und einem kleinen Stühlchen ist im Haushalt der Minderbemittelten war früher ein Ding der ein breites Regal von unbedingter Notwendigkeit. Neben Kleidern Unmöglichkeit. 3war bleibt sie auch heute noch auf einen kleinen Kreis Begünstigter beschränkt, allein die Erkenntnis ihrer Not­wendigkeit ist heute bereits Allgemeingut geworden. Neben der wirtschaftlichen und politischen Erstarkung des Proletariats kommt der neuen Wohnkultur ein besonderes Verdienst für diese Errungenschaft zu. Durch die Teilung der Wohnfläche in mehrere kleine Räume ist die notwendige Trennung zwischen Wohn­und Schlafraum erreicht worden. Es wird sogar in vielen Fällen möglich sein, eine kleine Kammer, einen Nebenraum, oder wie man es heute nennt, das halbe Zimmer als Reich des Kindes einzurichten Diese Lösung ist für beide Teile, Eltern wie Kinder, die denkbar beste. Eine Trennung ist, besonders wenn das Kind größer ist, sehr zu empfehlen. Auch ein so junger Mensch braucht ein Stück eigenes Reich, um seine Persönlichkeit zu entfalten. Es braucht Freiheit, um zur Reife zu kommen und die Mutter wird gern die Entlastung anerkennen. Aus erzieherischen wie aus ästhetischen Gründen ist also die Absonderung zu begrüßen. Wo sie irgend möglich durchzuführen ist, wird sie als Vorteil erkennbar sein. Die Einrichtung eines solchen Zimmers stellt an die Eltern einige Anforderungen. Die Anpreisungen des wirklich reizenden Baby­zimmers", wie sie aus Preisverzeichnissen und Reklamen bekannt sind, zeigen eine fremde Welt, deren Kosten für den Arbeiter nicht erschwinglich ist, die aber auch zu seiner Einstellung nicht paßt. Wir brauchen 3weckmäßigkeit, nicht aber süßlichen Kitsch. Denn die Einrichtung soll der Eigenwelt der Kleinen entsprechen. Sie soll erzieherisch auf sie einmirfen. Dazu ist ein besonderer Maßstab nötig, der dem Kinde genehm ist. Tisch und Stuhl sollen seinen Körpermaßen angepaßt sein. Auch sein Schrank sei nach den Maßen seiner Aermchen gearbeitet. Dann werden wir unschwer das Kind zur Ordnung und zur Selbstverantwortung erziehen. Wie im Spiel wird es lernen, seine Kleider aufzuräumen und seine Schuhe in die Kiste zu verpacken. Die Methode der Italienerin Montessori beginnt bereits sich in der Praxis auszuwirken. Persönlichkeitsbildung foll früh geübt werden, damit wir unsere Kinder zu freien, selbstsicheren Menschen erziehen. Die Einfluß threr Umwelt ist von außerordentlicher Bedeutung. Die Kosten für eine solche Einrichtung können auf ein Mindestmaß gesenkt werden.

Das wesentliche ist aber die neuzeitliche, vernünftige Einstellung zu den Erziehungsfragen innerhalb der Arbeiterfamilie. Die be­schränkte Kinderzahl gibt den Eltern die Möglichkeit, sich eingehend und planvoll mit den kleinen zu beschäftigen und sie mit Liebe und Sorgfalt zu erziehen. Ihr Leben sei Freiheit, ihr Ziel die Selbst­sicherheit, sie sollen Charakter zeigen und den Geist kollektiver Ge­finnung pflegen. Die Freiheit schafft idealistischen Schmung, die Eine richtig Verantwortung erzieht zu bewußten Kämpfernaturen. und sei sie noch so flein und bescheiden gewählte Kinderstube wird immer zu einer guten Kinderstube" der. Erziehung werden.

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W.

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geistigen Individualität und deswegen voll Schwierigkeiten und Irrungen. Liebesverbindungen müssen nicht mehr identisch mit Ehe sein. Die Menschen haben sich von dem künstlichen Glauben an die Ewigkeit einer Liebe und der Unantastbarkeit der Ehre befreit. Diese Befreiung aber birgt in sich manche Gefahr, vor allem die Gefahr des Mißbrauchs und der Verflachung vom besten und höchsten Gut des Menschen, es ist die Gefahr, Sexualität für Liebe zu nehmen und sie triebhaft ohne schöpferische seelische Schwingungen an verschiedenen Objekten auszuleben, sowie die freigegebene, unge­bundene Liebe zu sehr auf Kosten produktiver, wertschaffender Arbeit zu genießen. Und hier liegt die Aufgabe der Frau. Sie muß die erotische Kultur schaffen, sie ist ihrem Wesen und ihrer seelischen Struktur nach diejenige, die durch ihr Verhalten die Gefühle des Mannes formt und ihm hilft, Großes und Schönes in der Liebe zu erleben und aufs höchste zu steigern. Diese Auf­gabe der Frau der Gegenwart ist schwer, denn sie kennt kein Dogma und kein Verbot von außen, sie muß ganz allein, aus sich heraus, für sich und vielleicht als Wegweiserin für die Frauen der nächsten Generation den Weg finden.

Aus der Erkenntnis heraus, daß der Mensch mehr als einmal in seinem Leben lieben fann, wurde die alte Form der Ehe in Frage gestellt. Mennice sieht deswegen nur zwei Möglichkeiten, die Ehe neu zu gestalten: sie nach Abklingen der Liebe zu lösen oder fie bestehen zu lassen mit der gleichzeitigen Möglichkeit, andere Liebesverbindungen einzugehen. Dabei sind ihm die Schwierig keiten, die jeder der genannten Wege mit sich bringt, deutlich. Aber wie sich auch das persönliche Schicksal des einzelnen gestalten mag, so fordert er den pädagogischen Einfluß der Gesellschaft in Form einer Kultur der Ehe und Ehescheidung". Das bedeutet eine Erziehung zur Erkenntnis und Bejahung der neuen Form der Ehe.

Auch hier soll die Frau gerade, weil sie viel schwerer unter einer Trennung zu leiden hat, gerade weil sie häufiger die Benachteiligte ist, durch tiefstes menschliches Verstehen und durch Selbstüberwin­dung der Scheidung die wahre Bedeutung verschaffen. Die Schei­dung muß aufhören, die oft unerquickliche Trennung von Menschen zu sein, die einander viele Jahre in Liebe gehörten.

Eng verknüpft mit der neuen Gestaltung der Ehe ist auch das Problem der Familie, vielmehr das des Kindes. Wieder muß die Gesellschaft mit Verständnis eingreifen. Sie muß helfen, die neubeschrittenen Wege der Gemeinschaftserziehung zu vervoll­fommnen und jeder Frau die Möglichkeit zu geben, Mutter zu wer­den, auch wenn sie nicht in einer Familie wurzelt.

Mennicke geht an alle die Probleme nicht nur als Soziologe um Psychologe heran, sondern auch als sozialistisch eingestellter Mensch. Es ist ihm auch deswegen klar, daß seine Forderungen nur in einer fozialistischen Gesellschaftsordnung restlos erfällt werden können, und er betont auch, daß die völlige Befreiung und Gleichberechtigung der Frau an den Sieg der sozialen Idee gebunden ist. Was er jegt fordert, ist mehr naturnotwendige Vorbereitung, Suchen und Ebnen von Wegen für eine vollkommenere und bessere Zukunft.

Ob jedoch die vollkommene Gleichstellung der Frau in Recht und Arbeit das emige Problem der Liebe und Liebesverbindung lösen mird, erscheint mir sehr fraglich. Man fann kaum durch einen geistigen und intellektuellen Ueberbau Leid, das aus den mannig­fachen Beziehungen der Geschlechter tommt, beseitigen. Merkwürdig von dem Typus der berührt die Tatsache, daß das Buch nur geistig selbständigen Frau spricht, die in einer heute noch immerhin vorhandenen Bürgerlichkeit wurzelt. Vollkommen unbeachtet bleibt die Frau der breiten proletarischen Massen. Es ist sicherlich auch dem Verfasser klar, daß das Liebes- und Eheleben des Proletariats schon heute anders aussieht und daß von hier aus neue Wege in die Zukunft weisen.