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Nr. 321 49. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 10. Juli 1932

Im Malstrom der Krise

Eine Woche der Tragödien- Die Not der Zeit verschlingt unschuldige Opfer

Fast eine Woche lang konnte der Vorwärts" nicht zu den Berliner Arbeitern sprechen. Er konnte nicht berichten über jene fast beispiellose Serie blutiger Verbrechen, die unterdessen in der Reichshauptstadt verübt wurde. Daß in dieser schwersten Zeit seit den Unglückstagen vom Herbst 1923 die Schießeisen und die Jagdmesser besonders locker sitzen, ist eine traurige Wahrheit. In jeder Nacht pfeifen da oder dort Revolverkugeln durch die dunklen Gassen. Wären die Massen satt, würden sie um diese Zeit schlafen. Aber mit dem unbarmherzig rumorenden Hungergefühl im Leib schläft es sich schlecht. So gibt eins das andere. Keine Familie ist von der Not verschont geblieben. Wenn der Bruder noch sein marmes Mittagessen hat, haben es die Schwester und der Schwager nicht mehr. Da werden plötzlich Menschen, die bis auf den heutigen Tag versuchten, ihr beschauliches Kleinbürger­dasein zu führen, irre an dieser Zeit. Je schwankender das soziale Fundament wird, desto stärker häuft sich bei ihnen der Konfliktstoff. Ein loses Wort, ein Teller Suppe, der zu heiß, oder eine Gasrechnung, die zu hoch ist, können zur Explosion führen. Das Ermachen nachher ist furchtbar. Sexuelle Momente spielen oft genug mit. Auf jede Ehe kommt in Berlin noch eine einzige Geburt. Hält dieser Geburtenrückgang an, dann wird Deutschland in 70 Jahren nur noch 25 Millionen Einwohner zählen, das war die Bevölkerungsziffer von 1816, zur Beendigung der Napoleonischen Kriege. Die Eltern fürchten sich davor, Kinder in die Welt zu setzen, die sie mit Wasser und Brot aufziehen müßten, sie wollen nicht, daß der Sohn eines Tages den Vater anklagt: Warum bin ich nur auf der Welt? So gehen Eltern auf der nervenraubenden Flucht vor dem Kinde zugrunde.

Die Mondscheinfahrt der Diana".

Aber was sind das für Tage? Am Dienstagmorgen treibt führerlos das Rennboot Diana" auf der Havel . Als das Pa­trouillenboot der Wasserpolizei nach dem Rechten sehen will, ge= wahren die Beamten zwei Tote: den Juniorchef des Bank- und Viehagenturgeschäfts St., Berlin - Zentralviehhof, Werner St., 24 Jahre alt, und dessen Braut, das 21jährige Fräulein Käthe 3. Niemand weiß einen Grund für die Tat. Dem deutschen Fleisch­markt leuchtet immer noch der Stern einer eigenartigen Konjunktur; pro Kopf und Jahr beträgt der Fleischverbrauch nach wie vor rund 50 Rilo. 1931 mar er sogar noch etwas höher als 1930. Sorgen| hatten die jungen Leute nicht. Werner St. hatte sich für Dienstag früh noch mit einigen Kunden verabredet, hinterließ seiner Wirtin, ihn um 5% Uhr zu weden, weil er zeitig auf dem Viehhof sein wollte, dann rief er seine Käthe an, und um 9 Uhr waren beide in Pichelsdorf. Wir wollen noch eine kleine Mond scheinfahrt machen", sagte er lachend zu dem Mann von der Bootswerft, und inmitten der Pracht des Sonnenuntergangs fuhr die Diana" Schildhorn zu. Am nächsten Morgen werden beide mit tödlichen Kopfschüssen gefunden. Und das kam so: der Herr Werner St. ging nie ohne seinen Schießprügel. Jungen Leuten juden aber folche Eisen in der Gesäßtasche, diese Dinger müssen auch einmal knallen, sonst haben sie feinen Sinn. Also holte St. die Kanone vor, und im nächsten Moment hatte Käthe 3. eine Kugel im Kopf. Es blieb St. fein anderer Weg, als nun sich in die Schläfe zu schießen. Das ist die landläufigste Theorie von der Todesfahrt der ,, Diana"; es gibt auch noch andere. Aber was find das für Zeiten? Früher nahmen sich die Leute ein Glas Gurken­salat mit in den Wald oder eine Hängematte oder sonst etwas. Heute fahren sie nur mit einem Parabellum bewaffnet Kahn.

Ein Zusammenbruch am Großen Stern. Um Mittwoch wurde der Lehrer Hilger dem Untersuchungs­richter vorgeführt. Dieser Mann war seit 1926 verheiratet, verdiente 270 Mart im Monat, wohnte in Moabit , aber er fam mit dem Geld nicht aus. Es gab viel Zank und viel Kummer. Vor einem halben Jahr zog H. nach Wittenau . Nimmt aber die Frau anfänglich

nicht mit, sondern schreibt ihr erst später, doch auch nach Wittenau zu kommen. Die Frau erflärt aber, sie sei frank und bleibe in Moabit . Darauf läuft H. zum Kadi und klagt auf Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft. Auf jeden Fall eine seltene Ehe. Ver­gangenen Sonnabend nun steckt sich H. ein Rasiermesser ein. Er weiß, daß mittags seine Frau im Bellevuepart spazieren geht. Er trifft sie auch, aber von nun an gibt es nur noch einen Tatzeugen: den Mörder H. selbst. Die Frau soll ihn beschimpft haben, er wollte fie darauf packen, aber beide famen zu Fall, da hat er schon das Rasiermesser aus der Tasche und zieht der Frau die haarscharfe Klinge durch die Kehle. Und Gräfer und Blumen färben sich blutig­rot. Einige Zeit später bricht vor dem Schupo am Großen Stern ein Mann zusammen: Ich habe meine Frau ermordet!" lallt er. So war es gekommen: fein Geld, feine Liebe, aber trotzdem: was find das für armselige Männer, die mit einem Rasiermesser in den Bart gehen, um eine franke Frau zu bändigen?- ,, Warum steckten Sie sich das Messer ein?" fragte ihn der Untersuchungsrichter. Ich bin Botaniker, ich brauche das Rasiermesser", antwortete der Lehrer. Dann fiel er in Weinkrämpfe.

Kleiner Aufruhr in Bernau.

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nägeln auf den ersten Blick zu unterscheiden. Ehe die Sonne des| Buttergeschäft. Plöhlich fahren vier junge Burschen auf Fahr­Donnerstagmorgen aufging, war D. des Gattenmordes überführt.

Berhängnisvoller Mittagsschoppen.

Es gibt heute Gemeindevorsteher, die morgens am liebsten nicht mehr aufs Amt gehen würden. Ich weiß nicht mehr, woher ich das Geld für die Unterstützungen nehmen soll, und Steuerquellen habe ich nicht mehr. Oder soll ich denn jedem Drehorgelspieler, der ins Dorf kommt, einen Taler Lustbarkeitssteuer abnehmen?" fragte neulich einer. Solch eine Gemeinde ist Hennigsdorf . Von vier Essen raucht noch eine, fast in jedem Hause wohnt die Not. Da pact es am Dienstagmittag den 28 Jahre alten arbeits­losen Ernst K. ,, Rutscht mir alle den Buckel runter", denkt er, rein in die Kneipe, und nun säuft er. Mollen, Korn, Rots; um 23 Uhr ist er bereits satt. Er hätte aber nicht trinken sollen, denn er fann es nicht vertragen. So nimmt das Unglück seinen Lauf. Er lockt die fünfjährige Käthe 3. an sich, schleppt sie in seine Wohnung, vergeht sich an dem Kind, und dann nimmt der Trunkene ein Küchenmesser und Als die Turmuhr 3 Uhr schlägt, läuft der Blutbesudelte die Dorfstraße entlang und schreit: Ich habe einen Luftmord begangen!" Einige Minuten später wird Ernst K., der den Eindruck eines wahnsinnig Gewordenen macht, auf der Polizei­wache eingeliefert.

Wild West an der Alien Spree.

Um auch dies noch nachzutragen: am Montag wurde in Erkner Wildwest gespielt. Im Hause Friedrichstraße 16 ist ein

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,, Doch, das

rädern vor. Der eine stürzt sich auf die Verkäuferin und hält sie fest, die drei anderen stopfen die mitgebrachten Rucksäcke voll Lebensmittel und dann beginnt die Flucht. Unterdessen stutzt eine Schupostreife: Rief da nicht jemand um Hilfe?" Butterfräulein von Dania!" Jetzt geht's los. Salt!" brüllt einer der Schupos einem Autofahrer zu, rauf auf den Wagen, und in rasender Fahrt geht's den Räubern nach. Deren Partie ist damit verspielt. An der Weggabelung trennen sich noch die vier; zwei trampeln ihre Karren in Richtung Neu- Zittau. , Halt!" schreien sich die Schupos die Kehle aus dem Leib. Die Räuber trampeln um ihr Leben. Jetzt schießen die Polizisten; vorläufig nur Schreck­schüsse. Aber die Räuber jagen weiter. Nun wird es Ernst: der Schupo zielt, und in den Rücken getroffen stürzt einer vom Rade. Jezt stoppt der andere und ergibt sich. Die beiden anderen sind entkommen. Von ihren Komplicen liegt der eine mit dem schweren Rückenschuß im Kreiskrankenhaus Kaltberge und der andere sitzt im dortigen Amtsgefängnis.

Wegelagerei und Wild- West- Spielen fann nicht beschönigt werden. Plünderer und Räuber wurden auch von jeher scharf an­

gefaßt. Dennoch bleibt es eigentümlich: die Räuber von 1932 gehen faft nur in Butter, Rolonialwaren- und Fleischerläden. Juweliere dagegen meiden sie. Die Leute packen sich einen Rucksack voll Essen zusammen, dann gehen sie in den nächsten Wald und futtern. Ein mildernder Umstand.

Polizeiauto gegen Straßenbahn

Mehrere Schwerverletzte

Jm Süden der Stadt, an der Ede Adalbert- und Nau­nnstraße, ereignete sich in den geftrigen späten Abendstunden ein schweres Verkehrsunglück. Ein Polizeiauto des Ueberfall­fommandos, das auf einen Alarm ausgerüdt war, prallte auf der Straßenkreuzung mit einem Straßenbahnwagen der Li­nie 3 zusammen. Die Straßenbahn wurde aus den Schienen ge­hoben und nur einem Zufall ist es zu danken, daß der Wagen nicht liert und das Drehgestell legte sich quer über die Straße. Sämtliche umstürzte. Der hintere Teil der Straßenbahn wurde völlig demo­Fensterscheiben gingen krachend in Trümmer. Leider hat der Zu­fammenstoß eine Reihe von Schwerverletzten gefordert.

Die Unfallstelle

bot wenige Sekunden nach dem Zusammenstoß einen erschreckenden Anblick. Der Kühler und der Motor des Polizeiautos wurde herausgerissen und die Size und Polster völlig zerfetzt. Die Beamten wurden sämtlich aufs Straßenpflaster geschleudert, wo sie zum größten Teil mit schweren Verlegungen bewußtlos liegen hinteren Teil des Wagens saßen, wurden durch zersplitternde Glass blieben. Auch zahlreiche Fahrgäste der Straßenbahn, die im scheiben und Holz sowie Eisenteile, die im Augenblick durch die Luft wirbelten, verlegt. Laute Hilferufe ertönten, und in dem zuerst

Heute

Gewerkschaftsfest

im

Lunapark

Eintrittspreis 50 Pfennig, Kinder 20 Pfennig, Erwerbs­lose 30 Pfennig. Erwerbslose erhalten einen Bon auf 25 Pfennig, der in den Restaurationsbetrieben in Zah­lung genommen wird.

Am Montag war das liebe, stille Bernau in Aufruhr. Trog Berstärkung war das Bernauer Polizeikommando machtlos gegen­über den Bernauer Bürgern, die das Haus Hohesteinstraße 30 stürmen und den Mörder Fritz Doberan lynchen wollten. Schleus nigst wurde D. ins Rathaus geschafft, und erst in der Nacht konnte ihn ein Auto ins Berliner Polizeipräsidium bringen. Am Mitt­moch wurde die 27 Jahre alte Ehefrau Charlotte D. mit einer 3uderschnur erdrosselt in ihrer Wohnung aufgefunden. Es fonnte ein Mord sein, aber auch ein Selbstmord. Denn die Tür war verschlossen, und der Schlüssel lag in der Wohnung. Der Ehe­mann wird befragt: Es werden die drei Hoffänger gewesen sein", meint er. Aber die waren es nicht. Dann wird es der Gärtner gewesen sein, ihr früherer Freund, der ihr immer nachstellte." Der war es auch nicht. So wird der verdächtige Ehemann in Haft gesetzt. Am Montag wird die erdroffelte Frau D. beerdigt. Die Bolizei, immer noch schwankend, ob sie den Mörder oder einen Un schuldigen festhält, gestattet D., unter Polizeibedeckung an dem Be­gräbnis teilzunehmen. Als die Bernauer D. sehen, fommt es zu den schweren Tumulten. In der darauffolgenden Nacht zum Don­nerstag nehmen ihn die Berliner Kriminalisten ins Kreuzperhör. D. ist noch sehr aufgeregt über das Bernauer Erlebnis. Plötzlich faltet er die Hände, läßt den Kopf auf den Tisch sinken und stöhnt: Ich will nun die Wahrheit sagen!" Seine Frau tam in der Diens­tagnacht seinen Wünschen nicht nach. Er schlug sie. Sie fragte. auf dem Da padte er sie am Hals und würgte fie. 21s er los ließ, war die Frau Charlotte D. tot. Jest holte er eine 3uderschnur und hängte die Frau am Bettpfosten auf. Am nächsten Morgen, nachdem er neben der Leiche gewacht hatte, fochte er Kaffee, deckte den Früh stüdstisch, verließ das Haus und warf den Schlüssel zum Obers fenster in die Stube. Beinahe wäre ihm die Vortäuschung des Selbstmordes gelungen. Woher haben Sie die Krahmunden?"

Jungbannerfest

200

herrschenden Durcheinander griffen einige Passanten und Droschken­chauffeure helfend ein und leisteten den Verunglückten erste Hilfe. Rettungsamt mit mehreren Rettungswagen und Unfallspezialwagen In kurzer Zeit war auch die Feuerwehr und das Städtische zur Stelle. In größter Eile wurden sechs Schupobeamte und acht Straßenbahnfahrgäste ins nahegelegene Bethanien­frankenhaus gebracht.

Die Namen der Verletzten:

Bolizeimachtmeister Peotomski, Wachtmeister Schosd, Hauptmann und Reviervorsteher des 107. Polizeireviers Koch, Wachtmeister Lange, Wachtmeister Stresemann , Wacht­meister Niffel und Wachtmeister Grunow. Von den Verun­glückten, die in der Straßenbahn saßen, sind folgende Namen be­kannt: der 74 Jahre alte Kontrolleur Karl Kaz und der 60 Jahre alte Tapezierermeister Willi Beißer aus der Baruther Straße. Bei einigen der Verunglückten haben sich die Verlegungen als nicht gefährlich herausgestellt. Außerdem sind noch einige Personen auf der Rettungsstelle behandelt worden, die sogleich nach Anlegung von Notverbänden wieder entlassen werden konnten.

Die Entgleisungs- und Aufräumearbeiten dauerten nahezu eine Stunde. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt.

Direktor Seiffert verhaftet.

In Prag ereilte ihn nach 9 Monaten sein Schicksal. Prag , 9. Juli.

Der Berliner Bankdirektor Willi Seiffert, der Direktor der Bank für Handel und Grundbesitz, der von der Berliner Polizei bereits längere Zeit wegen Betruges, und zwar wegen Bilanz­fälschungen, verfolgt wurde, fonnte hier verhaftet werden. Er leugnete bei seiner Berhaftung jede Schuld. Ein größerer Geld­betrag, der bei ihm vorgefunden wurde, wurde beim Gericht deponiert.

für Handel und Grundbesig 2.-G. Berlin eng verknüpft. Wie eine Bombe schlug am 19. November 1931 die Nachricht von dem Zusammenbruch der Bant in Berlin ein. Zehntausende von fleinen Einlegern wurden durch die Großpleite der Hausbesitzbank, in dessen Aufsichtsrat der wirtschaftsparteiliche Abgeordnete Herr Ladendorff saß, um ihre letzten Pfennige gebracht. Als Haupt­schuldiger an dem völligen Zusammenbruch der ,, Hagru" wurde Bank­Direktor Seiffert genannt. Leider zögerte die Behörde mit seiner Festnahme und man ließ es vorerst mit der Beobachtung seiner Villa in der Auguststraße 23 in Lichterfelde bewenden. Das machte fich Seiffert zunuze! In der Nacht zum 20. November gelang es zu

Seifferts Name ist mit dem Zusammenbruch der Berliner Bank

Sportplatz Friedrichshain, enttommen.

Eintritt 25 Pfennig. Reichsbannerkameraden in Bundes­kleidung haben freien Eintritt. Abmarsch ab Küstriner Platz 14.30 Uhr. Am Abend sprechen:

fragte man D. Ich habe eine Kaze aus dem Hühnerstall gejagt, Polizeipräsident Alb. Grzesinski

dabei inrana sie mir ins Geficht", aab er zur Antwort. Er hatte

aber feine Rechnung ohne den Prof. Hink von der Tierärztlichen und Bürgermeister Paul Mielitz gemacht. Diese beiden Männer vermögen Kagentrallen von Fingers| Ab 20 Uhr freier Eintritt für Jedermann.

Hochschule und Dr. Miller- Heß vom Gerichtsmedizinischen Inſtitut

Schweigen im U: Boot.

Klopffignale der Taucher bleiben ohne Antwort. Cherbourg , 9. Juli. Dem Taucher des Dampfers Artiglio" ist es ge. lungen, trotz des bewegten Meeres unter das gesunkene U- Boot Promethée" zu gelangen, auf seine Klopf­signale ist er aber ohne Antwort geblieben.

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