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BERLIN  Montag 25. Juli

1932

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Nr. 346

B 168 49. Jahrgang

Keine einstweilige Verfügung!

Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs

Leipzig  , 25. Juli.

Der Staatsgerichtshof hat die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Dr. Bumke gab für die Entscheidung des Staatsgerichtshofs| einstweiligen Verfügung erscheint es dem Staatsgerichtshof nicht folgende Begründung:

Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hat heute zu ent­scheiden, ob der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, die im vorliegenden Berfahren gestellt worden ist, zulässig ist. Daß der Staatsgerichtshof grundsätzlich für sich die Befugnis in Anspruch nimmt, im Laufe eines Verfahrens vorläufige Anord­nungen zu treffen, ist wiederholt ausgesprochen worden. An dieser Auffassung hält der Staatsgerichtshof feft. Offen geblieben ist bisher die Frage, ob im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit innerhalb eines Landes eine einfiweilige Verfügung zu erlaffen ist. Dies kommt hier nicht in Betracht, da es sich nicht um eine ver­faffungsrechtliche Streitfrage eines Landes handelt, sondern um den Streit zwischen dem Reich und einem Lande. Gerade in einem folchen Streit ist, und zwar auf Antrag der Reichsregierung, eine der beiden einstweiligen Verfügungen erlaffen worden, zu denen fich allein bisher der Staatsgerichtshof entschlossen hat. Damit ist grundsätzlich anerkannt, daß bei Streitigkeiten dieser Art zwischen dem Reich und einem Lande eine einstweilige Verfügung des Staatsgerichtshofes in Frage kommen kann. Diese Meinung aufzugeben, fieht der Staatsgerichtshof keinen Anlaß.

Ueber die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung kann der Staatsgerichtshof aber nur entscheiden, insoweit er für die Streitigkeit, um die es sich bei dem Verfahren in der Hauptsache handelt, zuständig ist.

Diese Frage nach der Zuständigkeit für die Hauptsache ist von Amts wegen nötig. Die Antwort stüßt sich bei Anrufung des Staatsgerichtshofes auf Artikel 19 der Reichsver­faffung, nach dem, wenn nicht ein anderer Gerichtshof zuständig ist, der Statsgerichtshof für das Deutsche Reich über Streitigkeiten staats­rechtlicher Art zwischen dem Reich und einem Lande zu entscheiden hat. Daß es sich um feinen Streit privatrechtlicher Art handelt, be­darf keiner Frage.

Es ist davon auszugehen, ob die antragstellenden abgesetzten preußischen Staatsminister befugt find, in dem gegenwärtigen Ver­fahren das Land Preußen zu vertreten. Allerdings find die mit­glieder des preußischen Staatsministeriums, in deren Namen die Klage geführt wird, ihres Amtes oder wenigstens ihrer Amtsfunktionen enthoben. Diese Enthebung aber ist er­folgt in Durchführung der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten vom 20. Juli. Um die Rechtsgültigkeit dieser Ber­ordnung handelt es sich in dem vorliegenden Verfahren. Es treffen deshalb diefelben Erwägungen zu, aus denen der Staats­gerichtshof in dem Streitverfahren wegen Eingemeindung in West­ Preußen   zu der Auffaffung gelangt ist, daß die Rechtsparteilichkeit der Gemeinden für das Streitverfahren, in dem es sich um die Gültigkeit der auf dieselben vernichtend wirkenden Vorschriften han­delt, hier fort bestehend zu gelten hat.

Der Staatsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Auffaffung vertreten, daß eine von ihm erlaffene einstweilige Verfügung die endgültige Entscheidung nicht vorweg­nehmen darf, daß sie besonders nicht auf der Grundlage ergehen konnte, daß der Staatsgerichtshof fich dem Rechtsstandpunkt des einen oder des anderen der streitenden Teile vorläufig zu eigen macht. Dem Wesen und der Bedeutung des Staatsgerichtshofes wird nicht ent­sprochen, wenn er sich auf Grund einer vorläufigen Deutung zu einer Rechtsanficht bekennen wollte, die er nach gründlicher Erwägung bei der Entscheidung zur Hauptfache wieder aufheben muß. An diesem Standpunkt muß festgehalten werden. In diesem Rahmen ist es zulässig, eine einstweilige Verfügung zu erlaffen, wenn diese Zwangsregelung eines einstweiligen Zustandes zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötigerfcheint. Das Ziel einer folchen vorübergehenden Regelung ist ein möglichst verein­fachtes, reibungsloses, die Belange beider Teile schonendes Verhältnis in den wechselseitigen Beziehungen bis zur Entscheidung herbeizuführen. Angesichts dieses Zweckes der

angängig, die von dem Lande Preußen begehrte Verfügung ent­sprechend dem in der Verhandlung neu formulierten An­trägen zu erlassen.

Der Präsident gibt dann noch einmal den Wortlaut dieser Neu­formulierung bekannt, über die während der Verhandlung am Sonn­abend berichtet wurde, und fährt dann fort.

Die Fortsetzung der Begründung, die bis zum Redaktionsschluß noch nicht vorlag, geben wir in der Morgenausgabe.

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Notwendige Bemerkungen.

Die Ansicht der preußischen Regierung. Durch die Entscheidung des Staatsgerichtshofes ist der Rechtsfrage in teiner Weise vorgegriffen. Die preußische Staatsregierung darf nach wie vor erwarten, daß ihrer Rechtsauffassung Rechnung getragen wird.

In der Rechtsfrage fonnte der Staatsgerichtshof keine Ent­scheidung treffen, weil das Gesetz über den Staatsgerichtshof vor­schreibt, daß teine Entscheidung in der Rechtsfrage vor Ablauf einer Frist von 14 Tagen erfolgen darf. Preußen war zwar bereit, auf diese Frist zu verzichten, das Reich war aber nicht zu einem Ver­zicht zu bewegen. Danach war der Staatsgerichtshof also überhaupt nicht in der Lage, sich in die Verhandlung zur Hauptsache einzulassen.

Eine einstweilige Verfügung konnte der Staatsgerichts hof nach seiner Praxis und Auffassung wiederum nur erlassen, wenn durch diese einstweilige Verfügung keine rechtliche Entschei dung selbst weder nach dieser noch nach jener Seite hin ge­troffen wird. Der Staatsgerichtshof hat aber feinen Weg gefunden, eine solche Entscheidung abzugeben, die nicht zugleich eine Rechts­frage entscheidet.

Besonders hielt sich der Staatsgerichtshof nicht befugt, eine tatsächliche Gewaltenteilung im Sinne der preußischen Anträge von fich aus vorzunehmen, weil jede Teilung der Gewalten, also jede Uebergabe von bestimmten Befugnissen an den Reichskommissar oder an die alten preußischen Minister bereits wiederum eine Entscheidung über die Rechtsfrage in sich gehalten

Praktisch war diese Entscheidung deswegen von der preußischen Regierung bedauert, weil sie gewünscht hätte, die Beamten als bald aus ihren Gewissenkonflikten zu erlösen, in denen sie sich jetzt naturnotwendig befinden müssen. Rechtlich hegt die preußische Regierung das Zutrauen, daß der Staatsgerichtshof bei der Entscheidung über die Hauptsache ihrer Auffassung bei treten wird.

Protest bei Bracht.

Wegen Neidenburg   und Bunzlau  .

Die Abgeordneten Wels und Stampfer sprachen heute morgen beim Oberbürgermeister Dr. Br a cht vor, um gegen die in Preußen herrschende Unsicherheit schärfsten Protest zu erheben. Sie wiesen insbesondere auf den Fall in Neidenburg   hin, wo der Reichstagsabgeordnete Jaeder im Beisein eines Bolizeioffiziers von Nazis viehisch mißhandelt worden war und auf den SA.- Sturm auf das Gewerkschafts­haus in Bunzlau  . Der als Reichskommissar fungierende Oberbürgermeister Dr. Bracht sagte wie in solchen Fällen üblich- Prüfung zu.

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Lest den..Vorwärts"!

Breuer noch in Haft.

Jetzt auch noch Strafantrag wegen ,, Hochverrats". Genosse Robert Breuer wird immer noch in Schuhhaft gehalten. Der Reichswehrminister, bei dem sich die Anwälte des Jnhaftierten, Rechtsanwälte Neu­mann und Klee  , beschwert haben, wird im Laufe des heutigen Tages über die Beschwerde entscheiden.

Inzwischen ist anscheinend von dritter Seite bei m Oberreichsanwalt gegen Breuer wegen seiner Rede in den Spichernsälen in Wilmersdorf   ein Straf. antrag wegen Hochverrats(!!) gestellt worden. Ein Haftantrag liegt dem Oberreichsanwalt bisher nicht vor, so daß anzunehmen ist, daß die Er­mittlungen des Obereichsanwalts jetzt ihren üblichen weg gehen werden.

Haftbefehl dürfte vom Oberreichsanwalt kaum zu er­warten sein. Die Verteidiger Breuers haben sich alsbald mit dem Oberreichsanwalt in Verbindung gesetzt und ihm auch sofort eine eidesstattliche Versicherung des Genossen Steinhofel, des Leiters der Versammlung in den Spichern­jälen, übermittelt,

Auch Polizeimajor Ende befindet sich immer noch in Haft. Dagegen erfreut sich der Polizeiwachtmeister Schuhmacher, der Ende zu einer Aftion zu verleiten fuchte und ihn dann denunzierte, noch immer der Freiheit!

Verboten!

Jetzt auch die ,, Berliner Volkszeitung".

Die neue Ordnung" und die grundsätzlich neue Staats­führung" wirken sich aus.

Jetzt ist auch die Berliner Volkszeitung" verboten worden wegen eines in der Sonntagnummer erschienenen Aufsatzes ,, Herren und Lakaien", in dem der Satz vorkommt: Ein General befiehlt in diesen schicksalsvollen Tagen, was wir sagen und schreiben dürfen..."

Die Berliner Volkszeitung", die 1848 von Aron Bernstein  , dem Onkel Eduard Bernsteins  , gegründet worden ist, hat hinsichtlich des Verbotenwerdens bereits eine lange Praxis. Schon ihrem Be­gründer wurde in den Jahren der preußischen Reaktion das Blatt mehrfach verboten. Und während des Sozialistengesetzes gehörte sie zu den wenigen bürgerlichen Blättern, die von Bismarcks Bann­strahl getroffen wurde.

Ihr jetziges Verbotensein bezeichnet die gegenwärtige ,, neue Ordnung" also deutlich als eine- sehr alte Ordnung.

Braunschweig  , das Idealland. Zehn Personen schwer verletzt- Polizei gegen Republikaner  .

Braunschweig  , 25. Juli.  ( Eigenbericht.) Als Nazis von einer militärischen Uebung zurückkehrten, drangen fie gegen die Wohnsiedlung Bebelhof vor, um von den dort auf­200 geftedten Fahnen der Eisernen Front faft zwei Dutzend zu ftehlen.. Die Fahnen, die im Parterre hingen, wurden zerriffen bzw. mitgenommen. Die herbeigerufene Polizei kam wie immer in Braunschweig  - zu spät. Abends wurden Reichsbannerleute

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nach dem Bebelhof befohlen, da die Nazis gedroht hatten, wieder­arbeitete die Polizei aber sehr prompt: fie ver­zufommen, um auch noch Transparente abzureißen. In diesem Falle haftete 84 Reichsbannerkameraden, die in der Waschküche des Bebelhofes untergebracht waren. Auf dem Hofe des Haftlokals mußten sie mit erhobenen Händen so lange stehen, bis einige von ihnen umfielen. Sie wurden in Haft behalten und sollen am Montagnachmittag dem Schnellrichter vorgeführt werden, weil fie angeblich eine verbotene Bersammlung veranstaltet haben.