Vellage Sonnabend, 16. Juli 1932
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Gerhart Herrmann Mostar— Die Geschichte der Woche: Das Gericht der Glocken
In Königsberg erzwang eine Glocke bat Geständnis eines Defraudanten. „Also, lieber Herr Mendt— hier stelle ich Ihnen unseren neuen Bücherrevisor vor, Herrn Gerling. Unser langjähriger Kusto», Herr Mendt..." Der Superintendent rieb sich die Hände, wie er immer zu tun pflegte, wenn«ine vorzunehmende Arbeit keine Schwierig- leiten erwarten lieh.„In einer Stunde sind wir fertig, denke ich. Wir sind ja kein Bankkonzernl" Er lachte behäbig. Der Kusto» legte die Bucher vor, während der Revisor um- ständlich sein« Brille putzte.„Was den Möller betrifft, der fast die Hälfte des Kirchenackers gepachtet hat— ich konnte noch keine Pacht von ihm bekommen", sagte Mendt sehr ruhig. Der Superintendent schüttelte den Kopf:„Tjatja, traurig, die Zeit, die Zeit..." Aber er rieb die Hände weiter, verschränkte sie nicht hinter dem Rücken, was nach Mendt, Erfahrung da» Vorzeichen unangenehmer Stim- mung war. Mendt freute sich darüber: aber als nun der Revisor seine Brille gegen da, Licht de» Fensters hielt und zugekniffenen Auges hindurchsah, ob das Glas auch wirtlich durchaus sauber war und kein Pünktchen Geschriebene» ihm entgehen konnte— trat dem Küster doch der Schweiß auf die Stirn. „3ch habe noch drüben in der Kirche zu tun", sagte er hastig. „3ch bin bald zurück." Er ging schnell. Als er auf dem Kirchplatz stand, wischte er sich die Stirn. Er hatte sich zusammengenommen drinnen, seine Stimme hatte nicht gezittert, als er die Sache mit Möller er- zählte— aber dabeibleiben konnte er nicht. Das ging über seine Kraft. Er hatte ollerding« nicht» zu tun in der Kirch«. Di« Turmuhr zeigte zehn Minuten vor sechs. Um sechs erst begann da» Abend- läuten. Bis dahin muhte er sich in der Kirche zu schaffen machen. auf irgendein« Art. Zehn Minuten würden sich ja wohl totschlagen lassen. Er ging durch da» houptportal, nachdem er sehr gemächlich aufgeschlossen hotte. Dabei entdeckte er, daß er den Schlüssel zum Tresor noch bei sich hatte. Er brachte ihn nicht hinüber. Das hatte ja wohl noch Zeit. Doch sah er sich sinnloserweise scheu um, als er ihn In die Tasche steckte. Drinnen im hohen, langen Schiff störte ihn da» Hallen seiner einsamen Schritte. Auch knackte«» in den Bankreihen merkwürdig häufig. Er fuhr jedesmal zusammen. Lächerlich, diese Nerven! Sollten sie in dieser einen Stunde versagen, zu guter Letzt noch? Er verlieh das Schiff und trat in die Sakristei, setzte sich auf einen der hochlehnigen Sessel. Aber die Kanten und Bögen der Schnitzereien an der Lehne taten seinem Rücken weh, und plötzlich beunruhigte es ihn wieder, daß er.. i ch t drüben war. Trotzdem wußte er, dah er nicht imstande sein würde, dabeizustehen, wenn der Revisor die Zahlenkolonien mit festem Zeigefinger entlangfuhr. Aber er hatte den seltsame!» Wunsch, doch wenigstens fein Haus zu sehen während dieser qualvollen Minuten. Deshalb stand er aus und schlurfte die Treppe zum Turm hinauf. Bis zum ersten Lukenfenster wollte er gehen und von dort au» hinüberblicken. Er zählte mechanisch die Stufen. Al» er bei fünfzehn war, fiel ihm ein, dah die ganze Ge- schichte mit dieser lächerlichen Zahl fünfzehn angefangen hatte. Das war nun«in paar Jahr« her. Da fehlten ihm fünfzehn Mark für da» Los, da» er zu spielen pflegte. Der Junge war damals auf der Universität, daher kam das. Er nahm sie au» dem Tresor, um sie morgen zurückzulegen. Da» Zurücklegen vergaß er— wirklich, er oergoß es nur. Es fiel ihm erst wieder ew, als da» Fehlen der fünfzehn Mark bei der nächsten Revision nicht bemerkt wurde. Der Teufel hatte wohl seine Hand im Spiel, dah es ihm nicht eher «infiel... Währenddem stieg er mechanisch weiter, war längst an der ersten Luke vorbei, zählte laut vor sich hin. Hundert... Dann heiratete die Lina. Sie heiratete den Fabrikanten, eigentlich über ihrem Stand, wenigstens finanziell. Er nahm erst hundert und dann— und dann zweitausend... und e» wurde wieder nicht be- merkt. Aber freilich hatte er ein wenig dafür gesorgt, daß es nicht bemerkt wurde... Hundertachtundsechzig, neunundsechzig— siebzig. Er war oben, bei den Glocken. Schade, er wäre eigentlich gern so weiter gestiegen, immerfort weiter, recht weit weg von dem Kantorat, in dem ihm jetzt«in neuer Revisor nachrechnete, so weit weg, so hoch drüber, daß da» Hau» ganz klein und wie eine Nichtigkeit schien, da» Haus, das da unten lag, und die Zwanzigtausend, die da unten fehlten... Aber es ging nicht höher. Er war bei den Glocken. Cr besann sich daraus, daß er eigentlich hatte hinuntersehen wollen. Die Turmfenster logen hier unglücklich: man muhte schon auf den zweiten Balken de» Glockengestühls steigen, um hinabsehen zu können. Mühelos klomm er hinauf, wie im Traum, obwohl er mit seinen sünszig Jahren solche Klettereien eigentlich nicht mehr gewöhnt war. Dann legte er eine». Arm um den Strebebalken, schob sich zwischen die beiden Glocken, die große und die kleine, die so eng nebeneinander hingen, daß die eine mit ihrem kalten Rand seinen Rücken, die andere seine Stirn berührte— und sah unten sein Hau» liegen, wirklich schon sehr klein,«in Puppenhau», nur ernster, aber friedlich und ehrsam. Wie«in Kind kam er sich vor, da» etwa« ausgefressen hat, und da» sich versteckt vor dem strafenden Voter, aber so, daß es die Folgen seines kleinen Verbrechen« ungesehen überblicken kann. Die Sehnsucht, daß alles eine Kinderei sein möchte, abzutun mit einer Verwöhnung oder bestenfall» einer Ohrfeige, wurde so stark in ihm, daß ihm sein Herz weh tat. Warum mußte er fünfzig Jahre alt sein und nicht fünf, warum mußte e» sich um Zwanzigtausend in Scheinen handeln und nicht um ein paar Spielmarken, warum mußte die Zahlung des Pächters Möller oerschwiegen werden und nicht der Sparbüchsengroschen eines Onkels... warum war nicht der Groschen vernascht, sondern ein Kapital von Zwanzigtausend oerspielt, ver- schenkt, verlebt, vertan, ohne Glück, ohne Segen, selbst ohne die Freude am Verbrechen...? Die Ketten und Gewichte der Uhr begannen zu rasseln. Er fuhr zusammen, ober er dachte nicht daran, daß es ja jetzt sechs Uhr schlug, daß er ja unten in der Sakristei den Schalter drehen mußte, um die Glocken in Bewegung zu setzen zum Abendläuten. Er träumte sich weiter In die Vorstellung des ängstlichen Kindes hinein, dos Strafe erwartet und doch weiß, daß sie vorübergehen wird... Als unten seine Frau au? dem Hause trat und erstaunt zum Turm hin- aussah, fiel es chm auch noch nicht ein: er fuhr nur zurück wie er»
tappt, obwohl sie ihn von unten gor nicht sehen konnte. Jetzt ging sie aus die Kirche zu. Wollte, sollte sie ihn holen...? Hatte der neue Revisor...? Sollte er gehen, hinuntergehen, sich stellen— oder sich verstecken, noch weiter Kind sein, noch ein paar Minuten long, bis das Ende kam, das Furchtbare, das Unausdenkbare...? Jetzt aber, als er unten die Kirchentür ausschlurren hörte— jetzt endlich fiel ihm das Abendläuten«in. Mein Gott, er mußte ja noch unten, den Kontakt einschalten, es war schon mindestens drei Minuten zu spät. Ehe er sich anschickte, hinabzuklimmen, war ein Aergcr in ihm, daß man nicht vorsichtshalber auch hier oben eine Schaltmöglichkeit geschaffen hatte— ein alberner Aerger, al» hätte man diesen Fall, seinen Fall voraussehen können! Oder: Konnte er nicht mit der Hand läuten, wie früher? Die Stricke waren ja noch da. Aber nein: es waren ja zwei Glocken zu bewegen, zwei Hände also fehlten... Plötzlich begann die kleine Glocke schnell, die große langsamer zu schwanken Ah, gottlob, seine Frau hatte eingeschaltet! Er atmete tief auf. Zugleich aber schnitt ihm jähe Angst ins Bewußt- sein: er stand ja noch immer hier oben zwischen den beiden Glocken, mit Kopf und Oberleib zwischen zwei Glocken, die schon heftiger schwangen— instinktiv duckte er sich, ließ sich fast fallen auf den haltenden Balken— und im nächsten Augenblick erklirrte der erste, hell wimmernde Ton, im übernächsten der erste dunkle, mächtige... Er lag platt zwischen Balken und Balken unter den Glocken, die Schienbeine auf den einen, die Brust auf den anderen gestützt. Cr hatte begriffen, daß es jetzt keine Möglichkeit für ihn gab, hinunter- zukommen... Die kleine Glocke war nicht so gefährlich, ihr Klöppel schwang hoch über seinen Waden. Aber die große, die große... immer dröhnender schwang sie, immer geschwinder, und je zwischen Ton und Ton ging ein scharfes Sausen über seinen Hals, ein Luftzug, hart wie ein Schwert—: da saufte der Klöppel, der furcht- bare, gewaltige Klöppel her und hin, gerade hindurch zwischen Schulter und Schädel, nahe um Millimeterbreite seinem zitternden Hals... Der ganze Glockenstuhl bebte flackerte in allen Atomen von Holz und Stahl, ließ seine Schienbeine schwingen wie Saiten, sie waren schon wund, ließ seine Brust erzittern, es nahm ihm den Atem... Aber unter ihm war Tiefe, viele Meter, er durfte sich nicht fallen lassen, und er durfte seine Lage nicht um Millimeter verändern, sonst zerstieß ihm der Klöppel die Schädeldecke...
Er sucht« die vibrierenden Zähne zusammenzupressen, einen Ge- danken zu fassen, irgendeinen. Wenn er versuchte, zwischen Klöppel- schwung und Klöppelschwung sich aufzurichten, blitzschnell, und hin- unterzugleiten am nahen, senkrechten Stützbalken? Aber dann zer- trümmerte ihm der Rand der großen Glocke die Stirn, ein furcht- bares Schwert, gehoben, geschwungen vom elektrischen, erbarmungs- losen Strom... Er blieb liegen, hängen. Einmal hob er den Kops, ein wenig, ein winzig kleines Wenig— da riß ihm der Klöppel den Kragen weg und eine Wunde ins Schulterfleisch, daß er fast gestürzt wäre. Er sank in seine alte Lage zurück. Die Glocken sangen, dröhnten, heulten, der Luftriß des vorübersausenden Klöppels wurde zum rasenden, stechenden Schmerz. Der Küster begann zu schreien, wirr, irr, gellend, bellend— schrie, wimmerte, heulte: „Ich gestehe! Ich gestehe! Ich gestehe...!" Bei jedem Schlag der großen Glocke, bei jedem Pfeifen des Klöppels schrie er sein „Ich gestehe". Ach, was ist dos Geständnis des Menschen gegen die Verkündigung der Glocke? Sie hörten das Läuten aus Märkten und Gassen, in Stuben und Kellern, in der Stadt und weit in den Dörfern ringsum, aber den Menschen härten sie nicht... Auch nicht, als Todesangst zum Wahnsinn wurde, als die innere Abrechnung des Wahns die äußere der Nüchternheit ablöste, als der verzerrte, schäumende Mund andere Worte schrie, immer diese zwei Worte unterm Vorübersausen des Klöppels: „Gottes Schwert! Gottes Schwert! Ich gestehe! Ich gestehe! Gottes Schwert...! * Noch zehn Minuten sdhaltete die Frau des Küsters die Glocken ab. Sie schwangen langsam, langsam aus. Noch ein tiefer, leiserer Ton der großen— noch ein zartes Aufwimmern der kleinen...■ Nach einer halben Stunde erschien der Küster im Amtszimmer. Revisor und Superintendent sahen nicht zu ihm hin, waren in die Bücher vertieft.„Na", sagte der Revisor in die Zahlenkolonnen hinein,„bis jetzt wäre ja alles in Ordnung..." Da schwenkte Mendt eine zitternde, stotternde Hand vor einem zerwühlten Gesicht, vor ousquellenden Augen, vor hämmernder Stirn— hin und her, her und hin schwenkte diese Hand ihr Nein, wie ein Klöppel, und ein irrer Mund schrie, mit dem Klang einer zerspringenden Glocke: „Ich gestehe...!"
Sei den Seidenspinn Di« Industrialisierung der«hemaligen Kolonialvölker erfährt in Rußlands asiatischen Gliedstaaten bewußte Förderung. Wo noch vor wenigen Jahren orientalische Romantik herrschte, regier« heute der Großbetrieb. Darüber berichtet Egon Erwin Kisch in seinem— oft zu begeisterten, weil nicht mehr objektiven— Such „Asien gründlich verändert".(Erich Reiß -Berlag, Berlin .) Liehe„Da? Reue Buch". wt. In Bucharax, wo die Romantik rauh und despotisch war, hat man Teppiche gewebt von altersher, und Waffenschmiede standen am Blasebalg: in Samarkand , wo die Türmchen und Fassaden glitzern wie Spiegel, spann man Seid«. In Europa ist solch eine geographisch-ästhetische Einteilung, sofern sie je bestand, längst verlorengegangen, man liest in den Zeitungen von„Schlacht- Hausbrand in Saragossa " oder„Die Weimarer Polizistengreuel". ohne das als deplaciert zu empfinden Vielleicht wird auch in Sowjet-Asien die sentimentale Geographie bald verschwunden sein, denn die moderne Industrie sucht sich ihre Wirkungsgebiete nach praktischeren Gesichtspunkten aus. Andererseits aber kann im Reich der Planwirtschaft ein traditionelles Gewerbe nicht durch willkür- liche Konkurrenz brachgelegt werden, im Gegenteil, ein traditionelles Gewerbe kann neue Impulse durch den sozialistischen Staat er- fahren. Leider ist das mit der Buchareser Teppichweberei nicht geschehen. Dies Handwerk hatte in den Hungerjahren zu existieren aufgehört. Während d«s Bürgerkrieges wanderten die Meister mit ihren Webrahmen und Mustern nach Afghanistan aus, und später blieben die Versuche der Sowjets, die Teppichweberei wieder hochzubringen, vergeblich. Buchareser Teppiche sind in Buchara schwerer zu kaufen als in Berlin . Anders steht es mit 0er Seidenspinnerei . Es ist ge- glückt, si« zu beleben, sie zu industrialisieren und sie gleichzeitig ein- zuordnen in den Prozeß der Befreiung der Frau.„Chudschum— der Sturm" heißt die größte Spinnerei von Samarkand , sie hat 1100 Arbeiter und Arbeiterinnen, ebensoviel wie die Spinnerei „Zehnter Jahrestag der Oktoberrevolution" in Fergana, mit der sie in sozialistischem Wettbewerb steht. Wie bei den Fern- Partien der Schachspieler werden die Züge herüber und hinüber telegraphiert, und groß angeschlagen ist in den Betriebsräumen des „Jahrestags" und des„Sturms" der bisherige Verlauf des Wtt- kampfes der beiden Städte. So sehr wir uns auch angesichts der Somarkander Sakral» bauten an den Anblick von Gold und Weiß gewöhnt haben, blendet uns doch im Lager der Spinnerei das viele Gold und das viele Weiß der aufgestapelten Kokons, das viele Gold und das viel« Weiß der Seide, die ein Wurm gesponnen hat und von Menschen entsponnen werden muß, um wieder gesponnen zu werden. Da» ist die Ausgabe in der Fabrik. Sobald der Kokonbestand nach Farbe, Art. Größe und Qualität sortiert worden ist, rutscht er auf einer Schütte hinab zu den Spinnereien in der Werkhalle. Gründlich getrocknet waren die Kokons, bevor man sie hier her- brachte, und nun ist der erste Arbeitsgang der, sie wieder zu be- feuchten. Ein Dampfbad löst den Mörtelverputz de» seidenen Häuschens, den Leim, und rotierende zarte Bürstchen fahren die Fassade entlang. Das eirunde Stück glatten Goldes oder karra- rischen Marmors hört auf, ein eirundes Stück zu sein und ist nun da», was es ist: ein Gespinst. Di« Struktur liegt bloß und bleibt bloßgelegt, auch wenn man die Stücke nach dem heißen Bad einem kalten aussetzt. Aus dem fischt sie die Arbeiterin?lbgelöst wird die äußere Schicht des Kokons, ein bastartiges Zeug, nur gut für Schappe-
srinnen Samarkands garn. Jetzt macht man den letzten Hauch der Naupe ausfindig, den Endpunkt des von ihr gesponnenen Fadens, erfaßt ihn und leitet ihn durch die Oese eines Achatsteins, der außerdem noch die Fäden fünf anderer Kokons aufnimmt. Viel« Samarkanderinnen tragen noch das roßhaarne Visier, den Gesichtsschleier der mohammedanischen Frauen, manche nehwen es nicht einmal ab, wenn sie den Faden durch den Achatstein stechen und von dort über die Haspel führen, das Rad, das, mathematisch genommen, ein Achteck ist, aber sich so schnell dreht, daß man seine Ecken übersieht. Es rollt die sechs Kokons ab und zwirnt die sechs Fäden zu einem einzigen Faden von 250 bis 500 Meter Läng«. Ueber die Köpfe der Arbeitenden hinweg lausen die sich um- einander windenden Fäden und schlingen sich um sausende Spulen. Netze zerschneiden den Raum, in dem man die Kokon» weicht und bürstet und abwickelt, die Enden der Zwirne knüpft, die Spulen wechselt, die mattglänzenden Strähnen abhebt und zu Docken dreht. Tausenden und aber Tausenden van verpuppten Würmern wird dos Obdach geraubt. Schutzlos liegt der Wurm da, der dos teure Material liefert, kunstvoll das erste Halbprodukt verfertigt hat, hüllenlos und leblos liegt er da. Er heißt„Chrysolith a ", alles hier hat italienische Bezeichnungen, denn vor drei Jahren wurde die Fabrik von Turiner Spezialisten eingerichtet. Jetzt arbeitet sie schon ohne fremde Hilse und erfüllt den Fünfjahres- plan: aus der Chrysoliths macht man Seife, aus dem Seidenleim Brennöl, und in die Seidenweberei nach C h o d s ch e n t gehen die Rohgarne, die wir hier abrollen und aufrollen sehen. In Chodschent Hausen auch die letzten Handweber. Ihre langgestreckten Werkstätten aus Lehm durchläust ein Draht. Unter dem Scherbaum und an der gegenüberliegenden Wand hängt je«in steinernes Gewicht an diesem Draht und spannt da» gewebte Seiden- stück. Mit den Füßen hebt der Weber den Scherbaum, mit den Händen wirft er«in Weberschiffchen unter den Faden: dergestalt erzeugt er die Kette mit dem Fuß, den Schuß mit der Hand, Tritt und Wurf, Tritt und Wurf ein Menschenleben lang, ein Greisen- leben lang. Tritt und Wurf, das gleiche Gewebe aus grünem und blauem und violettem Garn, ein Greisenleben, zehn Greisenleben lang.— Nach bizarrer als der Webstuhl, diese Kombinotion von Kamm und Bürste, wirkt eine kleine Apparatur: in den Scherbaum ist eine Latte senkrecht eingerammt, und von ihr baumelt ein Fell, das bei jeder Bewegung des Pedals dem Weber sanft ins Gesicht schlägt. Das ist, endlich begreisen wir es, eine Vorrichtung zum Ver- scheuchen der Fliegen, auf daß si« den Meister nicht stören, wenn er da» Weberschiffchen schnellt. Fliegen sind genug da: der Dampf, der den Raum erfüllt, verjagt sie nicht. Der Dampf kommt au» zwei Töpfen, in denen ununterbrochen zwei Flüssigkeiten kochen. Stärke und grüner Tee. Sechs Meter macht der Weber am Tage und verdient kaum die Hälfte von dem Lohn eines Fabrikarbeiters. Obwohl die hond- gewebte Ware teurer ist al» die industriell erzeugte, läßt si« sich leicht an den Mann bringen, weil die Produktion den gesteigerten Bedarf noch nicht deckt. Nicht lang« mehr werden Weber unter fellnem Fliegenmedel hocken. Schon weben die Fabriken den Haus- webern das Leichentuch. Drüben rattern bereits die Webstühle im Vielklang, drüben arbeiten die jüngeren Kollsgen der weißbärtigen Heimarbeiter— Ueberlouser vom Handwebstuhl zum halbmechanischen, vom Hond» werk zur Fabrik,