$äimwa.ller und&merwaller Sin Seemannsgarn/ Don S. Stichards
Im Dezember war die„Brigantine " von Greenough nach Java unterwegs Sie hatte den Bauch voll Kohlen und sommer- liche chitze stand übet Deck. Sechs Tage ging alles klar. Wir segel- t«n im Südostpassot und lagen bei Sonnenuntergang dwors zum Nordwestkap an der australischen Küste. Die Sonne versank ins Meer und färbte die schroffe Silhouette der fernen Küste purpur- violett. Dann erstarb alles: der Wind und das Meer. Die Nacht brach auf. Im kalten Feuer der Gestirne leuchtete das Kreuz des Südens über uns. Wir hatten chundswache und saßen beim Grog in der Messe. Kuddel Hestermann erzählte:„Das waren Zeiten, damals, als die„Glenora" nach Hawai fuhr! Waren mit Wolle unterwegs und logen gut vorm Winde. Fahrt machte der Eimer. Die Masten knirschten und stöhnten im harten Druck der Leinwand. Ein gutes Kommando, sage ich euch. Zwei Reffs im Großsegel und der Alte fuhr: genug für zehn Meilen Fahrt. Wie der Käp'tn, so der Steuermann. Was soll ich sagen? Ein Kerl wie ein Rad, wendig, pfiffig, zu allen dreihundertsechzig Strichen der Kompaß- rose wußte er einen besonderen Fluch. Oha!" Kuddel holte tief und genußsüchtig Luft bei dieser Erinnerung, verschnaufte ein wenig und rief den Jungen:„che, Jonny! Gib die Kanne her! Wie gesagt, nach chawai ging die Reise. Frischwasser hatten wir genug und Fidschiland war passiert. Als die Phönixinseln sich aus dem Glase verloren, kam ein Windchen auf. Der Alte schmunzelte, ließ Reffs schlagen, die„Glenora" legte sich hart über und stürmte wie ein scheues Rotz durch die See. Die Gischt der Bugwelle stand bis zur Gallionsfigur hinauf. Der Wind wurde immer heftiger, an Deck rasierte er alles ab, was dämliche Deck- gucker nicht geborgen hatten. Das Barometer fiel auf Sturm! Der Steuermann übernahm die Wache, fluchte, lacht« und ließ endlich Manöver pfeifen. Wir stiegen in die Wanten, um die Leinwand zu bergen. Der Kapitän erschien an Deck. „Verdammte Kakerlaken... Was macht ihr da in den Tauen...?" Augenblicklich stoppten wir die Arbeit und sahen zum Steuermann hinunter. '„Kap'tain, das Barometer fällt, die Segel müssen geborgen werden. Werden mindestens drei Strich aus dem Kurs ge- drückt...!" Ter Alte sah auf den Kompaß, schluckte und brüllte los:„Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld wiedergeben, wenn Sie die Brigg bei solcher Brise nicht im Kurs halten können, Sie Stint- Pfeifer, Sie...! Ich halte das Schiff mit den Reffs, und wenn des Teufels Großmutter' die Winde achtern abließ..." D6r Steuermann war leichenblaß, fluchte wie ein Besenbinder leise vor sich hin, ging ans Ruder, korrigierte oie Fahrt und verschwand unter der Hütte. Der Bootsmann pfiff die Segelmanöver zurück. Der Alte band sich an der Schanzreeling fest, und dann sauste der Pott haushoch hinein in den Strudel der ersten Boe. Es heulte und pfiff, knackte und krachte, als wollte die„Glenora" aus den Fugen gehini, aber sie hielt aus. Nach der ersten Boe braßten w't die Se�el um, fierten nach Backbord los und verschwanden eilig unter Deck. Drei Tage hielten wir Kurs im Sturm. Der Steuer- mann hatte sich abgefunden und dreht das Schiff in den Wind, daß es'ne Lust war., Der Alte schien versöhnt, sie gingen abwechselnd Wache. Am vierten Tag ließ das Wetter noch, der Himmel brach auf, und mir schwojten durch die See wie ein Schaukelpferd.-- Die„Glenora" wurde uberholt. Weder Tuch noch Takelwerk hatten wir verloren. Der Bootsmann ging mit dem Peilstock in den Decks herum. Je mehr er nach Mittschiffs kam, um so mehr verfinsterte sich sein Gesicht. Er peilte und peilte— triefnaß kam der-Poilstock nach oben. Der Maat rannte achteraus. „Kap'tain... Wasser im Schiff...!" Der Alte rasierte sich gerade, als ihn der Maat anrief. Er sah kaum auf und antwortete auf die bang« Meldung:„Sind Sie Bettnässer geworden, Maat?" Der Bootsmann war baff und kramte in seinem Hirn nach einer passenden Antwort.„Mein Schiff hält dicht, bis ich selbst leck werde. Und vorläufig", er schlug sich lachend auf sein rundes Bäuchlein, „ist der alte Kanister da noch bannig leer und dicht? Verstan- den...?" Der Bootsman» blieb bei seiner Meldung, Zweihundert Meilen östlich von Palmira stieg das Wasser mit jeder Stunde. Die„Glenora" mar leckgesprungcn. Als wir drei Fuß Wasser im Schiff hatten, gingen wir an die Pumpen. Alle Wachen blieben an Deck und pumpten: Stunde um Stunde. Am Tage und in der Nacht. Wir pumpten immerzu. Zu ollem Pech wunde das Wetter diesig, die See begann zu rollen, schwere Brecher füllten oben ins Schiff, was von unten her nicht schnell genug hineinlausen konnte. -- Wir pumpten! Das Wasser schoß aus den Speigattcn. So sehr wir auch pumpten, das Schiff lief voll. Vergeblich hatte der Zimmermann das Leck gesucht.--„Gib die Kanne her, Jonny...!" Kuddel trank einen würdigen Schluck auf diesee Ereignis und erzählte weiter. Bei der aufregenden Fahrt der„Glenora" leerte sich die Grogkanne bedenklich, jeder pumpte natürlich mit, so gut er eben konnte! Der Decksjunge rutschte vor Aufregung aus der Bank hin und her. Er machte seine erste Reise, am Zlequator wollten wir ihn taufen. Aufgeregt hielt er den Steert achtern über die Bank, daß es aussah, al» wollte er jeden Augenblick vom Stapel kaufen!—— „Alle Mann pumpten bis zum Umfallen, sage ich euch.?luch der Kap'tain half mit. Wir pumpten das Wasser aus dem Schiff unid er-- den Rum!„Js man nun doch alles schietiger Ballast", sagte er beim dritten Kanister.-- Sieben Tage ist das so gegangen mit dem Pumpen. Dann hatten wir genug. Gegen den Durst der„Glenora" war nicht auf- zukommen. Ich glaube, sie hatte Wassersucht." Kuddel sah traurig und schweigsam in die leere Schale:„So'n Durst!... n«, so'n Durst...!-- Na, gib die Kanne her, Jonny!" Der Jung« schreckte auf und holte die Kanne vom Haken. Als Kuddel getrunken hatte und schwieg, wagte er mit gespannter Vorsicht zu fragen:„Na und...?" Kuddel Hestermann setzte die Schale ab, spuckte knallig in die Spanten:„Na und...? Du Döskopp! Na ja— abgesoffen sind wir. Richtig abgesoffen, weiter nischt. Wassersucht steckt nämlich an, du Greenhorn! Und gut, daß die Rumkanister leer waren, damit sind wir an Land geschwommen." „An Land...? Zweihundert Meilen an Land? Na, mach' uns das mal vor. Kuddel!" Entrüstet sah die ganze Bande auf den Jonmaat. Kriddel wurde nicht einen Augenblick verlegen. „Guckt euch die Teichsischer an.., wie die Bescheid wissen? Natürlich sind wir geschwommen. Ganz klar und im großen Boot noch dazu. Hein— nicht...?"
Der Angerufene war eingenickt und schreckt« bei dieser Frage auf.' Unwillig wandte er sich gegen die Störung und murmelte schlaftrunken:„... werde!" Dann fiel er polternd unter die Back „Na also... gib die Kanne her! Schade um die Brigg, hundert Jahr« hätte st« noch leben können!" Der Grog war alle. Jonny stieg in die Last hinunter. Die Schiffsglocke hatte längst sechs Glasen angesagt. Wir saßen um die Back und staunten über das tragische Ende der schmucken „Glenora". Plötzlich tauchte der Wuschelkopf des Jungen in oer Luke auf.„Hein, Sandy, Kuddel...?" Cr zitterte am ganzen Leib«.„Dummer B«ngel, was ist los?" Der Junge riß sich zu- sammen.„W— a— s— s— e— r im Schiff...1" Ein Schauer lief uns allen den Rücken hinunter, wir dachten an das Schicksal der „Glenora". „Wo...?"--- „Da unten gluckst es, ich habe es deutlich im Zwischendeck ge- hört!" Wir griffen zur Laterne und stiegen den Nieoergang hin» ab. Nichts war zu sehen. Wir legten uns an Deck und horchten. Richtig, das war Wassergeräusch:„Gluck.. gluck... ooorch... gluck.. gluck.. oooorch!" Ohne Zweifel, die„Brigantine " nahm Wasser. Vorsichtig tappten wir den Gang noch Mittschiffs zu, fühlten, schnupperten und horchten. Nichts war zu hören, als das Glucksen und Gluckern des einströmenden Wassere. Das Leck mußte gefunden werden.
Je tiefer wir ins Leck iinabftiegen, desto stärker ward da» Woisergeräusch, es gluckste urd schnurchelte, als wenn sämtliche Ratten einen Rausch verschliefer. Wir drangen immer weiter vor. Die Lampe flackerte in der dumpfen Luft. Aus der Tiefe klang das Gurgeln. Der Steuermann wurde gerufen. Wir suchten und suchten. Im Mittschisssgang mußte das Leck sein. Klar und un- zweideutig tönte das Schnurcheln aus dem Räume. Wir drängten nach vorn und suchten eifrig umher Kein Wasser— aber das Geräusch klang laut und deutlich:.Gluck.. gluck... ooorch... gluck... gluck... oooorch.. oooorch..!" In sämtlichen Spant- winkeln suchten wir das Leck. Da— was war das..? Der Steuermann sprang zu.— Ein Mensch...! Der Schiffszimmermann!-- Den Kopf tief in die Spanten gedruckt, mit dem Gesicht nach unten, so log er trunken in einer dunklen Brühe brackigen Leckwassers und schlief. Kuddel drehte das Gesicht nach oben. Das Gurgeln und Gluckern hörte sofort auf. Mit gewaltigen Atemzügen hatte der Zimmermann seinen Rausch im Leckwasier des Zwischendecks ausgeschnarcht! Das schnurchelte und dröhnte, als hätte die„Brigantine " den Indischen Ozean im Bauche. Kuddel schüttelte den Zimmermann:„Transäufer, steh' auf, versäufst doch in der Brühe..." Die Glocke schlug acht Glasen. „Los, hoch. S' ist Mitternacht!" Der Zimmermann machte die Augen auf und stierte blöd' in die Laterne:„W— a— a— a— s... Mitternacht?... Na, denn Prost, Whisky..!' Er fiel wieder zwischen die Spanten und schnurchelte, daß es'ns Lust war! Aber die„Brigantine "— die war gerettet.— Met!--
ZBerunger Su fernem fünfundfiebmigflen Todestag/ Don 9£ermann Wendel
Der Ruhm, dessen sich Pierre-Iean de Böranger zu Lebzeiten erfreute, machte keineswegs an den Grenzen Frankreichs halt. Auch in Deutschland jubelte man dem Sänger zu. der seine Couplets wie Pfeile gegen das Regime der Restauration hatte schwirren lassen. Börne nannte ihn„die Nachtigall mit der Adler- klaue", Herwegh entbot ihm seinen poetischen Gruß: Ein Schwert mit Rosen wollen wir ihm bringen, Ein Schwert mit Rosen meinem Beranger! Und selbst Goethe, dem sonst politische Lyrik auf die Nerven fiel, war von dem Witz, dem Geist und der Ironie wie von der Herzlichkeit, der Naivität und der Grazie in den Strophen des Franzosen über die Maßen entzückt: feine Lieder erschienen ihm schlechthin vollkommen und„das Beste in ihrer Art". In seinem eigenen Vaterland vollends wurde Böranger vergöttert und überflügelte an wahrer Volkstümlichkeit alle Dichter vor ihm und nach ihm: kein Lob war zu verstiegen, um nicht dem„französischen Horaz ". wie Thiers ihn hieß, gespendet zu werden. Als er, der Poet der Freiheit, in einer neuen Eoche der Unfreiheit, unter dem zweiten Kaiserreich, am 1(5. Juli 1857 fast siebenundsiebzigjährig starb, geleitete das Regime seinen Sarg mit ganzen Regimentern zu Grabe, weil es einen Ausbruch der Volksleidenschaft fürchtete. Dann freilich kam ein Rückschlag: sein Lorbeer wurde Blatt um Blatt Zerpflückt, und haften blieb das böse Wort der Gebrüder G o n- c o u r t. das dos unleugbar Platte und Flache, Banale und Pfahl- bürgerliche in B�rangers Weltanschauung treffen sollte: der „Anacreon der Nationalgard e". Sicher verrieten die Chansons, mit denen Beranger unter Napoleon I. sich und feine Freunde vergnügte, keine besondere philosophische Tiefe. In leichten, gefälligen Versen, bestimmt, in fröhlicher Runde zu erklingen, predigten st« die Borzüge von Wein, Weib und Gesang: Ich fand an Republik Gefallen, Seit soviel Fürsten ich gesehn: Jetzt stift' ich«ine und vor allen Gesetzen sollen vier bestehn. Eins: Grenzen sind der Tisch, Nicht weiter: Daß Trinken Bürgerpflicht, ist zwei: Drei: jedes Urteil fällt man heiter Und vier: die Losung heiße: Frei! Aber sein Herz erklühte nicht nur für eine solche Schloroffen- Republik: seine Vaterlandsliebe, die die stärkste Saite auf seiner Leier war, sträubte sich gegen die Bourbonen, die 1814 und 1815 im Trotz der Landesfeinde nach Frankreich zurückgekommen waren, und da mit ihnen ein junkerlich und pfäffisch Regiment anhub, als sei nie eine Bastille erstürmt worden, begann er im Namen der politischen Freiheit mit treffsicheren, lustigen Chanson» seinen Kleinkrieg gegen die Dynastie und ihre Handlanger. Aristokraten und Jesuiten , Minister und Abgeordnete, Zensoren und Spitzel gab seine erlesene Reimkunst unehrbietigem Gelächter preis: hunderttausendiältig trällerte das Volk die kecken Refrains gegen die Gewalthaber einer vorgestrigen Welt und nahm auch die ernsten Strophen auf, die dem Weltfrieden, der Heiligen Allianz der Völker galten: Hellenen, Russen, Italiener, Briten , Erwacht, e» naht die große Stunde nun! Ihr Söhne Deutschland » habt genug gestritten, Und ihr, Franzosen, laßt die Schwerter ruhn! Ihr olle blutet aus derselben Wunde! Zerbrecht die dumpfe Kette, die euch bannt' Schließt eure Reihn zum großen Völkerbunde! Reicht euch die Bruderhand! So sehr sich die Masse für Berangers Lieder begeisterte, so schmerzlich empfand das Restaurationsregime jeden seiner Verse als Widerhaken im Fleisch. Es schleppte den Poeten vor Strafkammer und Schwurgericht, drei Monate Gefängnis, neun Monate Kerker, aber seine helle, unverzagte Stimme war nicht zu ersticken, und als im Juli 1 8 3 st das Pariser Volk in dreitägiger Straßenschlacht seinen sozusagen angestammten Monarchen zum Teufel jagte und auf den Barrikaden die Trikolore hißte, durfte sich der Dichter des „Marquis von Carabas" sagen, daß dieser Sieg auch sein Werk krönte. Aber obwohl Republikaner von Gesinnung, legte sich B e r a n- g e r für Ludwig Philipp ins Zeug, weil Frankreich für die Republik noch nicht reif fei, und auch al» die Februarrevolution von 1848 den Thron des„Bübgerkönigs" umgestürzt hatte, bewegten ihn Zweifel, ob das Land nicht vorzeitig zur Republik komme. Die revolutionäre Ungeduld, die nie früh genug ans Ziel gelangt, war dem schwächlichen, kurzsichtigen, kahlköpfigen, stets in strenges Schwarz gekleideten Herrn ganz fremd: wie er bedachtsam und de- hutsam einen Fuß vor den andern setzte, erwartete er es auch von
der politischen Entwicklung. Hinwiederum blieb er der Sache der Voltsmasse, au» deren Tiefen er aufgestiegen war, zugetan genug, um zu erkennen, daß der Wechsel politischer Formen für die Elenden und Enterbten nicht allzuviel bedeutet«. So stahlen sich nach der Julirevolution kräftige sozial« Klänge in seine Poesie ein: er besang die Schmuggler, das Weib des gefangenen Wilddiebs, den wegen rückständiger Steuern ausgepfändeten Bauern, und den fter- benden Vagabunden, der mit der Frage: Hat denn der Arme auch ein Vaterland? einen Satz des Kommunistischen Manifestes vor- wegnimmt, ließ er seinen Fluch ausstoßen: Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit: Mein Brot oerdienen will ich ja— Geh betteln! hieß es. Arbeit? Arbeit? Die ist für alle Welt nicht da. Arbeite! schrien mich an, die schmausten, Und warfen mir die Knochen zu... Ja, er hielt enge Freundschaft mit Lamennais, dem Borkämpfer des religiösen Sozialismus, verteidigte in einem Lied die Utopisten Saint-Simon , Fourier und E n f a n t i n gegen den spieß- bürgerlichen Vorwurf, Narren zu sein, und gestand in einem Brief an Rouget de Lisle vom Januar 1832:„Me Welt sagt mir, daß ich Saint-Simonist sei. Schließlich glaub« ich es selbst... Wahr daran ist, daß ich als alterFeind unserer Gesellschasts- ordnung eine Neigung zu oll den Neuerungen dieser Art habe": auch später verleugnete er seinen freilich etwas gedämpften Glauben an den Sozialismus nicht. Wie das-Chanson, das leichte Lied mit dem lustigen Kehrreim, zwar mit Beranger feinen Höhepunkt erreichte, aber nicht mit ihm zur Welt kam, so starb es auch nicht mit ihm aus: von Pierre D u p o n t bis Aristide B r u a n t suchten nicht wenige französische Poeten seine Ueberlieferung fortzusetzen. Auch ein deutsches Chanson gibt«», zumal in unseren Tagen: wenn sie auch weit schneidendexe politische und soziale Töne anschlagen, stehen doch die Kurt Tu» cholsky und Walter Mehring im Schatten Berangers. Nur gedeiht dieses Gewächs auf unserem Boden schlecht. Nicht allein das heiterere Temperament, sondern vor allem auch die Politisierung des französischen Volks feit der großen Revolution schuf die Vor- bedingungen, daß dem Chanson Berangers nicht das Kabarett, sondern die Straße gehörte. Den Deutschen aber machte seine Geschichte zum stummen Sklaven ohne jeden politischen Instinkt, und so ist es nur eine Zuspitzung, keine Uebertreibung, zu sagen: ein Stück von Deutschland « Tragik offenbart sich darin, daß wir keinen Beranger hatten und haben konnten! - 0 •Deutfche SosBialiflen Theodor Schuster. Aus den„Gedanken eines Republikaners", Paris 1835: O, ihr Kleingläubigen! lest in dem Buche der Natur, welches geöffnet daliegt vor jedem lebendigen Auge: steigt hinab in die Tiefe eures Herzens— und wenn nicht euer letzter Nerv gelähmt, eure letzte Ader ausgetrocknet ist durch den Pesthauch der umgeben- den Verwesung, so werdet ihr erröten über eure Zweifel!— Seht ihr die Tiere des Waldes nebeneinander friedlich weiden? Sie olle sättigen sich, sie alle schirmen sich wider den Brand der Sonne und den Eiseshauch der Nacht, sie alle ziehen sich Abends zurück in ihre Lager, unter ihre wärmenden Höhlen. Wenn aber kein Tier sein Mitgenoß hungern heißt, um sich doppelt zu sättigen, wenn kein Tier seinem Mitgenoß die Bekleidung entreiht, um sich zweifach zu kleiden, wenn kein Tier sein Mitgenoß aus dessen Wohnung verdrängt, um hier und dort zu wohnen— wie wollt i h r solches leiden von euern Mitmenschen, und wie solches antun euern Mitbrüdern? Steht ihr tiefer in der Stufenfolge der Wesen, als das Tier des Waldes? Steht jemand über euch in der Stufenfolge der Wesen, über euch Menschen? Ja! menschlich ist unsere Natur, und aus dieser mensch- lichen Natur fließen unsere Rechte. Jeder von uns hat ein Recht, sich zu sättigen, denn die Natur erteilte ihm Hunger: jeder hat ein Recht zu wohnen, sich zu kleiden, denn die Natur ließ ihn empfind- lich sein für Feuchtigkeit und Trocknis, für Hitze und Frost. Jeder hat ein Recht, eine treue Gefährtin zu umarmen, denn die Natur begabte ihn mit den feurigen Gefühlen der Gattenliebe: jeder ein Recht, seine Sitten zu läutern, seine Denkkrast zu entwickeln, denn die Natur verlieh ihm ein richtendes Gewissen und segnete ihn mit dem Wissensdrang eines forfchungskräftigsn Geistes: jeder ein Recht zur Freiheit, denn die Natur schenkte ihm einen selbständigen Willen: jeder ein Recht zur Gleichheit, denn die Natur schuf alle Menschen gleich, und der Zorn des Schöpfers sucht in seinem Ge- wissen und dem Fluch seiner Mitwesen den Frevler heim, welcher die sündige Hand legt an die geweihten Rechte seines Bruders.