1932
Der Abend
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Nr. 326
B 158
19. Jahrgang
Gegen die Gemeinheit...!
Severing an Polizeivizepräsident Weiß
Der preußische Innenminister Severing hat an den von der Nazimeute mit Berleumdungen schlimmster Art verfolgten Berliner Polizeivizepräsidenten Weiß einen Brief geschrieben, der ein Kulturdokument darstellt und deshalb hier wörtlich wiedergegeben sei:
Der preußische Minister des Innern.
Herrn Polizeivizepräsidenten Dr. Weiß, Berlin . Sehr geehrter Herr Polizeivizepräsident! Zu meinem größten Bedauern entnehme ich aus dem mir vorliegenden Urantrag Nr. 573 der Fraktion der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei des Preußischen Landtags vom 6. Juli d. J., daß neben weiteren, offensichtlich haltlosen Vorwürfen gegen Sie auch Behauptungen vorgebracht werden, die eine unerhörte Beleidigung Ihrer Gattin darstellen.
Severing gegen das Morden
Ein Aufruf an die Bevölkerung gegen den Bürgerkrieg
Der preußische Minister des Innern, Severing, hat folgenden Aufruf an die Bevölkerung erlassen, der eine Mahnung zur Besonnenhiet darstellt:
,, Von Tag zu Tag werden die politischen Leiden schaften wilder aufgehekt. Immer stärker überwuchern Verhekung und blinder Haß die Besonnenheit und Ver
Morgen Tennishallen!
Da dieie Behauptungen unter dem Schute der Im Wels und Severing sprechen
munität aufgestellt worden sind und ihre Widerlegung von einem Disziplinarverfahren erwartet wird, zu dem jeder Anlaß fehlt, ist es für Sie sehr schwer, Ihrer Gattin für die Verunglimpfung sofort eine äußere Genugtuung
zu verschaffen.
Ich möchte Ihnen deshalb sagen, daß alle sachlich und rechtlich denkenden, alle anständigen Menschen selbst unter
Der Aufmarschplan
erfährt folgende A en derungen: Treffpunkt U- Bahnhof Hohenzollerndamm, dann Marsch durch die Holsteiner Straße, Gasteiner Straße, Lauenburger Straße, Pfalzburger Straße, Düsseldorfer Straße, Bran
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Man verlangt Sicherheit mit Recht; die Polizei wird sie mit allen Kräften aufrechterhalten. Aber die größte Sicherheit der Staatsbürger beruht auf dem Ver. zicht, die Sicherheit der anderen zu bedrohen.
Man spricht von Selbstschuk, aber der wirksamste Selbstschutz ist die Selbst zu cht. Jeder andere vermeintliche Selbstschut muß schließlich zum brutalsten Faust. recht führen und neue Blutströme würden seine unaus. bleibliche Folge sein. Aber es darf kein Blut mehr fließen.
Ich richte darum an alle, die guten Willens sind, die dringende Bitte, der ruhigen Besonnenheit wieder Eingang im politischen Ringen zu verschaffen.
Wenn die Führer aller politischen Parteien und Verbände mittun, jeden Versuch gewaltsamer Auseinandersehung zu unterdrücken und zu brandmarken, dann wird dem Morden Einhalt geboten und Deutsch lands Ansehen in der Welt wiederhergestellt werden können."
Ihren politischen Gegnern gleich mir von der wider denburgische Straße, Fehrbelliner Play- Tennishallen. Anweisung an die Regierungspräsidenten
wärtigen, rein demagogischen Verunglimpfung Ihrer Gattin nur mit dem Gefühl höchster Entrüstung Kenntnis nehmen und diese Kampfesweise auf das schärfste verurteilen werden. Eine an den politischen Kämpfen unbeteiligte Frau mit derartigen Anwürfen zu beleidigen, läßt eine Gesinnung erkennen, die bisher in Deutschland im politischen Meinungsstreit glücklicherweise noch nie. mals hervorgetreten ist.
Von Hermann Lingg ist mir ein tapferes Gedicht ,, Gegen die Gemeinheit" bekannt, das mit der Strehe schließt:
,, Die Gemeinheit streckt dich nieder, denn sie zielt so gut versteckt; und sie siegt, siegt immer wieder, bis sie an sich selbst verreckt." Lassen Sie sich nicht niederstrecken! Die Gemein heit nähert sich dem Stadium, in dem sie an sich selbst verreckt. Indem ich Sie bitte, auch Ihrer Gattin aus Anlaß des vorliegenden Falles mein Mit cnpfinden zum Ausdruck zu bringen, verbleibe ich
mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr gez. Severing.
Wir haben den hundsgemeinen verleumderischen Antrag der nationalsozialistischen Landtagsfraktion niedriger gehängt, der die Ehre der Frau des Polizeivizepräsidenten Dr. Weiß in der gemeinsten Weise besudelt. Dieser Antrag wird auf ewig ein Schandfleck der deutschen Parlamentsgeschichte bleiben. Hier ist sein Wortlaut:
Nr. 573, Urantrag Kube, Hinkler, Lohse( Altona ), Haate, Dr. Freisler und die übrigen Mitglieder der Fraktion der Nationalfozialistischen Deutschen Arbeiterpartei:
Der trotz mehrfacher, seine sofortige Abjegung fordernder Beschlüsse des Landtags immer noch von der derzeitigen geschäftsführenden Breußenregierung im Amt gehaltene Dr. Bernhard Weiß hat sich an der Riviera von dem Schuhjuden Krojanter der Firma Tad u. Co. aushalten lassen. Dieser bezahlte auch des Dr. Weiß erhebliche Spielverpflichtungen.
Ist schon ein solches Verhalten auch für einen jüdischen Beamten, dem infolge seiner Raffezugehörigkeit naturgemäß deutsche Ehrbegriffe fremd sein müssen, eine Unmöglichfeit, so fommt hinzu. daß die Frau des Bernhard Weiß , wie in Berlin öffentliches Geheimnis ist, das notorische Verhältnis des Krojanfer ist.
Selbst wenn B. Weiß das nicht glauben sollte, ist ihm doch bes fannt, daß man in Berlin allgemein der Ansicht ist, daß intime
Alle beteiligen sich!
nunft und lassen vergessen, daß auch der politische Gegner Volksgenosse und gleichberechtigter Staatsbürger ist.
Die gewaltsamen Zusammenstöße mehren sich in erschütternder Zahl. An Stelle geistiger Auseinander sehung tritt der Kampf mit Messer und Revolver. Tag für Tag färbt das Blut deutscher Bürger das Pflaster, rast der politische Mord durch die Straßen der Dörfer und Städte.
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Alle politischen Parteien überschütten die Behörden schwerden über den Terror der mit Klagen über mangelhaften Schutz und mit Be anderen. Wer die Tätigkeit unserer Polizei aufmerksam verfolgt und gerecht beurteilt, wird zugeben müssen, daß sie in diesen Unruhezeiten mehr als ihre Pflicht tut. Aber Wunder ver richten kann auch die Polizei nicht. Sie kann Bluttaten verfolgen, die Täter verhaften und dem Richter zuführen die politischen blutigen Kämpfe verhindern kann die Polizei nur dann,
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wenn Frauen und Männer aller Parteien diese entsetzliche Entartung politischer Meinungsfämpfe einmütig ablehnen und verabscheuen.
Beziehungen zwischen Krojanker und der Frau des B. Weiß be stehen. Es ist deshalb um so unverständlicher, daß Weiß sich von diesem Krojanfer aushalten ließ.
Da dieses Verhalten jedes Gefühl für Würde vermissen läßt, beantragen mir:
Der Landtag molle beschließen:
Das Staatsministerium wird ersucht, auch wegen dieses Verhaltens des B. Weiß das Dienststrafverfahren gegen ihn mit dem 3iele der Dienstentlassung zu betreiben."
Die volle Berantwortung für diese unfagbare Gemeinheit ruht auf der Nationalsozialistischen Partei wie auf dem nationalsozialistischen Landtagspräsidenten, der diesen Antrag zugelassen hat.
Die Stellungnahme zu diesem Abgrund der Gemeinheit wird zum Gradmesser werden! Wir werden aufmerksam verfolgen, welche Parteien und welche Zeitungen gegen diese Gemeinheit protestieren werden- aber auch, welche 3eitungen und welche Parteien durch Schweigen
Angesichts der blutigen Zusammenftöße des letzten Sonntags hat der preußische Minister des Innern die Regierungspräsidenten ersucht, die für Maßnahmen auf Grund der Berordnung des Reichsministers des Innern vom 28. Juni d. J. zuständigen nachgeordneten Polizeibehörden mit folgender Anweisung zu versehen:
In jedem Falle der Anmeldung einer Beranstal fung, insbesondere von Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel, scharf zu prüfen, ob ausreichende Polizei. träfte zum Schutz der Veranstaltung und ihrer Teilnehmer auch auf Hin- und Rückwegen, an den An- und Abmärschen und 2a ff wagenfahrten gegen Ueberfälle oder andere Gewalftätigkeiten der Versammlungsteilnehmer selbst während oder auch vor oder auch nach der Versammlung zur Verfügung stehen. Jm anderen Falle foll ein Verbot der Veranstaltung erlaffen werden.
Polizeihaft bei Waffenbesih.
behörden folgenden Funkspruch erlassen: Die täglich sich mehrenDer preußische Minister des Innern hat an alle Polizei. den Gewalttätigkeiten, besonders auch unter Verwendung von Schußwaffen, machen schärfstes Borgehen gegen unbefugten waffenbesig und unbefugtes Waffenführen erforderlich.
Alle Polizeibehörden haben sich der durch§ 17 der Notverordnung vom 14. Juni 1932 gegebenen Handhabe gegen das unbefugte Führen von Waffen in jedem Falle unnachfichtig zu bedienen und
diese abgrundtiefe Gemeinheit begünstigen werden! Denn Schweigen ist in diesem Falle Bekenntnis zum moralischen Verbrechertum!
Die„ Kinderstube" der Nazi- Prinzen. Die Germania " jagt zu dem Schandantrag:
"
,, Noch nie ist in einem deutschen Parlament ein Antrag mit einer solchen Begründung eingebracht worden. Noch nie ist in widerlicherer und unflätigerer Weise die Ehre einer wehrlofen Frau, die mit Politik nicht das mindefte zu schaffen hat, offensichtlich befudelt worden. Was hier geschehen ist, ist so ungeheuerlich, daß es jedem Menschen, der noch einen Funken Anstand im Leibe hat, dirett den Atem verschlägt. In der Nazifraktion des Landtags fizen neben den schon seit langem betan n= ten Flegeln auch Prinzen, Grafen , Generäle Leute also, denen man schon eine gute Kinderstube zutrauen sollte. Aber es scheint, daß auch sie ihre Kinderstube nun endgültig vergessen haben."