Janhagel demonstriert.
Propaganda gegen Bersailles?
Wer am Dienstag abend gegen 7% Uhr an der Ecke Unter den Linden und Friedrichstraße stand, und es waren, wie immer an dieser Stelle und um diese Zeit, zahlreiche Ausländer im Publikum, der wurde Zeuge beschämender Vorgänge, die sich im Anschluß an die nationalsozialiftische Lustgarten- Demonstration gegen Bersailles abspielten.
Eine mehrtausendföpfige Menge von meist jugendlichen Demonstranten, nur zum geringen Teil Studenten, größtenteils ausgesprochen nationalsozialistischer Janhagel, viele davon in Notverordnungsjacken und mit Bräuten, durchbrach gröhlend und johlend die Bannmeile und versuchte, gegen den Pariser Plaz vorzubringen. Ihre Absicht war anscheinend, vor der französischen Botschaft zu randalieren. Die zunächst überrumpelten Polizeifetten mußten etliche hundert Demonstranten über die Friedrichstraße hinaus vordringen lassen und vermochten erst nach und nach die Linden abzuriegeln und zu säubern.
Besonders renitente Krakeeler, die der Polizei Widerstand leisteten, machten mit dem Gummifnüppel Bekanntschaft, mehrere wurden verhaftet und von ihren Gesinnungsgenossen beim Abtransport nach dem Alexanderplatz mit dem HitlerGruß stürmisch gefeiert. Die angebliche Propagandakundgebung gegen Versailles artete schließlich in einer bewußten Auflehnung gegen das Bannmeilen gesez und in einer niedrigen antisemitischen Radauheze aus.
Heute wird die gesamte Rechtspresse Entrüstung darüber markieren, daß die Polizei gegen das ,, nationale" Berlin mit dem Gummifnüppel vorgegangen ist. Hätten Kommunisten in ähnlicher Zahl und mit gleicher Radaulust die Bannmeile durchbrochen, dann würden die gleichen Blätter bemängeln, daß zur Wahrung der Staatsautorität nicht einfach in die Menge hineingeschossen worden sei.
Mit dem Kampf gegen das Friedensdiktat von Versailles haben solche Vorgänge, bei denen lumpenproletarische Elemente tonangebend sind, die noch vor Jahresfrist„ Rot Front!" hochleben ließen und jetzt Heil Hitler!" gröhlen, nicht das mindeste zu tun. Sie wirken auf jeden anständigen Menschen, und wohl nicht zuletzt auf die zahlreichen ausländischen Zeugen, nur efelerregend und bestimmt nicht im Sinne einer Unterstützung der deutschen Revisionsbestrebungen.
Wir hätten nur gewünscht, daß Herr von Ganl selber Zeuge dieser Vorgänge gewesen wäre. Dann würde auch er zu der Ueberzeugung gelangt sein, daß die nationalsozialistische Legalität pfeift und daß die übelsten Elemente, in Uniformen gesteckt und auf die Straße losgelassen, es fertig kompromittieren.
Bewegung auf die von ihren Führern so oft beschworene
bringen, fogar nationale Belange durch ihr Auftreten zu
Daß auf der eigentlichen Rundgebung der NationalsoziaDaß auf der eigentlichen Kundgebung der Nationalsozia list Alfred Rosenberg das große Wort führen und in seiner Rede über den toten er mann Müller verächtlich sprechen durfte, paßt sehr gut zum übrigen Bild. Er meinte, daß die Unterzeichner des Bertrages von der politischen Bühne hätten verschwinden müssen, statt dessen sei einer später noch zum Reichsfanzler ernannt worden.
Wer ist der Landesverräter, der ihr dazu ernannt hat? Hieß der nicht Reichspräsident von Hindenburg ?
Herr von ay I fann auf seine Schüßlinge stolz sein. Heute soll die neue Notverordnung erscheinen, die die süddeutschen Länder zwingen soll, die Nationalsozialisten in Uni form demonstrieren zu laffen. Die Szenen von gestern abend maren das würdige Vorspiel dazu. Wenn die sozialdemokra. tischen Arbeiter zu vielen Hunderttausenden im Lustgarten demonstrieren, dann achten sie die Gesetze, achten sie die Bedingungen, unter denen ihre Demonstration zugelassen worden ist. Wenn aber ein paar tausend nationalistische Schreihälse die Erlaubnis zu einer Rundgebung erhalten, dann miß brauchen sie diese Erlaubnis sofort zu einer Durchbrechung der gesetzlichen Bestimmungen und zur Störung der öffent: lichen Ruhe und Ordnung.
Für diese Elemente fezt sich die Reichsregierung ein. Diese Elemente unterstügt sie im Kampfe gegen die Polizeigemalt der Länder!
Gbardolottos Bomben.
Zarchianis flares Alibi.
Die Hauptausbeute der Prozesse vor dem Ausnahmegericht in Rom ist diesmal nicht Hinrichtung und Zuchthaus, sondern die angebliche Ueberführung der Persönlichkeiten der antifaschistischen Ron zentration, zu Bombenattentaten angestiftet zu haben. Der Anarchist Sbardolotto, der erschossen worden ist, ohne eine Zeile hinterlassen und ein Wort mit einem Menschen gewechselt zu haben, hat vor Gericht ausgesagt, er hätte die Bomben am 4. November in Paris dem Rechtsanwalt Tarchiani, früheren ersten politischen Redakteur des Mailänder ,, Corriere della Sera ", am Bahnhof zu rückgegeben. Es liegt uns fern, dem Mann, der sterben mußte, ohne ein Wort sagen zu können über das, was in der geheimen Borunter suchung geschehen ist, den Vorwurf der Lüge zu machen; man mag ihm Bilder gezeigt haben, durch die er den Mann der Bomben als Tarchiani identifizierte, oder man mag ihm anderes angetan haben, was jedes Denken und Identifizieren aufhebt. Sicher ist, daß seine Aussage falsch ist. Tarchiani selbst schreibt uns darüber wie folgt:
,, Den Prozeßberichten der faschistischen Zeitungen mit den angeplichen Enthüllungen Sbardolottos bin ich in der Lage, ein unwider legbares Alibi entgegenzufegen, soweit mein Name genannt wird. In der Voruntersuchung und während der Hauptverhandlung hat Sbardelotto erflärt, er hätte am 4. November 1931 auf der Garé du Nord in Paris mir die von Rom zurückgebrachten Bomben über= geben. Die Zeitungen bringen eine halbe Spalte über die Einzel heiten dieser llebergabe. Ich bin nun in der Lage, durch Zeugen und durch tägliche Briefe mit den Poststempeln zu bemeisen, daß ich vom 28. Oftober bis zum 27. November 1931 beständig in Deutschland war( Frankfurt , Berlin , Nürnberg , München und dann im Gefängnis in Konstanz ), um den zweiten Flug Bassanefis vorzubereiten.
Wie kann man also behaupten, daß Sbarbolotto mir durch Can tarelli nach Paris hätte schreiben lassen und mich am 4. November auf dem Bariser Nordbahnhof getroffen hätte?
Es liegt auf der Hand, daß ich nicht allen angeblichen Enthüllungen aus Rom , die sich auf unbewiesene Behauptungen stützen, ein solches sachlich dokumentiertes Dementi entgegenstellen kann. Aber mas bleibt von der Konstruktion der faschistischen Bolizei und des Ausnahmegerichts übrig, wenn sich ein so grundlegender Umstand durch ein derart unum stößliches Alibi umstoßen läßt?
Geschichte eines Dompteurs.
3ch laffe euch jetzt aus dem Käfig, meine Ziere, aber natürlich erwarte ich, daß ihr euch ganz gesittet und dressiert benehmen werdet."
" Herr Dompteur, sperren Sie diese Bestien wieder ein! Sehen Sie nicht, wie sie die Menschen anfallen."
" Noch halte ich den Zeitpunkt nicht für gekommen."
gewesen, über die Bestimmungen zur Gestaltung der Einnahmen zu beschließen, weil bereits erlassene Ausnahmeverordnungen vorlagen. Die Steuerschägungen des Reiches bei der Umfassteuer feien für die legten 200 millionen äußerst zweifelhaft; auch bei der Lohnsteuer und anderen verdienten die Schäzungen ein Fragezeichen.
Der Reichsrat erledigte in seiner Plenarsizung am Mittwoch| liege es bei allen Ländern. Der Reichsrat sei nicht in der Lage den Reichshaushaltsplan für 1932. Generalberichterstatter Ministerialdirektor Dr. Brecht wies darauf hin, daß der Fehlbetrag aller Vorjahre jest mit insgesamt 1690 Millionen Mart in einer Summe ausgewiesen werde. Diese Entwicklung der Fehlbeträge brauche in einer solchen Krisenzeit nicht zu er chreden, falls für die Zukunft eine gesunde Entwicklung gesichert märe. Das sei aber leider trog aller Ersparnismaßnahmen noch nicht der Fall.
Die fundierte Reichsschuld habe am 31. März 1932 10,4. Milliarden Mark betragen einschließlich der 257 Millionen Schahzanweisungen für die Sanierung der Banten . Das sei trotzdem nur 33 Millionen Mark mehr als im Vorjahr. Hinzu kämen noch rund 1,7 Milliarden schwebende Schulden, so daß die Reichsschulden zusammen 12,1 milliarden Mark betragen hätten. Weitere große Schulden in Milliardenhöhe habe das Reich außerdem an die Länder, namentlich infolge der Webernahme der Eisenbahnen. Bet der schmeren Lage der von den Reserven entblößten Länder hätten die Reichsratsausschüsse in das Haushaltsgeses die Bestim mung gebracht, daß 70 Millionen Mart Vorzugsaftien auf die für die Uebertragung der Eisenbahnen zu entschädigenden Länder verteilt werden sollten. Die vom Reich übernommenen Bürg 880 Millionen mehr als im Oftober 1930. Die Bermehrung entfalle schaften beliefen sich auf 1,5 milliarden Mark oder rund mit rund 350 millionen auf die Bantengarantien, 375 Millionen auf Exportgarantien, insbesondere Rußlandgeschäfte, und 100 Millionen auf Umschuldungsgarantien. Die tatsächliche Snanspruchnahme aus den Bürgschaften habe feit 1927 ins gesamt 73 Millionen betragen, davon 30 Millionen für Winzer kredite und 15 millionen für Roggenstützungsfäufe; fie set für Exportfrebite nur geringfügig gewejen.
Der Generalberichterstatter flocht bann namens des Reichs rates eine Antwort an den französischen Ministerpräsidenten Herriot mit folgenden Worten ein: Im Ausland begegnet man oft der Borstellung, die auch in Lausanne beredten Ausrduck gefunden hat, daß unsere inneren Schulden, weil sie erheblich geringer seien als die Englands und Frankreichs , uns eine Vorzugsstellung im internationalen Wettbewerb einräumen tönnten. Das ist leider ein Irrtum. Unsere inneren Kriegs- und Vorkriegsschulden waren ebenso hoch oder höher als die Englands und Frankreichs .
Weit mehr als 100 Milliarden Goldmark solcher Schulden find durch die Inflation und minimale Aufwertung niedergeschlagen worden.
Glaubt denn irgend jemand in der Welt, daß ein Staat oder Volk durch einen solchen Vorgang den lieben Gott um die Kriegskosten betrügen könnte? Dadurch ist zwar das Reich als Schuldner entlastet, aber in genau demselben Maße die Bevölkerung finanziell verarmt. Diese Verarmung geht leider noch erheblich über die unmittelbare finanzielle Wirkung hinaus, weil sie andere Werte mitgerissen hat. Denn alle großen Objekte, die feinen internationalen Markt haben, namentlich Grundstücke, sind infolge der Berarmung und Kapitalnot nur noch zu geringen Breisen verfäuflich also entwertet. Ein beträchtlicher Teil der Binslast fehrt außerdem in Form gesteigerter Wohlfahrtslaften wieder. In Deutschland ist daher vielfach die umgekehrte Ansicht verbreitet, daß mir bessere Wettbewerber mären, wenn wir unsere inneren Schulden weniger rücksichtslos gestrichen hätten. Ansführlich erörtert Dr. Brecht dann den Umfang der Erspar nisse im Etat. Nur der kleinere Teil von den Ersparnissen entfalle auf die Reparationen. Auch ohne Reparationen würden die Ausgaben 1932 gegen 1930 und 1928 noch um 20 Pro3. gesenkt. Die gesamten Nettoausgaben des Reiches umfaßten 1932 rund 8,173 Milliarden, von denen 1,870 Milliarden auf die Ausgaben für die Liquidation des Krieges entfielen, meitere 1,347 Milliarden verteilten sich auf den Schuldendienst und die Ausgaben der Finanzverwaltung einschließlich der Ver sorgung, wobei die letzteren Ausgaben mit 405 millionen eingesetzt seien. Für Reich und Länder verblieben danach 4,956 Milliarden. Ueberweisungen an die Länder und Gemeinden seien in Höhe von 2,961 Milliarden vorgesehen, einschließlich 652 Millionen für Wohlfahrtsbeihilfen. 1930 wurden noch 3,246 milliarden, 1928 jogar 3,623 Milliarden an die Länder und Gemeinden überwiesen.
Für die engeren Sachaufgaben des Reiches verblieben mithin 1,995 Milliarden. Damit bleibe dem Reich für seine engeren Ausgaben zusammen weniger als Frankreich , England oder Amerika jedes allein für ihre Wehrmacht ausgeben. Wesentlich schlimmer hätten sich noch die Einnahmen der Länder und Gemeinden entwidelt. Die Steuerüberweisungen des Reichs an Preußen feien beispielsweise für 1932 gegen 1930 und 1928 um fast 40 Broz gefunten. Entsprechend
Angesichts der entscheidenden Rolle, die im Gesamtbilde der öffentlichen Finanzen die Unterstützung der Arbeitslosen spiele, habe Preußen folgenden Antrag gestellt:
,, Durch Senkung der Unterstützungssäge fann eine entscheidende Verminderung dieser hohen Ausgaben nicht erzielt werden, ganz abgesehen von der Frage, ob die bisher verordneten Herabjegungen erträglich sind. Die Reichsregierung wird daher erfucht: 1. umgehend die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine andere Bertellung der vorhandenen Arbeit durch Kürzung Der Arbeitszeit unter Rückführung der Arbeitslosen auf die dadurch freiwerdenden Arbeitspläge herbetzuführen und dabei die erforderlichen Ausnahmen besonderen Richtlinien und im einzelnen Falle der örtlichen Stelle vorzubehalten; 2. die dadurch freiwerdenden Mittel zur zu säglichen Arbeitsbeschaffung, insbesondere auf dem Gebiete der Siedlung, zur Rückgängigmachung besonders harter Kürzungen und zur Senfung von überhöhten Abgaben zu verwenden, soweit der Ausgleich des Haushalts dies zuläßt."
Die Aussprache fonnte mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit nicht zu einem Ergebnis geführt werden. Preußen habe sich daher damit begnügt, den Antrag als Material zu überreichen.
Zur Osthilfe führte der Generalberichterstatter aus, daß die Reichsregierung geglaubt habe, die Vorschriften des Osthilfegejezes nicht durchführen zu tönnen. Die Reichsratsaus= die hätten beschlossen, die Ansätze für die Ostsiedlung um 12 Millionen, für Laſtenerleichterung und Frachtenerleichterung um je eine million, für sonstige Maßnahmen um je drei Millionen, ferner für den Westfonds um zwei Millionen zu erhöhen.
Der Staatssekretär im Reichsfinanzministerium 3arden gab darauf namens der Reichsregierung folgende Erklärung ab: Der Etat war zum größten Teil von der früheren Reichsregierung dem Reichsrat zugeleitet worden. Die jetzige Reichsregierung hat die wenigen Einzeletats, die noch fehlten, darunter insbesondere den der allgemeinen Finanzverwaltung, unter Berücksichtigung der Be stimmungen der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 14. Juni nachgereicht. Sie dankt dem Reichsrat für die schnelle Verabschiedung des Etats.
Da die bisherige vorläufige Regelung am 30. Juni abläuft und eine Berabschiedung durch den neuen Reichstag erst in Monaten möglich wäre, wird ihn die Reichsregierung vorbehaltlich der Feststellung als Gefeh jetzt als plan durch Notverordnung in Kraft feßen.
Dabei behält sie sich die Stellungnahme zu den einzelnen im Reichs= rat beschlossenen Anderungen vor, wird aber, someit es möglich ist, den Wünschen des Reichsrats Rechnung tragen. Mit dem Etat find die Arbeiten, die die frühere Reichsregierung eingeleitet und die jezige Regierung zur Aufrechterhaltung einer geordneten Finanzund Kaffenwirtschaft durchzuführen hatte, im wesentlichen zum Abschluß gebracht worden. Die Reichsregierung wird sich nunmehr den organisatorischen Aufgaben, die sie sich gestellt hat, und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuwenden. Sobald die deutsche Delegation aus Lausanne zurückgekehrt ist, wird die Reichsregierung in entscheidende Beratungen über die gesamte Materie, die während der vergangenen vierzehn Tage bereits in Angriff genommen worden ist, eintreten und die entsprechenden Maßnahmen bekanntgeben.
Da qus der Mitte des Reichsrats feinerlei Bortmeldungen vorlagen, wurde der Reichsetat ohne weitere Abstimmung als vom Reichsrat angenommen festgestellt.
Aemterwahl in Mecklenburg . Gozialdemokratischer Bürgermeister wiedergewählt. Malchow i. m., 27. Juni. ( Eigenbericht.) Am Sonntag wurde der sozialdemokratische Bürgermeister Dr. Ellinger mit 1141 Stimmen wiedergewählt; auf den Kommunisten entfielen 321 und auf den Nazi, dessen Kandidatur übrigens für ungültig erklärt worden war, 969 Stimmen.
Bei den Amtsratswahlen in Mecklenburg- Strelitz ist gegen die jüngste Landtagswahl die Wahlbeteiligung von 87 auf 57 Broz. zurückgegangen. Die Deutschnationalen aber verloren in Vergleich zu den letzten Landtagswahlen durchweg über die Hälfte ihrer Stimmen, und davon nur einen Teil an die Nazis.