Beilage
Donnerstag, 30. Juni 1932
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Dr. Alfred Werner:
Beligion, Kirche, Sozialismus
,, Das Gottlosengesicht der Sozialdemokratie", so lautet die
Katastrophen- Akademiker
Ueberschrift eines Auffages im„ Tag". Dann werden„ Sozial. Zur Geiftesverwirrung der akademischen Jugend/ Bon Hermann Wendel
demokratische Kirchenhezer" geschmäht. Sind diese Vorwürfe berechtigt? Zeigt die reine sozialistische Lehre, die doch sonst etwas Aufrüttelndes, in die Zukunft Weisendes hat, tatsächlich so häßliche Züge? Religion ist Privatsache", so lautet das fozialdemokratische Urteil. Kluge Zurüdhaltung, ficheres Taftgefühl sprechen aus diesem Wort. Der Gottgläubige gehe ungestört seinem Glauben nach! Blidt er aber überheblich pharifäerhaft auf andere wegen ihres Nichtglaubens herab, so würde ihn der Stifter der christlichen Kirche zu den Heuchlern zählen. Jesus Chriftus sagte in der Bergpredigt:„ Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen." Jesus schied seine reine fittlich- religiöse Lehre abfichtlich von der Politik. Die Sozialdemokratie befindet sich in vollem Einklang mit dem unverfälschten, von der Kirche nicht entstellten Christentum, wenn sie die Politik von der Religion trennt. Der Glaube an Gott fann und soll feinem Staatsbürger anbefohlen werden. Religion hat mit Politit nichts zu tun, ist eine Sache des Glaubens, nicht des Wissens. Religion heißt Bindung. Nun meint die Religion aller dings eine doppelte Bindung, die an Gott und an die Menschen. Hinsichtlich der Gottgläubigkeit ist der Sozialismus neutral. Bindung zwischen Mensch und Mensch, die ungeheure Berantwortung des einzelnen für die Gesamtheit ist ein unerschütterlicher Pfeiler sozialisti scher Lehre. Ohne diese Bindung, die auch Religion ist, ohne Hilfs bereitschaft, ohne flares Wiffen um die allmenschliche Berbundenheit gibt es feinen Sozialismus.
Woher denn aber die Kirchenfeindlichkeit in der Arbeiter bewegung? Weil die Kirche wahres Christentum meist verfälscht hat. Die lebendige Kraft, die im Sozialismus und im Christentum liegt, ist in der kirchlichen Lehre zum toten Dogma erstarrt. Meist hat sich die Kirche als Stüße des auf Macht und Besiz gegründeten Klassenstaates betrachtet. Wo sie das tat, wurde sie von der Sozialdemokratie bekämpft. Dabei fönnten die christlichen Ideale der die ganze Menschheit ergreifenden Nächstenliebe und des hilfreichen Mitleids Sozialdemokratie und Kirche verbinden. Das Christentum ist mit dem Sozialismus der Gesinnung, nicht dem Parteiprogramm nach innig verbunden. Nicht der Sozialismus, fondern die Kirche muß sich reformieren. Oberste Aufgabe der Sozialdemokratie ist, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen, die aufgebaut ist auf Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Diese unterscheidet sich von der jezigen Willkür und Ungerechtigkeit... Die Grundlage jenes zu erstrebenden idealen Reiches ist das materielle, wirtschaftliche Fundament planwirtschaftlicher Ordnung. Wollen mir jenes Reich der Gerechtigkeit als Ziel, so müssen wir auch das Mittel der Umwandlung der Besitzverhältnisse mitwollen. Und wie die Kirche fich zu
diefer unforor Mufaabe stellen wird, werden mir auch zu ihr stehen. Nelly Wolffheim :
Die Handschrift des Kindes
Ein Wegweiser für Eltern und Lehrer
Es soll nicht von den graphologischen Feststellungen gesprochen merden, die uns über den Charakter Auskunft geben wollen, wenn es bei dieser Gelegenheit auch nicht verabsäumt werden darf, vor einem voreiligen Ausdeuten der kindlichen Schrift zu warnen. Jede Schriftdeutung muß sich, sofern sie überhaupt etwas besagen will, auf ein eingehendes Studium und auf ein umfassendes Studienmaterial stützen. Auch wenn wir die Kinderschrift hier vom physiologischen Standpunkt aus betrachten wollen, so darf diese Vorsicht nicht außer acht gelassen werden. In diesem Sinn sollen auch die nachfolgenden Hinweise, denen Darlegungen aus einem Vortrag von Professor Dr. Paul Karger zugrunde liegen, nur als Anregungen gewertet werden. Wer mit Kindern zu tun hat, kann durch die Beobachtung ihrer Schrift manches für das Verständnis der einzelnen Kinder gewinnen.
Ganz besonders leicht wird man beim Kind an einer Veränderung der Schrift Ermüdungserscheinungen bemerten fönnen, was für Erzieher und Lehrer bedeutsam ist. Gewöhnlich machen sich die Eltern auch gerade dann Sorge, wenn eine bisher gute oder doch genügende Schrift plöglich nachlässig wird. Es können in förperlicher Hinsicht mancherlei Ursachen mitsprechen, um eine bisher ruhige Hand unsicher zu machen. Wo ein Kind im Rahmen einer Arbeit sich allmählich wesentlich verschlechtert, wo die Schrift zittrig wird, die Zeilen nicht mehr einhält, unsauberer wird, da deutet dies auf ein Nachlassen des Könnens hin, so daß man statt zu strafen dem Kinde möglichst eine förperliche KräftigungErholung zukommen lassen sollte. Auch wenn dies, wie heute ja zumeist, nicht immer möglich ist, so wird die Einsicht von den förperlichen Ursachen des Zustandes uns jedenfalls abhalten, das Kind ungerecht zu behandeln und ihm Vorwürfe zu machen.
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schrift, ein junger deutscher Schriftsteller habe ihm anvertraut, er wähle Hitler , nicht weil er an ihn glaube, sondern meil seine Bewegung zu einer Art Erdbeben werden fann. Vielleicht wird aus den Ruinen ein neues Deutschland entstehen". Aus ähnlicher Geisteshaltung heraus wirft Ernst Nie fisch, dereinst hochgemuter USB.- Mann, in einer nicht zuletzt der Jugend zugedachten Broschüre die Frage auf, ob der deutsche Mensch nochmal den Weg zu sich finde, und beantwortet sie stramm:„ Er wird ihn finden, selbst zwischen den Trümmern Europas hindurch". Und bei der Reichsgründungsfeier der Allgemeinen Marburger Studentenschaft erregte ein Festredner aus Berlin , ein gewisser Dr. Pleyer, stürmisches Beifallsgetrampel, als er also die Klappe aufriß:„ Wir wollen lieber ein großes, fatastrophales Ende, in das auch der kapitalistische, imperialistische Besten hineingerissen würde, als dieses Leben der Feigheit und Ehrlosigkeit, das wir seit zwölf Jahren geführt haben". Auf ihren Biergelagen sangen und singen wohl noch die Musensöhne das schöne Lied aus dem Kommersbuch:
Die Herren von der Technischen Hochschule und, der bekannte Antifaschist, berichtete unlängst in einer englischen Zeit die Herren von der Universität, die den Begriff ,, Deutsche Studentenschaft " zu einem Spottgebilde herabgewürdigt haben, sie machen sich wieder mausig. Die Regierung der Herren Barone mit ihrer Aufhebung des SA.- Verbots, ihrer Kürzung der Bezüge für Kriegsbeschädigte, Arbeitsinvaliden und Arbeitslose, mit ihren Subventionen für Schwerindustrielle und Großagrarier und den außenpolitischen Extratouren ihres Nichtaufen ministers, Reichskanzlers von Papen, läßt sie anscheinend Morgenluft wittern. Ihnen seien die nachfolgenden Zeilen ins Stammbuch geschrieben. Und ob sie freischen, brüllen, johlen, trampeln, als stede alles ftrogende Leben der Welt in ihnen, jene Teile der akademi chen Jugend, die an Deutschlands hohen Schulen im Namen des Hakenkreuzes gegen das System" randalieren, wirken geradezu blutlos, leichenhaft, wie Gespenster einer Vergangenheit, die viel leicht nie Wirklichkeit war. In welchem Jahr lebt das? 1932? 2ch, die Burschenschafter mit dem schwarzrotgoldnen Band, die sich 1832 auf dem Hambacher Fest für ein freies Deutschland begeisterten und im folgenden Jahre die Frankfurter Hauptwache stürmten, standen bei aller unklaren Romantik und allem brausenden Gefühlsüber. Schwang der demokratischen Gegenwart und damit der Zukunft näher als die schmisseverzierten Sprechchöre mit ihrem geiftvollen: Juda,
Derrede!
Daß sich der Studentenschaft landauf, landab Ber. zagtheit und Verzweiflung bemächtigt, ist kein Wunder. Wenn ehedem der junge Mann aus begütertem Hause oder auch der Sohn fleinerer Leute Gymnasium und Universität durchlaufen und die Examina hinter sich hatte, lag die Lebensbahn glatt und geebnet vor ihm. Als Oberlehrer, als Richter, als Verwaltungsbeamter hatte er sein ausfömmlich und geachtet Brot, und auch die freien Berufe, Arzt, Anwalt, Industriesyndikus, ernährten den nicht schlecht, der einigermaßen Geschid und Glück hatte. Heute aber verrammeln Wirtschaftskatastrophe und Abbau auf allen Gebieten dem Nachwuchs aufs hoffnungsloseste den Weg in die Zukunft. Das akademifche Proletariat zählt schon nach Zehntausenden, wird bald nach Hunderttausenden zählen, und noch ist kein Ende abzusehen. Berlaffen die jungen Menschen jetzt die Hochschule, so finden sich sehr viele von ihnen dem abfoluten Nichts gegenüber. Die Stimmung, die sie schon während der Studienjahre bei der Aussicht auf das troftlose Nachher erfaßt, ist ein natürlicher Nährboden des Radika
lismus.
Ohnehin ist es das Vorrecht jeder Jugend, radikal zu sein. Aber radikal fommt von dem lateinischen Wort radix Wurzel. Radikal sein heißt nicht das Maul aufreißen und finnlose Schlag morte brüllen, sondern ein Ding an der Wurzel paden, und niemand aus dem Nachwuchs scheint berufener, sich mit den roßen Problemen der Zeit ernsthaft auseinanderzufezen als die Studenten, die auf der Schulbant und im Hörsaal geistig gedrillt worden find. Vor einem Jahrhundert dachten die unbedingten" der Burschenschaft hinter Karl Follen in ihrer Art die politischen Fragen ihrer Zeit zu Ende und famen, deutsch begeistert und christlich verschwärmt, wie sie waren, zu dem bündigen Schluß, daß nur die Republik , der Freistaat, die Volksherrschaft, die Demokratie dem Baterland Rettung zu bringen vermöge.
Nur die Bürgergleichheit, der Volksmille sei Selbstherrscher von Gottes Gnaden!
Laßt uns den Verstand versaufen!
Wozu nüßt uns der Verstand?
Aber die solchen Parolen zujauchzen, brauchen sich nicht mehr anzustrengen; fie haben keinen Verstand, den sie versaufen könnten. Erdbeben? Bir alle leiden an den Folgen des gewaltigen Erdbebens, das die Welt von 1914 bis 1918 erschütterte, und das da schreit forsch nach einem neuen Erdbeben! Ruinen? Trümmer Europas ? Wir alle sind umgeben von zuviel Ruinen, vege. tieren zwischen den Trümmern Europas , die der ruchlofe Bölferfrieg zurückgelassen hat, und das da verlangt statt Aufbau noch mehr Ruinen und neue Trümmer! Zeitlebens werden mir alle unter den Wirkungen des großen, fatastro. phalen Endes" zu ächzen haben, das uns 1918 durch llebermut und Verblendung der kaiserlichen Machthaber beschert ward, und das da fräht fröhlich nach neuer Katastrophe! Wieviel Gehirnverkleisterung gehört dazu, eine so leere Phrase in den Saal zu schmettern, wieviel Gehirnverfleisterung, eine so leere Phrase als Heilsbotschaft hinzunehmen! Denn was bedeutet großes, fatastrophales Ende"? In einem neuen Krieg, worauf es offensichtlich angelegt ist, fann ein Siebenundsechzigmillionenvolt felbst mit den raffiniertesten Mitteln moderner Bernichtungstechnik nicht bis auf den letzten Säugling ausgerottet werden, so daß eben das Ende fein Ende märe. Ein Held", sagte bei Betrachtung der Ereignisse vom Oktober 1918 ein so unzweifelhafter Patriot wie Professor Hans Delbrüd, fann lieber sterben als sich ergeben. Ein Schiffs fapitän kann sich lieber mit seinem Schiff in die Luft sprengen, als die Flagge streichen. Ein Volk aber kann nicht sterben". Wenn es also dorthin käme, wohin gemeingefährliche Geistesfrante in der Bolitik es treiben möchten, ständen mir nach dem„, fatastrophalen Ende" vermutlich wieder da, wo wir im Winter 1918/19 standen, msa und müßten, nur unter weit unheilvolleren Bedingungen, die Hände zum Aufbau rühren. Die einfachste Ueberlegung vermittelt diese Erfenntnis. Daß sich statt dessen ganze große Haufen derer, die sich als die geistigen Führer der Nation von morgen fühlen, an solchen Untergangslosungen aus der Gummizelle erhizen, ist grauenhaft; daß fogar Studentinnen, an der Berliner Universität nicht weniger als 120, ein a fenfreuz Amazonen Bataillon bilden und den Radau in der Universität als tobende ,, Krawallküren" steigern helfen, zeugt wohl von einer unheilbaren, frebsartigen Erfrankung der Teile des Volksförpers, aus denen sich die akademische Jugend ergänzt.
Wohl gibt es auch, immerhin ein Unterpfand lichterer Zukunft,
Ihre Nachtrotter von heute aber verabscheuen Republik und Demofratie und jubeln dem„ Dritten Reich" entgegen, weil sie hoffen, daß es den ganzen Privilegienplunder des milhelminischen Reiches republikanisch, demokratisch und sozialistisch wieder aus der Mottenkiste holen wird. Alles eigene Denken haben gesinnte Studenten, aber sie sind in der Minderheit; die sie so abgeschworen, daß sie die blödesten Losungen Heil- Hitler!-Brüller beherrschen das Feld. Nur hat sich bei den letzten pathologisch zu wertender Hezer mit Hingabe aufgreifen. Da Deutsch Wahlen zu jener privaten Organisation, die sich mit mehr Stolz als land, entwaffnet und wirtschaftlich aus dem letzten Loch pfeifend, Recht Allgemeine Deutsche Studentenschaft nennt, beim besten Willen keinen Krieg gegen tausendfache Uebermacht mit gezeigt, daß anscheinend doch die Mehrheit der Hochschüler dem steten der winzigsten Aussicht auf Erfolg führen fönnte, und ein frisch- Stant und rüden Radau, der den Rechtsradikalinskis als Politik erfröhlicher Krieg doch nun einmal das Hauptstüd im Kleinen Kate scheint, fatt hat. In Breslau beteiligten sich nur 35, in Berlin nur nach dem chismus der nationalistischen Kinder und Kindsköpfe ist, schwelgen 30, in Köln nur 22 Prozent aller Stimmberechtigten- neuerdings die ,, völkischen" Desperados in einer regelrechten Untergefunden Grundsatz:„ Macht eich eiren Dred alleene!" Aber diese gangspsychose. Motto: Immer feste druff, wenn auch alles Tatsache allein als Hoffnungszeichen für eine Wandlung der Dinge faputt geschlagen wird! Der frühere italienische Minister Sforza, zum Beffern aufzufassen, verrät vielleicht zuviel Optimismus.
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hin, die oft, wenn auch nicht immer, in einer falschen Schuldisziplin ihre Ursache hat, so daß eine zu Hause in Ruhe und ohne Angst angefertigte Niederschrift naturgemäß besser gelingen muß. Auch wo ein Kind nicht interessierenden Inhalt, etwa zusammenhanglose Säze, diftiert erhält, wird es leicht vorkommen, daß die Beherrschung der Schrift durch die Schwierigkeit, den Inhalt zu erfaffen, behindert wird. Ein sehr intelligenter Junge von zwölf Jahren erklärte neulich seiner Mutter, daß es ihm der technisch ungeschicht ist einfach nicht möglich sei, bei einer Denfarbeit gleichzeitig auf Schrift und Inhalt zu achten. Es gibt Kinder, die bei einer für sie zu schweren Aufgabe die Beherrschung ihrer Muskeln verlieren und dadurch weder die Linien noch den Rand genau beachten fönnen und bis zur Unleserlichkeit ,, schmieren". Wie starf die Bedingungen mitsprechen, unter denen ein Kind schreibt, beweist das verschiedene Aussehen der Hefte bei verschiedenen Lehrern. Geeignetes und ungeeignetes Schreibmaterial( Papier, Feder, Federhalter) fann übrigens auch eine Rolle spielen.
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In dem oben erwähnten Vortrag wurde an Hand vieler Schrift proben nachgewiesen, wie anders die Schrift eines Kindes oft vor einer Erholungspause aussieht als nachher. Freilich muß als interessanteste Beobachtung mitgeteilt werden, daß direkt nach einer Erholungsreise etwa eine Woche hindurchsich der sogenannte Erholungsfater" bemerkbar macht; es ist dies die Zeit des Ueberganges und der erneuten Eingewöhnung in den Schulbetrieb, in der die Arbeiten nach unbefriedigend sind, bis sich dann sichtbar die verbesserte Leistung zeigt, wenn ein Kind frischer geworden ist. Die Erholung bringt dem Kinde die Fähigkeit zu einer gesteigerten Konzentration, die sich auch auf die Stetigkeit der Schrift auswirkt. Bei hilfsschülern pflegt sich die Handschrift nach einer Eränderung der Schrift als erstes Symptom bemerkbar zu werden. holungsreise aber im Gegensatz zu den Beobachtungen an normalen Kindern nicht zu bessern, ja, häufig fann man nach den Ferien sogar eine deutliche Verschlechterung wahrnehmen. Als Ursache dieser auffälligen Erscheinung sieht man die technischen Schwierig leiten an, mit denen die Hilfsschüler zumeist zu fämpfen haben, und die nach einer längeren Unterrichtspause durch mangelnde Uebung von neuem auftreten.
Daß manche Ermüdungserscheinungen durch falsche Anforde rungen und Aufgabenstellungen hervorgerufen werden, läßt sich bei manchen Kindern erkennen, die eine häusliche Arbeit jehlerlos machen, während sie ein in der Schule gegebenes Diftat voller Fehler abliefern. Es weist dies auf eine starte Aengstlichteit
Manche frankhaften Erscheinungen werden zumeist vom Lehrer zuerst erfannt, wenn auch vielleicht nicht immer als der Beginn einer Krankheit gewürdigt. So pflegt beim Beitstanz die VerDie Kinder können sich dabei selbst meist nicht erklären, warum ihnen die Buchstaben nicht so glücken wie früher, warum ihre Schrift zittrig wird usw. Manche Kinder versuchen es dann durch vergrößerte Mühe, durch eine Veränderung der Schrift- Größer schreiben z. B., ohne daß ihr Bemühen erfolgreich ist. Die Muskeln gehorchen eben dem Willen nicht, und wenn dann die Krankheit im vollen Maße ausbricht, erkennen Eltern und Lehrer erst, woher die angebliche Nachlässigkeit kam. Auch ein anderes frankhaftes Symptom zeigt sich an der Schrift: die sogenannten Absencen. Dies oft nur jefundenmeise Abwesendsein des Kindes erkennt man an einem plöglich dazwischen sichtbar werdenden schwächeren Drud eines Buchstabens oder an winzig fleinen
| 3wischenräumen zwischen den Buchstaben. Wir müffen hier aber deutlich betonen, daß wir solche Anzeichen zwar aufmerksam beachten sollen, wenn sie uns auffallen. Zu Diagnosen dürfen uns aber solche Erkenntnisse nicht verführen, diese sind Sache des Arztes. Unsere Aufgabe wird es nur sein, durch Aufmerksamkeit und dadurch erreichte frühe Zuführung zum Arzt frühe Diagnosen zu ermög lichen. Arzt und Erzieher müssen hier, wie überall, wo es um das Kind geht, zusammenarbeiten. Es erscheint uns recht empfehlens mert, wie fürzlich vorgeschlagen wurde, eine Schriftenberatungsstelle zu begründen, bei der man auffallende Erscheinungen vorlegen fann.
Mit dem Einsetzen der Pubertät machen sich auch bei der Schrift besondere Anzeichen bemerkbar, oft freilich schon ehe die äußerlich sichtbaren Merkmale dieser Entwicklungszeit in Erscheinung treten. Manche Strafe, die man den Kindern erteilt, könnte unterbleiben, wenn man solchen Zusammenhängen Rechnung tragen würde. Sowohl förperliche als auch seelische Ursachen wirken mit, um der Schrift ein verändertes Aussehen zu geben. Gewolltes Anderssein, verziertes Wesen, Eitelkeit, aber auch Trotz und Auflehnung drücken sich in der Art zu schreiben aus. Bei Jungen und bei Mädchen sind die Aeußerungsformen die gleichen. Wie häufig finden wir auf dieser Altersstufe ein bewußtes Hinwegsetzen über alle äußeren Formen, wie die Schrift aussieht; ob der Rand und die Richtung eingehalten werden, ist diesen Kindern unwesentlich. So ist durchaus nicht alles Flüchtigkeit, was so aussieht, es ist statt deffen nur Ausdruck einer bestimmten Seelenverfassung. Es ist sicherlich nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes, wie ihm der Schreibunterricht erteilt wird. Wo ein zu starres Haften an den Schriftvorlagen gewünscht wird, bedeutet das für die Kinder Einengung, 3wang und Unterbindung der Selbsttätigkeit, was auch im Hinblick auf das Schreiben nicht ohne tieferen Einfluß bleiben tann. Selbsttätigkeit hebt auch hier die Freudigkeit. Man könnte den Kindern sehr viel unnüze Quälereien ersparen, menn man fie nicht auf eine Schrift vereidigte".